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[Nightmare Files] Kapitel 7 - Immer a lll ein


Der Läuterer
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Der Behandlungsraum wird nur schwach von einer Petroleumlampe an der Wand beleuchtet.

Weiter hinten, links neben den zwei Waschbecken ist eine Kammer. Eine kleine Abstellkammer.

Die Tür dieser Kammer steht offen. Am Boden in der Kammer sitzt ein Kind.

 

Nein.

 

Es ist kein Kind.

 

Es ist die Contessa.

 

http://static2.bigstockphoto.com/thumbs/2/0/6/small2/60258002.jpg

 

Sie hockt mit angezogenen Beinen am Boden. Und sie spricht mit irgendjemandem.

 

Jemandem der anscheinend im Zimmer steht. Irgendwo im Zimmer. Ihre Augen huschen im Zimmer umher, als würden sie einer schwirrenden Fliege folgen. Hier hin. Dort hin. Nach links. Nach rechts. Wieder zurück. Und das Ganze erneut von vorne.

Edited by Der Läuterer
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Ich versuche, mich möglichst leise an die Tür der Abstellkammer heranzuschleichen.

 

"Mit wem rede die Contessa nur? Hat sie den Verstand verloren? ... Oder ist dort jemand ... etwas ..., das ich nicht erkennen kann? Aber wo? Warum kann sie es sehen und ich nicht?"

 

Ich fasse die Petroleumlampe mit der linken Hand. In der Rechten halte ich nun den Brieföffner.

Edited by Joran
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Die Contessa scheint völlig mit sich selbst beschäftigt zu sein.

Sie redet anscheinend mit einem Kind, das sich mit Dir in diesem Raum befinden muss, dass aber scheinbar seine Position ändert, da Matilde ihm mit den Augen nicht zu folgen vermag.

Unruhig und nervös wippt die Contessa in ihrer hockenden Position vor und zurück, als würde sie sich selbst beruhigend wiegen wollen.

Vor der Contessa liegt ein Blatt Papier auf den Fliesen, das sie immer wieder in die Hand nimmt und zu lesen versucht, so wie es aussieht. Sie dreht das Blatt. Mal waagerecht, mal hochkant. Hält es in Richtung der Lampe an der Wand, als wolle sie eine geheime Schrift entdecken.

 

http://www.angiewyatt.com/wp-content/uploads/2012/09/bigstock-Young-Scared-Woman-Portrait-5538623-670x280.jpg

 

Dann sieht sie Dich am Eingang stehen. Sie schaut Dir direkt in die Augen; ohne jedes Zeichen des Erkennens. Als würde sie durch Dich hindurch sehen.

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Ich setze meine Lampe neben der Tür im Behandlungszimmer ab und verberge den Brieföffner wieder im Ärmel, bevor ich den dahinterliegenden Abstellraum betrete.

 

Noch einmal blicke ich mich im ganzen Raum um, aber da ist niemand außer der Contessa und mir.

 

"Matilde", sage ich betont ruhig. "Matilde. Hören Sie mich? Ich bin es, Clive! Hören Sie mich? Sie kennen mich!"

 

"Kennt sie mich tatsächlich?", frage ich mich jedoch gleichzeitig. "Vielleicht war sie ein Teil meines Traums, ich aber kein Teil von ihrem..." Die Übergänge zwischen Traum und Realität sind so fließend geworden, dass eine Unterscheidung mir in diesem Moment unmöglich scheint.

 

Ich sinke in die Hocke, um vis-à-vis mit der Contessa zu sein, bevor ich mich ihr nähere. Ich blicke ihr in die Augen, aber ich kann ihren unsteten Blick nicht einfangen. Sie wirkt wie ein scheues, in die Ecke gedrängtes Tier. "Aber was verbirgt sich unter dieser Oberfläche?"

 

"Was redet sie da nur? Was hatte das mit dem Teufel zu bedeuten?", frage ich mich erneut und versuche einen Sinn in den Worten der Contessa zu entdecken. Gleichzeitig scheint mich eine innere Stimme zu warnen. "Der Umstand, dass ich eine Bedrohung nicht sehen kann, bedeutet nicht, dass keine vorhanden ist. Haben Matilde und Paul die Fühler des Herzens der Finsternis gesehen, eben erst und doch zugleich vor so langer Zeit in dem altägyptischen Zimmer? Nicht alle Dinge sind für jeden sichtbar. Und manche Dinge nehmen erst in unserem Verstand Gestalt an, damit wir sie überhaupt im Ansatz begreifen können."

 

Kurz frage ich mich, wie das Herz der Finsternis hierher gefunden hat. "War das tatsächlich dieser grobschlächtige Pfleger? Oder habe ich es unwissentlich selbst mit auf die Insel gebracht. Ich habe das Herz der Finsternis am Kongo und am Amazonas angetroffen, in der Hitze und Feuchtigkeit des tropischen Urwaldes. Aber wir sind immer davon ausgegangen, dass es auch an anderen Orten wirkt. Wie kommt es von Ort zu Ort? Durchziehen seine Adern die Kruste der Erde? Schwimmt es durch das Meer? Oder tragen Menschen seinen finsteren Samen mit sich in die Welt hinein?"

 

Ich wende mich von diesen fruchtlosen Gedanken ab. So viele dringendere Fragen jagen mir gleichzeitig durch den Kopf. "Wer außer mir hat noch Matildes Schrei gehört? Alles, was hier im Hause ... oder darunter ... lebt, dürfte den Ruf vernommen haben. Ist dieses Wesen gesättigt, ist sein Blutdurst gestillt oder ist es schon wieder auf der Jagd, dicht hinter mir, nachdem es nun erkannt hat, dass seiner Aufmerksamkeit noch Leben entgangen ist?" Unwillkürlich lausche in die Schatten hinter mir. "Es ist mehr als offensichtlich, warum kein Arzt und kein Pfleger erscheint." Ich denke an die tote Schwester in der Halle, unweit der von gewaltigen Kräften zertrümmerten Tür des Krankentraktes.

 

"Aber wo bleibt Paul?" Das Bild der Blutspur, die aus Pauls Zimmer führte, verdränge ich rasch wieder. "Verdammt, konzentriere Dich auf das HIER und JETZT! Sonst werden wir beide sterben!"

 

Ich möchte mir gerne das Blatt ansehen, das die Contessa so beschäftigt. "Ist es eine weitere Seite aus Matildes Krankenakte? Hat sie nun die Informationen gefunden, die ihr so wichtig waren und die sie zu ihrem eigenen Schutz vermutlich nie hätte erfahren dürfen?"

 

"Ich werde Sie jetzt berühren, Matilde.", kündige ich behutsam an.

 

Mit ausgestreckten Arm berühre ich vorsichtig ihre Hand, um sie nicht zu erschrecken und ihre Reaktion auf die Berührung abzuwarten, zunächst nur ein sanftes Streichen über ihren Handrücken. Ich rechne mit reflexartigen Aggressionen der Contessa, die mich bislang nicht erkannt hat. "Verteidigung wäre der natürlichste Umgang mit einer vermeintlichen Bedrohung. Wie sonst sollte sie in dieser Situation bei all den Toten auf etwas fremdes, das sich ihr nähert, reagieren?"

Edited by Joran
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Matilde scheint Dich überhaupt nicht wahrzunehmen.

Sie registriert weder Dein Kommen, noch Deine Anwesenheit.

 

Sie hebt das Blatt vom Boden auf und betrachtet es, wiegt es hin und her.

Sie schaut es von allen Seiten genau an.

Sie untersucht das Blatt genauestens, als ob sie eine verborgene Botschaft darin zu erkennen trachtet.

Dann legt sie das Papier wieder auf den Boden zurück.

 

Ein Blick auf das Blatt offenbahrt Dir ein Zeichen.

 

http://www.horrorseek.com/home/horror/demon/necro17.gif

 

Erst jetzt bemerkst Du, dass die Contessa, bis auf ein Bettlaken, das sie um sich geschlungen hat, völlig unbekleidet.

 

Noch immer ist sie von dem Papier unglaublich fasziniert.

 

Du berührst sie leicht an der Schulter... und sie zuckt erschreckt zusammen.

 

http://a.abcnews.com/images/Health/gty_scared_ll_121024_wmain.jpg

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Noch einmal versuche ich, zu dem Verstand der Contessa durchzudringen:

 

"Matilde! ... Ich bin es, Clive!", doch sie reagiert auf meine Stimme auch jetzt nicht und scheint mich weiterhin nicht zu sehen.

 

Ich nehme mir Verbandsmaterial aus einem der Regale und beginne, damit Buchstaben auf dem Boden auszulegen, schreibe meinen Vornamen in großen Buchstaben: "C L I V E"

 

Die Contessa scheint die Veränderung ebenso wenig wahrzunehmen wie mich.

 

Kurz denke ich nach. "Wenn die Berührung die einzige Möglichkeit einer Kontaktaufnahme ist, muss ich mir diese irgendwie zunutze machen."

 

Vorsichtig nehme ich ihre rechte Hand in meine Hände. Wie zu erwarten war, zieht die Contessa ihre Hand erschrocken zurück. Doch ich versuche es wieder und wieder, ohne Gewalt, sondern mit Beharrlichkeit. "Sobald sie meine Berührung zu akzeptieren beginnt, werde ich versuchen, diese Verbindung zu nutzen, ihre Hand wie bei einem Blinden an mein Gesicht führen, damit sie es ertasten kann, ihr vielleicht meine warme Taschenuhr in die Hand legen oder mit dem Finger Buchstaben in ihre Handfläche schreiben. ... Wenn uns nur genug Zeit bleibt, denke ich sorgenvoll."

 

Und ich denke zurück an das Traumbild von einem Toten in meinem Bett. Ich denke an die beiden Münzen, den Schilling und den Sixpence, auf den Augen. Ich denke an das Zerfließen der Taschenuhr in meinen Händen und das Anhalten der Zeit. "War das tatsächlich nur ein Traumbild? War es ein Omen? Oder war es vielleicht die Wahrheit? Kann Matilde mich nicht mehr sehen, weil ich nicht mehr lebe und nur mein Geist, befreit von der körperliche Hülle, durch dieses Gemäuer spukt? Ich war nie ein Anhänger von Spukgeschichten und Séancen, auch nicht, nachdem ich erkannt hatte, dass es Dinge ... und Wesen gibt, die die Grenzen unserer rationalen Verständnismöglichkeiten bei weitem übersteigen. Und doch: Mein Tod wäre eine Erklärung für all dies, wenn der Glaube an Geister überhaupt irgendetwas 'erklären' kann. Und wodurch unterscheiden sich meine Versuche einer Kontaktaufnahme mit Matilde noch von einer Séance ... wenn auch von der anderen Seite?

 

Mein gewachsener Bart ... Ich weiß von archäologischen Grabungen, dass die Haare auch nach dem Tod eines Menschen eine Weile weiter wachsen. Aber meine Muskelschmerzen?

 

Hat jemand meine Taschenuhr angehalten, nachdem ich gestorben bin, so wie es vielerorts noch Brauch ist, alle Uhren in einem Haus anzuhalten, wenn einer seiner Bewohner stirbt?

 

Hat jemand zwei Münzen aus meiner Tasche genommen und als Lohn für den Fährmann auf meine Augen gelegt, so dass mir nur noch ein Paar in der Tasche verblieben ist?

 

Konnte ich mich nur aus diesem Grund endlich von Ruairí verabschieden?

 

Habe ich deshalb zum ersten Mal mit IHRER Seele unmittelbaren Kontakt aufnehmen können, weil ich IHR ins Reich der Toten nachgefolgt bin?

 

Bin ich nur deshalb von dem mörderischen Grauen hier verschont geblieben, weil ich bereits vorher gestorben bin?"

 

Ich horche in mich hinein. Fast erwarte ich, IHRE Stimme wieder zu hören, doch es bleibt still. Ich scheine alleine zu sein, völlig allein. Die absolute Leere ist ungewohnt, aber befreiend. Plötzlich erscheint mir dies alles auf eine absurde Weise logisch und es beängstigt mich - vielleicht gerade deswegen - nicht.

 

Mein medizinisches Wissen und die tief im Menschen seit archaischen Zeiten verwurzelte Bereitschaft zum Aberglauben prallen wie so oft aufeinander. Eigentlich fühlt es sich nicht so an, als wäre ich gerade im Begriff, den Verstand zu verlieren ... und doch, der Arzt in mir führt seine eigene Analyse meines Denkens durch.

 

Der beharrliche Rest an christlichem Glauben, in dem mich meine Mutter erzogen hat und an den ich mich trotz allem bis jetzt klammere, lässt ein wenig Enttäuschung aufkommen. Aber eigentlich habe ich die Vorstellung von einem Himmel wie die von der Hölle schon lange aufgegeben. Beides findet der Mensch bereits auf Erden, besonderes die Hölle ... die vor allem ...

 

"Aber warum bin ich dann noch hier? Ist dies unser aller Schicksal? Oder bin ich noch nicht bereit, auf all diejenigen zu treffen, die mir vorausgegangen sind? Und wer wird meine Aufgaben weiterführen? Was wird aus dem eisernen Tabernakel und seinem Bewohner? Was aus meiner Wacht?"

 

Der Gedanke, letztendlich doch versagt zu haben, macht mir Sorge ... Sorge um die Menschen, die zurückgeblieben sind ... Sorge um Matilde.

 

Erneut greife ich vorsichtig nach Matildes Hand und frage mich dabei, ob es für sie wohl nur ein kalter Hauch, ein unerwünschter Gruß aus dem Jenseits sein mag.

 

 

(Link 'wachsen':

http://der-schwarze-planet.de/wordpress/wp-content/uploads/2012/07/mumie-katakomben-palermo-sizilien.jpg

http: //der-schwarze-planet. de/wordpress/wp-content/uploads/2012/07/mumie-katakomben-palermo-sizilien.jpg)

Edited by Joran
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Die junge Frau rezitiert Worte in einer fremden Sprache.

 

Wieder und wieder.

 

Und wieder und wieder hält sie inne, schreckt zurück, wenn Du sie berührst...

 

baR'uch atta ny'Ar La Hotep...

...

sche'ha na'tan mi kwod'o....

...

lewasar Wa dam...

...

ose ma'ase ber'Eschit...

...

...

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"Was ist das für eine Sprache?" Ich kann die Worte keiner mir bekannten Sprache zuordnen. Aber die Worte bringen düstere Saiten in mir zum Klingen.

 

Beunruhigt werfe ich erneut einen Blick auf das Blatt in Matildes Händen. Erst jetzt erkenne ich auch eine Schrift darauf. Die Contessa scheint diesen Text zu rezitieren.

 

Aber ist sie sich im Klaren, was sie da tut?

 

"Matilde!", rufe ich aus. "Sie sind nicht bei Sinnen! Was tun Sie da? Woher haben Sie das? Wer weiß schon, welche Schrecken diese Beschwörung herbeirufen wird? Wer weiß schon, welche Rituale vollzogen und welche Schutzvorkehrungen ergriffen werden müssen?"

 

Nun greife ich die Contessa mit beiden Händen an den Schultern und versuche sie zu schütteln, damit sie nicht weiter spricht. Dann greife ich nach dem Blatt, um zu verhindern, dass sie weiterlesen kann.

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Du greifst die Contessa fest an den Schultern und schüttelst sie.

Als sie weiter und weiter den Text des Zettels rezitiert, gibst Du ihr ein paar leichte Ohrfeigen...

 

... erst jetzt wird ihr Blick wieder klarer und sie schaut Dich erstaunt an.

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Ich bin ein wenig entsetzt über mich selbst, dass ich die Contessa tatsächlich ins Gesicht geschlagen habe.

 

"Verzeihen Sie mir, Matilde! ... Sie wirkten wie von Sinnen und haben immer wieder diese merkwürdige Formel in einer fremden Sprache von dem Zettel rezitiert. Dabei haben Sie mich überhaupt nicht mehr wahrgenommen ... durch mich hindurch gesehen ... als wäre ich nur ein Geist ...

 

Ich musste etwas tun, um zu Ihrem Bewusstsein vorzudringen. Und ohne Riechsalz oder ähnlich Hilfsmittel wusste ich mir nicht mehr anders zu helfen."

 

Ich nehme die Hände der Contessa in meine.

 

"Es ist wirklich nicht ungefährlich, solche Dinge auszusprechen, Matilde! Sie nur zu lesen ist schon mit Risiken verbunden, jedenfalls wenn man zu verstehen beginnt ..."

 

Wie selbstverständlich nehme ich das Blatt Papier an mich, falte es und stecke es in die Innentasche meines Anzugs.

 

"Wo haben Sie das Blatt eigentlich gefunden?

 

... Aber, das können Sie mir auf dem Weg erzählen. Es hat hier Tote und Verwüstungen gegeben und ich bin nicht sicher, ob es bereits vorüber ist. Zuallererst müssen wir Mr. Anderson finden!

 

Können Sie aufstehen? Fühlen Sie sich kräftig genug?"

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Die blauen Augen der Contessa schauen Dich verwirrt an. Was ist passiert?
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Ich spüre die Hände der Contessa in meinen. Ich suche nach Symptomen einer akuten Belastungsreaktion oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es lässt sich nicht leugnen, das bisherige Verhalten der Contessa lässt auf typische Begleiterscheinungen, nämlich Bewusstseinseinengung, Wahrnehmungsstörung und Desorientiertheit, schließen.

 

Ich fühle den Puls der Contessa. Ihr Herz rast zwar nicht, aber der Puls ist deutlich erhöht. Anzeichen auf Übelkeit oder Schweißausbrüche sind nicht festzustellen.

 

"Wie viel Zeit bleibt uns?" frage ich mich. Etwas sagt mir, dass die Contessa nicht zusammenbrechen wird ... oder ist es nur eine Hoffnung, weil wir sonst verloren wären? "Ich muss es riskieren, wenn wir hier alle lebend herauskommen wollen..." Ich denke an Anderson und stelle mir die Frage, ob ich das Leben der Contessa riskieren darf, um ihn zu suchen. "Wie hoch stehen die Chancen, ihn noch lebend zu finden? ... Aber Du wirst auch nicht gehen, ohne Deinen Koffer ... ohne IHN. Wie kannst Du dann auch nur in Betracht ziehen, Anderson hier zurückzulassen? Wie kann ein toter Gegenstand dir wichtiger sein als ein Menschenleben? ... aber ER ist nicht tot..."

 

Bevor die Zweifel mich von den notwendigen Schritten abhalten, reiße ich mich zusammen. Ich konzentriere mich auf die Contessa. Ich sehe der Contessa fest in diese hellblauen Augen. Sie sind für mich wie ein Anker in der Realität.

 

Dann beginne ich stockend und flüsternd mit meinem Bericht:

 

"Ich weiß es auch nicht. ... Das letzte, woran ich mich erinnere ... woran ich mich zu erinnern meine, ist die Untersuchung der Wohnräume der Ärzte. Wir öffneten die Tür zu einem abgedunkelten Zimmer und darin schien ein Junge zu sein ... Sie sprachen ihn mit dem Namen Lloyd an, aber er schien nicht wirklich nur ein Junge zu sein ... Sie fragten ihn, WAS er sei. Dann wurden Sie bewusstlos. Und ich habe den Jungen ... nun, ich habe dieses Wesen, das aussah wie ein Junge, angreifen wollen. Aber Mr. Anderson hielt mich ab... Dabei flüsterte er irgendwelches wirres Zeug... Es war beängstigend. Aber er bewahrte mich vielleicht vor einem schweren Fehler. Ich war außer mir, verlor total die Beherrschung. Da war etwas BÖSES, eine FINSTERNIS in diesem Raum, die von dem Jungen Besitz ergriffen hatte ... oder von ihm ausging.

 

Nachdem Anderson mich packte ... ich glaube jedenfalls, dass er mich packte, ... ist bei mir alles verworren. Ich muss wohl auch bewusstlos geworden sein. Ich habe dann Ereignisse aus meiner Vergangenheit durchlebt, Dinge die sich so oder ähnlich zugetragen haben und Dinge, die so nie geschehen sind. Vermutlich waren es nur Träume ... und doch schienen es mir mehr als einfache Träume zu sein ...

 

Es ist schwer abzugrenzen, wo genau die Realität endete und die Phantasien begannen. Jedenfalls war die Begegnung mit den Jungen der letzte Moment, in dem ich mit Ihnen und Mr. Anderson zusammen war.

 

Können Sie sich an den Jungen auch erinnern, Matilde?", frage ich und halte einen Moment in der Hoffnung auf eine bestätigendes Nicken der Contessa inne, bevor ich fortfahre.

 

"Dann wachte ich in meinem Zimmer auf meinem Bett auf. Ich habe keine Ahnung wie ich dort hingekommen bin. Meine einzige Erklärung ist, dass mich Mr. Anderson auf mein Zimmer getragen hat.

 

Genaugenommen glaubte ich sogar zweimal aufzuwachen. Einmal sah ich einen Toten mit Münzen auf den Augen auf meinem Bett liegen, vermutlich mich selbst. ...

 

Darum bin ich mir auch jetzt noch nicht ganz sicher, ob dies alles nur ein Traum ist...

 

Jedenfalls ging ich zunächst in Mr. Andersons Zimmer. Er war nicht dort. Nur Blut ... eine große Blutlache und eine Blutspur bis hinab in die große Empfangshalle und vor das Haus, viel mehr Blut als ein menschlicher Körper besitzt. Darum sollten wir jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen.

 

Auch in der Empfangshalle lag die Leiche einer Schwester. Sie wurde offensichtlich erschlagen. Die Tür zum Krankentrakt war aufgebrochen ... und die Tür in den Keller stand weit offen. Es gibt dort einen starken Luftzug ... der Keller muss also wieder ins Freie führen ... aber ob er als Fluchtweg oder Versteck taugen würde? Was immer diese Blutspur gelegt hat, es hat nicht diesen Weg hinaus genommen ... und ich vermute, es wäre auch zu groß für die Kellertür ...

 

Dann hörte ich Sie etwas vom Teufel rufen und folgte Ihrer Stimme bis ich Sie hier fand.

 

Aber Sie konnten mich nicht sehen. Es war unheimlich ... es war, als sei ich nur noch der Geist des Mannes, den ich tot auf meinem Bett liegen sah ...

 

Nun, entweder ich träume dies alles erneut oder Sie sind nun erwacht oder jetzt sind wir beide Geister ..."

 

Die letzten Worte, die als scherzhafte Bemerkung die Contessa aufmuntern und meinen knappen Bericht abmildern sollten, schmecken bereits schal auf meiner Zunge, als ich sie ausspreche.

 

Das Verhalten der Contessa deutet nicht auf einen bevorstehenden Zusammenbruch hin und so fahre ich fort:

 

"Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt. Ich muss noch ein paar Dinge aus meinem Zimmer holen, das Buch und meinen Koffer. Vielleicht haben Sie auch noch etwas, was Sie hier nicht zurücklassen dürfen?

 

Aber vorher müssen wir Mr. Anderson suchen.

 

Und wir müssen uns überlegen, wie wir diese Insel verlassen können. Vielleicht finden wir noch ein halbwegs intaktes Boot in einem der Hafengebäude? Und vielleicht etwas Wasser und Proviant in der Küche ..."

 

Ich lege der Contessa, die nur in ein Bettlaken gehüllt ist, meine Anzugjacke um die Schultern und reiche ihr dann erneut die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Es erfüllt mich allerdings mit einem unguten Gefühl, das Blatt mit der Formel damit wieder preiszugeben. "Es muss an einem sicheren Ort verwahrt werden. Wie die anderen Relikte..."

 

"Wir sollten auch Kleidung für Sie finden ... am besten in ihrem Zimmer. Dort können Sie mir dann berichten, woran Sie sich erinnern."

 

Unruhig blicke ich mich um. Seit wir vom Hafen zurückgekehrt sind, habe ich mich nicht so lange durch das Hospital bewegt, ohne dass Amanda ihre sadistischen Spiele mit mir getrieben hätte. Innerlich erwarte ich, dass sie ... oder schlimmeres ... jeden Moment auftaucht.

Edited by Joran
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Ihre langen gelockten Haare fallen über ihr Gesicht, während sie den Kopf nach vorne neigt. "Ich fühle mich schwach. Kraftlos."
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"Lange gelockte Haare?" Ich spüre, wie mein Körper erstarrt. "Was ist das wieder für ein grausames Spiel?"

 

Spätestens seit ich den Speisesaal betreten habe ist auf nichts mehr Verlass, kann ich meinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr trauen. ...

 

"Warten Sie, ich helfe Ihnen", sage ich in ruhigem, freundlichem Ton und lege meinen Arm um die Person, greife nicht nur nach dem Körper, sondern vor allem auch nach meiner Jacke ... mit dem Papier darin. Ich bin bereit, die Jacke an mich zu reißen.

 

... die Gesichter scheinen sich ständig zu verändern, verlieren ihre Konturen, entgleiten meiner Erinnerung. Nur unscharf konnte ich mir das Gesicht von Amanda vorstellen ... der Tote auf meinem Bett, bei dem das bärtige Gesicht sowohl meines wie auch das von Ruairí hätte sein können ... die Veränderung des Gesichts des Jungen ...

 

"Wen halte ich da tatsächlich im Arm? Ist es wirklich Matilde?" Ich versuche mich zu erinnern. Ich erinnere mich an die Contessa mit kurzen Haaren ... aber ich bin verunsichert ... kann ich meiner Erinnerung noch trauen? Lange lockige Haare verbinde ich mit Amanda, allerdings waren die hell und nicht schwarz ... oder doch?

 

"Es ist ja nicht weit, bis zu Ihrem Zimmer! Dort oben schien alles ruhig zu sein."

 

"Bewusstseinseinengung, Wahrnehmungsstörung und Desorientiertheit", rezitiere ich in Gedanken, was ich gelernt habe. "Ich darf nicht glauben, was ich sehe. Weder die vermeintliche Bedrohung noch die vermeintliche Sicherheit. ... Das viele Blut, viel zu viel Blut. ... Die merkwürdigen Reaktionen der ... Frau ... auf meine Berührungen. ... Mein Verstand warnt mich immer wieder, nicht zu akzeptieren, was ich sehe. Und doch versuche ich immer wieder einen Bezug zur Realität zu finden. Dinge als Realität zu akzeptieren, die nicht Realität sein können.

 

Ich muss vorsichtig sein. Aber ich muss mir auch bewusst sein, dass ich in diesem Zustand eine Gefahr für Dritte darstellen kann."

 

Mein Herz rast.

 

"Nur ein weiteres Symptom."

 

Ich reiche der ... Frau ... die brennende Lampe und begebe mich langsam mit ihr in Richtung Flur.

 

"Was soll ich nur tun? Wie entgehe ich dieser Falle? Wie löse ich dieses Rätsel auf?" Meine Gedanken springen hilflos hin und her.

 

"Ich habe von dem Buch und meinem Koffer gesprochen. Aber nur davon, sie holen zu wollen, nicht von ihrem wertvollen Inhalt. War das bereits zu viel? Ist ER in Gefahr?

 

Natürlich ist er in Gefahr! Alles ist hier in Gefahr! Es ist doch kein Zufall, dass ich hier das Herz der Finsternis gespürt habe!

 

Ich muss Zeit gewinnen, um nachzudenken ... eine Lösung zu finden ...

 

Ich muss auf der Hut sein!

 

Ich will nicht töten. Aber ich werde es vielleicht müssen."

 

Kalt spüre ich das Metall des Brieföffners in meinem Ärmel.

Edited by Joran
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Du spürst den kleinen, schlanken und zerbrechlichen Körper in Deinen Armen. Die Haut der Contessa ist kühl. Sie drückt Dich an sich. Du hörst, wie sie einmal tief einatmet und dann lange ausatmet.
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