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[Sieben] -Prolog: Das Erbe-


-TIE-
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Erster Schnee und ein Todesfall, London, Montag 03.Dezember 1888

 

Früher Nachmittag, obwohl das Licht eher an einen Abend gemahnt ist es doch erst kurz nach Mittag. Über Nacht ist der erste Schnee gefallen und hat London in ein dünnes weißes Tuch eingehüllt, die Parks und Straßen wirken wie verzaubert. Am Boden ist das triste Grau einem jungfräulichen Weis gewichen. Es ist als hätten Himmel und Erde den Platz getauscht. Den ganzen Morgen über fallen immer wieder feine Schneeflocken aus den bleigrauen Wolken die Tief über der Stadt hängen. Mit ein wenig Fantasie könnte man meinen dort oben am Himmel in den grauen Wolkenmassen das Abbild des sonst üblichen Londons zu sehen. Dunkel, klamm und nass.

 

Lawrence liebt diese herrliche Ruhe nach dem Mittag. Versonnen sitzt er an seinem Schreibtisch, weder sein Vater noch sein Bruder sind in den Räumen der Kanzlei, sie essen Außerhalb nur ein Gehilfe ist im Nachbarzimmer zu hören wie seine Feder über das Papier kratzt. Der Ofen spendet eine behagliche Wärme und lässt vergessen das die Kälte Eiskristalle an Lawrence Fenster wachsen lässt. Draußen, auf der Straße sind nur wenige Leute unterwegs, wer es vermeiden kann ist genau da wo Lawrence gerade ist, drinnen im Warmen.

 

Gedankenverloren schweift sein Blick über den Schreibtisch aus dunklem Holz. Ein Geschenk seines Vaters zu seinem Abschluss. Handgefertigt. Darauf liegt seine Arbeit, seine Fälle. Echte Fälle, denn er lernt die Menschen dahinter kennen. Papiere, Tintenfäßchen, seine Ledermappe, eine gerahmte Fotografie seiner Frau und seines Sohnes Anthony. Aufgenommen vor zwei Jahren, zuhause im großen Salon, da war er acht. Ganze acht Jahre alt, schon ein großer Bursche der immer mehr nach seinem Vater kahm. Dann fällt Lawrence Blick auf die Feder, die eine weiße Feder. Sie steckt im Glas mit den anderen Federkielen und Bleistiften, aber sie ist nicht zum Schreiben gedacht. Eine Mahnung nie wieder vorschnell zu urteilen, eine Schmähung ausgesprochen und zurückgenommen, eine Lehre wie sie nur das Leben selbst erteilen kann.

 

Kurz muss Lawrence an Matthew denken, den Empfänger der Feder, als die Türglocke schellt. Stirnrunzelnd setzt sich Lawrence auf, er hört die Schritte des Angestellten wie er beflissentlich über die Flurdielen eilt um die Tür zu öffnen. Ein Blick raus zeigt Lawrence das eine Kutsche vorgefahren ist. Vom Eingang sind leise Stimmen und gerauntes Gemurmel zu vernehmen. Irgendwas in Lawrence sagt ihm das er am Scheideweg steht, mit einem mal wird ihm bewusst das sein altes Leben Vergangenheit ist und etwas neues auf ihn wartet. Er fühlte es schon einmal, bei seinem ersten Kuss, der Hochzeit, der Geburt seines Sohnes, aber noch nie so deutlich und nie war das Gefühl mit einer leichten Trauer verbunden.

 

Der Gewissheit das alles anders werden würde.

Edited by -TIE-
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  • 3 weeks later...

Lawrence Foyle

- Kanzlei Foyle-

 

Derart unvorbereitet aus meinen Gedanken gerissen fährt meine Hand zuerst an meinen Kragen um den Sitz der Fliege zu überprüfen. Eine beiläufige Bewegung die ich mir schon lange verinnerlicht habe. Empfand ich den steif gestärkten Kragen anfangs noch als einengend und regelrecht störend, so ist diese Kleidung inzwischen ein unverzichtbarer Teil von mir geworden. Sie erinnert mich an meine Pflicht und meine Verantwortung den Klienten und meinem Vaterland gegenüber. Manchmal ist ein Fall eine regelrechte Gradwanderung zwischen diesen beiden Punkten, denn jeder Auftrag beinhaltet ein Schicksal und jedes Schicksal hat seine ganz eigene Geschichte. Und diese Geschichten sind selten einfach. Eine Einteilung in Gut und Böse existiert nicht, auch wenn das oftmals vieles vereinfachen würde, stattdessen gibt es nur Grauschattierungen. Grau, wie die Wolken über London. Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht sind oft schmal, kaum erkennbar, manchmal auch richtiggehend fließend. Wo hört Heldenmut und Ehrbarkeit, manchmal auch die Verzweiflung auf und wo beginnt Selbstsucht und Kriminalität? Diese Frage macht den Reiz an meinem Beruf aus, das gewisse Etwas. Mein Blick fällt noch einmal auf die düstere Szenerie vor dem Fenster, dann richte ich die Ecken meiner gerade bearbeiteten Akten ordentlich aus  und versuche mein Gefühl, das den neuen Fall als etwas großes und bedeutendes ankündigt zu ergründen.

 

Während ich den gedämpften Stimmen und den näher kommenden Schritten lausche und mit dem Philosophieren aufhöre, wundere ich mich, wer der Besuch wohl sein möge und welchen Fall er mir ins Hause tragen wird. Dieser Moment ist immer wieder spannend. Kein Klient gleicht dem anderen, keine Akte wiederholt sich. Das Leben hält viele Überraschungen bereit, gute aber auch schlechte und so begleitet mich bei dem ersten Kontakt mit einem neuen Klienten jedes Mal diese spezielle Art der Aufregung. Nur selten so intensiv und von Trauer durchwirkt wie heute.

 

Reglos verharre ich auf meinem Stuhl. Aufrecht, den Blick zur Tür gewandt. Das, was gleich folgen wird, ähnelt einem einstudierten Tanz. Elegant, nicht aufdringlich, Seriös. Sobald sich die Tür öffnet werde ich aufstehen, dem Klienten freundlich aber bestimmt die Hand reichen. Ihn begrüßen und den Stuhl vor meinem Schreibtisch anbieten. Ich werde mich wieder setzen, während unsere Angestellte sich gekonnt unaufdringlich mit dem Mantel des Gastes entfernen wird. Sobald ich das leise Klicken der Türklinke vernehme werde ich den Klienten mit durchgestrecktem Rücken und ruhig auf dem Schreibtisch gefalteten Händen anblicken und fragen wie ich behilflich sein kann. Tausendfach habe ich diese Situation hinter mir und doch ist es jedes Mal wieder anders.

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Die Schritte die über den Flur hallen zeugen von großer Zuversicht, ein sicheres Auftreten. Nicht zu schnell, das würde Hektik, Getriebenheit beinhalten, nicht zu langsam, kein Zögern, keine Unsicherheit. Nicht laut polternd, aber auch nicht vorsichtig, bestimmt passt am ehesten. Nur eine Berufsgruppe im ganzen Empire ist dazu fähig, Soldaten. Da hat jemand einen Auftrag geht es dir durch den Kopf und er ist gewillt ihn durchzusetzen, mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und der Gewissheit das er es schaffen wird. Der leichte Anflug von Überheblichkeit, wie es einer Weltmacht wie dem Empire zusteht.

 

Ein kurzes Klopfen ertönt, weniger energisch, auch das erkennst du. Es ist der Assistent, ohne eine Antwort abzuwarten schwingt die Tür auch schon auf, das Klopfen erfolgt rein formhalber, so ist es immer. Ein hochgewachsener Mann tritt herein, er trägt die Uniform der Marine, ein Midshipman.

 

"Mister Foyle..." beginnt er ohne das du etwas sagen kannst "...ich brauche eine Quittung von ihnen, ich habe Überseegepäck das an ihre Kanzlei adressiert war. Wenn sie mir das bitte gegenzeichnen würden, dann kann ich die Matrosen anweisen es abzuladen!" Er hält dir eine Depesche hin die, wie du am Wappen erkennen kannst, von der Kolonialverwaltung in Gibraltar ausgestellt wurde. Schon beim Überfliegen fällt dir die erste Zeile sofort in´s Auge.

 

"Nachlass von Sir Isiah Mcnay..."

 

Isiah Mcnay geht es dir durch den Kopf, aber du kannst den Namen nicht sofort einordnen doch dann kommt die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Mcnay, Isiah der Bruder von Marie Elisabeth Richmoore, geborene Mcnay, der Onkel, der deinem Freund Matthew William Richmoore beiseite stand als seine Familie ihn fallen ließ. Der Onkel der nie persönlich in Erscheinung getreten war, der Weltenbummler und Kaufmann ist verstorben.

Edited by -TIE-
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Lawrence Foyle

- Kanzlei Foyle-

 

"Guten Tag, Sir." Ich versuche mir meinen leichten Anflug der Empörung über sein unhöfliches Auftreten nicht anmerken zu lassen. Meine Aufmerksamkeit wird sowieso sofort von dem Schreiben gefesselt.

 

Sir Isiah Mcnay... Was das wohl für Matthew bedeuted? Mein Gefühl hatte mich zumindest nicht getrügt, dieser Fall ist etwas ganz besonderes. Und, wenn auch vielleicht nicht direkt für mich, aber für Matthew ist es allemal ein Scheideweg. Ein weiterer bedeutender Einschnitt mit hoffenltich positiven Folgen. Ich würde es ihm zumindest von ganzem Herzen wünschen.

 

Ich setze mich wieder auf meinen Platz und zeige mit einer dezenten Geste auf den mir gegenüber stehenden Stuhl. "Bitte, setzen sie sich. Um wieviele Gepäckstücke handelt es sich hierbei?" Schließlich beginne ich damit die Depesche durchzulesen um sie anschließend wie gewünscht zu unterschreiben.

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Die feine Handschrift auf der Depesche ist leicht zu lesen.

 

Sehr geehrte Herren von der Kanzlei Foley,

 

leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Dreimastbark "Demeter" im Sturm in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1888 vor Gibraltar gekentert ist. Laut der Passagierliste befand sich ein Sir Isiah Mcnay an Bord. Nach ausgedehnter Suche konnten nur zwei Seeleute lebendig geborgen werden.

 

Daher übersenden wir ihnen die verbliebenen persönlichen Sachen aus seiner Seekiste.

 

Nachlass von Sir Isiah Mcnay:

 

Tasche, Leder (leer)

Visitenkarte, Kanzlei Foyle

Eine Katze

 

Die beiden Seeleute haben unabhängig voneinander und übereinstimmend ausgesagt, das der Kater der in dem Trümmerfeld aufgegriffen wurde Sir Isiah Mcnay gehörte.

 

Bitte richten sie den Angehörigen mein zutiefst empfundenes Beileid über den Verlust von Sir Isiah Mcnay aus. Es wird davon ausgegangen das sie mit der Nachlassverwaltung betraut sind, oder zumindest einen entsprechenden Kontakt herstellen können. Gegen Unterzeichnung einer Quittung erhalten sie, in vertrauensvoller Hoffnung das die Angelegenheit im Sinne des verstorbenen geregelt wird, die gelisteten Hinterlassenschaften.

 

Gezeichnet

Sekretär seiner Majestät

Jakob Trowler

Gibraltar

 

Der Offizier wartet ab bis du die Depesche gelesen hast dann fährt er fort. "Wir haben den Kater und die Tasche draußen in der Kutsche, ich lasse sie ihnen bringen." Er nimmt die Quittung entgegen, knallt die Hacken zusammen und geht mit durchgedrückten Rücken, vom Flur aus kannst du ihn schon befehle bellen hören. Kälte kriecht in dein Zimmer, die Tür draußen stand zu lange offen und der Winter schleicht sich in deine Kammer.

 

Es dauert nur Augenblicke, dann steht ein Weidenkorb mit einem schwarzen Kater darin und eine nach Salzwasser stinkende Ledertasche in deinem Büro. Das Wasser hat dem Leder übel zugespielt, die aufgequollene Visitenkarte ist kaum noch zu entziffern aber sie hat ihren letzten Dienst erfüllt. Matthew´s Onkel war tatsächlich Kunde in eurer Kanzlei, auch wenn dein Vater sich immer um diese Angelegenheiten gekümmert hat. Wenn es ein Testament gibt dann gibt es Hinweise dazu in dem Büro deines Vaters.

 

Während du noch die Visitenkarte in den Händen drehst fällt dir auf das der schwarze Kater dich von unten her, durch die Stäbe seines Weidenkörbchens hindurch, wachsam anblickt. Fast als würde er dich beobachten, abschätzen. Als sich eure Blicke kreuzen blickt er zu Boden und fängt an sich die Pfote zu lecken und unter seligem Schnurren und Schmatzen sich den Kopf zu putzen, immer vom Ohr  bis zur Stirn. Sein seidig schwarzes Fell glänzt im Licht der Gaslampe die über deinem Schreibtisch hängt.

Edited by -TIE-
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Lawrence Foyle

- Kanzlei Foyle-

 

Ich erschaudere kurz ob der hereingelassenen winterlichen Kälte, werfe dem sich friedlich putzenden Kater noch einen letzten kurzen Blick zu, dann lege ich die Depesche auf meinem Schreibtisch ab und verlasse mein Büro. Die Türe schließe ich sorgfältig hinter mir, damit der kleine Kohleofen seinen Dienst verrichten kann. Im Nebenzimmer nicke ich dem Gehilfen kurz zu. "In meinem Büro befindet sich ein Korb mit einem Kater, geben sie ihm bitte etwas Wasser. Das Tier gehört zu einem Nachlass und ich möchte es gut versorgt wissen. Und passen sie auf, dass er nicht wegläuft!"

Auf dem Weg zu Vaters Büro verschwende ich einen kurzen Gedanken daran ob Matthew Katzen mag und ob er das Tier wohl behalten wird und wie er den Tod seines ihm eigentlich fremden und doch so gönnerhaften Onkel wohl aufnehmen wird, dann klopfe ich auch schon an der Bürotüre um zu sehen ob Vater mit Eduard noch beim Mittagessen ist. Als eine Reaktion ausbleibt betrete ich sein Büro um selbst nach der Akte von Sir Isiah Mcnay zu suchen.

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Beflissentlich nickt der Angestellte und schickt sich an eine Porzellanschüssel aus der kleinen Teeküche zu holen, damit er den Kater mit Wasser versorgen kann.

 

Dir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken in der Abwesenheit deines Vaters sein Büro nach einer Akte zu durchsuchen, aber Matthew ist dein Freund und die Angelegenheit ist wichtig und wer weiß wann dein Vater zurück kommt. Du umrundest den Schreibtisch und deine Finger wandern über die Aktenrücken in dem Schrank dahinter. Altes Papier, Fälle, Verhandlungen, Staub der über selbigen liegt und jetzt in deiner Nase kitzelt. Dein Vater ist ein ordentlicher Mensch, wie ihr alle, Ordnung liegt euch im Blut.

 

Schnell hast du im Regal einen kleinen Schuber gefunden, natürlich unter "M". Auf einem ehemals weißem, jetzt vergilbten Etikett kannst du in der feinen Handschrift deines Vaters den Namen Mcnay, Isiah erkennen. Ein letzter Blick über die Schulter, aber die Kanzlei liegt still da und weder dein Vater noch dein Bruder sind zurück. Dann ziehst du den Schuber und nimmst ihn mit in dein Büro. Bevor du ihn auf deinen Schreibtisch legst wischst du den Staub von dem Rücken, dann ziehst du den Schuber auf.

 

Darin liegt ein kleine Karteikarte und ein Schlüssel.

 

O´Malley and Son

 

Darunter eine Nummer

 

1407

 

O´Malley and Son ist eure Hausbank, wann immer ihr Dokumente, Wertgegenstände, Urkunden oder Geld aufzubewahren habt bringt ihr sie zu O´Malley and Son. Einer kleinen Privatbank keine zwei Straßen von der Kanzlei entfernt, es ist immer sicherer nicht alles in der Kanzlei aufzubewahren. Das muss der Schlüssel und die Nummer eines Schließfaches sein. Wenn Matthew´s Onkel ein Testament hinterlassen hat, oder weitere Dinge von Wert dann sind sie dort aufgehoben. Obwohl der klein Ofen deine Stube wieder gut aufgewärmt hat musst du bei einem Blick nach draußen frösteln, Schneeflocken tanzen im Wind, es hat wieder angefangen zu schneien.

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Lawrence Foyle

- Kanzlei Foyle-

 

Ein kurzer Blick auf meine Taschenuhr verrät mir, dass mein Vater vermutlich noch eine Weile weg sein wird. Die Uhr war ein Geschenk von ihm, zum bestandenen Abschluss meines Studiums. Seitdem begleitet sie mich auf Schritt und tritt. Eine einfache, geradlinige Silberfassung, auf dem Deckel prangt das eingeprägte Wappen unserer Kanzlei.

Ich schreibe meinem Vater eine kurze Notiz, dass Sir isiah Mcnay verstorben ist, der Kater sowie die geruchsintensive Tasche in meinem Büro zu seinem Nachlass gehört und ich mich gerade auf dem Weg zu seinem Schließfach befinde um den Fall möglichst schnell zu bearbeiten. Innerlich hoffe ich kurz, dass er es mir nicht übel nehmen wird, ihm diese Angelegenheit einfach abgenommen zu haben, andererseits ist er selbst ein Mann der Tat, da sollte ihn etwas Eigeninitiave vielleicht sogar positiv beeindrucken.

 

Angesichts des ungemütlichen Wetters wird er froh sein, nicht nochmal hinaus zu müssen. Ich notiere mir die Nummer des Schließfaches, stecke den Schlüssel ein, hole meinen Gehrock, dessen Kragen ich gegen die Kälte hochschlage, setze meinen Zylinder auf, ziehe meine Handschuhe über, gebe dem Assistenten kurz bescheid und trete dann nach draußen. Sofort umschließen mich die in der kalten Luft tanzenden Schneeflocken und meine Fußabdrücke zeichnen sich auf dem Gehweg ab, als ich festen Schrittes den Weg zu O´Malley and Son einschlage und mich Frage was mich dort wohl erwarten wird.

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Nur wenige andere Menschen sind auf der Straße, wer kann bleibt zuhause im Warmen. Obwohl es erst früher Nachmittag ist herrscht bereits ein graues Zwielicht, allein die weiße Schneedecke hellt die Stadt ein wenig auf bis in ein paar Stunden die Gaslaternen entzündet werden. In einigen Fenstern brennen Kerzen, ihre kleinen Feuerzungen tauchen die davor herunterfallenden Schneeflocken in ein warmes, gelbes Licht. Sie nehmen der Stadt etwas von ihrer tristes. Eine einzelne Kutsche zieht an dir vorbei, das Getrappel der Pferdehufe wird durch den Schnee seltsam gedämpft. Selbst hier in der City ziehen es die Leute vor zuhause zu bleiben. Das Jahr des Rippers, es ist noch keine vier Wochen her das man sein letztes Opfer gefunden hat und die Stadt und die Menschen halten den Atem an, wen trifft es als nächten. Das vergossene Blut ist in ihre Seelen getropft. Unwillkürlich ziehst du deinen Gehrock enger. Jeder könnte es sein, das ist das schreckliche, die Taten zaubern Misstrauen in die Augen der Menschen.

 

Aber der Weg ist nur kurz und schon nach wenigen ausholenden Schritten stehst du vor der Bank. O´Malley and Son verkündet das in goldenen Lettern gehaltene Schild über dem Eingang, durch die dicken Fenstergläser kannst du verschwommen in das innere Blicken, den Vorraum mit den vergitterten Schaltern an denen die Angestellten die Kundenwünsche entgegennehmen. Elegant klopfst du dir den Schnee von den Schultern und tritts in die Bank ein. Drinnen herrscht geschäftige Stille, alles ist gedämpft, alles ist wichtig, ein Diener nimmt die Hut und Mantel ab, das gehört zum guten Service. Ein großer kristallener Kronleuchter spendet Licht, es ist warm hier drin. So warm das sich dein Gesicht und deine Finger ganz geschwollen anfühlen, eben waren sie noch dem eisigen Wetter dort draußen ausgesetzt, jetzt ist es wohlig warm.

 

Du gehst direkt durch zu dem Zimmer des Direktors, eine große Eichentür, fein geschmückt mit Schnitzarbeiten, man kennt dich. Ein Nicken hier, ein Händeschütteln dort, knappe Konversation, Komplimente, fragen nach dem Befinden der werten Gattin, nichts von Belang. Höflichkeit. Als du gerade klopfen willst geht die Tür auf und eine Frau kommt aus dem Zimmer des Direktors, kleiner als du, schlank, schwarzes Haar, das dich in Farbe und Glanz ein wenig an das Fell des Katers erinnert, oder an das Gefieder eines Raben. Ein Blick aus dunkel geschminkten Augen, ein tiefes Blau, ein Hauch von Parfüm, eine flüchtige Berührung an deinem Arm, als sie an dir vorbeigeht, dann ist der Augenblick vorbei und der Direktor Samuel O´Malley begrüßt dich mit seinem gewohnt festen Händedruck. Viel fester als man es von einem Bankier erwarten würde.

 

Schnell sind die Formalitäten geklärt und einer Treppe folgend findest du dich wenig später allein im Keller wieder, dem Tresor der Bank. Eine dicke eiserne Tür führt in einen mit roten Samtvorhängen abgetrennten Raum in dessen Mitte ein breiter Tisch aus schwarzem Ebenholz steht, die Tischplatte ist lackiert und auf Hochglanz geputzt, vier Stühle mit hoher Lehne sind darum drapiert. An den Wänden dahinter Schließfächer über Schließfächer, wie dunkle Augenhöhlen blicken die ganzen Schlüssellöcher auf dich hernieder. Du hast keine Mühe das Schließfach mit der Nummer 1407 zu finden. Kurz hältst du inne, das Parfüm der Frau, wie ein warmer, süßer Atem hängt auch hier in der Luft.

 

Aber die Arbeit ruft, leicht dreht sich der Schlüssel im Schloss und du kannst das Schließfach öffnen. Hier unten in den Eingeweiden der Bank gibt es keine Gaslaternen, lediglich Kerzen erhellen den Raum, in dem schmalen Fach liegt eine hölzerne Schatulle, darauf ein Briefumschlag.

 

Für meinen Erben Matthew William Richmoore

 

Nur diese Worte stehen auf dem Briefumschlag, es fühlt sich an als wenn mehrere gefaltete Blätter in ihm wären. Ehrfürchtig nimmst du beides aus dem Schließfach und legst es auf den schwarzen Tisch. Dumpf hallt das Holz in dem kleinen Raum wieder. Da liegt es vor dir, die Hinterlassenschaften von Sir Isiah Mcnay.

Edited by -TIE-
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Lawrence Foyle

- O'Malley and Son-

 

Ich betrachte die beiden Sachen kurz im flackernden Kerzenschein. Ein Erbe.... Diese Momente sind immer ganz speziell. Man trauert, hat einen geliebten Menschen verloren, und freut sich trotzdem darüber was er einem vermacht hat. In der Regel zumindest. Natürlich gibt es ausnahmen. Matthew kannte seinen Onkel nicht, dieser Brief ist wohl der erste und einzige Kontakt zu ihm. Vielleicht bringt er ihm ein paar Antworten. Hatte Sir Mcnay noch größere Besitztümer? Oder Vermögen? Warum trat er nie selbst in Erscheinung? Je nachdem wird dieser kleine, unscheinbare Brief für Matthew eine mehr oder weniger große Veränderung einläuten.

 

Zu meiner eigenen Schande juckt es mich in den Fingen schon einen Blick in den Brief zu werfen, doch ich widerstehe. Das wäre moralisch nicht vertretbar, weder als Anwalt, noch als Freund. Ich nehme die Schatulle in die Hand, drehe sie kurz prüfend, wundere mich was darin wohl sein könnte. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden erliege ich meiner Neugier, die mich immer wieder in Verlegenheit und Probleme gebracht hat, und prüfe ob sie abgeschlossen ist, falls nicht, werde ich den Deckel kurz anheben. Ein kleiner Blick wird mich schon nicht in die Arme des Teufels treiben.

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Innerlich hältst du vor Vorfreude und ein wenig Aufregung die Luft an, die Schatulle hat kein Schloss sondern ist nur mit einem kleinen bronzenen Häkchen verschlossen das sich an eine ebenfalls bronzene Niete schmiegt. Mit dem Fingernagel schnippst du den Verschluss auf, der sich leicht drehen lässt, dann öffnest du die Schatulle. Die Kerzen flackern, nur für einen Augenblick. Jetzt hältst du in der tat erschrocken den Atem an, hier unten geht kein Luftzug, ein Blick über die Schulter, aber der rote Samtvorhang verdeckt immer noch die Eisentür, er bewegt sich nicht. Niemand ist hier und auch die Kerzen haben sich wieder.

 

Die Schatulle ist mit schwarzer Seide ausgeschlagen, darin ruht ein Kästchen aus dunklem Königsblauen samt, vielleicht so lang wie dein kleiner Finger und etwa Daumenhoch, daneben ein alter, schwerer Schlüssel. Er muss antik sein, das Metall ist angelaufen, ein wenig Rost hat sich an den Schmiedestellen gebildet die den Übergang zwischen Schaft und Bart bilden und er ist ungewöhnlich schwer, schwerer als man vermuten sollte, auch wenn er eine Handspanne misst.

 

Als drittes und letztes liegt eine kleine Brosche zum Anstecken in der Seide, wie ein tropfen silbriger Flüssigkeit auf schwarzem Grund. Die Brosche besteht aus Silber, perfekt rund und sieben kleine Schmucksteine, alle schwarz, sind kreisförmig auf ihr angebracht in der Mitte zieht sich eine feine Gravur an der Innenseite der Steine entlang. Sie ist so fein das du die Brosche gegen das Kerzenlicht halten muss um sie lesen zu können.

 

Im Zentrum der sieben steht:

 

PER NOSTRO CIRCOLO

 

"Durch unseren Kreis" murmelst du leise. Was auch immer Matthew´s Onkel ihm da vermacht hat liegt jetzt in deinen Händen.

Edited by -TIE-
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Lawrence Foyle

- Auf dem Weg zu Little Ashbury Castle-

 

Mich fröstelt kurz, ich trete unbehaglich von ein auf den anderen Fuß. Tue den Luftzug, das Flackern der Kerzen als Einbildung ab. Das kommt davon wenn man in fremden Sachen schnüffelt... Das klicken der sich schnell wieder schließenden Schatulle durchbricht die Stille und damit auch den kurzen, unheimlichen Moment. Die Geschäftigkeit kehrt zurück. Ich verstaue Brief und Schatulle sorgfältig in meiner Aktentasche aus Leder um sie gegen das Wetter zu schützen, dann verlasse ich die Privatbank, nachdem ich mich vom Direktor verabschiedet und Gehrock, sowie Zylinder wieder angelegt habe. Das Wetter hat sich um keinen Deut gebessert, also eile ich möglichst schnell zurück zur Kanzlei. Die in den Räumen herrschende Wärme genieße ich allerdings nur für wenige Minuten um Vater mitzuteilen, dass ich Matthew sein Erbe übergeben werde. Dann nehme ich mir mitsamt dem im Weidekorb sitzenden Kater und der leeren, nach Meer riechenden Tasche eine Kutsche um zu Matthew zu fahren. Nach außen hin lasse ich mir nichts anmerken, doch ich bin etwas angespannt und kann es kaum erwarten dort anzukommen. Wie wird er wohl reagieren?

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Raus aus der Stadt, dem Moloch, der Metropole fliegt die Kutsche über verschneite Straßen, hinaus in die aufziehende Nacht dem Anwesen von Matthew William Richmoore namens Little Ashbury Castle entgegen. Angespannt blickt Lawrence nach draußen wie die Welt in Weiß-, Grau- und Schwarztönen verschwimmt, die Tasche neben sich, den Brief und die Schatulle auf dem Schoß. Ihm gegenüber in dem Weidenkörbchen die Katze, zusammengerollt schläft sie, nur hin und wieder zuckt ein Schnurrbarthaar, wenn ein Schlagloch doch zu tief war oder sie in ihren Träumen eine Maus fängt. Das Getrappel der Pferde wirkt beruhigend.

 

Noch jemand schläft zu dieser Stunde. Still und dunkel liegt das Anwesen da, nur in wenigen Zimmern des oberen Stockwerkes brennt ein schwaches Licht ansonsten sitzt das Gemäuer wie ein steinerner Drache in dem Anwesen und hart der Zeit. Ringsum die Felder sind verwildert und hohes Gras bricht durch die Schneedecke. Unten in der Küche bereitet Julius gerade das Abendessen vor. Nichts aufwendiges, eine klare Brühe, warm, sie soll Kraft geben, frisch gebackenes Brot und ein paar Stümpfe Blutwurst, dazu Gänseschmalz. Über ihm, getrennt nur durch die hölzerne Decke, in dem kleinen Salon sitzt Matthew, zusammengesunken in dem alten Ohrensessel, der Stoff ist auf Kopfhöhe und den Lehnen schon deutlich ausgedünnt, manche würden sagen löchrig. Ein Buch liegt auf seinem Schoß und die kleine Leselampe auf dem Beistelltisch daneben taucht sein Gesicht in ein sanftes gelbes Licht. Er ist eingeschlafen, nur hin und wieder zucken seine Mundwinkel, wenn er tiefer hinabgleitet in seine Träume.

 

Träume von vergangenen Tagen, besseren Tagen, Tagen an denen die Welt noch nicht so trist war. Tagen in denen er eine Frau hatte. Isabelle, seine kleine bezaubernde Isabelle. Manchmal kommt sie wieder in diesen Träumen dann kann er sie sehen, sie fast berühren und das erwachen ist dann um so schmerzlicher als zuvor. Und dies ist wieder so ein Traum, eine Sommerwiese über der sich der strahlendblaue Himmel eines warmen Augusttages spannt. Eine schneeweiße Decke, Kuchen, Weintrauben irgendwo lacht ein Kind. Matthew blickt in den Himmel über sich, mit dem Kopf liegt er auf dem Schoß seiner Frau, er kann fühlen wie sie ihm durch das Haar streicht, er kann den Grashalm schmecken den er im Mund hat, er kann ihn über sich im blauen Himmel tanzen sehen. Er riecht sie, ihre Kleidung, die würzige Erde und das Gras unter ihm. Geborgenheit und Glück, Vollkommenheit. Ein Blick in die gleißende Sonne dann wandelt sich die Szene, noch tanzen Lichtblitze auf seiner Iris, Matthew steht er kann seine Frau rufen hören, das Kinderlachen ist verstummt.

 

"Robert? Robert wo bist du?" Die Stimme seiner Frau die nach seinem Sohn ruft. Er legt die Hand über die Augen, es ist Herbst geworden und die Wiese hat sich in ein Heckenlabyrinth verwandelt, er steht in der Mitte eines Kreises mit sieben Ausgängen. Die Weintrauben sind verschimmelt ein süßlicher Duft nach faulem Obst liegt in der Luft. Er will nach ihr rufen, er will seinen Sohn rufen aber keine Worte kommen über seine Lippen. Hektisch rennt Matthew los, im Kreis. Er weiß nicht wo sie sind, hilflos es könnte zu spät sein, die Rufe seiner Frau verlieren sich in dem Labyrinth. Er hastet los auf gut Glück tiefer, immer tiefer in das Labyrinth, die Hecken werden zu Dornen, reißen seine Haut auf es schmerzt dann stürzt er und als er sich aufrichtet liegt Schnee.

 

Der Winter hat Einzug gehalten in sein Leben, in seine Welt. Kahl liegt das Labyrinth da, unter dem Schnee faulen die Blätter der Hecke und er war ihnen so nah. Nur durch eine Wand aus Dornen getrennt. Er kann sie liegen sehen auf der anderen Seite der Hecke, seine Frau wie sie ein kleines Bündel umklammert, der Schnee um sie herum blutig rot. Matthews Hände verkrampfen sich um die Äste der Hecke, Dornen stechen durch seine Handflächen, sein Blut tropft in den Schnee. Dann erstarrt er, seine Frau seine geliebte Isabelle, sei regt sich, erhebt sich seufzend. Aber das kann nicht sein, sie ist tot, schon so viele Monate, tot.

 

Dort wo das Zentrum des Labyrinths war erstrahlt ein Licht, ein warmes Licht. Es verströmt Hoffnung, Erlösung, Gnade. Doch dort im Zentrum ist noch etwas, das lockt, ruft dessen Ruf selbst auf der anderen Seite, der Seite des Todes Gewicht und Wert hat. Der Ruf von etwas für das es keine Grenze gibt und Matthews Frau mit seinem Kind auf dem Arm folgt diesem Ruf. Wie wild reißt Matthew an den Dornen, doch es ist als würden die Ranken die seine Hände durchbohrt haben ihn festhalten, binden. Ein letztes mal dreht sich seine Frau um, Trauer in den Augen, hilflose Trauer.

 

"Wo bist du? Hilf uns Matthew, geliebter hilf uns ich bin so schwach! Hilf uns!"

 

Erschrocken fährt Matthew aus seinem Ohrensessel auf, mit einem lauten Poltern fällt das Buch von seinem Schoß auf dem Boden. Keuchend ein heiserer Schrei  "Isabelle!" Tränen füllen seine Augen, er war nicht da konnte, ihnen nicht helfen. Dann schreckt er erneut auf. Dünn und verzweifelt klingt ihre Stimme "Hilf uns!" er hat sie gehört, aber das kann nicht sein, das hier ist die wahre Welt und die Toten kommen nicht zurück. Das ist es was Afghanistan ihn gelehrt hat. Die Toten kommen nicht zurück. Matthews Hand verkrampft sich um ein Stück Papier, gedankenverloren hatte er nach dem Mittag an einem neuen Gedicht gearbeitet, sein Lesezeichen für das Buch.  Nacht sollte es heißen.

 

Ein Blau in Schwarz getönt,

 zu später Stunde den Himmel krönt.

Sieben schwarze Sterne funkeln, diamantengleich.

Der Krone zur Schönheit gereicht.

 

Draußen biegt die Kutsche auf den letzten Weg ein, das alte Tor mit den brüchigen Pfeilern wird passiert und Lawrence kann die brachliegenden Felder erblicken, die kahle Heide und an ihrem Ende das dunkel daliegende Haus. Innerlich wappnet er sich vor der Kälte, dann kommt die Kutsche vor dem Eingang zum stehen. Die Pferde dampfen in der winterlichen Luft, zum Glück hat der Wind nachgelassen und die wenigen Schneeflocken die noch aus den Wolken fallen sinken langsam und gerade zu Boden. Der Kutscher murmelt, das er warten wird, dann geht Lawrence zur Tür und klopft.

 

Julius schreckt auf, erst ein Poltern über ihm, aus dem kleinen Salon des Herren, dann ein dumpfes Pochen von der Tür. Ein Gast, so spät noch? Wer kann das sein.

Edited by -TIE-
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Matthew William Richmoore

- Little Ashbury Castle, Salon, 1. Stock -

 

Ich sitze einige Minuten wie versteinert da, die Welt verblasst während die Bilder des Traumes selbst durch die Tränen klar und deutlich zu erkennen sind. Isabelle. Wunderschöne, liebliche Isabelle. Der kleine Robert.

 

"Wo bist du? Hilf uns Matthew, geliebter hilf uns ich bin so schwach! Hilf uns!"

 

Es fröstelt mich, die Kälte kriecht in mein Herz. Eine Kälte die nicht durch des niedergebrannte Feuer und den Winter kommt. Eine Kälte der Seele. Nur selten entkomme ich ihrem eisigen Griff. Gerade spüre ich ihn. Durchdringend. Überwältigend.

 

Einsamkeit. Hoffnungslosigkeit. Verzweiflung.

 

Die Toten kommen nicht zurück.

 

Mit mechanischen Bewegungen stehe ich auf, gehe zum kleinen Sekretär der in der Ecke steht. Darauf das letzte Bild von Isabelle. Ich starre es einen Moment an. Dann öffnen ich die Klappe, greife hinein ohne den Blick von meiner toten Frau abzuwenden und ziehe eine Schatulle hervor. Mit der anderen Hand nehme ich das Bild und kehre langsam zurück zu meinem Sessel. Ich lege die Schatulle auf meinen Schoss und stelle das Bild auf die Armlehne. Vorsichtig, damit es auf keinen Fall herunterfallen kann. Ich verliere mich in den zarten Zügen ihres Gesichtes. In ihrem Haar. Ich kann den Duft riechen. Spüre die Wärme ihrer Haut als ich mit den Fingern über die Fotografie streiche.

 

Ich schließe die Augen. Ziehe die Hand zurück und streiche über die Schatulle auf meinem Schoss. Ein Geschenk von ihr. Bevor ich in den Krieg gezogen bin. Ich offne den Verschluss, weiterhin mit geschlossenen Augen. Diese Bewegung ist mir so vertraut, unzählige Male haben meine Finger dies zuvor getan.

 

Die Toten kommen nicht zurück.

 

Der Deckel klappt auf. Ich taste langsam nach dem Inhalt. Spüre eine neue Kälte. Metallisch. Endgültig. Erlösend.

 

Die Toten kommen nicht zurück.

 

Aber ich komme zu euch. Dann sind wir vereint. Für alle Ewigkeit. Ich werde nie mehr gehen. Nie mehr.

 

Ich greife nach der Waffe. Eine Webley .450. The British Bull Dog. Ein passender Name. Ich weiß dass sich nur eine Patrone in der Trommel befindet. Mehr braucht es aber auch nicht.

 

Ich lehne mich zurück. Endlich. Bald ist es vorbei. Ich lasse diese Welt hinter mir, die nichts mehr für mich bereit hält. Meine Gedanken wandern kurz zu Julius. Er hat sich alle Mühe gegeben, mich zurück in diese Welt zu führen. War ein treuer Freund. Der treuste, den ich je hatte. Ich denke daran wie er den Knall hört, hier nach oben kommt und mich findet.

 

Nein, das kann ich ihm nicht antun. Ich werde ein wenig spazieren gehen. In den Wald. Und dort werde ich zu Isabelle zurück kehren.

 

Mein Blick fällt erneut auf den Sekretär. Ich verschließe die Waffen-Schatulle wieder, stehe auf und lege sie auf die Schreibfläche. Ich setze mich, hole Papier, Feder und Tinte. Und beginne meinen letzten Brief.

Edited by Dark_Pharaoh
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Julius A. Frinton

- Little Ashbury Castle, Erdgeschoß -

 

Besuch?! Um die nach Speisen riechende Kleidung noch zu wechseln bleibt wohl keine Zeit.

 

Ich streife mein fürs Kochen über einem Stuhl abgelegtes Frack über, prüfe kurz den ordnungsgemäßen Sitz meiner Kleidung und reibe mir die Hände an einem Tuch sauber. Dann mache ich die Flamme unter der Brühe klein, das Brot habe ich bereits aus dem Ofen geholt und der Teller mit den übrigen Speisen ist bereitet.

 

Gemessenen Schrittes begebe ich mich mit einer Blendlaterne zur Eingangstür, unterwegs halte ich an einer Kommode, öffne eine der Schubladen und stecke etwas in meine Fracktasche. An der Tür angekommen atme ich kurz durch, um mich zu voller Größe aufzubauen und auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Ich registriere das Gewicht des eingesteckten Revolvers in meiner Fracktasche, hier draußen muss man stets auf der Hut sein - gerade in diesen Zeiten und zu so später Stunde. Dann öffne ich mit einer flüssigen Bewegung die Tür; nicht zu schnell, bestimmt und sicher. Ein Blick aus meinem ausdruckslosen Gesicht, die Lampe erhellt die Szenerie, ich halte sie aber so, dass der Besuch nicht geblendet wird: "Sie wünschen, ..." Dann erkenne ich, dass es sich um einen Gentleman handelt: "... Sir?"

Edited by 123
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