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[In Via Flaminia] Szene II v. XVI - Britannia somniata [geträumtes Britannien] -


123
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Dramatis personae:

 

123: Pisciculus

TIE: Murena und/oder ein Legionär oder ein Tiefes Wesen (oder was er für eine gute Idee hält)

erequ: Legionär oder ein Tiefes Wesen oder eine gute Idee

Alveradis: Legionär oder ein Tiefes Wesen oder eine gute Idee

[Nyre: s. o.] 

 

Ort: Neue Provinz Britannia, irgendwo an der Küste

 

Art der Szene: Rückblende

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Lucius Caedicius Pisciculus

[Rückblende: vor einigen Monaten]

 

Hier endet es also? An der verdammten Küste. Näher werde ich Ostia nicht mehr kommen?!

 

Der Stumpf glich einer schönen Blume. Der splitterig abgetrennte Oberarmknochen war der Blütenstempel, das blutige Fleisch der Blütenkelch. Sehnen und Muskelstränge begaben sich wie Wurzeln auf die Suche nach festem Boden. Doch es gab nur Sand... und Stein. Ich lag zusammengesunken auf meinem toten Pferd. Mit letzter Kraft hatte ich meinen Pugio [Dolch] gezogen, mein Spatha [Langschwert] war in meiner rechten Hand verblieben, die jetzt irgendwo am Ort des Hinterhaltes lag, gemeinsam mit dem Rest meines Armes und wohl allen Soldaten meines Kommandos, und hatte dafür gesorgt, dass mein treues und völlig zerschundenes Pferd nicht dem Feind in die Hände fallen würde. Dann war ich kurzzeitig in der Schwärze versunken.

 

Kurz erwachte ich. Folgte mit verschwommenem Blick dem roten Fluss des sich vermischenden Menschen- und Pferdeblutes auf seinem Weg ins Meer. Wie jeder Fluss endete auch dieser hier im Meer, färbte die Wellen rot. Ein letztes Opfer für Neptun... wie gerne hätte ich die Überfahrt angetreten... ich denke an mein Haus, meine Frau Furia, Ostia, meine Freunde. Dann wird mir wieder schwarz vor Augen. Ich höre nur noch die Schreie meiner Kameraden, träume von den letzten Stunden... Minuten... Tagen?

 

Ich sollte mit einer knappen Turma ein Gebiet im Osten von Calleva Atrebatum erkunden. Hier hatten sie uns aufgelauert... wahrscheinlich waren Verräter unter uns... es ging alles so schnell... kaum hatte ich mein Spatha gezogen, durchfuhr mich dieser fürchterliche Schmerz. Ich sah das Chaos um mich herum. Konnte mit einer Hand mein Pferd kaum zügeln. Dann sah ich den Stumpf. Ich wusste, dass ich nicht stürzen durfte, das wäre mein sicherer Tod gewesen. Ich dachte nur noch an Ostia, an Ostia und an Furia... meine wunderbare Furia. Ich ließ dem Pferd seinen Willen. Ließ die Zügel schießen. Sollte es mich nach Hause bringen. Oder ans Meer. Ich wollte nur weg. Zurück nach Hause. Weg von dieser fürchterlichen Insel. Meine Gedanken waren von diesem Wunsch erfüllt, an dessen festen Gedankenmauern lediglich der rote Stumpf von Zeit zu Zeit rüttelte. Rote Kletterranken, die sich die Mauer empor wanden und mich ins hier und jetzt zurückholen wollten. Ich weiß nicht wie lange ich ritt oder besser mich tragen ließ, gefolgt von einer roten Spur.

 

Am Meer brach ich zusammen, tötete das Pferd, brach auf dem Pferdekörper zusammen, fühlte mich wie ein Opfertier auf dem Altar.

 

Und jetzt... jetzt sehe ich das Blut... mein Blut... kann diese Insel nicht verlassen... weiß dass sie mich finden werden... Furia... meine Furia. Meinen Pugio habe ich ins Meer geschleudert, nachdem ich das Pferd erlöst hatte, ... mein treues Pferd ... ich wollte ihn nicht mehr sehen. Meine letzte Waffe. Jetzt warte ich. Ein prächtiges aber missgestaltetes Opfertier. Der schwere bronzene Brustpanzer nimmt mir den Atem. Ich werde versuchen ihn abzulegen. Ich werde sehen, was die Götter zu einem einarmigen Opfer sagen... bald werde ich es wissen.

 

"Furia. Es tut mir so leid."

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Im Hintergrund war das Rauschen des Meeres zu hören, ein hypnotisches Geräusch, so gleichmäßig und stetig. Es würde nie abreißen, es würde vielleicht abebben oder anschwellen wenn ein Sturm auf die Küste traf aber der klang der Wellen war ewig. Das Blut von Pferd und Mann färbte das Wasser rosa und unter den Geruch nach Salz und Tang mischte sich der Geruch nach Blut.

 

Pisciculus verlor erneut für einen Augenblick das Bewusstsein, wie lange konnte er nicht sagen. Das schlagen von Flügeln weckte ihn, es war immer noch Tag, er konnte nicht lange das Bewusstsein verloren haben. Ein einzelner Rabe saß auf seinem Pferd und pickte an der Augenhöhle herum. Der Schnabel glänzte Feucht.

 

"Leid"

 

Ein Wiederklang seiner eigenen Worte im Kopf. Oder hatte er wieder gesprochen, hatte versucht den Vogel mit Worten zu vertreiben. Pisciculus wusste es nicht, der Blutverlust und der Schmerz mischten Wahn und Wirklichkeit.

 

"Leid! Leid! Leid! Leid!" Krächzte der Vogel und dreht sich zu Pisciculus um, das Sonnenlicht brach sich in seinem glänzend schwarzen Gefieder. Ein Bote des Orkus. Auf dem Campus Martius hatte er eine unterirdische Kapelle und ihm wurden ausschließlich schwarze Tiere geopfert. War es jetzt andersherum, kam ein schwarzes Tier zu dem Opfer aus Mensch, Tier und Bronze.

 

Der Rabe flatterte kurz auf, nur um gleich darauf auf dem Brustpanzer zu landen. Das Tier legte den Kopf schief, blickte den Verwundeten mal aus dem einen, mal aus dem anderen Auge an, schien abzuschätzen ob er würdig war oder nicht, maß das Gewicht der Seele.

 

"Wenn du leben willst Mensch, nenn mir die fünf Namen deiner liebsten Fische. Kannst du das, oder kennst du nur den Namen deiner Frau? Fünf Fische und du wirst leben, aber sie müssen dich hören. Sprich zu ihnen wie du zu den deinen sprichst. Dein Blut haben sie, jetzt erweise dich ihrer würdig und du wirst deine Frau wiedersehen du wirst diese Insel verlassen und Ostia wiedersehen!"

 

"Leid! Leid! Leid! Leid!" Krächzte der Vogel.

 

"Oder schweig und ich fresse deine Augen Menschlein! Dann steigst du einarmig und blind hinab in die Unterwelt. Was ich dir in diesem Leben antue wird dich im nächsten zeichnen!"

Edited by -TIE-
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Lucius Caedicius Pisciculus

 

Ich denke an Ostia zurück. An die zahlreichen und riesigen Piscinae [Fischteiche] meiner Familie. Mein Vater hat einmal erzählt, dass unsere Familie schon in der Königszeit die ersten Süß- und Meerwasserbecken unterhalten hatte. Die Erinnerung an Ostia und an meine geliebten Teiche treiben mir Tränen in die Augen. Meinen Namen trage ich nicht ohne Grund. Schon als Puer [Knabe] verbrachte ich so viel Zeit wie möglich an diesem Ort. Ging den zuständigen Sklaven zur Hand, lernte die Bedürfnisse der Tiere kennen, den Unterschied zwischen der Zucht für den Verkauf, für den Verzehr und derjenigen für das reine Aussehen. Prächtige Tiere. Unbeschwerte Kindheit. Ostia.

 

Ich betrachte den Raben. 

 

Unsere Fische hatten keine Namen, keine offiziellen. Einzig die Becken waren bezeichnet, jedoch lediglich mit blanken Zahlen. Die werden nicht sein, was der Vogel hören will. 

 

Ich spüre die sich nähernde Finsternis. Es kann jeden Moment enden. Dann steigt eine tief vergrabene Erinnerung in mir auf. Die Sklaven der Teiche hatten für besonders schöne Fische Namen, soviel habe ich als Kind mitbekommen. Sie hätten sich nie gewagt diese Namen vor meinem Vater zu benutzen, und auch als ich älter wurde, hörten sie auf die Tiere vor mir so zu nennen. Eines Tages hatte ich meinem Vater von den Namen erzählt und er hatte einen Sklaven hinrichten lassen, der diese Namen benutzt hatte. Mir sagte er damals, dass einige der Namen lästerlich seien, nicht für die Ohren der Menschen gedacht beziehungsweise, dass man die Götter erzürne, wenn man Fische so nenne.

Diese Namen sind jetzt  alles was ich habe. Ich will leben, will nach Ostia, zu Furia, zu meinen Fischteichen, ich will diese verdammte Insel verlassen. Also schreie ich dem Raben die Namen entgegen, versuche zu schreien. Als ich meinen Mund nach Äonen währender Anstrengung endlich öffnen kann, stammele ich die Worte lediglich silbenweise in die Dunkelheit und die Kälte, die sich in mir ausbreitet:

 

 

 

 

 

 

 

"Nereus!"

 

 

 

 

 

 

"Thaumas!"

 

 

 

 

 

 

"Eurybia!"

 

 

 

 

 

 

 

 

"Phorkys!"

 

 

 

 

 

 

 

"Keto!"

 

 

 

 

 

 

 

"Hydra!"

 

 

 

 

 

 

 

 

"Dagon!" 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mehr Namen kann ich meinem Gedächtnis nicht entringen. Mein Kopf sackt kraftlos zurück auf den Pferdekörper. Der Rabe und das gefärbte Meer kippen nach hinten aus meinem Gesichtsfeld heraus. Mein Armstumpf beginnt zu brennen. Der Schmerz hält mich in dieser Welt. Er ist wohl das letzte, das mich noch hier hält. Ohne ihn wäre ich ein Sterbender, der am Ufer sitzt und auf seine letzte Fähre wartet.

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"Dann soll es so sein!" Krächzte der Rabe und flatterte auf. Unter das Rauschen der Wellen mischte sich noch ein anderes Geräusch, etwas kam aus den Tiefen der See an die Oberfläche.

 

Ein heftiger Schmerz durchzuckte Pisciculus Armstumpf, der Rabe hatte seinen Schnabel tief in das Fleisch geschlagen und zerrte einen Muskelstrang hervor. Dann hüpfte er wieder auf den Brustpanzer und wischte seinen blutigen Schnabel an Pisciculus Wange ab, so das rote Schlieren im Gesicht zurückblieben.

 

"Leben, Leben, Leben, Leben wirst du Fischlein, Blut ist Leben, aber deinen Geschmack werde ich nie vergessen Fisch, den bedenke das du sterblich bist!"

 

Der Rabe flog auf, verschwand einfach als hätte es ihn nie gegeben. Hinter Pisciculus kräuselte sich die Oberfläche des Wassers.

 

Das kleine Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, blass, mit weissen Haare, strekte ihren Kopf aus dem Meer raus.

 

"Das Wasser ist wieder rot, Vater, und jemand hat meinen Namen ausgesprochen.." sagte sie tonlos.

 

Dann sah sie den Mann.

Sie freute sich.

 

"Oh, ein Fremder!" Sagte sie aufgeregt.

 

Sie sprang aus dem Wasser, ihr Leib war nur mit Algen bedeckt, und kniete sich neben ihm.

Sie sprach Worten, die keine verstehen konnte.

Denn sie sprach die Sprache des Meeres.

 

Lange ertönte das Gesang, bis die Wunde keine Wunde mehr war.

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Lucius Caedicius Pisciculus

[zurück am heutigen Tag, kurz vor dem Bankett]

 

Ich schrecke von meinem Bett hoch. Brauche einige Sekunden bis ich schweißüberströmt feststelle, dass ich in meinem Cubiculum [schlafgemach] bin. Das Mittagslicht fällt von Vorhängen und Tüchern abgeschwächt in den Raum, ich höre die Sklaven durch das Haus laufen, sie sind mit den Vorbereitungen für das Essen und die Gäste beschäftigt. Ich lasse meinen Kopf zurück auf die Bettstatt sinken, versuche meinen stoßweisen Atem zu beruhigen. Es dauert bis ich wieder vollständig im hier und jetzt angekommen bin, immer wenn ich in der Zeit dieses Überganges meine Augen schließe, sehe ich die Welt unter den Wellen vor meinen Augen, den Raben, das Mädchen... was damals in Britannia am Strand seinen Anfang nahm, die Dinge die ich dort sah, sie verfolgen mich. Beeinflussen mich, meine Lieben und diese Stadt bis heute.

 

Endlich setze ich mich auf. Es fühlt sich so an wie damals, als ich mich von dem Pferdekadaver erhoben habe, mich vom Opferaltar erhob. Doch ist das Opfer wirklich ausgeblieben? Oder bin ich das wandelnde Opfertier, lebendig, tot, ich weiß es nicht.

 

Ich bringe meinen massigen, muskulösen Körper in die Senkrechte. Sehe den Spiegel, der von Tüchern verhangen vor meinem Bett steht. Ich musste ihn verhängen lassen, ich wollte den Anblick nicht länger ertragen. Ich halte einen Moment inne, erschaudere. Dann betaste ich doch mein Schultergelenk, taste mich langsam abwärts zum Arm. Hoffe - wie so oft zuvor schon -, dass es nur ein Traum war, doch auch heute komme ich endgültig wieder in der Wirklichkeit an, als ich die glatte, glitschige Haut spüre, die Saugnäpfe, den sich verjüngenden, langen, muskulösen Fangarm, der sich jetzt dort befindet, wo vor dem Tag des Meeres noch mein rechter, menschlicher Arm sich befand. Der Fangarm, den ich stets vor den Augen der anderen Menschen verbergen muss. Der mich zum Außenseiter macht.

 

Ich lache heiser, zeige zwei Reihen weißer Zähne, lege den Kopf in den Nacken und schließe die Augen, lache bis mir die Tränen die Wangen hinab rinnen.

 

Du bist zurück in deiner Stadt, das war der Preis. Das ist der Preis, den du dafür zahlen musstest, den du noch zahlst. War es das wert? Ist es das wert? Furia ist es wert!

 

 

 

- Ende der II. Szene -

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