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[Nightmare Bites] Kap.1: SCHÖNE AUSSICHTEN ODER STEILES KARRIEREENDE


Der Läuterer
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Clive

 

Ich lasse unverändert Matilde den Vortritt. Das Panorama von London nimmt mich für eine Weile gefangen. Der Dunst der Themse vermischt sich mit dem Qualm tausender Kamine, Fabrikschlote, Dampferschornsteine und Auspuffrohre. In den Straßen wimmeln die Menschen und Fahrzeuge in geraden Linien wie die fleißigen Arbeiter eines Ameisenstaates.

 

"Die Funktionsweise eines Ameisenstaates ist faszinierend. Das Ameisenvolk wird gelenkt durch die unsichtbare Macht einer Königin, die die meisten Arbeiter nie in ihrem Leben sehen, deren Existenz ihnen in ihren unzureichenden Gehirnen vermutlich nicht einmal bewusst ist und die in tiefen Gewölben im Verborgenenen lebt. Die Königin sieht den Arbeitern bei genauerer Betrachtung noch nicht einmal sehr ähnlich. Aus dem Blickwinkel einer normalen Ameise müsste die Königin wie ein unförmiger, ständig Eier ausstoßender und unersättlicher Koloss wirken. Und doch ist jede einzelne Ameise ein Nichts im Vergleich zur verborgenen Königin und alles Streben dient ihr alleine. Wer nicht mehr funktioniert, muss sterben ..."

 

Ich frage mich, wie groß der Unterschied zwischen einem Ameisenstaat und einer Zentrum der Civilisation wie London tatsächlich ist, wie London aus dem Blickwinkel einer höher entwickelten Lebensform bei der Betrachtung dieses Systems von außen wohl bewertet würde.

 

"Auch wenn man von dieser Höhe aus dem Eindruck erliegen könnte, selbst in einer solch distanzierten Position zu sein, bleiben wir doch Ameisen ... und zwar solche, die nicht mehr funktionieren."

 

Ich reiße mich von dem Bild der Stadt los und wende mich Frau Marquard zu. Ich begrüße Frau Marquard.

 

"Guten Morgen, Mrs. Marquard. Mein Name ist Dr. Clive Savage. Wir haben bereits kurz miteinander telefoniert."

Edited by Joran
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Der Portier steht noch immer neben der Tür. Er räuspert sich, als würde er gleich husten müssen, aber sein Blick ist interessiert auf Euch gerichtet...
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Clive

 

Ich hatte mich gleich gefragt, ob man für diesen kleinen Dienst wohl ein Trinkgeld erwartet. Für jede Fahrstuhlfahrt ein Trinkgeld? Ich kenne die Gepflogenheiten in großen, vornehmen Hotels einer Metropole wie London nicht. Darum wollte ich den Portier auch nicht durch ein möglicherweise unangebrachtes Trinkgeld beleidigen. Aber es liegt nun auf der Hand.

 

"Entschuldigen Sie bitte! Wie gedankenlos von uns." Ich gehe zurück zum Portier und gebe ihm ein mir sicher angemessen erscheindes Trinkgeld. "Vielen Dank für Ihre Mühen ... wir kommen dann zurecht."

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"Sehr wohl." Der Portier verneigt sich leicht. "Und vielen Dank."

 

"Sollten Sie noch einen Wunsch haben, dann melden Sie sich bitte über das Haustelefon."

 

"Einen angenehmen Tag noch." Und schliesst die Tür hinter sich.

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"Bitte nehmen Sie doch Platz." Frau Marquard steckt sich eine Zigarette an. "Entschuldigung. Bedienen Sie sich doch bitte selbst." Eine Kanne steht auf einem Stövchen. "Das ist Kaffee. Tassen sind hinter mir im Schrank. Möchten Sie etwas anderes trinken? Oder etwas frühstücken? Ich lasse Ihnen gerne etwas herauf bringen. Das ist kein Problem."

 

"Sie kommen wegen der mumifizierten Hand? Oder gibt es etwas anderes?"

 

"Wie gross schätzen Sie die Chancen ein, dass wir den Zuschlag für das Stück bekommen können?"

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Clive

 

Ich gehe zum Schrank und hole Tassen herbei, damit Mrs. Marquard sich nicht selbst genötigt sieht, ihren vermeintlichen Aufgaben als Gastgeberin genügen zu müssen.

 

So kann Matilde als Vertreterin von 'Kilmister & Stratton' die Themen ansprechen, wegen derer wir eigentlich hier sind.

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"Rauchen Sie? Bedienen Sie sich bitte." Sie deutet auf einen Zigarettenspender auf dem Tisch.

 

"Mein Vater hat lange nach dieser Hand gesucht. Ich muss dieses Ding haben. Das ist schon Besessenheit."

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Ich schaue die Frau leicht besorgt an.

"Ich verstehe. Ihr vater will also die Hand bekommen. Und sein name ist Gotthilf von Höllsang, oder hat er uns einen falschen Namen gegeben, um seine Privacy zu schützen?"

"Wir werden selbstverständlich mitbieten, und mit unserem..Budget, nehme ich an, auch die hand bekommen...aber..bitte erzählen Sie uns mehr darüber"

Ich hole mir auch eine Zigarette, und zünde sie an.

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"Sie sehen das absolut richtig. Mein Vater war Gotthilf von Höllsang."

 

"Aber mein Vater ist tot. Vielleicht werde ich das auch bald sein. Ich verfalle immer mehr. Die Ärzte sagen, es sei eine Art von Muskelschwund oder eine Lähmung. Kurz gesagt, diese Pfuscher haben keine Ahnung... Vielleicht ist auch eine Infektion? Niemand weiss etwas genaues darüber."

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Ich fühle mich sehr unwohl in der Gegenwart der Frau Marquard in ihrem Rollstuhl zu stehen.

 

Zügig setze ich mich auf einen der Stühle und schaue mich im Hotelzimmer um. Dieses Zimmer ist um einiges geräumiger und besser eingerichtet als meine Wohnung. Diese Frau verfügt offensichtlich über ein üppiges Vermögen. Ebenso wie Matilde.

Ich spüre, wie mich ein Gefühl der Minderwertigkeit beschleicht. Ich mag und respektiere Matilde, aber sie ist finanziel ebenso besser gestellt, wie diese Frau Marquard. Ganz offensichtlich brauchen beide nicht für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, sie sind frei. Auch Kristine sehnt sich nach ähnlicher Freiheit. Eine Freiheit, die ich ihr nie bieten kann. Ich werde mein ganzes Leben darauf angewiesen sein Geld zu verdienen. Mit einigem Glück werde ich im Alter etwas weniger arbeiten müssen und kann von meinen Ersparnissen leben. Aber das ist auch eher ein Wunsch als Gewissheit.

 

Ich wünsche mir, dass ich Kristine finanzielle und auch sonstige Freiheit bieten kann. Aber ich fürchte, dass das nie funktionieren wird. Und ich befürchte noch viel mehr, dass ich sie deswegen verlieren könnte.

 

Beim Gedanken an Kristine und ihren jetzigen Zustand trübt sich mein Gesichtsausdruck ein.

Ich versuche die dunklen Gedanken abzuschütteln.

 

"Vielen Dank", sage ich. "Mein Name ist Eklund. Vielen Dank für Ihre Einladung."

 

 

"Ihr Vater ist verstorben? Darf ich fragen, wann er verstorben ist?"

 

"Und wieso sind Sie an dieser Hand so sehr interessiert? Was macht diese Hand für Sie so besonders?"

 

Ich versuche einen Blick auf die Hände von Frau Marquard zu erhaschen, um zu erkennen, ob ihr ein Finger fehlt, ein (zusätzlicher) Finger amputiert wurde oder ob sie über mehr Finger verfügt, als es bei Menschen für gewöhnlich der Fall ist.

Edited by Puklat
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Clive

 

Ich kehre mit den Tassen zurück an den Tisch und verteile sie auf die Anwesenden.

 

Als Mrs. Marquard ihren Verfall beschreibt und die Ratlosigkeit der Ärzte, wird mein Interesse geweckt. Ich habe auf meinen Reisen manch ungewöhliche und fremdländische Krankheit, Infektion oder Vergiftung gesehen. ... Und ebenso viele Heilverfahren der Einheimischen, von abergläubischen Riten bis zu Medikamenten, deren Wirkstoffe aus tierischen Organen oder Pflanzen stammten, von tatsächlich den Schaden vergrößernden Behandlungen bis hin zu tatsächlich wirksamen Verfahren.

 

Und ich habe Menschen aus ihrem unerschütterlichen Glauben heraus, verflucht zu sein, körperlich verfallen sehen, obwohl es keine nachweisbaren Anzeichen einer körperlichen Ursache gab.

 

"Leider verstehen wir Ärzte, wenn man ehrlich ist, bislang erst einen sehr kleinen Teil der komplexen Abläufe unseres Organismus, selbst wenn er gesund ist. Es gibt noch sehr viele Krankheiten, die weitgehend unerforscht oder die noch nicht einmal typisiert sind. Aber wir sind nicht hier, weil diese Frau auf meinen medizinischen Rat hoffen würde."

 

Ich gieße Kaffee ein und setze mich zu den anderen. Dann verfolge ich das Gespräch. Ohne unsere Gastgeberin anzustarren, verfolge ich ihre Bewegungen, betrachte ihre Haut und Reaktionen nun auch unter einem medizinischen Aspekt. Welche Symptome ihres Leidens, abgesehen von ihrer Lähmung, sind feststellbar? Wie starkt scheint mir ihre Lähmung tatsächlich ausgeprägt zu sein? Ist ihr Gehen und Stehen unmöglich, oder strengt es sie nur an bzw. wäre schmerzhaft?

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"Mein Vater verstarb am 28. Dezember letzten Jahres. Also vor etwa zehn Tagen. Ich konnte ihn noch nicht bestatten lassen. Die Witterung hat es bislang noch nicht zugelassen."

 

"Mein Vater war damals, vor meiner Geburt, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter in der anthropologischer Fakultät der Universität von Cambridge."

 

"Meine Mutter studierte ebenfalls dort. Aber in einer anderen Fakultät. Sie studierte Philosophie."

 

"Beide freundeten sich an und irgendwann wurde sie schwanger."

 

"Sie verliess meinen Vater und kehrte zu ihren Eltern zurück. Sie war nun eine Schande für die Familie. Und so wurde sie von ihren Eltern schnell verheiratet und sollte ihr ganzes Leben darunter leiden."

 

"Ihr Ehemann, mein Stiefvater, redete nicht über das Thema meiner Geburt aber er wusste es ganz sicher, denn er liess es meine Mutter täglich spüren."

 

"Mein leiblicher Vater wusste sehr lange nichts über meine Existenz oder weshalb meine Mutter ihn damals verlassen hatte."

 

"Nachdem mein Stiefvater meine Mutter eines Abends übel zugerichtet hatte, nahm sie Schlaftabletten. Eine Überdosis und verstarb daran. Damals war ich 16 Jahre alt."

 

"Kurz nach ihrer Beisetzung wurde ich von meinem Vater verstossen, ohne zu wissen weshalb. Ich dachte lange Zeit, dass er mir den Tod meiner Mutter zur Last legen würde..."

 

"Zum Glück gab es damals noch meine Grossmutter, die mich bei sich aufnahm. Aber auch die folgenden Jahre waren keine leichte Zeit. Meine Oma sah mich immer so seltsam an, als sei ich verflucht. Manchmal bekreuzigte sie sIch sogar, wenn sie mich sah."

 

"Bei den Briefen meiner Mutter an ihre Eltern waren auch Briefe an mich, die mir meine Oma bei meiner Volljährigkeit gab. Ich hatte damals mein Psychologie-Studium im Alter von 21 gerade abgeschlossen."

 

"Ich war neugierig. Und so ging ich an die Cambridge Universität."

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Clive

 

Betroffen lausche ich dem sehr freimütigen Bericht der Frau und frage mich, wohin uns ihre Lebensgeschichte führen wird.

 

"Ein Anthropologe lässt das Interesse an der Hand jedenfalls plausibel erscheinen. Wenn sich Höllsang von diesem Objekt wissenschaftliche Anerkennung erwartete, würde das die Höhe des Gebotes auch erklären."

 

Fast bin ich erleichtert, wenn da nicht die Kreuzzeichen der Großmutter wären. "Ein uneheliches Kind ist sicher für viele Menschen ein Problem, aber kein Grund sich zu bekreuzigen."

Edited by Joran
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"Was glauben Sie, Frau Stratton?"

 

"Natürlich habe ich das nicht getan. Ich wollte ihn erst einmal kennenlernen und ihn nicht gleich verschrecken. Also habe ich mich erst einmal bei ihm eingeschrieben. Das war im Jahr 1922."

 

"Mein Vater war damals bereits seit Jahren ordentlicher Professor an der Universität und er hatte schon zwei Expeditionen hinter sich."

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