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Spielbericht: Time to Go (CR 6)


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Abenteuer: Time to Go

Dauer: etwa 2,5 Stunden

 

Ich habe über das Osterwochenende meine Eltern besucht und auf Wunsch meiner Mutter ein kleines Cthulhu-Abenteuer vorbereitet. Da ich zufällig gerade die 6. Ausgabe des CR gelesen habe und "Time to Go" entdeckt hatte, passte das wie die Faust aufs Auge.

 

Ich entschied, die Charaktere vorzugeben und das aus zwei Gründen: erstens sind meine Eltern nur Gelegenheitsspieler und somit keine erfahrenen Character-Player und zweitens ist meine Erfahrung, dass vorgegebene Chars viel mehr Möglichkeiten bieten, den Hintergrund oder die jeweilige Motivation in das Abenteuer mit einfließen zu lassen. Zudem führte ich für beide Charaktere Geheimnisse ein, die nicht nur der Vertiefung dienen sollten, sondern auch von den Mi-Go zweckentfremdet werden sollten. Somit möchte ich euch kurz die beiden SC's vorstellen:

 

Eric Danton wohnt in Brattleboro und ist Kfz-Mechaniker. Er hat Frau (Amanda) und einen Sohn (Phillip) und ein normales Leben. Er ist seit 3 Jahren trockener Alkoholiker (hiervon weiß nur seine Frau). Vor einiger Zeit hat er Amanda mit Trish, der Frau seines Arbeitskollegen und guten Freundes Andy betrogen. Gerüchte kamen im Ort auf und Amanda stellte ihn zur Rede. Aus Panik stritt Eric alles ab. Ob sie ihm geglaubt hat, weiß er nicht hundertprozentig.

 

Emily Moore ist die Schwester von Eric und besucht ihn für ein paar Tage. Sie ist mit Robert verheiratet. Das Paar hat keine Kinder - Robert wünscht sich welche, doch Emily blockte bislang immer ab und schob ihre Karriere als Rechtsanwältin vor. In Wahrheit ist sie unfruchtbar, was bislang niemand weiß. Zudem hat sie vor etwa einem Jahr einen Klienten dermaßen schlampig vor Gericht vertreten, dass dieser den Prozess verlor und in die soziale Armut abstieg. Sie kämpft deshalb ab und an mit Gewissensbissen.

 

 

Das Abenteuer:

Zu Beginn teilte ich Fragen für beide Spieler aus. Erwähnen werde ich hier nur die "philosophischeren" Fragen der Kategorie B, die da lauteten: Warum würdest du ein Kind in die Welt setzen? und Warum bist du hier? (Emily), sowie Wie kannst du wissen, dass dein Leben kein Traum ist? und Wie wäre es, wenn du nie geboren worden wärest? (Eric)

Beide Spieler gaben mir verdeckt Antworten hierzu und das Abenteuer begann.

 

Der Tunnel (Musik: tabletopaudio.com - Ice Cavern)

Eric holte Emily am Bahnhof von Brattleboro ab, der - wie ich entschied - etwas außerhalb lag. Sie fuhren mit Erics Auto durch den Black Mountain Tunnel und führten ein wenig Small Talk. Dann beginn sich eisiger Nebel zu bilden und die Temperatur sank rapide. Leichtes Unbehagen kam auf. Als die beiden ihre Atemwolken sehen konnten, gab Eric Gas und fuhr schneller. Der Motor ging aus und der Wagen kam leicht von der Fahrbahn ab und stoppte an der Tunnelwand. Beide bestanden ihren GE-Wurf und kamen ohne Verletzungen davon.

Eric stieg aus und zog Emily mit in Richtung Tunnelausgang. Überall herrschte Verwirrung, Menschen stiegen aus ihren Wagen aus und riefen um Hilfe. Es war mittlerweile bitterkalt und der Dunst so groß, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte. Dann erschien ein Licht und ein Wesen schwebte auf die beiden zu (ich zeigte beiden hier ein stark überbeleuchtetes Bild eines Mi-Go, auf dem nur wenig zu erkennen war). Beide bestanden ihre STA-Würfe und versuchten das Wesen, das sich merkwürdig friedfertig verhielt, zu umgehen. Die beiden hörten die Stimme des Wesens in ihren Köpfen ("Kommt zu uns! Wir wollen von euch lernen!") und entschieden sich fast dazu, mit dem Wesen zu kooperieren, so dass ich die Konversation umgehend auf "Wir brauchen eure Gehirne!" erweiterte, was die Spieler dann doch dazu brachte, den Tunnel schnell zu verlassen.

Nachdem sich das Geschehen beruhigt und der Nebel verflüchtigt hatte, rannte Eric zurück und holte den Wagen. Gemeinsam fuhren die beiden zu Eric, um die Sache rasch zu vergessen. Auf dem Weg dahin überfuhren sie fast Jonah Billings, den ich über die Straße rennen ließ. Der Obdachlose wollte zum Tunnel, weil er von den dortigen Vorkommnissen etwas mitbekommen hatte und sich eine Chance auf Rettung durch die Mi-Go erhoffte. Sie riefen Jonah hinterher, doch der hielt nicht an. Dann setzten die beiden ihren Weg fort.

 

Zuhause bei Eric

Beide erhielten eine SMS. Emily eine von Robert, in der er sich um sie sorgte, da sie sich nicht gemeldet hatte. Eric erhielt eine von einer unbekannten Nummer mit dem Text "Wir brauchen euer Gehirn". Besorgt gingen die beiden ins Haus und wurden von Amanda und Phillip empfangen. Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählte Eric seiner Frau von den Geschehnissen im Tunnel und beteuerte sofort, nichts getrunken zu haben! Das rief natürlich Emily auf den Plan und dann war Erics Geheimnis, ein Ex-Alkoholiker zu sein, schon aufgedeckt. Amanda begann sich Sorgen zu machen. Phillip fragte seine Tante Emily über ihren Beruf aus ("Hast du mit Essen zu tun? Papa sagt, du gehst oft zu Gericht."). Nach dem Essen ging Emily auf ihr Gästezimmer und alle vier schliefen den Schlaf der Gerechten nach so einem Tag.

Emily wurde nachts vom Klingeln ihres Handys geweckt. Dort war wieder die Stimme des Wesens aus dem Tunnel! Blitzschnell legte die Frau wieder auf und saß mit klopfendem Herzen im Bett. Sie erschrak fast, als eine Silhouette in der Tür stand - Phillip! Der Junge konnte nicht schlafen und klagte über Kopfschmerzen (ich beschloß, bereits hier den Grundstein für einen eventuell notwendigen Gehirntumor zu legen). Emily nahm in mit nach unten gab ihm ein Glas Wasser.

 

Am nächsten Morgen trafen sich die Erwachsenen in der Küche und tauschten sich über die Nacht aus. Emily kontaktierte noch ihren Arbeitskollegen Martin, der sich hobbymäßig mit Okkultem beschäftigte und fragte ihn um Rat (hier musste ich improvisieren). Er versprach, sich nach einem Tag zu melden. Auf einmal knackte es aus dem Wohnzimmer - der Fernseher! Amanda ging ins obere Stockwerk und rief Phillip zur Vernunft. Doch niemand saß im Wohnzimmer. Als Eric und Emily dort hingingen, sahen sie, wie der Fernseher eine Übertragung der Überwachungskamera aus dem Tunnel übertrug. Plötzlich tauchte das Licht wieder auf und eine Hand glitt ins Bild, um nach der Linse zu griffen. Hastig zog Eric den Stecker, was jedoch nichts bewirkte. "Gebt uns euer Gehirn!" - dann verschwand die Aufnahme wieder.

Als Amanda zurück kam, verlangte Eric bereits lautstark nach einem Cognac, was seine besorgten Frau natürlich nur umso mehr verunsicherte. Dass der Fernseher indes wieder normal funktionierte, tat sein Übriges. Am Ende einigte man sich darauf, dass Emily ihren Bruder mit in die Stadt nahm, um ihn abzulenken und Amanda den Kleinen zur Schule brachte.

 

Die Innenstadt von Brattleboro (Musik: tabletopaudio.com - Dome City Center)

Interessanterweise war es nun an Emily, ihren Bruder zu beruhigen und durch die Stadt zu führen. Sie besahen sich die Schaufenster um sich abzulenken und Eric blieb bei einem Modellbaugeschäft hängen. Plötzlich rief Martin wieder an - er würde Emily einen Link zu einem Zeitungsartikel zuschicken und sie solle sich besser auf etwas gefasst machen. Hier begannen die Mi-Go ihre Erpessungsversuche: eine Boulevard-Zeitung hatte es geschafft, Emilys damaligen Fall vor Gericht auszugraben und auszuschlachten. Ihre Karriere schien bedroht und hatte auch ca. 10 Minuten später einen Anruf ihres Bosses zur Folge. Nach dem Wochenende könne sie sich auf etwas gefasst machen. Emily steckte dies relativ gut weg, was mich dazu führte, das Tempo etwas anzuziehen.

Die LED-Laufschrift in dem Modellbauladen veränderte sich von "Neues Modell der Bismarck" hin zu "Wir brauchen euer Gehirn!", was in dem mittlerweile fast schon labilen Eric noch mehr Unbehagen auslöste. Emily beruhigte ihn und die beiden gingen weiter durch die Stadt.

Sie entschlossen sich, ein Eis essen zu gehen und kamen an der Kirche vorbei. Hier brachte ich erneut Jonah Billings ins Spiel, der dort bettelte. Die beiden erkannten ihn wieder und kamen so ins Gespräch. Als die beiden fragten, ob Jonah auch zum Tunnel wollte, brach die tragische Geschichte aus ihm heraus - Eltern begannen Selbstmord, Mi-Go hatten ihn untersucht, dann aber wieder zurück gelassen und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihn die Wesen endlich mitnähmen. Emily und Eric witterten hier eine erste Spur und führten den Obdachlosen erst einmal zu einer nahe gelegenen Herberge, wo sie ihm ein Zimmer für eine Woche bezahlten. Später wollten sie ihn abholen.

Die Geschwister gingen nun weiter zur Eisdiele - erneut klingelte Emilys Handy. Es war ihr Mann Robert, dem ein Schreiben von Emilys Frauenärztin zugeschickt worden war. Sie war unfruchtbar. Seine Welt brach zusammen und als sich Emily mehr schlecht als recht erklären konnte, brach er das Telefonat ab.

Eric erhielt eine SMS von den Mi-Go, worau sich folgender Verlauf ergab:

 

M: Wir brauchen euer Gehirn!

E: Wozu braucht ihr es?

M: Wir wollen von euch lernen

E: Wer seid ihr und wo kommt ihr her?

M: Wir sind Mi-Go

E: Wo seid ihr?

M: Kommt zum Tunnel

E: Und wenn wir euch unsere Gehirne nicht geben?

M: Dann werden die, die euch nahe stehen, leiden.

 

Plötzlich rief Amanda an und war völlig aufgelöst. Sein Arbeitgeber hatte angerufen und die Kündigung angedroht - in seinem Spind auf der Arbeit war Schnaps gefunden worden. Eric beteuerte immer wieder, dass er trocken sei und kein Alkoholiker - seine Frau schien ihm nicht zu glauben. Daraufhin lief er zurück nach Hause. Emily ging indes zur Herberge, um Jonah wieder mitzunehmen, doch der war verschwunden (ich wollte ihn später wieder ins Spiel bringen). Als keiner ihr sagen konnte, wo der Penner sich aufhielt, ging auch sie zurück nach Hause.

 

Zuhause bei Eric & die Nachbarin:

Amanda und Eric führten eine hitzige Diskussion, was darin endete, dass Amanda völlig aufgelöst das Haus verließt und "frische Luft brauchte". Eric entschied sich zunächst dazu, ihr Zeit zu geben und sie nicht zu verfolgen. Phillip kam aus seinem Zimmer und klagte wieder über Kopfschmerzen. Da der Psycho-Terror langsam stärker wurde, entschieden sich beide, zurück zum Tunnel zu gehen und die Mi-Go zu treffen. Phillip brachte man kurzerhand bei der netten Nachbarin unter.

 

Hinein ins Licht (Musik: Interstellar OST - S.T.A.Y.)

Die beiden gingen in den Tunnel und sahen sich etwas ratlos um, als eines der Notruftelefone klingelte. Emily ging dran und die Wesen erklärten ihr, dass sie die Notausgangstür zu ihrer Seite benutzen sollte. Dahinter befand sich nur weißes Licht. Während Eric angsterfüllt auf der Stelle stehen blieb, tastete sich Emily langsam in den "Raum". Sie konnte jedoch keine Wände erfühlen, an denen sie sich entlangtasten konnte und blieb so doch im Türrahmen stehen. Eric hielt den Druck nicht mehr aus und rannte dann schreiend in das Licht hinein. Emily folgte ihm fluchend und versuchte, ihren Bruder zurück zu holen.

 

Die Fragen, die euch schon euer ganzes Leben lang beschäftigen [Anm. Verweis auf die Anfangsfragen], geistern euch wieder durch den Kopf. Überall ist nur Licht. Licht und Unendlichkeit und die immer gleichen Fragen. Ein kreischendes Geräusch an eurem Kopf und endlich Frieden. Es ist Zeit zu gehen.

 

Ende

 

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Das Ganze ging hier völlig überraschend nach nichtmal drei Stunden zu Ende. Der Spieler von Eric gab an, dass er dem Druck und den immer gleichen Zweifeln in sich selbst (auch dem Alkoholismus geschuldet) nicht weiter standhalten konnte und Erlösung suchte. Emily rannte hinterher, um ihre Familie zu schützen.

Leider konnte ich die weiteren Terrorstufen nicht weiter ausbauen. Ich führe sie der Vollständigkeit halber noch einmal auf:

 

1. Telefonterror

- ständige SMS und Anrufe durch die Wesen

- Einklinken in Fernsehr und Schaufenster

- Manipulieren von Autoradios etc.

 

2. Erpressung

- Schmutzkampagne aufgrund des verlorenen Prozesses --> Jobverlust (Emily)

- drohende Trennung von ihrem Mann aufgrund der Lüge um die Unfruchtbarkeit (Emily)

- Kündigung aufgrund vermeintlichen Alkoholkonsums am Arbeitsplatz (Eric)

- Trennung von Amanda durch das Zuspielen eines Sex-Tapes von Eric und Trish (Eric)

- Streit und Schlägerei zwischen den besten Freunden Andy und Eric aufgrund der v.g. Affäre (Eric)

- Anrufe durch die Eltern (Demenz? Abschieben in ein Heim? Enterben?) (beide)

 

3. Körperhorror

- Diagnose eines Gehirntumors beim kleinen Phillip

- Eric wacht sturztrunken in einer Lache seiner eigenen Kotze wieder wach und ist von nun an wieder abhängig

- Emily entwickelt eine seltene Form der Neurodermitis, bei der ihre Haut schuppig und blutig wird und ihr die Fingernägel abfallen

- eines der Elternteile fällt ins Koma

 

Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die Stufe 1 die Spieler relativ kalt gelassen hat und eher genervt als verunsichert hat. Ab Stufe 2 wurde es dann schon aktuer. Ich glaube, mit der Erpressung von Emily zu beginnen, war ein Fehler, da ihre "Probleme" nicht vor Ort waren und so weniger Einfluss auf sie hatten, als die Sachen, die sie parallel managen musste (die Terroranrufe, die Labilität ihres Bruders etc.). Ich bin sehr gespannt, wie die Spieler auf Stufe 3 reagiert hätten, insbesondere auf die erneute Abhängigkeit Erics und den Tumor des Kindes.

 

Mein weiteres Vorgehen wäre hier gewesen:

- Spieler kommen vom Tunnel zurück

- Nachbarn sind verschwunden, Phillip ist quasi bewusstlos

- Spieler bringen Phillip ins Krankenhaus und dort wird der Tumor diagnostiziert

- Dr. Cramer wird eingeführt (die Spieler finden die Aktentasche und die beiden Dokumente - eine Liste mit 114 Namen und Geburtsdaten selber zu erstellen ist übrigens kein Zuckerschlecken ;) )

- weiteres Vorgehen offen.

 

 

Fazit: Es hat beiden sehr gut gefallen. Das Abenteuer bestand fast ausschließlich aus Character-play. Kaum Investigation, kein einziger Kampf. Ich hätte das Geschehen gerne weiter eskalieren lassen (insb. Konflikte mit Amanda und Andy, vielleicht sogar ein Eingriffen des Sheriffs etc.). Es war natürlich deutlich kürzer als erwartet. Knackpunkt war zudem noch, dass die Spieler am Anfang fast versucht waren, mit dem Mi-Go mitzugehen. Hier fällt es schwer, das Wesen so vertrauenswürdig zu gestalten, dass die SC ein paar Worte mit ihm wechseln, aber nicht so vertrauenswürdig, dass sie sofort mit ins Licht gehen.

 

Freue mich auf eure Anmerkungen, Kommentare und Kritik!

 

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Freue mich über den ausführlichen Spielbericht, sehr interessant zu lesen!

 

Und ja, die größte Herausforderung für den Spielleiter ist sicherlich das Pacing, d.h. abschätzen welche Reaktionen der Spieler er mit welchen Eingriffen hervorrufen wird. Wenn man da rasch aufdreht ist die Sache auch rasch vorbei - aber das muss ja nicht unbedingt schlecht sein.

 

Witzigerweise hatten meine Spieler auch dasselbe "Problem", dass sie eigentlich am Anfang direkt überlegt haben, ob sie nicht mitkommen sollen. Das lag wohl auch daran, dass sie es gewohnt sind, wenn der SL ihnen in den ersten 5 Minuten so eine Aufforderung hinwirft, dass sie dann "verplfichtet" sind sie anzunehmen. Da brauchts Fingerspitzengefühl. ;)

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Danke Tod für dein Feedback!

 

Was ich auch sehr deutlich festgestellt habe: es ist definitiv ein Abenteuer für Spieler die gerne Tiefgang in die Sache bringen und mit ihren Charakteren "mitfühlen". Einen Knarren schwingenden Ex-Cop/Kriegsveteranen/Privatermittler etc. dessen Spieler Wert auf markige Sprüche und ein möglichst langes Überleben legt, wirst du damit eher nicht hinter dem Ofen hervor locken können.

Ich sehe ein Abenteuer bei der Vorbereitung als SL immer wie eine Art Drehbuch und stelle mir markante Szenen bildlich vor und wie Spieler wohl darauf reagieren würden. Dementsprechend versuche ich, auch möglichst viel Emotionen in die Darstellung der NSC's fließen zu lassen (Jonah Billings kam glaube ich ganz gut an) - allerdings sind hier besonders die Spieler gefordert, sich auf eine Achterbahn der Lügen, des sozialen Absturzes und der Tragik einzustellen. Ansonsten kann das ganze mit der falschen Gruppe auch schnell in "Ok, meine NSC-Oma ist gestorben? Joa, die war ja eh alt. Hauptsache ich behalte alle meine STA-Punkte" enden.

 

Hat man aber die richtige Gruppe, hat das Abenteuer aber mit Sicherheit nahezu filmreifen Charakter.

Edited by Seraph
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  • 1 year later...

Spielleiter: „Der Tod“

Spieler: blackpath / Nyre

Spielort: DCC 2016

Spieldauer: ca. 2,5 Stunden

 

Wir wurden gewarnt, dass das hier ein Szenario ist, das einen ganz schön runterziehen kann und als zum Einstieg der düstere Song „Man in the moon“ von Grinderman erklang, war uns klar, dass uns wohl wirklich kein schöner Tag bevorstand. Trotz der herrlichen vom Indian Summer gefärbten Wälder hinter den Fensterscheiben.  

 

Tag 1

Unsere Charaktere befanden sich gemeinsam im Auto auf der Rückfahrt aus dem Krankenhaus, in dem ihr demenzkranker Vater lag. Lisa und Colin hatten wir im Vorfeld entworfen, beide waren um die 40, beide glücklich verheiratet mit fünf beziehungsweise zwei Kindern. Lisa arbeitet als Gerichtsmedizinerin, Colin, ein schwerer Asthmatiker, an der Uni.

Wir begannen mit freiem Rollenspiel und erzählten von dem schweren Besuch, dem Streit mit der Mutter, dem kaltherzigen Klinikpersonal, als wir im Tunnel vor Brattleboro von dem Nebel und dem Licht überrascht wurden. Lisa bremste, blieb im Wagen, Colin, ein überzeugter Realist, stiegt aus. Das Licht sagte uns, es sei Zeit zu gehen und das wir wichtig seien. Weil die Kälte aber immer heftiger wurde, flüchte auch Colin irgendwann zurück in den Wagen. Verwirrt sahen die beiden, wie der Nebel sich verzog. Lisa gab Gas.

Dank der betont ruhigen Art und der düsteren Musikuntermalung war das schonmal ein sehr unheimlicher und stimmungsvoller Moment.

Im geschriebenen Szenario - das sah ich später - steht, dass der Spielleiter hier bereits die Mi-Go ins Spiel bringen kann, die erklären, dass sie die Gehirne der Spieler haben wollen. Ich bin froh, dass unserer das nicht gemacht hat. So blieb vage, was der Vorfall war und in unseren Spielergehirnen tauchte der Gedanke auf, ob wir eventuell nicht vielleicht einen Unfall hatten und nun als Geister weiterspielen?  

Eine falsche Fährte, die nochmal Nahrung erhielt, als Lisa und Colin den Vorfall im Tunnel bei der Polizei meldeten und von einem Autounfall südlich der Stadt erfuhren. Hier gab es auch den ersten Hinweis auf den jungen Obdachlosen, der ein Zeuge sein könnte. Als Spieler war uns klar, dass das ein Hinweis war, unsere Charaktere glaubten jedoch noch nicht an etwas Größeres – obwohl nun auch der Hund von Sheriff Chase heftig reagierte.

Danach fuhren sie nach Hause und wir rollenspielten den Alltag mit der Familie zwischen Hausaufgaben, „Transformers“ und Tiefkühl-Pizza. Colins Frau erzählte vor dem zu Bett gehen von einem seltsamen Anruf. Der Anrufer habe gesagt: „Ihr seid wichtig für uns“. Sie konnte sich das nicht erklären. Colin erstarrte, sagte aber nichts.

Spätestens jetzt war klar, dass der Vorfall im Tunnel kein Einzelfall war. Colin und Lisa telefonierten daraufhin immer wieder, was wir stets ausspielten. Auch als Lisa von Colin eine WhatsApp mit dem Text „Ihr seid wichtig für uns“ erhielt, die dieser nicht geschrieben hatte.

 

Tag 2

Am nächsten Morgen waren einige Blumen in Lisas Garten verwelkt. Sie fuhr zur Arbeit und untersuchte den Verkehrstoten vom Vortag, wobei sie eine Reihe von Seltsamkeiten feststellte. Er hatte Krebsgeschwüre, die ihn längst hätten umbringen sollen und er war aus Chicago nach Vermont gekommen.

Colin sah bei seiner Arbeit mit Datensätzen plötzlich statt Zahlen die Frage „Warum bist du hier?“. Diese gehörte zu denen, die wir als Spieler im Vorfeld beantwortet hatten. Außerdem stieg eine Erinnerung an seinen ersten Kuss in ihm auf.

Auf der Rückfahrt telefonierten die beiden wieder. Plötzlich antwortet Colin nicht mehr, was in einen sehr unheimlichen Moment mündete. Der Spielleiter hatte mir ein kurzes Zeichen gegeben, ich schwieg und Nyre redete weiter bis sie irgendwann stockte, weil ich nichts mehr sagte und ich sie nur anstarrte. Die Verwirrung war greifbar. Colin war allerdings nur in einem Tunnel gefahren …

Dann entdeckte Lisa Fotos in ihrem Briefkasten, die Colins Frau Akumi beim Sex mit einem Unbekannten zeigen. Sie rief ihren Bruder an. Den Schock und die Sorge spielten wir wieder aus, wobei uns half, dass wir uns auch privat gut kennen. Es flossen das erste Mal Tränen bei uns Spielern.

Die Konfrontation zwischen Colin und seiner Frau war ebenfalls sehr emotional, da wir inzwischen alle sehr in unseren Rollen aufgegangen waren. Auch hier nochmal großes Lob an den Spielleiter, der nicht nur mit seinen Naturbeschreibungen die herbstliche Kleinstadt vor unseren Augen entstehen ließ, sondern mit seiner ruhigen Art einen wirklich intimen Rahmen schuf, in den wir uns fallen lassen konnten. Akumi sagte, die habe sich an dem Tag nicht wohl gefühlt, und könne sich an nichts erinnern. Colin hielt das für eine billige Ausrede. Es gab Streit, Colin packte die Kinder und zog zu seiner Schwester. Diese hatte inzwischen von Sheriff Chase erfahren, wer der Tote aus dem Auto war, und dass es in letzter Zeit mehrere Menschen gab, die zum Sterben in ihr Heimatdorf zurückgekehrt waren.

Am nächsten Morgen meldeten sich die Geschwister krank und suchten den Obdachlosen nahe des Tunnels auf, der ihnen von seinen Eltern und dem Licht erzählte. Auch, dass er manchmal Gedächtnisstörungen habe und dann nahe des Sunset Lakes aufwache. Colin und Lisa gingen zum See, wo plötzlich auf einem Bootssteg ein Radio stand, aus dem der Song erklang, der bei der Geburt von Lisas drittem Sohn lief. Sie bekam Panik - weil sie das als Warnung verstand. Inzwischen hatten wir nämlich auch Textnachrichten bekommen die lauteten: „Wir sind bereit, alles zu tun!“

Lisa und Colin rasten nach Hause wo der Sohn im Koma lag und aus der Nase blutete. Sie brachten ihn ins Krankenhaus, wo ein gewaltiger Tumor festgestellt wurde. Auch hier spielten wir das Gespräch mit dem Arzt und die Verzweiflung lange aus. Auch hier flossen wieder Tränen. Bei den Spielern!

Colin und Lisa verstanden nun, dass sie eine Bedrohung für ihr Umfeld geworden waren. Wer oder was sie zu sich rief, war immer noch unklar, aber das förderte nur die bedrohliche Stimmung. Lisa veröffentlichte dann über Twitter eine Nachricht „Wir kommen, wenn er [also ihr Sohn] überlebt“. Die Antwort „Er wird überleben“ folgte keine Sekunde später.

 

Time to go

 

Danach bereiten Lisa und Colin ihren Abschied vor. Lisa besuchte noch einmal die Kinder, Colin sagte seiner Frau, dass er sie liebe und dass sie abends sprechen sollten, wenn er mit den Kindern zurückgekommen sei. Auch das wurde wieder komplett „in character“ ausgespielt, was uns Spielern, die wir beide Eltern sind, wirklich weh tat. Dann gaben Lisa und Collin vor, zum Vater ins Krankenhaus gerufen worden zu sein.

Sie machten sich auf in den Tunnel und übergaben sich dem Licht. Es war „time to go“. Als sie das Licht umfing, kehrten auch die Erinnerungen zurück und wir verstanden die Textzeilen vom Anfang, die wieder erklangen: "My daddy was an astronaut ..."

 

Fazit:

 

„Time to go“ zu spielen war eine wirkliche bewegende Erfahrung, wobei sicher entscheidend war, dass wir Spieler uns sehr gut kennen und keine Angst hatten, uns voreinander zu öffnen und auch unangenehme beziehungsweise schmerzhafte Szenen auszuspielen. Auch sich im Vorfeld schon mit den Charakteren auseinanderzusetzen und ein detailliertes Familienumfeld zu schaffen, hat geholfen. Danke an die beiden Mitspieler für das entgegengebrachte Vertrauen!

Nachdem ich das Szenario gelesen hatte, bemerkte ich, dass wir diversen Spuren nicht nachgegangen waren, was aber in meinen Augen eher zur Stimmung beigetragen hat, als dass es dieser abträglich war. Je abstrakter die Bedrohung, desto besser. Dadurch steigt das Gefühl der Hilflosigkeit und es bleibt lange offen, worauf alles hinausläuft und ob man nicht vielleicht doch einen Toten spielt …

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Vielen Dank für den Bericht, der hilft sehr!

 

Falls Der Tod hier reinschaut wären Tipps zu den Musikstücken auch toll.

 

Ich habe das Abenteuer gelesen und fand die Idee großartig, war aber bei der Umsetzung etwas unsicher. Diese Spielberichte helfen hier unheimlich weiter, selten waren die so wichtig wie bei diesem Abenteuer glaube ich. Wenn wir es gespielt haben folgt daher auch einer von mir.

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Falls Der Tod hier reinschaut wären Tipps zu den Musikstücken auch toll.

Als Titellied wie erwähnt "Man in the Moon" von Grinderman:

 

Und für die Untermalung des laufenden Spiels der Soundtrack des Videospiels "Alan Wake" bzw. "Alan Wake: American Nightmare" (je nach Situation). Mehr braucht man eigentlich nicht.

 

Generell gilt: Man muss als SL abwägen, wie man Investigation zu Charakterspiel abwägt. Je mehr man einen Charakter triggered, desto weniger wird dieser auf Spurensuche gehen. Dafür wird es dann eben sehr viel persönlicher. Das ist ein Stück weit Geschmackssache, der einzig wirklich zentrale Hinweis ist eigentlich der auf das Prägungsprogramm.

Edited by Der Tod
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Ich fand es grossartig.

Noch eine Sache würde ich klar stellen: der Tod hat uns vorher gefragt, ob da tabus wären. Wir haben ihn freie Hand gegeben. Ich bereue es keinesfalls, auch wenn es richtig zum Teil wehtat.

Es war einmalig. Nochmal danke an Stefan und Moritz dafür.

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Krass, dass bei euch sogar Tränen geflossen sind, wow! :o

 

Ich fand das Abenteuer damals auch richtig, richtig stark und würde es gerne bald nochmal leiten. Man braucht aber glaube ich wirklich die richtigen Spieler davor - wer sich hier nicht fallen lassen kann, dem werden bestimmt 50% der Faszination verloren gehen.

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