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[Bühne in Weiß] Kapitel 4: "Gedanken fließen" (NP)


Blackdiablo
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"Ist der Verfall nicht mit mehr Lebendigkeit erfüllt als das Leben selbst?"

 

- Howard Phillips Wilde

 

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Die Hütte

 

[Eintritt Cypher aus dem Hauptplot]

 

Mit einem Ächzen öffnet sich das gähnende Maul der Schwärze vor dir, bereit dich zu verschlingen. Deine Augen beginnen leicht zu jucken. Aber da ist auch die Neugier, die stärker ist als jegliche Vorbehalte.

Begierig näherst du dich der Öffnung und schaust herab. Das Licht der Petroleumlampe reicht nicht ganz aus, um dir den Blick zu gewähren, nach dem es dir verlangt. Doch du bist kühn, greifst deine Taschenlampe und schneidest mit deinem Lichtstrahl durch die Schwärze.

 

Plötzlich bist du ein anderer Mensch. Du kannst dich dem nicht erwehren. Dein freier Wille ist weggeblasen. Und du siehst - siehst ...

 

Dort am Boden kauernd, siehst du in unnatürlich verrenkter Haltung eine Gestalt liegen, dir den Rücken zugewandt, und dennoch blicken die Augen genau in die deine. Vom Lichtstrahl getroffen, funkeln diese, als sei das Leben in dem Körper noch nicht vollends verwirkt. Der Mund schreit noch immer den ewigen Schrei vom Moment des Todes. Du kannst ihn in deinem Kopf herumspuken hören, diesen markerschütternden Schrei (wie der Schrei als Ma …!).

Der Hals ist entweder durch eine immense Krafteinwirkung oder vielleicht auch dem Sturz die steile Kellertreppe hinab um fast 180 Grad verdreht worden. Die Nackenwirbel allesamt zertrümmert und nur noch Fragmente ihrer selbst. Lange blonde Haare kleben mit Blut, das bereits zu trocknen beginnt, an der rechten Gesichtshälfte. Die Blutspur läuft hinab bis um den blassen Mund und lässt diesen wie den marmeladeverschmierten Mund eines naschenden Kindes wirken. Es handelt sich um die Frau des verunglückten Mannes, das ist dir klar.

All diese Details nimmst du binnen weniger Sekunden wahr, denn mehr Zeit brauchst du nicht. Du spürst, wie sich diese Eindrücke in deinen Geist unwiderruflich einbrennen. Du keuchst und schlägst die Falltür zu.

"Mein Gott, ...", murmelst du vor dich hin.

Eigentlich solltest du dich freuen, denn deine Story scheint von Augenblick zu Augenblick interessanter zu werden. Stattdessen rennst du zum Spülbecken und würgst dein Elend aus dir heraus.

 

Ein Blinzeln. "Jean-Louis Cypher.", sagst du ein wenig kraftlos. Du stehst tatsächlich vor dem Spülbecken. Doch hast du dich nicht erbrochen. Nichts ist geschehen. Du warst nur einen Augenblick abwesend. "Mein Name ist Jean-Louis Cypher." Mehr Nachdruck. Gut. Du schaust über deine Schulter. Da steht deine Petroleumlampe. Die Taschenlampe ist ausgeschaltet. Die Falltür ist geschlossen.

Edited by Blackdiablo
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Das ist doch völliger Wahnsinn. Das ist nicht wahr. DAS ist nicht, NICHT, nicht die Realität.

Nicht die Realit

Edited by Der Läuterer
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Die Realität.

Ich stehe am Spültisch. DAS ist Realität.

Im Keller liegt die Leiche einer jungen Frau. Auch DAS ist Realität.

Aber meine Reaktion ist NICHT REAL.

Das ist nicht normal.

Leichen sind mein täglich Brot.

Ich wate tagtäglich in Blut und Gedärmen.

Schon damals im Krieg. Dann über Jahre in der Pathologie.

Nichts hat mich bisher berührt.

Nichts hat mich geschockt.

Das ist eine Illusion. Alles andere ist normal...

Nur DAS ist logisch.

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Ich setze mich auf den Boden, mit dem Rücken an die spüle gelehnt.

Ich schaue die Luke an und warte. Aber worauf?

Ich ziehe an meiner Pfeife und atme tief ein.

"Personne n'aurait cru ce cave,

Prophétisant que par malheur,

Mon pauvre petit rat de cave,

Tu débarquerais avant l'heure."

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Ein Waschbär.

Das ist ein Waschbär gewesen.

Es kann nur ein Waschbär gewesen sein.

 

Ich muss in den Keller.

 

Ich werde die Speisekammer ignorieren.

 

Ich gehe ein paar Schritte.

Gehe wieder auf die Luke zu.

Edited by Der Läuterer
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Eine unnatürliche Angst.

Sie überkommt mich.

Sie greift nach mir.

Greift nach mir mit kalten Klauen.

 

Angst? Angst wovor? Wovor?

Nicht vor dem Tod.

Und nicht vor den Toten.

 

Wovor?

Kein Keller kann mich schrecken.

Keine Dunkelheit mich ängstigen.

 

Was ist dort unten?

Ausser Spinnen? Asseln? Würmern?

Edited by Der Läuterer
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Plötzlich hörst du, gedämpft, aber lebensecht, eine bekannte Stimme aus der Speisekammer.

 

Ericksons Stimme klingt vorsichtig, vielleicht ein wenig ängstlich: "Wollen wir in den Keller?"

Dann eine zaghafte Stimme, die dir nicht bekannt ist (oh doch, der, der du jetzt bist, kennt ihn ...): "Ich bin mir nicht sicher, ob ..."

Sofort unterbrichst du ihn enthusiastisch: "Natürlich wollen wir in den Keller!"

 

Verdutzt blickst du hoch. Du bist wieder du.

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Schwachsinn. Das ist "Schwachsinn."

Das sind Drogen gewesen. Drogen. Natürlich!

DAS können NUR Drogen verursacht haben.

Aber wie kann... Der Tee. Der Tee??? Der Tee!

Schwachsinn. Das ist "Schwachsinn!"

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Darauf entgegnet die unbekannte Stimme (sie ist dem anderen Ich von dir nicht unbekannt!): "Sind Sie sicher, Mr. Johnson? Vielleicht, na ja, vielleicht haben Sie es sich auch nur eingebildet?"

"Sie haben doch auch das Blut am Kellereingang gesehen, Mr. Jones!“, verteidigst du dich empört. „Wie können Sie da noch Zweifel haben? Es passt ins Bild!"

Dann wieder Erickson: "Nichts überstürzen, Johnson. Weder Mr. Jones, noch ich haben etwas in der Dunkelheit gesehen. Erst einmal sollten Sie sich beruhigen." Eine Pause, in der du apathisch zur Speisekammer starrst. Dann fügt Erickson an: "Lassen Sie uns doch einfach nachschauen, was wir dort unten finden ..."

"Ohne mich. Ich hab vorerst genug gesehen, das versichere ich Ihnen, Mr.. Erickson.", zischst du hervor.

"Wo ist Ihre grenzenlose Neugier geblieben?"

"Die habe ich gerade mit der Schwengelpumpe aus dem Spülbecken gespült, soviel ist sicher!"

"Mir egal, was Sie machen, Mr. Johnson. Ich sehe nach.", ruft Erickson.

Die Falltür öffnet sich wie von selbst und du erhaschst einen Blick in dessen finsteren Schlot. Nichts. Nichts war dort unten zu finden. Keine Leiche. Kein Blut. Staub, Staub und noch mehr Staub. Die Erickson-Stimme aus der Vorratskammer wird zornig: "Was soll das, Johnson? Wollen Sie uns etwa Angst machen?" Er betont hitzig jedes einzelne Wort: "Dort unten liegt nichts. Nichts! Nicht einmal ein verdammter Kartoffelsack!"

"A-aber ich habe etwas gesehen. Es war eine Gestalt, ganz sicher. Ich lüge nicht. Warum sollte ich lügen?", stammelst du.

"Sagen Sie es mir, Mr. Johnson."

"Ich habe nicht gelogen, jemand muss die Leiche fortgeschafft haben. Oder ..."

"Seien Sie nicht albern! Niemand ist hier in diesem Haus! Niemand außer uns! Mr. Jones, schließen Sie bitte die Luke."

Die andere ruhige Stimme aus der Speisekammer: "Sollen wir nicht doch unten schauen, vielleicht ..."

"Lassen Sie es gut sein, Mr. Jones. Das ganze war nur ein Psycho-Spielchen unseres Kollegen Johnson." Erickson ist erbarmungslos und kaltherzig. Wie von Geisterhand schließt sich die Falltür vor deinen Augen.

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Ich höre mich selbst sagen Nein! Lassen Sie mich bitte nicht allein. Ich habe schreckliche Angst, so einsam und verlassen zu sein.

 

Ich lege die Pfeife beiseite.

Sie ist bereits erloschen.

 

Ich fange an zu pfeifen, damit ich nicht so alleine bin. Dann fällt mir ein altes Kinderlied ein und ich fange an zu singen...

"Im Keller ist es duster,

da wohnt ein armer Schuster.

Er hat kein Licht. Er hat kein Licht.

Er kennt die liebe Sonne nicht."

Währenddessen gehe ich zur Luke und öffne sie erneut...

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Die Luke ist wie festgenagelt.

Nicht zu öffnen.

 

Ich lasse von der Bodenluke wieder ab und hole mein Tagebuch heraus.

 

Schnell und mit unsicherer Handschrift schreibe ich mit links einige Worte aufs Papier.

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Nur so als Gedankenstütze. Man weiss ja nie.

 

Ich lasse von meinem Tagebuch ab und lege den Füllfederhalter zur Seite.

 

Die Bodenluke verweigert sich meinen zehrenden Versuchen, Einlass zu erlangen, mit aller grösster Beharrlichkeit. "Als würde jemand von unten festhalten. Haha. Unsinn. Das ist blanker Unsinn."

Ich gehe in den Flur. "Na warte du Miststück." Ich greife nach der Spitzhacke. "Jetzt bekommst du, wonach du verlangst." Dann gehe ich zur Luke zurück, stecke das breite Metallende in den Spalt zw. Luke und Dielen und benutze den Stiel als Hebel. Die Luke geht auf. Ohne Probleme. "Na also. So Kleines, jetzt wollen wir doch mal sehen, was Du mir zu erzählen hast." Ich hänge mir die Arzttasche an den Haken am Gürtel, greife mir die Petroleumlampe und leuchte in den schwarzen, gähnenden Schlund hinein.

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Niemand da. Leer. Der Körper ist verschwunden. Als wäre er zu neuem Leben erwacht und hätte sich davon geschlichen. Oder war er nie da? Ein Echo des Theaters, das hier gespielt wird?

 

Das Zappeln und Klappern und Klopfen aus der Speisekammer hört nicht auf, und jeden Moment fürchtest du, dass die Stimmen weiterreden und mit ihnen du selber oder eher das andere Ich. Momentan vereinahmt die Geräuschkulisse aus der Speisekammer alle anderen möglichen Geräusche und zwingen dich vorerst, auf dein Gehör zu verzichten. Und sehen kann man zumindest von hier oben ohnehin nicht besonders gut ...

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"Interessant. Das ist wirklich interessant." Edited by Der Läuterer
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