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[Nightmare Bites] Gefrorene Tränen


Der Läuterer
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"Notfalls klaue ich eine Maschine und entführe Dich. Ich bezweifle, dass die mir in der Luft auch gewachsen wären. Du wirst sehen, wie klein auch diese Mistkerle von oben betrachtet sind. Letztendlich sind auch sie nur Ameisen, die über einen Erdkrumen krabbeln."

 

Ich schaue Cainnech an, dann schenke ich ihm ein sanftes Lächeln.

 

Wenn es nur so einfach wäre. Ich beneide seine Ungewissheit. Aber das wird ihn nicht im Leben helfen.

 

"Einfach wegfliegen.." sage ich leise.

"Ja, vielleicht machen wir es so, eines Tages Cainnech..."

 

Ich schüttele den Kopf.

 

"Ich bin kein Kind der Traurigkeit, und kämpfe hart. Ich werde nur ab und an müde. Jede wird irgendwann müde."

 

Ich seufze.

 

"Aber ich kann ein paar Tricks..sozusagen, etwas kann ich. Ich bin längst nicht so gut wie sie. Ich kann Sachen bewegen, ohne sie anzufassen. Ich kann in euren Köpfe reden..Gedanken flüstern..aber nicht eure lesen. Oh und ich kann das"

 

Ich schaue die Vase mit den Blumes aus Papier, die ich sofort gehasst habe, als ich hier angekommen bin an.

Ich hasse falsche Blumen.

So wie falsche Menschen.

Ich hasse dich Hartmut. Ich bin so enttäuscht. So enttäuscht.

 

Die Blumen fangen an, zu brennen.

Edited by Nyre
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Cainnech

 

Ich folge Matildes Blick und sehe überrascht, dass die Blumen in Flammen aufgehen.

 

"Das ist ... erstaunlich! ... Muss es Papier sein? Oder kannst Du das mit allen ... Dingen?"

 

"... oder Lebewesen? Sie weiß so viel, wovon ich keinerlei Ahnung habe. Ich bin gegen sie nur ein einfältiger Junge vom Dorf. Aber ihr Wissen hat sie nicht glücklich gemacht. Letztendlich scheint sie ein trauriger Mensch zu sein ... ähnlich wie Clive. Ist das noch so eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden? Ich frage mich, ob der Weg, auf den mich der Doc geführt hat, zwangsläufig im Unglück enden muss. Vielleicht ist es einfach besser, manche Dinge nicht zu wissen. Oder gibt es auch für die beiden noch einen Ausweg?

 

Ich weiß, dass ich nicht so klug bin, wie der Doc ... oder die Contessa. Ich werde nie so viel lernen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich alleine mit der Kraft meines Geistes solche ... Sachen machen könnte. Aber ich will versuchen, meinen eigenen Beitrag zu leisten. Irgendetwas muss ich für die beiden tun können ... Irgendetwas ... damit sie die Schatten ihrer Vergangenheit irgendwann einmal hinter sich lassen können ... zumindest für eine Weile. Ich bin nicht bereit, diese vermeintliche Hoffnungslosigkeit zu akzeptieren."

 

Ich betrachte Matilde lange und beginne mich zu fragen, wie sie wohl vor alldem war, vor der Verbannung durch ihre Eltern ... vor Norwegen ... vor diesem Hartmut. "Ich will sehen, ob ich es herausfinden kann."

 

Aber zu Matilde sage ich: "Ich glaube nicht, dass ich so etwas lernen könnte. Du würdest vermutlich an mir verzweifeln."

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Ich lächle wieder.

"Nein es muss nicht Papier sein. Clive, ich habe nur das Buch dabei, wo ich das hier gelernt habe. Mehr nicht. Hartmut hat bestimmt viel mehr, aber ich habe nie erfahren wo."

Ich drehe mich zu Cainnech wieder.

"du brauchst auch es nicht zu lernen..ich wollte dich nur nicht später erschrecken. Es gibt vieles, was ich von mir nicht verstehe, und vermutlich nie verstehen werde. Was mich so stört, ist die Tatsache, dass ich sicher bin, die Orga selbst weisst mehr über mich als ich selbst. Wisst ihr, was ich meine?

 

In Norwegien, damals, als ich fast erfroren wäre, bin ich von ...Etwas gerettet worden. Ich hatte wieder diese Erinnerngen auf Herm zurückgewonnen. Ein Wesen namens Witiko nahm mich zu sich, tagelangen, in einer Höhle, in einem Gletscher. Ich war fast tot, aber er fütterte mich mit rohem Fleisch, und liess mich nicht sterben. Dann erinnere mich noch, dass da Leute waren, nicht da..ich meine, ich war irgendwo wo Leute waren, und dann...sie haben etwas auf meinem Rücken eingeritzt. Nur da ist nichts! Ich meine, ja da sind Narben, aber die Stammen aus dem Sanatorium, wo ich misshandelt worden bin.

Ich meine, ich erinnere mich, dass in Norwegien sowas wie..ein Ritus war! Mein Rücken brannte, höllisch. Aber da ist nichts."

Ich schaue Clive an.

"Du kannst mich trotzdem untersuchen, und das bestätigen. Hartmut hat komische Runen auf seinem Rücken."

Ich schaue wieder meine Füsse an.

"Vielleicht habe ich alles nur geträumt? Aber ich war sieben tage lange in einem Gletscher, allein!? Und habe es überlebt? Blödsinn. Ich glaube, damal hat mich Julien, der Marquis gefunden. Er ist einer von der Orga. Sie haben etwas mit mir angestellt. Wenn ich nur wüsste, was.."

Edited by Nyre
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Cainnech

 

Matilde spricht von Narben. Aber ich sehe ihre Hände und die milchig weiße Haut ihres Nackens, die nie bei tagelanger Feldarbeit verbrannt wurde. Ich stelle mir vor, wie es wäre, Matildes Rücken zu untersuchen, ihn vorsichtig zu berühren ... und wende mich schnell der Entsorgung der verbrannten Blumen zu, bevor noch jemand merkt, dass sich mein Gesicht verfärbt.

 

 

Clive

 

"Vielleicht können wir es doch noch herausfinden, Matilde, ... eines Tages.

 

Deine Narben beweisen, dass Du nicht alles geträumt haben kannst, was Dir damals widerfahren ist. Auch wenn Dir manches unwirklich erscheint, bedeutet das noch lange nicht, dass es Träume waren. ... Und Träume müssen beileibe nicht unwirklich sein. Spätestens seit Herm ist mir das klar.

 

Als ich vor zwei Jahren in London war, wollte ich es Euch in dem Café erzählen, aber Hartmut hat mich damals unterbrochen.

 

An dem Tag, bevor wir uns im Café getroffen haben, bin ich zum Pentonville Gefängnis gegangen. Dort wurde vor einigen Jahren ein guter Freund von mir erhängt, den ich auf mehrere Expeditionen begleitet habe. Ich vermute, Du hast davon in den Zeitungen gelesen und Cainnech kennt seinen Namen sowieso: Ruairí Dáithí Mac Easmainn. In England kennt man ihn unter dem Namen Sir Roger Casement, aber der Titel wurde ihm aberkannt und sein Name zu Unrecht beschmutzt. Seine Gebeine sind irgendwo auf dem Gelände des Gefängnisses zwischen Mördern und Vergewaltigern anonym verscharrt.

 

Als Ruairí der Prozess gemacht wurde, konnte ich ihm nicht beistehen, denn ich saß in der erleuchteten Stadt, in Medīna an-Nabi, fest. Der Krieg hatte die arabische Halbinsel bereits in seinem Griff. Darum konnte ich mich nicht von ihm verabschieden ... Aber auf Herm habe ich ihn im Traum in seiner Zelle besucht und mit ihm gesprochen. Es wirkte auf mich alles sehr  ... wirklich, obwohl ich das Gefängnis nie gesehen hatte. Das ließ mir keine Ruhe. Und darum bin ich vor zwei Jahren endlich zum Pentonville Gefängnis in die Caledonian Road gegangen. Und ich fand dort alles genauso vor, wie ich es auf Herm gesehen habe.

 

Ganz gleich, was andere darüber denken würden, ich bin überzeugt, dass dieses Gespräch in der Zelle mit meinem Freund tatsächlich stattgefunden hat. Ich kann nicht erklären, wie das möglich ist. Aber ich könnte auch nicht erklären, wie ich so konkrete Erinnerungen an das Pentonville Gefängnis haben könnte, ohne ... irgendwie ... dort gewesen zu sein. 

 

Ich habe seit Herm immer wieder solche Träume. Die Frage ist nur, welches sind gewöhnliche Träume und welche Träume sind mehr als das?

 

Wir müssen mehr über diese Träume, in denen wir durch Raum und Zeit gewandert sind, lernen Matilde. Ich glaube, nur so können wir verstehen, was das alles zu bedeuten hat. Wenn wir lernen, das zu kontrollieren, können wir vielleicht auch herausfinden, was Du in Norwegen erlebt hast. Wir müssen gemeinsam entschlüsseln, was damals auf Herm geschehen ist. Wir müssen verstehen lernen, womit wir damals Kontakt hatten. Ich habe noch das Buch, dass wir im Zimmer von Dr. M.D. Ludwig Theodor Wilfried von Wittgenstein fanden. Das astronomische Werk, in dem der Doktor ein sehr altes Pergament versteckt hatte. Und ich habe auf meinen Reisen auch einige Dinge zusammengetragen. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.

 

Früher habe ich mich nur sehr vorsichtig mit manchen Schriften vertraut gemacht. Aber das war vielleicht ein Fehler. Im Moment möchte ich LERNEN. Über Ishnigarrab, über Yog-Sothoth, ...

 

Wenn wir mehr verstehen, werden wir es vielleicht auch mit 'La Main Droit' aufnehmen können.

 

Ich meine, wir müssen jetzt einige Entscheidungen treffen. Wir haben in den nächsten Tagen einiges zu erledigen. Dabei gibt es so viel zu bedenken:

 

Wir müssen in Betracht ziehen, dass die Organisation hinter dem Überfall auf das Auktionshaus gestanden haben könnte. Dann muss dort auch etwas gewesen sein, dessen Bedeutung über einen materiellen Wert hinausgeht. Bevor wir abreisen, sollten wir vielleicht zumindest nachsehen, ob uns die verbliebenen Gegenstände noch einen Hinweis geben, wonach 'La Main Droit' gesucht haben könnte.

 

Morgen Mittag gegen 14.00 Uhr läuft zudem die Frist ab, die mir der Mann am Telefon gesetzt hat. Bis dahin sollte ich Lord Penhews persönliche Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit der Carlyle Expedition in Ägypten beschaffen. Ich denke, dieser Mann, der nicht alleine gehandelt haben kann, gehörte zur Organisation ... oder auch nicht? Wer kann das schon sicher sagen? Aber sollten wir ihnen zuvorkommen ... oder zumindest Lord Penhew warnen? Denn sie werden nicht vor Gewalt zurückschrecken, um sich zu verschaffen, was sie haben wollen.

 

Du solltest Deine rechtlichen Angelegenheiten mit Mr. Kilmister und einem Advokaten regeln. Dabei sollte Cainnech Dich begleiten.

 

Wenn Du magst, komme ich auch mit. Oder ich erkundige mich in dieser Zeit nach den Reisemöglichkeit nach Irland. Wir könnten eine Passage auf einem Segler nach Irland buchen. Das böte vermutlich weniger Angriffsmöglichkeiten als die Eisenbahn. Allerdings könnten wir einem Angriff, wenn er uns doch auf dem Meer trifft, nicht ausweichen. Wenn wir zunächst über Land nach Cardiff reisen und uns erst dort einschiffen, hätten wir natürlich verschiedene Möglichkeiten. ... Ich weiß nicht recht", überlege ich laut.

 

Oder sollten wir erst irgendwie austesten, ob uns die Organisation überhaupt noch folgt? Eine Fahrt über weniger belegte Straßen, auf denen wir Verfolger ausmachen können. Einen Weg, den die Organisation nicht vorhersehen kann, weil wir kein sinnvolles Ziel ansteuern?"

Edited by Joran
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Ich schaue ihn an, und höre alles zu, was er mir sagt.

"Ich weiss auch nicht, was in Herm passiert ist, aber die Insel hatte etwas krankes in sich..etwas, was das übernatürliches, was wir in uns schon hatten ans Licht gebracht hat. Ich glaube dir natürlich. Ich hätte so gerne noch mit Dr. Cooper meine Therapie weitergemacht. Er war nett zu mir. Der erste nette Artz, den ich seit Jahren getroffen hatte. Aber ist anders gelaufen. Vielleicht wenn wir im Irland sind, werde ich ihn anschreiben.." Meine Stimme bricht.

 

"Aber diese Sache, auch auf Herm, ich wollte untersucht werden, und keine hat mich geglaubt! Sie sagten ich sei nur eine Verrückte...ich meine...ja ich hatte auch mal Probleme..aber..das nicht. Das war real!" ich klinge jetzt verzweifelt.

 

Ich schüttele den Kopf.

 

"WIe auch immer..vielleicht kannst du mir sagen, ob etwas zu sehen ist. Hartmut hat nie etwas ernst genommen. Meine Visionen waren nur Träumen. Alles was ich erlebt habe war..unwichtig..nicht real...selbst über die Gewalt die ich erlitten habe, hat er nicht viel gesagt."

 

Ich schaue Clive an.

 

"Würdest du?"

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Clive

 

"Ich will mir Deinen Rücken gerne ansehen, wenn Du es möchtest."

 

 

Cainnech

 

"Ich werde so lange nach nebenan gehen."

 

Leise verlasse ich Matildes Zimmer.

 

In meinem Zimmer beginne ich, langsam den Anzug auszuziehen und sorgsam aufzuhängen. "Alltagskleidung sollte ab jetzt ausreichen."

 

"So viele ... merkwürdige Dinge habe ich heute gehört ... und gesehen. Die brennenden Blumen ... wäre dies eine Unterrichtsstunde, würde mir Clive vermutlich erklären, dies sei eine Metapher."

 

Von nebenan höre ich gedämpft die Stimmen von Clive und Matilde. Nur ein leiser Klang, keine Worte.

 

"Ich sollte jetzt vermutlich Angst haben: 'La Main Droit', Auftragsmörder, Wiederauferstehung von den Toten, rohes Fleisch, Vergewaltigung, schwarze Magie. Entweder die beiden nebenan sind völlig irre ... oder ich sollte jetzt sofort meine sieben Sachen packen und Reißaus nehmen.

 

Aber ich weiß: Clive ist nicht irre. Und Matilde ist es auch nicht. Ich habe die brennenden Blumen gesehen.

 

Tatsächlich habe ich Angst. Aber ich kann nicht gehen. Weil ich beide nicht im Stich lassen könnte: Clive, weil ich ihn schon so lange kenne und so viel schulde. Und Matilde, weil ... weil ... weil ich nicht aufhören kann mir vorzustellen, wie es wäre, jetzt an Clives Stelle zu sein und mit meinen Fingerkuppen über ihren Rücken zu streichen ... Ich sehe ihn vor mir. Ich meine ihre warme, zarte Haut zu spüren ...

 

Verdammt, reiß Dich zusammen! Das ist lächerlich. Du kennst sie seit ... vielleicht zwei, drei Stunden? Die Frau ist verheiratet ... Und Du bist gerade genau der Dorftrottel, den sie in Dir sieht. ... Und doch umgibt Matilde etwas, dem man sich schwer entziehen kann. Ist es Clive auch so ergangen? Und diesem Paul, den Clive einmal erwähnt hat? Und Hartmut? Sind wir alle Opfer der selben Aura, die Matilde umgibt?

 

Jetzt drehst Du aber vollends durch! Mit all dem Gerede über finstere Mächte und geheime Organisationen scheinen die beiden Dich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben. Matilde ist eine Frau ... eine schöne Frau, sicher, aber eine Frau. Wenn Du Dich in so kurzer Zeit um den Finger wickeln lässt, dann sagt es zunächt einmal etwas über Dich aus ... nicht über sie", schelte ich mich selbst.

 

Ich lasse mich auf das Bett fallen. Durch die Wand höre ich dumpf die Stimmen von Clive und Matilde. Ich seufze resigniert. Dann schließe ich die Augen.

 

 

Clive

 

Als Matilde ihren Rücken entblößt, rücke ich meinen Stuhl hinter sie. Auf der Schulter befinden sich eine herzförmige Narbe und Bissspuren ... menschliche Bissspuren?

 

Ich streiche mit einem Zeigefinger sanft über die Narben. "Wer war das Matilde?"

 

Stockend beginnt Matilde, mir von Dr. Warner zu erzählen, von dem Mann, dessen Anschrift ich im Böcklin-Haus gelesen habe:

 

Stuart Square 33
Glasgow - Schottland

 

Schon auf Herm hat Matilde mir kurz angedeutet, was ihr dieser Mann, der ihr als Arzt hätte helfen sollen, angetan hat. 'Monatelang missbraucht', hallen ihre Worte in meinem Kopf wieder. Nun erzählt sie Details, Einzelheiten, die auszusprechen, Schmerzen bereitet. Ich brauche ihr Gesicht nicht zu sehen, um das zu wissen.

 

Ich umarme Matilde, ziehe sie an mich und höre schweigend zu. Ich verspüre den Wunsch, diesen mir fremden Mann zu töten. Ich habe bereits getötet. Ich weiß, dass ich es kann.

 

"Stuart Square 33
Glasgow - Schottland

 

Eine Adresse, die ich nicht vergessen werde. Ebensowenig wie die zwei Münzen, ein Schilling und ein Sixpence, mit denen vor dem Zimmer, in dem Dr. Warner Matilde eingeschlossen hatte, die Ereignisse auf Herm für mich ihren Anfang nahmen. Ich erinnere mich auch an die Ampulle 'Isletin', die Dr. Warner aus der Tasche gefallen war und nun irgendwo am Grund der Hafenmole von Herm liegt. Sie werden mit diesem Medikament vielleicht noch einmal Bekanntschaft machen, Dr. Warner!"

 

Nachdem Matilde ihren Bericht beendet hat, sitzen wir eine Weile beisammen. dann bittet sie mich, ihre Rücken nach weiteren Narben zu untersuchen.

 

Aber da ist nichts zu sehen. In diesem Moment bricht die Sonne durch eine Lücke in den Regenwolken und scheint durch das Fenster auf Matildes Rücken. Und in diesem Augenblick sehe ich leichte Schimmer, kleinste Veränderungen in der obersten Hautschicht. "Solche silbrigen Verfärbung von feinsten Narben kennt jeder Arzt, der schon einmal unachtsam mit dem Skalpell umgegangen ist. Ein Zufall bloß? Eine Laune der Natur? Da ist keine Ordnung in den Strichen zu erkennen, nur eine grobe Anhäufung in ... Ringen, wie mir scheint. Ist auch dies die Folge einer Folter, ein Erlebnis, dass Matildes Geist verdrängt ... und in diesen Traum transportiert hat? Oder sehe ich nur, was ich sehen will?"

 

Dann verschwindet die Sonne wieder hinter den Wolken und mit ihr der Schimmer auf Matildes Rücken.

 

"Matilde, ich könnte hier etwas gefunden haben. Aber es ist so schwach, dass man es nur sieht, wenn die Sonne direkt darauf scheint. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich existiert ... ich bin mir unsicher. Es wirkte wie eine große Zahl feinster Linien, eher willkürlich angeordnet, aber jeweils gehäuft in konzentrischen Kreisen. ... Bist Du sicher, dass das nicht auch Warner gewesen sein könnte?"

Edited by Joran
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Ich schüttele langsam den Kopf.

"Ich weiss nicht. unwahrscheinlich. Im Prinzip weiss ich nichtmal ob es wirklich nur Dwight war..Dr. Warner, oder andere Leute im Sanatorium. Denn ich war oft weggedreht, meine Erinnerungen reichen nicht...aber..du sagtest du hast etwas gesehen? Das ist schonmal etwas..Hans hat auch solche kreisförmige Narben bei ihm..ich glaube zwar nicht, dass es die gleiche sind..aber..ich habe zumindest mir nichts erfunden!"

Ich drehe mich um, dankbar.

"Ich glaube, wir könnten bald in Irland in Ruhe Forschungen anstellen. Und ich weisst, dass du mir noch mehr erzhlen willst..du hast von etwas gesprochen, was du mir zeigen willst. Ich bin gespannt"

"Ja Dr. Warner, der Schotter...ich hatte auch gedacht, ihn zu besuchen..aber wofür? Um ihn zu töten? Wohl kaum.."

 

Ich seufze.

 

"Mir ist nicht besonders gut heute. Vielleicht das Alkohol, oder doch die Schwangerschaft?"

 

Dann lächele ich ein wenig.

 

"Cainnech ist ein lieber Junge. Ich verstehe wieso du ihn so gerne hast. Und du hast gute Arbeit geleistet, er scheint anständig zu sein! Schade dass wir uns so spät getroffen haben, ansonsten wäre ich jetzt auch mal vielleicht besser erzogen worden"

 

Ich ziehe mich langsam wieder an.

 

"Sollten wir ihn schon von der Schwangerschaft erzählen? meinst du, würde er mir helfen, wenn wir nach Irland gehen, so wie Mann und Frau, sich als meinen Mann zu präsentieren? Das würde vieles vereinfachen. Dein Ruf wäre nicht geschädigt, mein auch nicht, und das Kind wäre offiziell..irgendwie..aber ich möchte ihn zu nichts zwingen."

 

Und nach einer Pause

 

"Ich möchte nicht, dass ihm etwas passiert"

Edited by Nyre
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"Mein Ruf wäre nicht geschädigt? Kind!" Ich muss lachen und nehme ihre Hand.

 

"Als wäre ich auf meinen Ruf bedacht! Nur würde mir niemand glauben, dass ich Dein Herz hätte gewinnen können. Wenn Du meine Frau werden willst ... nur zu, Mrs. Matilde Savage! Wir würden ein lustiges Paar abgeben: In den Augen der Läute wäre ich vermutlich der anarchistische Lustgreis und Du wärest auf mein Erbe aus."

 

Ich schüttle traurig den Kopf. "Vielleicht wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre und wir uns früher begegnet wären. Dann wäre unser beider Leben möglicherweise anders verlaufen. ... Oder wir hätten uns nicht einmal gemocht ... Wer weiß das schon.

 

Aber Cainnech wird Dir helfen. Sonst kenne ich ihn schlecht. Er ist ein Mensch, der Verantwortung übernehmen will. Gib ihm ein wenig das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich weiß, dass Du auch ganz gut auf Dich selber aufpassen kannst. Du bist erfahrener als er, kannst bestimmt besser mit Waffen umgehen, verfügst über eine gute Erziehung und sogar arkane Kräfte ... und er steht erst am Anfang. Aber er strengt sich wirklich an!

 

Denk einfach ein wenig an das Kind und gib ihm eine Chance sich zu beweisen.

 

Du musst entscheiden, wann Du ihm von der Schwangerschaft erzählst. Rational wäre es sicher richtig, ihm frühzeitig zu sagen, dass Du ein Kind unter dem Herzen trägst. Aber mein Gefühl lässt mich schwanken. Vielleicht gibst Du ihm noch ein wenig Zeit? Nicht, weil er daran Anstoß nehmen könnte, versteh mich bitte nicht falsch."

 

"Aber vielleicht muss er es auch nie erfahren, zum Wohle aller, falls ...", denke ich, aber ich spreche diese Überlegung lieber nicht aus.

 

"Er muss jetzt eine Menge Dinge verdauen, die für ihn bisher ... fremd waren. Und Ihr kennt Euch erst wenige Stunden. Vielleicht solltest Du den rechten Moment abwarten.

 

Seine Familie wird uns auch helfen, wenn ich mit ihnen Rede. Sie werden mir das niemals abschlagen.

 

Habe ich Dir einmal von seiner Mutter geschrieben? Máirín. Ich habe ihr oft aus der Not geholfen. Sie ist ein guter Mensch. Cainnech hat viel von ihr.

 

Cainnech war bei der irischen Luftwaffe. Er ist zwar kein Infanterist, aber er ist Soldat. Er schützt mich schon eine Weile und ist auch deswegen in Gefahr. Mir ist zwar nicht 'La Main Droit' auf den Fersen, aber die Bilanz meines bisherigen Lebens zeigt, dass gefährlich lebt, wer sich in meiner Nähe aufhält." Ich halte einen Moment inne, als erneut die Gesichter der Vergangenheit vor meinem inneren Auge vorüberziehen.

 

"Wir alle haben unser Schicksal nicht in der Hand. Cainnech weiß, worauf er sich einlässt, wenn er bei uns bleibt. Wenn er diesen Weg gehen will, sollten wir ihn lassen. ... Ist das selbstsüchtig von mir? Ja, vermutlich ist es das. Ich möchte ihn nicht gehen lassen. Ich wünsche mir eine gemeinsame Zeit mit Dir und Cainnech. Ich wünsche mir ... meinen Weg nicht mehr alleine zu gehen.

 

Wenn Du es willst, werde ich ihn fragen, ob er gehen möchte. Aber ich glaube, ich kenne seine Antwort schon."

 

 

"Was ich Dir als erstes zeigen möchte, bedarf einer längeren Erklärung. Du solltest Dich jetzt erst einmal ausruhen ... und dann vielleicht noch mit Mr. Kilmister reden?

 

Ich könnte mich in der Zeit nach Reisemöglichkeiten erkundigen", schlage ich vor.

 

"Wäre es Dir recht, wenn Cainnech hier Wache hält, während Du schläfst? Das würde mich beruhigen. Die Pension ist nicht gerade ein Versteck ..."

Edited by Joran
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Ich nicke.

“Natürlich hast du Recht. Warten wir noch ein wenig, die Nachricht eilt ja nicht”.

Ich stehe auf.

“Ich will nicht allzulang schlafen. Eine Stunde oder so sollte erstmal reichen. Natürlich habe ich nichts dagegen wenn Cainnech bei mir Wache hält, wenn es ihm nicht langweilig ist...”

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Cainnech

 

Ich habe ein Buch unter den Arm geklemmt, aber ich glaube nicht wirklich, dass ich lange darin lesen werde. Dabei ist es diesmal kurzweilige Literatur: 'Moby Dick' von Herman Melville. Sonst wählt Clive andere Bücher für mich aus. Aber dieses Buch fand auch seine Billigung.

 

Als ich Matildes Zimmer betrete, liegt sie bereits im Bett.

 

Droht ihr hier wirklich eine Gefahr? Nach dem, was ich heute erfahren habe, kann ich nicht ernsthaft daran zweifeln. Nach kurzem Zögern drehe ich vorsorglich den Schlüssel herum, der von innen im Schloss steckt.

 

"Nur zur Sicherheit ...", stammele ich, als Matilde die Augen öffnet und zu mir herübersieht.

 

"Clive sagt, Du möchtest ein wenig schlafen. Du siehst müde aus ..."

 

"Verdammt, Du bist ein echter Charmeur!"

 

"Wenn ich noch etwas für Dich tun kann, ein Glas Wasser oder zu einer bestimmten Zeit wecken ... dann sag es mir nur."

 

Ich könnte mich in die Sitzecke begeben. Stattdessen wähle ich den Stuhl der Frisierkommode und stelle ihn mit der Rückenlehen vor ein Fenster, als wollte ich gutes Licht zum lesen haben. Tatsächlich steht der Stuhl so, dass ich Matildes Gesicht sehen kann.

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Ich lächele ihn an, und nicke.

"Ich muss etwas schlafen. Ist nicht so einfach, im Moment. Aber wäre besser, mich auszuruhen, du hast recht, ich sehe nicht gut aus..."

Ich sehe sein Buch.

"Ich habe auch gerne gelesen. Als ich noch etwas Ruhe hatte, meine ich..bevor meinen Sohn zu Welt kam. Danach ist..irgendwie die Zeit plötzlich weg"

Ich rolle mich zusammen.

"Ich hoffe es stört dich nicht, hier zu bleiben. Es ist schön, mal nicht allein zu sein, auch wenn ich jetzt mich wieder darangewöhnen muss, allein zu sein. Nun ja...ich meine.." Ich lasse den Satz hängen.

 

Blödsinn.

 

"Eine Stunde, ja..in einer Stunde kannst du mich wecken. Wenn ich einschlafe, natürlich." Ich schaue auch aus dem Fenster.

"Ich bin noch nie mit so etwas wie einen Ein-Mann-FLugzeug geflogen. Nimmst du mich zu einem Flug mit, wenn wir in Irland sind?"

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"Jederzeit ... leider habe ich keine eigene Maschine.

 

Aber wenn man jemanden findet, der die gleiche Krankheit hat ... oder ein paar Tricks kennt, kann man sich auch mal eine leihen.

 

Gestern hatte ich Glück. Jemand hat mir erlaubt, seine Arrow Sport A2 auszuprobieren. Das ist ein Sportflugzeug. Fliegt bis zu 170 km/h. Es gibt natürlich schnellere Jagdflugzeuge, aber das war schon ganz ordentlich.

 

Hier in London gibt es reiche Männer, die sich so einen Luxus leisten können.

 

In Irland ist das schon schwieriger ... und bei Clive auf dem Land ...

 

Gestern, das war mein erster Flug seit ... genau 183 Tagen. Mann, ich saß wirklich auf dem Trockenen!

 

Die Maschine, die Du auf dem Foto gesehen hast, war mein erstes Flugzeug. Damit habe ich gelernt. Das Foto haben wir nach meinem ersten Alleinflug gemacht. Ich war so stolz. Und so verliebt ... sie war eine langsame alte Lady, aber zuverlässig. Ich kannte sie in- und auswendig.

 

Weißt Du, eine Passagiermaschine ist schön, aber wenn Du im Freien sitzt ... und den Wind spürst ... wenn der Motor direkt vor Dir hämmert ... das ist etwas ganz anderes. Und wenn Du dann durch die Wolken stößt ... Ich werde es Dir zeigen, dann wirst Du mich verstehen. Ich kenne keine Worte die das beschreiben könnten.

 

Musik ist das einzige, was es beschreiben kann. Aber ob man es versteht, wenn man es nicht selbst erlebt hat?"

 

Als ich wieder zu Matilde blicke, hat sie die Augen geschlossen. Sie scheint eingeschlafen zu sein. Mir ist es recht. Ich lege das Buch auf das Fenstersims und lehne mich zurück. Ich ziehe meine Waffe aus der Hosentasche und lege sie leise auf den Einband.

 

"Schlaf gut, Matilde!", flüstere ich.

Edited by Joran
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Dong
Dong
Dong

Die Pendeluhr schlägt.

"War der Artz schon da?"
"Ja"
"Was meint er?"
"Noch Stunden..vielleicht schafft er bis heute Abend"
"Sollten wir die Kinder reinbringen?"
"Er will keinen Mensch sehen..."
"Es musst sein"

Ich stehe da, sitze. Still. Neben meinem Bruder.
Er lächelt mich an.
Ich bin vierzehn.

"Papa stirbt"
Ich lächele zurück.
"Endlich" erwiedere ich.

Mein Vater ist ein böser Mensch.
Sein Hass hat alles vergiftet, seit er krank wurde.
Aber heute ist es soweit.

Vielleicht werden wir dann wieder sowas wie..leben können.

"Matilde, Guglielmo. Und auch ihr zwei, Flavia, Donatella. Kommt und sagt eure Vater lebe Wohl"
"Ich will nicht rein!" sage ich bestimmt.

Meine Mutter schlägt mich heftig ins Gesicht.
Ich schaue sie böse an.

"Du bist seine Tochter, und du wirst es machen"
"Papa hasst uns alle. Und dich auch!" erwieder ich noch böser als sie.

Nochmal schlägt sie zu.
Mein Bruder steht auf, und stellt sich schützend zwischen uns beide.

"Mamma, lass das sein. Er kann eher nichts sehen." Und dann zu den anderen "Ihr kommt mit. Matilde, bleib hier"

Ich atme schwer ein und aus, und setze mich wieder hin.
Meine Wange brennen.
Mein Mutter schaut mich angewiedert an.

"Dafür wirst du in der Hölle brennen, du kleine verdorbene Hexe"

Ich schaue geradeaus, und antworte nichts.
Da ist aber Jemand noch.
Jemand sitzt neben mir.
Links und rechts.

"nu ar fi mai bine dacă ai ieși, Matilde?" sagt einer von Ihnen. (rumänisch = sollen wir dir zeigen, was du machen solltest?)
"nous pouvons te montrer comment les gens auront peur de toi" sagt der Andere. (französisch= wir können dir zeigen, wie alle dich fürchten werden)

Ich drehe mich um, und grinse.

"Du bist ja gar kein Franzose Julien. Hör damit auf." ich starre ihn an.

Er hebt die Hand, und schlägt mich nochmal ins Gesicht.
Ich schmecke Blut.

"Respekt sollte man immer haben. Auch mal in einem Alptraum"

Ich stehe auf.

"Aici , pe care le iau . Și face ceea ce trebuie ." sagt der andere, und gibt mir eine Pistole. Ich kann der Mann nicht erkennen. Doch ich verstehe ihn. (rumänisch= hier, nimm sie, tut was du tun musst)

"Nein"
Julien starrt mich intensiv an.
"Doch"
Ich zittere, und merke, dass ich langsam die Kontrolle über meine Gliede verliere. Ich hebe die Pistole.
"Wenn du es geschehen lässt, ist es einfacher" Sagt der Marquis.
Er steh auch auf, und streichelt meine Wange.
"Glaub mir. Das wird dir..gefallen"

Ich schlucke.

"Ton métier est tuer!" flüstert er in meinen Ohren.

Ich nicke. Ich laufe in das Zimmer. Meine ganze Familie ist da. Ich schiesse, und schiesse.

In den Kopf.

Alle.

Tot.

"Voilà" zichte ich, befriedigt.
"La pétite debutante" Julien lächelt mich zufrieden an.

Ich wache keuchend auf.

Edited by Nyre
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Cainnech

Ich blicke eine kleine Weile aus dem Fenster auf die Straße. Noch immer wanken die Menschen wie lebende Tote mit seitlich ausgestreckten Armen über die spiegelglatten Flächen. Anwohner streuen Asche, aber der schwache Regen wäscht sie langsam wieder fort oder bedeckt sie mit neuen Eisschichten.

 

Ein leises Brummen dringt durch die kalte Scheibe. Ich identifizieren das Geräusch als einen Sternmotor, vielleicht von Wright Aeronautical. Seine Schwingungen übertragen sich in meiner Vorstellung auf meinen Brustkorb. Ich spähe hinauf durch die Scheibe, an der sich Tropfen von Kondenswasser gebildet haben. Aber die Häuser beiderseits der Straße geben nur einen schmalen Streifen Himmel preis. Irgendwo da oben überwindet gerade jemand die Schwerkraft. Das Geräusch wird leiser.

 

Ich betrachte die Fassaden auf der anderen Straßenseite. Eine Gardine schwingt wieder zurück. Dahinter der schattenhafte Umriss eines hochgewachsenen Mannes mit Hut. Ob er auch einen Blick auf die Straße geworfen hat und darüber nachdenkt, doch besser zuhause zu bleiben? Auf dem Unterarm, in den Ellbogen, scheint er elegant seinen Stock gelegt zu haben. Das lange gerade Ende zeichnet sich sich deutlich gegen den hellen Hintergrund ab.

 

Ich horche ins Haus. Jetzt ist alles so ruhig, dass ich Matildes leisen Atem hören kann.

 

Matilde liegt auf der Seite, ihren Körper mir zugewandt. Die Bettdecke folgt leicht geschwungen ihrem schlanken Körper. Im Schlaf sind ihre Gesichtszüge entspannt. Eine Haarsträhne ist auf die Stirn gefallen und bildet einen harten Kontrast zu dieser ungewöhnlich hellen Haut. Ich bin versucht, ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Eine ihrer Hände liegt auf der Decke. Ich betrachte wieder fasziniert diese Hand. Ich stelle mir vor, wozu sie fähig ist. Ich male mir aus, welche wundersamen Melodien eine so ... feingliedrige Hand einem Instrument entlocken könnte. "Ob Matilde als Kind ein Instrument gelernt hat? Gehört so etwas nicht zu der Erziehung einer Contessa? Was könnte es sein, Matilde? Nichts schlichtes, kein Instrument für Menschen wie mich. Was spielt eine junge Dame aus adeligem Haus in Italien? Violine? Oder ein Tasteninstrument vielleicht? Ich muss sie einmal fragen.

 

Wie es wohl wird, in Irland? Ich stelle mir vor, wie Matilde auf der Bank in der Sonne sitzt und eines der Bücher aus der großen Bibliothek liest, während ich mich um den Garten kümmere. Clive und die Familie seines Onkels haben im Laufe vieler Jahrzehnte unzählige Bücher gehortet. Dort wird sie wieder Zeit zum lesen haben. Aber wird sie es noch genießen können wie früher? Ohne ihr Kind?

 

Wie schwer muss dieser Entschluss für sie gewesen sein? Wie hoffnungslos muss eine Mutter sein, damit sie freiwillig ihr Kind aufgibt?"

 

Wieder habe ich dieses Gefühl der Unzulänglichkeit. Wie damals, als ich verbissen versuchte, Vater zu ersetzen. Ich denke an die Jahre, als mein Vater im Krieg war und meine Mutter mit uns Kindern zuhause gegen den Hunger kämpfte.

 

"Vielleicht wüsste Mutter was man zu Matilde sagen könnte?

 

Aber bei ihr war es anders. Sie hat sich in den dunklen Jahren an die Hoffnung geklammert, dass Vater zurückkehrt und dann alles besser würde. Wie oft hat sie uns Kinder damit getröstet: 'Bald kommt Euer Vater wieder!'

 

Aber welche Hoffnung bleibt Matilde? Hofft sie, dass Hartmut irgendwann mit Alexander zurückkehrt? Ich glaube nicht. Sie will offenbar alle Verbindungen zu Hartmut abbrechen. Sie will keine Rückkehr in ihr bisheriges Leben. ... Wie könnte sie das auch wollen, nach alldem was geschehen ist.

 

Nein, ich glaube, es ist am besten, garnicht mit Matilde über ihr Kind und über die Vergangenheit zu reden, wenn sie es nicht anspricht. Und über solche Dinge wird sie vermutlich mit Clive reden. Ich täte das auch.

 

Das einzige, was ich tun kann, ist, Matilde auf andere Gedanken zu bringen. Ihr beim Verdrängen helfen. ... Dafür brauche ich nicht die Lebenserfahrung von Mutter oder von Clive und dafür braucht es auch nicht vieler Worte."

 

Ich sehe, wie Matildes Augen unter den Lidern zucken. Ihre Lippen scheinen sich leicht zu bewegen, als würden sie lautlose Worte formen. Sie träumt.

 

Ich blicke auf meine Uhr. Die Stunde ist noch nicht vorüber, erst wenig mehr als eine halbe Stunde. "Soll ich sie wecken? Was mag sie wohl träumen?" Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein guter Traum ist, nach all dem, was ich heute gehört habe. Auf Matildes Stirn bliden sich Schweißperlen. Matildes Körper spannt sich an. Ihre Hand zuckt mehrmals.

 

"Matilde?", frage ich vorsichtig. Aber sie reagiert nicht.

 

"MATILDE?", frage ich noch einmal lauter, aber sie scheint in diesem Traum gefangen. Clive hat über Träume gesprochen ... Träume die mir Angst machten.

 

Ich stehe auf und gehe zum Bett herüber. Vor Matilde gehe ich in die Hocke und zögere. Dann fasse ich sanft ihre Schulter. Ich will sie nicht erschrecken.

 

"Matilde! Wach auf! Du träumst!", sage ich ruhig, aber bestimmt und streiche leicht über ihre Schulter. Durch den dünnen Seidenstoff fühle ich auf der Schulter ... leichte Unebenheiten. "Die Narben?", erinnere ich mich an das Gespräch von heute Mittag.

 

Und in diesem Moment weiß ich, dass sich mein Leben hier in London verändert hat. So wie sich Clive verändert hat.

Edited by Joran
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Ich schaue mich um, vollgeschwitzt.

Verdammter Traum..Alptraum. Ich werde langsam immer verrückter.

"Ich..ich..es ist nichts" stottere ich.

Wer ist da?

Cainnech, stimmt.

 

Ich atme langsam aus, und wieder ein.

 

"Ich habe schlecht geträumt, es war aber sehr real.." keuche ich.

"So geht es nicht weiter, fürchte ich. Vielleicht sollte Clive mit etwas Schlafmittel geben. Aber soviel Zeit haben wir nicht jetzt"

Ich sitze mich hin, aber bleibe im Bett.

 

"Ich fühle mich elend. Eigentlich würde ich nur schlafen, und an nichts denken, weisst du?"

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