Jump to content

[Nightmare Bites] Matilde+Clive Telefonate


Der Läuterer
 Share

Recommended Posts

Ich stehe auf, und schaue mich in den Spiegel an.

Ich sehe grauenvoll aus.

Als wäre ich plötzlich zehn Jahre älter geworden. Ich fühle mich elend, mein Kopf tut Weh, ich habe überall Schmerzen.

Die alte Schusswunden sind wieder blau. Als wären sie wieder ganz frisch.

Die Luger ist noch auf dem Nachttisch.

Draussen ist grau.

 

Ich sollte hier alles doch ein Ende setzen.

 

Aber erst sollte ich noch Clive anrufen. Ich sollte ihm erklären, sagen...dass er Recht hatte. Alle hatten Recht.

Keine hat je Hartmut gemocht. Vielleicht konnten sie schon besser sehen als ich.

 

Ich wollte einfach...

 

Ich gehe zum Telefon, und wähle die Nummer, die er mir gegeben hat. Eine Frauenstimme meldet sich kurz danach.

Tonlos frage ich, nach seinem Zimmer.

 

"Ja, bitte? Matilde, bist du das?" Clive Stimme, die nehme ich noch wahr. Aber sie ist auch so weit weg.

 

Ich bleibe einen Augenblich stumm, man kann mich aber atmen hören.

 

"Er ist weg, Clive. Hartmut ist weg. Und Alexander auch. Ich habe ihn wieder gefragt. Er sollte mir eine Antwort geben. Oder verschwinden...

 

Ich lasse mich nicht so unter Druck setzen...

 

"er hat sich entschieden, zu verschwinden. Alexander wird sicher sein. Sie werden untertauchen...aber ich.

 

Du Mistkerl. Du hast mein Leben ruiniert. Und mir nichtmal eklärt WIE genau. Ihr werdet sicher sein. Und ich werde sterben, ohne zu wissen, wer mich tötet, und wieso? NIEMALS.

 

"..ich bin noch hier. Ich habe noch diese Maske. Ich habe aber kein Grund..kein Grund mehr, verstehst du? Kein Grund mehr zu überleben. mein Kind ist nicht real. Noch nicht. Vielleicht habe ich es schon verloren? Ist das so wichtig? Was würde ich für ein Leben anbieten? Ich bringe nur den Tod, Clive. Nur das."

 

Ich schlucke schwer.

 

"Ich habe die letze 5 Jahre nur von Alptraum zum Alptraum gelebt. Ohne Ahnung. Ohne Antworten. Ohne Ruhe. Die Leute die mir wichtig waren, sind einfach verschwunden, oder haben mir Schmerzen zugefügt. Der Mann, der ich geliebt habe, war der erste, der mir einen Gefühl der Unwichtigkeit vermittelt hat."

 

Ich schaue mich wieder im Spiegel an.

 

"Ich denke..wenn ich jetzt weitermache, lande ich wieder in einer Irrenastalt. Diesmal für immer. Ich erinnere mich gut, wie ich da behandelt wurde. Ich rieche noch..ich höre die Schreie. Ich bin gebrochen, Clive"

 

Die reine, weisse Weite, in Norwegien, der Gletscher, da hätte ich bleiben sollen. Da, bei Witiko. Da wäre ich sanft eingeschlafen, und erfroren.

 

"Verzeih mir..." flüstere ich weiter zu ihm.

  • Like 3
Link to comment
Share on other sites

Ich höre Matildes Stimme, matt und traurig. Sie bringt tief in mir etwas zum Schwingen, das hinter hohen Deichen verborgen liegt. Aber ich kann mich erinnern ... an diese Gedanken ... an dieses Gefühl der Einsamkeit und des Verlustes.

 

Ich denke an die eine Patrone auf dem Meeresgrund.

 

Ich denke an Hartmut. Ich verfluche ihn und bin im dankbar zugleich. "So ein eitler, unnachgiebiger Schmock! So ein Waschlappen! Wie konnte er Matilde und das Kind trennen?!"

 

Nach einer Weile antworte ich sanft:

 

"Nein ... verzeihe Du mir, dass ich fortgegangen bin. Ich hätte auf Dich warten sollen ... aber ich nahm an, meine Anwesenheit wäre eher hinderlich ... ich hoffte, Hartmut würde zur Besinnung kommen und erkennen, was er verliert ...

 

Das tut mir so leid für Dich, Matilde!

 

Ich kann nur ahnen, was die Trennung von Alexander für Dich bedeutet, auch wenn es Alexanders Sicherheit dient. ... Ich hatte ja nie ein Kind. ... Aber auch mir ist kaum jemand geblieben."

 

ICH bin geblieben, Matilde. ICH habe Dir keine Schmerzen zugefügt.

 

"Ich würde gerne für Dich da sein ... für Euch beide da sein. Wenn Du es mir erlaubst. Es würde mir viel bedeuten, Dich in meiner Nähe zu haben.

 

Wäre es für Dich denkbar, mich für eine Weile zu begleiten?

 

Vielleicht nach Irland, sobald die Orga realisiert hat, dass Hartmut und Alexander endgültig fort sind und Dir nicht mehr folgt?

 

Ich würde Dir gerne darlegen, was ich mir überlegt habe. Ich habe einen Vorschlag, von dem ich Dir erzählen möchte. Können wir uns sehen? Darf ich zu Dir kommen, auf Euer Anwesen? ... Wirst Du auf mich warten? Versprich es mir!"

  • Like 3
Link to comment
Share on other sites

Solche Gedanken sind mir nicht fremd ... und sind es nun doch irgendwie. Diese Erkenntnis überrascht mich. Warum bestürzt es mich so sehr, aus Matildes Mund zu hören, was ich mir selbst schon so oft gesagt habe, ohne dass es mich in Unruhe versetzt hätte? In all der Zeit habe ich nie gelernt, was man hierauf erwidern könnte. In all den Jahren habe ich kein überzeugendes Argument gefunden ... bis auf die Aufgabe, die ich zu haben meine. Aber war das nicht alles nur Schein ... eine Ausflucht?

 

Meine Gedanken springen hilflos umher. Ich suche nach etwas, um mich zu sammeln und blicke um mich.

 

Ich betrachte den einen verfluchten Fernsprecher, den diese Pension für die Besucher hat. Ein schlichtes Gerät in einer kleinen hölzernen Kabine. Gespräche werden vom Empfang hierher durchgestellt. Die Tür ist mit getönten Scheiben versehen, die alles außerhalb der Kabine wie eine vergilbte Photographie erscheinen lässt. Mrs. Loock, ist nicht zu sehen. Dieser neugierigen Person wäre es zuzutrauen, dass sie mithört. Ein Hocker steht in einer Ecke, auf den ich mich langsam sinken lasse.

 

"Was soll ich Matilde sagen? Dass ich ihr folgen werde, wohin immer sie geht? Zu viel Pathos? Zu viel Druck?"

 

Ich zögere eine Weile. Dann flüstere ich:

 

"Wo Du jetzt bist, da war ich den größten Teil meines Lebens. ... Ich werde nicht versuchen, Dir etwas zu verbieten. Das wäre sinnlos. Aber ich bitte Dich als Dein Freund: Warte auf mich! Du solltest jetzt nicht alleine sein. Und ... ich könnte nicht ertragen, wenn Du leidest. Wenn Du nicht daran glaubst, dass ich Dir anders helfen kann, dann lass mich wenigstens das für Dich tun. Gib mir wenigstens die Chance, bei Dir zu sein. ... Ich mache mich sofort auf den Weg."

 

Ich hänge den Hörer in die Gabel und bleibe noch eine paar Sekunde sitzen. Als ich aus der Tür trete, steht Cainnech am Ausgang und wartet. Er blickt mich fragend an.

 

"Ich muss zu Matilde ... alleine. Bis Mittag werde ich Dich nicht brauchen. Vielleicht rufe ich Dich später hier an", sage ich nachdenklich zu ihm. "Vielleicht kannst Du mir ein Taxi herbeiwinken?"

 

Dann gehe ich noch einmal zurück auf mein Zimmer und hole meine Arzttasche.

Edited by Joran
  • Like 3
Link to comment
Share on other sites

 Share

×
×
  • Create New...