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[Nightmare Files] Kapitel 6 - Der lachende Tod


Der Läuterer
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Ich lese mehmals das Pergamen durch, und fühle mich wieder in Norwegien.

"Wieder so eine Geschichte, wieder sind wir hier Opfer eines..Ritual? Sekte? Ich kann es nicht glauben. Bilden wir uns es nur ein? Unmöglich.

Und wo sind dann alle? Wieder in dem Keller? So wie damals? Ich...Ich habe auch was merkwürdiger gefunden, hier sehe Sie?

Die Namen der Planeten wurden durch andere Namen ersetzt und der ursprüngliche Name gestrichen. Saturn , ist Cykranosh; Uranus ist L'gy'hx; und Neptun steht handschriftlich alsYaksh..."

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Als ich zu Anderson herübersehe, senkt dieser abrupt den Blick. Eine Wimpernschlag nur, aber genug Zeit um zu erkennen, dass er mich angesehen hat ... mich beobachte hat?

 

"Warum weicht Anderson meinem Blick aus?", frage ich mich. "Was glaubt er, könnte ich darin lesen? Ist es die Art, mit der er mich angesehen hat, die er vor mir verbergen will? Hat es mit der Contessa zu tun? Oder ist es nur eine allgemeine Scheu, die durch die aktuelle Verunsicherung verstärkt wird?" Mir wird immer klarer, dass ich nur an der obersten Schicht von Andersons Wesen kratze. Was sollte man nach so wenigen gemeinsamen Stunden auch anderes erwarten ... Andererseits habe ich mein Gefühl für Zeit offenbar verloren, denn dies alles scheint mir schon so viel länger anzudauern als lediglich ein paar Stunden. Und doch ahne ich, dass sich unter dieser obersten Schicht Andersons Dinge verbergen, die ich vielleicht nicht anrühren sollte... Ich habe das Gefühl, dass dessen Haltung gegenüber der Contessa ... sie erscheint mir mitunter demütig oder gar ehrfürchtig, fast servil ... nicht der einzige Wesenszug meines jungen Begleiters ist. Das scheint mir nur eines von mehreren Gesichtern zu sein, die Anderson aufsetzen kann. Und ich kann nicht leugnen, hierdurch beunruhigt zu sein. Ich fühle mich im Vergleich zu Anderson wie ein offenes Buch, irgendwie entblößt. Ein unangenehmes, bedrohliches Gefühl des Ungleichgewichts. "Tue ich Anderson damit unrecht? Aber wäre es klug, gerade die Contessa über Anderson zu befragen? Abgesehen davon, dass es kein sehr anständiger Zug von mir wäre und mich bei der Contessa auch nicht gerade in einem guten Licht dastehen ließe. ... Nein, ich werde ... ich muss Anderson im Auge behalten."

 

Erleichtert nehme ich jedoch zur Kenntnis, dass Anderson ausspricht, wonach es mich drängt. Seine Aufforderung, weiterzugehen, überdeckt angenehm dieses schwache Gefühl, in von Wittgensteins Zimmer noch mehr finden zu können und danach suchen zu müssen.

 

Darum warte ich auf die Antwort der Contessa und überlasse ihr ohne ein Wort bereitwillig die Entscheidung über das weitere Vorgehen. Doch meine Hoffnungen erfüllen sich nicht. Die Contessa hat bereits begonnen, von Wittgensteins Aufzeichnungen weiter zu untersuchen.

 

Innerlich seufzend folge ich ihrem Hinweis. Aber ich bin nicht ganz bei der Sache und beobachte verstohlen, wie Anderson darauf reagiert, dass die Contessa seinen Vorschlag übergeht.

Edited by Joran
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"Sparen wir uns den Keller auf ..." Ich verziehe mein Gesicht zu einer bitteren Grimasse, ein bisschen wie ein zerknüllter Leinensack. "Ich möchte mir nicht ausmalen, wo wir diesmal aufwachen. Erstmal also ins nächste Zimmer. Das ist mein Vorschlag. Die Namen sagen mir alle ohnehin nichts."

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Ich nicke, lächle kurz und knapp Clive an, und gehe aus dem Zimmer raus.

Die nächste Tür geht zwar auf, doch das Zimmer steht im Halbdunkel.

Ich erkenne aber in Zwielicht einen kleinen Gestalt.

"Lloyd?" frage ich verdutzt.

"Was machst du...?"

Plötzlich sehe ich, was in Wirklichkeit das Kind ist...

 

Vielleicht ist nur eine Halluzination, doch ich mache einen Schritt zurück, und schreie laut.

 

"NEIN NEEEEEIN!"

Edited by Nyre
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Die Dunkelheit, die uns nach dem Splittern des nächsten Türschlosses erwartet, ist so vollkommen, dass ich instinktiv einen Schritt zurückweiche. Nachdem der Lärm des gewaltsamen Öffnens der Tür im Flur verklungen ist, entsteht eine erwartungsvolle Stille. Ist es nur die normale Dunkelheit eines Zimmers mit verschlossenen Fensterläden oder erneut mehr ... wie im altägyptischen Zimmer? Der rationale Teil meines Verstandes sagt mir, dass das Aufrichten meiner Körperbehaarung lediglich eine unkontrollierte natürliche Reaktion darstellt, eine durch mein vegetatives Nervensystem gesteuerte Kontraktion des Haarbalgmuskels, die Piloerektion. Meine Instinkte und die Erfahrungen meines Lebens hingegen übertönen die Stimme der Vernunft und schreien meinem Verstand eine ganz andere Botschaft entgegen.

 

Ich taumele weiter zurück und meine Hand fährt zum Griff des Messers in meinem Gürtel.

 

Dann taucht in dem Lichtschein das Gesicht eines Jungen auf. Die Contessa spricht ihn an, scheint ihn zu kennen.

 

Schon will ich mich fragen, welcher kranke Geist den Jungen in einem dunklen Zimmer hier auf dem Flur mit den Wohnräumen der Ärzte eingesperrt haben mag, ...

schon bin ich versucht, Amanda oder von Wittgenstein oder Warner oder diese ganze kranke Ärzteschaft in dieser Klinik hiermit in Verbindung zu bringen, ...

schon bin ich irritiert, dass der Junge nicht um Hilfe gerufen hat, als er den von uns verursachten Lärm gehört hat, ...

da zerreißt der Schrei der Contessa die Stille.

 

Der finstere Blick des Jungen hätte vermutlich schon ausgereicht, um zu erkennen, dass dieses Kind sich in keiner normalen Verfassung befindet. Doch die Veränderung, die nun mit dem Gesicht des ... Wesens ... in dieser Kammer vonstatten geht, entmenschlicht es zunehmend, bis uns die Fratze eines Monstrums entgegenstarrt, der nur noch flüchtige Erinnerungen an ein Kind anhaften.

 

Ich reiße die große Klinge aus meinem Gürtel und halte sie mit beiden Händen schützend vor mich. Ich weiche bis an die gegenüberliegende Wand des Flurs zurück. Der Schweiß strömt aus allen Poren. Das Adrenalin flutet meinen Körper.

 

Da ist nicht nur die Furcht vor diesem Wesen. Gleichzeitig wächst in mir die Angst davor, einen schrecklichen Fehler zu begehen. Ist das dort vor mir tatsächlich das Monstrum, das ich zu sehen glaube? Oder ist es nur ein Kind, dem mein strapazierter Verstand eine Maske aufsetzt?

 

Aber die Contessa scheint es auch gesehen zu haben ... und ich sehe, wie Anderson seine Waffe ebenfalls zückt und vor dem Wesen zurückweicht. Aber was bedeutet das schon? Wir alle drei sind psychisch debile Patienten in einer Extremsituation! Ich fühle, dass ich ohne einen äußeren Anstoß nicht im Stande bin, zu handeln. Wie angewachsen stehe ich steif auf meiner Position, das Messer immer noch schützend vor mich gestreckt. Meine Gedanken werden sprunghaft: "Wo ist Amanda, diese kleine Hexe? Sonst ist sie doch immer in der Nähe gewesen, wenn hier etwas geschehen ist." Sorgenvoll blicke ich den Flur hinauf und hinab.

 

Dann werde ich mir bewusst, dass die Contessa, die nur einen Schritt zurück getan hat, nun alleine dem Wesen gegenübersteht, nachdem Anderson und ich zurückgewichen sind. Da ist etwas in mir, dass nach vorne stürmen will ... und doch stehe ich da, unfähig, den ersten Schritt zu tun.

Edited by Joran
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Ich schaue das Kind wieder an, und wieder.

 

"Wenn das alles ein böser Traum ist, wenn wir in einer Paralleldimension ist...werde ich wahrscheinlich einen Kind angreifen. Und doch...wenn das alles real ist? Folie a Deux, aber Folie a Trois? haben sie uns Drogen gegeben?"

 

Mir steigt die Wut wieder hoch.

 

"Sprich zu mir, was bist du, WAS BIST DU LLOYD?"

Ich warte auf seine Reaktion, angespannt.

Ich bin bereit, ihn mit dem Brieföffner anzugreifen.

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Doch das Ding ruehr sich nicht, er macht nur den Mund auf, und ich hoere einen Schrei.

 

Ist das ein Schrei? Wirklich?

 

Egal was es ist, es ist unertraeglich.

 

Ich mache die Ohren zu, meine Waffe faellt auf den Boden.

 

Schrei.

Ein Schrei.

 

Mir ist sehr kalt.

 

So wie damals...

 

Mir wird schwarz vor Augen, und ich falle um. Im Schnee. Ich bin am ertrinken, den Schnee ist so hoch.

 

Ich spuere ihn, rieche ihn. Und dieser ohrbetaeubende Schmerz.

 

Der Wind.

 

Ich schaue mich um. Die Lodge ist schon miles hinter mir, ich wandere ins Nichts. Ich werde sterben, so wie ich es wollte, so wie ich es geplant hatte.

Erstmal Hans rechen, seine Mission weitermachen.

Dann zurueck zum Gletscher, wo ich ihn bestattet hatte. Und einfach daneben hinlegen.

 

Ich habe nichts mehr. Nichtmal John ist bei mir. Ich laufe weiter im Schnee. Mit starrem Blick. Ich spuere meine Haende nicht mehr.

 

Wo ist Rick? Der hasserfuellter Mann, der mich bis zum Ende begleitet hatte? Ich drehe mich um, aber es gibt nichts. Nur weiss.

 

"Ich habe die Hoelle gesehen, und die ist weiss"

 

Ich laufe weiter, in den Sturm. Ich werde wohl nirgendwohin, das weiss ich. Ich habe keine Ahnung wo ich bin.

 

Ich hoffe, Luni wird leben.

 

An ihn zu denken, gib mir noch einen Schlag. Ich falle wieder in den Schnee.

 

Diesmal ist es vorbei.

 

Hol mich. Hol mich bitte, eisiger Tod.

 

Doch mir wird waermer. Ich spuere Fell. Zottiges Fell.

 

"L-uni?" murmele ich, mit geschlossene, gefrorene Augengliede. Etwas hebt mich muehelos. Etwas traegt mich weg. Ich weiss nichtmal wohin.

 

Ich lasse mich einfach tragen. Ich spuere weiter Bewegung, einen Messer wird mir zwischen den Lippen gesteckt, und meinen Mund geht auf.

 

Ich schmecke Blut. Nein, blutiges Fleisch. Rohes Fleisch. Warm noch. Ohne darueber nachzudenken, beisse ich einfach rein.

 

Langsam kaue ich. Gott, wie lange habe ich nichts gegessen? Tagen.

 

Ich kaue weiter, und schlucke es runter. Es ist zeh. Das Blut schmeckt so wie meines. Ich versuche die Haende zu strecken, aber ich kann mich nicht bewegen.

 

Dunkelheit. Wieder in einem Limbus.

 

Irgendwann mache ich die Augen auf, und starre etwas an, verschwommen. Ein Ungeheuer.

 

Ein Monster...ich schreie in meinem Kopf.

 

WITIKO! Witiko hat mich gefangen genommen, und wird mich fressen!

 

Mein Gewehr, ich will mein John, ich werde erst schiessen, dann sterben.

 

Erst schiessen!

Erst schiessen!

Erst schiessen!

 

Doch mein Koerper wird in einem Sarg aus Eis festgehalten, und seine schwarze Augen starren mich nur an. Seine Krallen bewegen sich, und eine  gleitet durch meinen Mund, und macht sie auf. Und wieder schmecke ich Blut, und Fleisch.

 

Er fuettert mich.

 

Oh, gnaedige Schwaerze!

 

Ich mache wieder die Augen auf, sehe nichts, aber liege auf meinem Bauch. Eine Hoehle?

 

Ein Gletscher? Hans?

 

Jemand spricht zu mir. Ich verstehe aber kein Wort. Oder er singt? Nein, sie! Es sind zwei!

Ich hebe meinem Kopf leicht. Sehe zwei Maenner hinter mir, zwei Schatten.

 

Dann brennt etwas auf meinem Ruecken, und ich schreie.

 

Die schlitzen mir die Haut weg!

 

"Es ist...doch..nicht vorbei?" schaffe ich zu sagen.

 

Jemand macht mir sanft die Augen zu.

Edited by Nyre
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Grauer Wust, dumpfes Licht und die Flocken, die da mein Haupt tätscheln. Ich sehe mich eine Treppe hinaufrennen zu einer Tür, meine Schulter ein Rammbock, gnadenlos, Schlag auf Schlag, der Moment ist fragil wie ein Eiskristall und, oh, alle Geräusche bleiben verschluckt, um das Konstrukt nicht zum Bersten zu bringen! Auf Schienen fahr ich gleich auf und rieche süßes Blut und gesprungenes Glas. NEIN!

Meine Beine fliegen über den Flur hin zu dem Crescendo, das schon so lange verschwunden ist. Dort werde ich sie finden, wenn mein jetzige Ich mein damaliges Ich nicht aufhält. Beinahe erreiche ich den Tor, doch war es längst vergebens. Keine Hoffnung. Ich sehe mich in das Esszimmer sprinten, das mir längst bekannt ist. Wochenlang habe ich sie verfolgt, Fotos und Notizen gemacht, kenne ihr Leben wie kein zweites. Als ich sie sehe, wankt mein damaliges Ich wie eine gesprungenes Glas im Wind.

 

Oh nein, nein! Wo ist er? Wo ist der Mistkerl? Waffe gezogen, Totgewicht, werde sie nicht gebrauchen, denn die Sünde lastet schon jetzt zu schwer. Ohnehin ist er nicht mehr da. Zum Telefon, einen Krankenwagen, einen Puppenmacher - und tatsächlich sieht sie aus wie eine böswillig ramponierte Puppe. Ihr Mund bläst Blutblasen, die Armgelenke hat sie auf die Scherben gelegt, wie um sich die Hände zu amputieren, im Augen nur das Weiß. Sie werden gesund!, schreie ich. Ich habe einen Krankenwagen gerufen! Panisch fährt mein Blick durch den Raum, ich helfe ihr, bis der Krankenwagen kommt - plötzlich merke ich, das man mich beobachtet - Tränen in meinen Augen. Ich flüstere: Verschwinde! Das Mondgesicht im Tührrahmen verschwindet nicht. Mami wird es wieder gut gehen, flüstere ich. Sie wird es nicht werden. Der Junge, ihr Sohn, der seine verkrümmte Mutter in einer ausbreitenden Blutlache beobachtet, schreit. Und das ist das Schlimmste. Er weiß, was seine Mutter versucht hat, als sie mutwillig ihre Arme in den Schrank geschlagen hatte, nachdem ihr Mann ihr Manieren beigebracht hatte. Er weiß es, so wie ich es weiß. Und ich spüre in mir den unerbittlichen Drang, ihn zum Schweigen zu bringen!

 

Doch der Schrei hält an.

 

Stets auf einer Höhe.

 

Und das Schwei

 

gen wird Bal

 

sam sein

 

...!

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Der Schweiß tritt aus allen Poren. „Warum ist es plötzlich so heiß?“ Mit einer Hand öffne ich meinen Hemdkragen. Der Schweiß rinnt mir in Strömen den Rücken herab.

 

Mein Herz rast.

 

Ich spüre leichte Übelkeit in mir aufsteigen.

 

Meine Sicht scheint verschwommen. „Die Luft muss von der Hitze flirren“, wundere ich mich noch einen Augenblick, bevor mir klar wird, dass ich mich schließlich im tropisch-feuchten Urwald Afrikas befinde.

 

http://www.ivory-tours.de/sites/default/files/field/reisegallery/image//regenwald-urwald-kamerun-afrika.jpg

 

Die Luft ist hier so feucht, dass alles von ihr durchtränkt wird. Was Flechten, Moosen und Ranken eine ideale Lebensgrundlage beschert, ist für mich nunmehr zur Qual geworden.

 

http://4.bp.blogspot.com/_P7mYEXfJ1lc/TNH6AqWfOnI/AAAAAAAAAaM/89tklNw62pM/s1600/African%20Jungle.gif

 

Mehrere Tage haben wir mit Booten unauffällig einen Seitenarm des Kongo befahren.

 

http://www.regenwald-expeditionen.de/zentralafrika_expeditionen_erlebnisreisen_trekking_safaris_boote.jpg

 

Doch nun mussten wir die Boote zurücklassen. Wir scheinen uns unserem Ziel zu nähern.

 

https://indieethos.files.wordpress.com/2013/01/tabu_big.jpg

 

Wir verfolgen einen Trupp Söldner der ‘Force Publique‘, einer Einheit von König Leopolds Privatarmee. Immer wieder meinen wir, ihre Spur verloren zu haben. Aber unsere Führer sind verlässlich. Sie kennen die Bewegungen der Soldaten, die dafür Sorge tragen, dass Leopolds unersättlicher Hunger nach Kautschuk gestillt wird.

 

https://www.pinterest.com/pin/545217098609835510/

 

Wir sind auf der Suche nach Beweisen. Wir sind auf der Spur nach etwas, das weit über das hinausgehen soll, von dem uns bisher berichtet wurde. Etwas, das den Einheimischen unaussprechlich zu sein scheint. Es hat lange gedauert, Führer zu finden, die uns auf diesem Weg begleiten.

 

Ich spüre das Gewicht meiner Photoausrüstung auf meinen Schultern. Meine Stiefel sind schwer von nassem Schlamm. Die Stimmung ist gedrückt. Unsere Führer wirken verängstigt und gereizt. Die Lieder, die uns bislang begleitet haben, sind verklungen. Die Unruhe der Träger hat sich auf uns übertragen. Schon lange sind die Gespräche zwischen Ruairí, Herbert und mir verstummt. Herbert scheint sogar die Lust am Zeichnen verloren zu haben.

 

Eine Dunkelheit hat sich über das Land gesenkt, die man fast mit den Händen greifen kann. Sie lauert in den Schatten des Waldes. Sie beobachtet uns aus dem Dickicht. Wie ein Raubtier folgt sie uns geduldig. Sie wartet ab, bis der rechte Moment gekommen ist. Sie scheint sich ihrer Beute gewiss. Dieses Raubtier verbirgt sind nicht in den Schatten, es ist die Finsternis, die in den Schatten wächst. Ein Gespinst aus Dunkelheit, das sich über das ganze Land zieht und uns schon lange umschließt.

 

http://www.heise.de/imagine/cSvmBh3KwlZnMkvQeH4ngqfiOiw/gallery/Hongkong-Urwald.jpg

 

Missmutig schlage ich mit meiner Falcata auf das Gestrüpp vor mir ein, fege es mit der scharfen Klinge hinfort. Langsam beginne ich diese Vegetation, die mich sonst so fasziniert hat, als eine grüne Hölle zu begreifen. Immer wieder meine ich feine schwarze Fäden zurückzucken zu sehen, wenn mit den Pflanzen die Schatten fallen und der glänzende Stahl der langen Klinge aufblitzt. Ein irritierendes Spiel aus Licht und Schatten.

 

Die Blicke, mit denen die Schwarzen die Falcata mustern, sind inzwischen von so unverhohlener Habgier erfüllt, dass ich mir Sorgen zu machen beginne. Was wären diese Männer zu tun imstande, um in den Besitz dieses Reliktes zu gelangen? Wenn diese Waffe eines namenlosen iberischen Kriegers schon mich fasziniert hat, wie muss sie dann auf diese armen Menschen wirken? Ich bin froh, das Gewicht meiner Lightning am Gürtel zu spüren.

 

Verstohlen wechseln unsere Führer ab und an wenige Wort, ein Flüstern im Vorbeigehen nur, wenn sie meinen, wir würden sie nicht hören. Sie unterschätzen die Sprachkenntnisse, die ich mir zwischenzeitlich angeeignet habe. Ngala, Kutuba und Luba-Kasai verstehe ich bereits recht gut. Die Furcht der Männer scheint einem ‘Herz aus Finsternis‘ zu gelten. Der Glaube dieser Menschen an das Übernatürliche ist unerschütterlich. Aber in der Tat, erinnern die schwarzen, mit einem eigenen Leben erfüllten Fäden mich an feine Adern. Ich beginne zu verstehen, wie ein solcher Mythos entstehen konnte.

 

Die feuchte Hitze ist unerträglich. Die leichte Brise treibt lediglich immer neue Mückenschwärme in Wolken zu uns, statt Erleichterung zu bringen.

 

Gegen Abend trägt der leichte Wind noch etwas anderes zu uns. Der beißende Geruch von Rauch erfüllt nun die Luft.

 

Vorsichtig pirschen wir uns weiter voran. Die Nacht senkt sich herab und die Dunkelheit wird immer undurchdringlicher. Nur vor uns sehen wir den Widerschein von Feuer am Himmel. Schließlich erreichen wir den Kamm einer Anhöhe. Unter uns sehen wir im Tal die brennenden Hütten eines Dorfes.

 

https://timeglobalspin.files.wordpress.com/2013/02/indo_film_0206.jpg?w=720

 

Wir hören die gellenden Schreie der Menschen.

 

Die Führer folgen uns nicht mehr, als wir uns dem Meer aus Flammen nähern. Rund um das Dorf hat die ‘Force Publique‘ Stellung bezogen. Die Flüchtenden laufen ihnen direkt in die Arme. Die Söldner haben einen grausigen Gesang angestimmt.

 

Auf allen vieren nehmen wir geduckt Deckung hinter einem Gebüsch.

 

Starr vor Grauen sehen wir alles mit an. Wir sehen die Söldner ihre schreckliche Ernte einfahren. Klingen zucken im Licht der Flammen herab. Abgeschlagene Hände werden aufgesammelt und in Säcke gesteckt. Genitalien werden auf Schnüre gereiht. In unserem Versteck am Boden hockend, können wir nicht als wahr akzeptieren, was wir vor uns sehen. Die Söldner lassen niemanden am Leben, auch nicht die Alten, die Frauen oder die Kinder. Der Geruch von Blut und Rauch und verbranntem Fleisch und Angst und Tod ist unerträglich. Nur mühsam kann ich meinen Brechreiz bezwingen.

 

Und dieser schreckliche Gesang, den ich nicht verstehe. Ein blasphemischer Hymnus, der die Übelkeit in mir verstärkt, begleitet von dem zuckenden Rhythmus der Klingen und der Leiber vor den lodernden Flammen.

 

Die Dunkelheit um uns herum wird trotz der lodernden Flammen immer undurchdringlicher. Die Finsternis scheint den ganzen Dschungel um das Dorf zu verschlingen.

 

An meinen Händen spüre ich kaum merklich eine leichte Bewegung. Als ich meine Hände erschrocken zurückziehe, zerreiße ich etwas, ein feines Gewebe, das sich über den Boden verbreitet und um meine Hände gelegt hat, wie das Geflecht eines Pilzes. Es ist zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber ich weiß auch so, was nach mir gegriffen hat.

 

Entsetzt flüchten wir drei in die Finsternis des Dschungels hinter uns. Blind kämpfen wir uns mühsam durch die Gespinste, die von der gesamten Vegetation Besitz ergriffen haben. Alleine die silberne Klinge, blutrot gefärbt vom den Flammen hinter mir, gibt mir Hoffnung und die Kraft, den Wall um uns herum zu durchdringen. Dann rennen wir … rennen, bis wir vor Erschöpfung zusammenbrechen und schluchzend warten, ob auf diese Nacht noch ein neuer Morgen folgt oder ob das Jüngste Gericht über die Welt hereingebrochen ist. Und auch als die Schreie verklungen sind, der Gesang erstorben ist und die ersten Sonnenstrahlen einen neuen Tag ankündigen, sind wir uns gewiss, die Hölle gesehen zu haben. Die Hölle ist schwarz und rot und umhüllt von undurchdringlicher Finsternis.

 

Noch immer halte ich meine Falcata umklammert.

 

Ich sehe in die Gesichter von Ruairí und Herbert. Es sind nicht mehr die Menschen, die ich bis gestern kannte. Wir alle drei wissen, dass für uns nichts mehr wie davor sein wird.

 

Ziellos machen wir uns auf die Suche nach unseren Führern. Noch immer ist die Luft beißend vom Rauch. Da stoßen wir auf eine kleine Lichtung. Darauf befindet sich eine kleine Missionarskirche.

 

http://s.hswstatic.com/gif/propaganda-6.jpg

 

Aus der Kirche hören wir das Schluchzen einer Frau.

 

Schon wollen wir zu ihr eilen, als die Frau brutal von drei Söldnern vor die kleine Kirche gezerrt wird. Die Frau ist nackt, wurde offenbar geschändet.

 

Nun hören wir auch die rauen Stimmen weiterer Soldaten näher kommen.

 

Rasch ducken wir uns in das Gestrüpp. Doch sie hat mich gesehen. Ich sehe ihren flehenden Blick direkt in meine Augen. Ich fühle eine Verbindung entstehen, die nie wieder erlöschen wird, ein Verschmelzen der Seelen. Dies ist der Moment, in dem ich die Seele einer Fremden auffange, weil ich den Leib nicht retten kann. Der Moment, in dem das Leben seinen Wert verliert, in dem mein Leben seinen Wert verliert. Der Moment, unmittelbar bevor der Blick der Frau leer wird und sich Blut in einem Strahl aus ihrer Kehle ergießt.

 

Ich will schreien, kann es aber nicht. Ich will zu ihr rennen, bin aber nicht in der Lage mich zu bewegen.

 

Und plötzlich sehe ich nicht mehr die Gestalt der afrikanischen Frau vor mir, sondern die schwankende Contessa. Und ich sehe die Finsternis um dieses ... Wesen ... herum aus der Tür nach der Contessa greifen. Da ist plötzlich die Stimme der Afrikanerin in mir, die schreit, um mich aus meiner Erstarrung zu befreien.

 

„Nicht noch einmal!“, bricht es aus mir hervor. „Nie wieder!“

 

Ich schwinge mein Messer, wie ich meine Falcata vor dreißig Jahren hätte schwingen sollen und stürze wie von Sinnen vorwärts…

Edited by Joran
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Da springt der Vater aus dem Schatteneck, ein Irrer mit einem Messer, will die Schlachtung vollenden und das Schweigen wiederherstellen. Lasse ich ihn gewähren? Töte ich ich, prügel ich ihn so gnadenlos, wie er seine Frau geschlagen hat? Oh der Schrei will nicht verklingen, aber es ist doch nur ein Kind! Von hinten packe ich daher geübt den Irren, sodass er mich mit seinen fuchtelnden Armen nicht trifft.

 

"Pscht", zische ich in sein Ohr. "Leise ... Er schreit doch nur wegen dir." Währenddessen prasselt der Schrei wie weiter wie ein Feuerwerkskörper in mir. "Deine Frau liegt da bewusstlos am Boden ... und es ist genug, weit genug Blut vergossen worden!" Und doch ... Es wäre so einfach, den Irren gewähren zu lassen.

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- - - - - - - Kapitel abgeschlossen - - - - - - -

 

Es geht weiter im Kapitel - Immer allein -.

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  • 1 month later...
xxx Edited by Der Läuterer
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