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[Delta Green] IMPOSSIBLE LANDSCAPES


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A Volume of Secret Faces VI

 

(Finale)

In der Lobby des Boxer Hotels diskutieren die Agenten ihre nächsten Schritte. Eben noch zielsicher auf den Fahrstuhl in den sechsten Stock zusteuernd, überkommt sie ein plötzliches Zögern. Sollten sie wirklich nach oben gehen? Oder ist es im Raum 616 zu gefährlich? Jagt man sie bereits? Brauchen sie nicht mehr Informationen? Müsste man nicht die Mitarbeiter des Dorchester House, allen voran Oberschwester Samigina, genauer observieren, bevor man versucht, die Stimme am Telefon oder was auch immer hinter dem fremdartigen Fenster in V-Cells Zimmer warten mag, zu konfrontieren?

Erst die freundliche Nachfrage einer Hotelangestellten nach einigen Minuten reißt die Gruppe aus ihren Überlegungen. Sich als Tourist ausgebend, blockt Percy jede Hilfe dankend ab und greift sich den erstbesten Werbezettel, der auf einem Tisch neben ihm liegt, um zu signalisieren, dass sie gut versorgt sind. Mit leichter Irritation mustert sie den Zettel, bevor sie sich mit einem Lächeln erneut ihrer Arbeit zuwendet.

Percy mustert den Flyer:
 

ENCOUNTER GROUP

NO COST

FIND THE ANSWER TO LIFE’S QUESTIONS IN A NO JUDGMENT GROUP ENVIRONMENT

7-9 PM ON TUESDAYS

ST. JUDE CHURCH, DORCHESTER

MASKS PROVIDED
 

Ein wenig schlüssiger, anscheinend handschriftlicher Text findet sich am rechten unteren Rand des Zettels:
 

TIRELESS HEROES EXPLORE, KNOWING INFINITE NIGHT GRANTS COMFORT ON MOONLIT, ENDLESS SEAS the kind comes…

 

Darüber prangt das Z̵e̵i̶c̴h̸e̵n̵.

Die Agenten sind besorgt über diesen Fund. An Zufall zu glauben, fällt bereits seit geraumer Zeit schwer. Doch zumindest einigt man sich nunmehr schnell auf das weitere Vorgehen: Sie gehen jetzt hoch, untersuchen dann die Mitarbeiter im Dorchester und planen aufbauend auf ihren gewonnen Erkenntnissen alles weitere, um ggf. über den Buchladen, Barbas Haus oder das Dorchester in die Korridore der Nacht zu gelangen.

Im sechsten Stock fällt es Percy nicht schwer, Zimmer 616 wiederzufinden. Parker hält Wache und lässt die Tür angelehnt, während sich Parcival auf das Bett legt und zu schlafen versucht. Nach wenigen Minuten entspannt sich sein Körper und sein Atem wird ruhig. Hinter den zur Seite gezogenen Vorhängen beginnt sich das Fenster zu öffnen.

Wie beim letzten Mal, streckt Percy vorsichtig seine Hand durch die quecksilberartig pulsierende Flüssigkeit, die den Blick auf jenen aus der Zeit gefallenen Zwilling des Hotelzimmers, in dem sie gerade stehen, freigibt. Er atmet tief ein und taucht hindurch. Der Raum ist voller Wasser, was sein Interieur nicht zu stören scheint. Mühsam kämpft sich Percy zum Bett voran und greift nach dem dort liegenden Koffer. Mit letztem Atem gelingt es ihm, zum Fenster zurückzuschwimmen, wo Preston ihn herauszieht. Spuckend blickt er auf seinen Fund. Ein verschlossener, altmodischer, aber fast neuer Koffer, darauf eingeprägt die Initialien JCL. Trocken.HIER SCHRIEB ER. SCHREIBT ES. WIRD ES SCHREIBEN.

Mit leichter Verärgerung herrscht Parker Preston an, die Wache zu übernehmen und betritt den Raum. Mag er auch nicht mehr der Jüngste sein – er ist ausgebildeter Taucher. Percy hätte ihm Bescheid sagen sollen, als er feststellte, dass der Raum wirklich voller Wasser ist, anstatt selbst hindurchzutreten.

Als Parker eintaucht, bemerkt er nicht, dass Preston den Raum von innen und nicht von außen bewacht. Auch entgeht ihm das leise Geräusch der ins Schloss fallenden Tür, als er mit kraftvollen Bewegungen zum Schreibtisch schwimmt. Er wirft sie ebenso wie das Bündel Papier, das neben ihr liegt, in den Papierkorb, um diesen einfacher nach draußen zu bringen, als ihn ein unbestimmtes Gefühl des Grauens überkommt und sich die Tür des Zimmers, vollkommen unberührt vom ihn umgebenden Wasser, öffnet. Einen Moment später beginnt das Wasser wie von Nebel durchsetzt zu werden. Blind krault er so schnell er kann in Richtung des Traumfensters. Percy und Preston können ihn nicht mehr sehen, bis er sich plötzlich, den Mülleimer voran, aus der Wand stürzt. Ohne Luft zu holen stürzt er zum Bett und reißt Parcival aus dem Schlaf heraus, doch statt augenblicklich zu verschwinden, tropft die Flüssigkeit an der Wand nur gallertartig herab, während eine knochige, von grüngoldenen Fetzen bedeckte Hand aus dem Fenster herausgreift.der letzte könig naht

 

 

Percy erwacht. Er blickt in die Gesichter seiner drei Kameraden, alle in… Krankenhauskleidung gehüllt? Sie scheinen alle gerade erst hochgeschreckt zu sein, um einen Tisch sitzend, voller sinnloser Zettel, Stifte und Notizen. Wirres Gekritzel - Zahlen, Tabellen, Worte, Durchstreichungen und Korrekturen, Prozentwerte, Eintragungen und Daten in befremdlichen Formularen.DIE WÜRFEL SINGEN EINE MELODIE, ZU DER DIE FALSCHEN MENSCHEN TANZEN, WÄHREND DAS BUCH SIE ANLEITET. UND OB SIE WOLLEN ODER NICHT, SIE TANZEN.

Draußen ist es dunkel, kein Strahl des Mondes fällt durch die vergitterten Fenster. Leicht sirrende und gelegentlich flackernde Hallogenstrahler spenden ein kaltes Licht. Der Raum ist groß und hat den Charme (und die Einrichtung) einer 50 Jahre alten Schulkantine. Die Tische sind festgeschraubt und eine Idee zu niedrig, die Stühle nur minimal zu klein.

Ein alter Mann, ebenfalls in Krankenhauskluft kommt schnell auf sie zu, als er bemerkt, dass sie bei Bewusstsein sind. Was auch immer er zu sagen versucht, scheint für ihn von größter Bedeutung zu sein, doch statt Sprache vermag seine Kehle nur gutturale Laute zu formen und jede Geste, jeder Buchstabe, den er auf einen der herumliegenden Zettel zu kritzeln versucht, bleibt unverständlich.

Nach einer guten Minute unterbricht eine junge schwarze Frau dieses bizarre Schauspiel. Sich als Deborah Carver vorstellend, erklärt sie den vier Insassen, dass „Sunshine“ bereits seit vielen Jahren, wahrscheinlich seit der Jahrhundertwende, im „Sanatorium“ einsäße, in welches sie sich wegen ihrer Drogenabhängigkeit vor einigen Jahren hat einliefern lassen. Gerade will sie Parcival und die anderen nach ihrer Diagnose fragen, da schneidet eine schnarrende Stimme durch den Raum.

Ein seltsamer, lauter kleiner Herr mit einem fremdartigen Dialekt oder Akzent. Der Nadelstreifenanzug, die Glatze und sein akkurat gepflegter grauer Spatenbart ließen ihn komisch erscheinen, wenn er nicht in Begleitung eines großen, gewalttätig aussehenden Mannes in Pflegerkleidung aufgetreten wäre, dessen schmale Augen durch den Raum blinzeln. „Dr. Friend“, wie er sich nennt, bittet die „Patienten“ zur „Gruppentherapie“.hütet euch vor friend

Die Gruppe zögert kurz. Friend und sein massiver Begleiter, den er als Dubrovnik vorstellt, gehen in einige Schritte auf sie zu. Als der Doktor auf den Tisch blickt, ist er für einen Moment ganz entzückt, wiewohl schwer zu sagen ist, ob ehrliche Emotionen oder ein triefender Sarkasmus aus seiner Stimme sprechen, als er kommentiert, wie schön er es fände, dass die vier wieder „Agenten“ spielten.

Durch windende Gänge folgen Sunshine, Carver und die vier Friends schnellen Schritten. Ihre Umgebung macht klar, was sie bereits vermutet hatten. Sie befinden sich im Dorchester House oder zumindest irgendeiner bizarren Abart davon.

In einem kleinen Raum mit einer beeindruckend hässlichen, cremefarbenen Tapete, der von einer einzelnen Glühbirne nur schwach erleuchtet wird haben sich in einem Stuhlkreis bereits mehrere andere Patienten eingefunden. Auf ein Grunzen von Friends Begleitung hin, nehmen die Neuankömmlinge Platz und der Doktor eröffnet die Therapiesitzung.DER DOKTOR HÄLT SIE BESCHÄFTIGT, IN DER HOFFNUNG ZU ENTKOMMEN

Er beginnt mit einer Frage an Parker – Ob ihm seine Hobbies Freude bereiten würden? Dieser weiß nicht so recht, wie er darauf antworten soll. Viele Hobbies hätte er nicht mehr und wenn seien sie eher unzureichender Ausgleich.

Mit einem unangenehmen Lächeln nickt Friend und macht weiter. An Preston gewandt, fragt er, ob er häufig an jene Momente zurückdächte in denen er versagte. Preston bleibt wortkarg. Ja, das täte er, doch auf ein konkretes Beispiel angesprochen, schweigt er nur. Friend ist sich sicher, dass sie schon noch ins Gespräch kommen werden.

Der nächste Patient, ein gewisser Mr. Wilde wird gefragt, ob ihn seine Mitmenschen oft als Spielverderber betrachten würden. Der Anblick des Angesprochenen ist kein Vergnügen: Wilde hat einen verkümmerten Körper von der Größe eines zehnjährigen Jungen. Er hat einen vergilbten  Teint, einen deformierten Kopf und ein vernarbtes Gesicht. Er trägt falsche Wachsohren über den zerstörten Ohrmuscheln. Dennoch strahlt er eine gewisse körperliche Gefahr aus. Seine Arme sind muskulös und seine Gestik von nicht zu leugnender Agilität geprägt, als er erklärt, dass er keine Spiele verderbe, sondern sie mache. Ohne ihn wüsste niemand, wie man überhaupt spielte.er weiß nicht, dass er wist ist.

Carver ist an der Reihe. Sie soll eine Zeit beschrieben, als sie sich sicher war, dass die Welt nicht real sei. Nachdem sie kurz überlegt, beginnt sie zu erzählen, von den Drogen, die einem Dinge zeigten. Als sie eines Nachts im Hotel war und mit Jaycy sprechen wollte, aber er sie nicht sehen wollte und sich „das Zeug“ deshalb direkt injizierte. Als ihr mit einem Mal alles klar wurde, als wäre sie mit dem Gebäude verbunden. Der Keller, ein Netzwerk von Wurzeln, die überall hinführten. Ein geflüstertes Labyrinth der Wahrheit. Da war sie sich sicher, dass alles andere nichts als Lüge war. Eine schlechte Inszenierung von etwas so viel Größerem.ich habe gehört, dass sie den weg zu JLs flasche kennt

Ein dünner junger Mann, den Friend als Mr. Topchick anspricht, mit lockigem rotem Haar und einer Gleitsichtbrille trägt einen Krankenhaus-Pyjama unter einer Tweedjacke. Er antwortet mit einem starken New Yorker Akzent, als ihn Friend fragt, ob er jemals geglaubt hätte, dass jemand oder etwas ihm nach dem Leben trachten würde. Immer wieder unterbricht er sich, als müsste er mühsam seine Emotionen zurückhalten, als er erklärt, dass „sie“ ihn tot sehen wollten. Damals, 1952. Mittlerweile sei er seit 20 Jahren hier und verfluche sie jeden Tag dafür, dass sie ihn nicht einfach umgebrachten, statt ihn in diese Anstalt zu bringen. Er sei es nicht gewesen, die Beweise nur gefälscht. Die letzten Worte wiederholt er, lautet und lauter, bis seine Stimme zu einem markerschütternden, kaum mehr verständlichen, hyperventilativen Geschrei angewachsen ist. Dubrovnik „beruhigt“ ihn, bis er in sich zusammensinkt und schweigt.

Doch Friend fährt unberührt fort. Ein unauffälliger Mann namens Valater wird von ihm gefragt, wann er zum ersten Mal vom Stück „Der König in Gelb“ erfahren hätte. Ruhig und präzise erklärt er, dass er in der Bibliothek, der Geheimbibliothek von Dr. Dallan darauf gestoßen sei. Friend winkt ab und lacht. Immer spräche er von diesem Dallan. Wer solle das denn nur sein? Ist er gerade hier in diesem Raum?

Bevor Valater antworten kann, fährt der Doktor fort und spricht Percy auf die beeindruckendste Person in seinem Leben an. Dieser ist sich sehr sicher, dass er selbst die beeindruckendste Person sei, der er jemals begegnet hat. Friend will nachhaken, doch Percy unterbricht ihn und beginnt seine Therapiemethoden in Frage zu stellen. Was solle das hier alles? Wird hier irgendwem geholfen?

Unwirsch geheißt Friend Dubrovnik, für Ruhe zu sorgen, doch Percy, an Leib und Leben durchaus interessiert, hält von selbst inne, als der Pfleger sich auf ihn zubewegt. Mit einer gewissen Verärgerung in der Stimme wendet er sich einer älteren, dunkelhaarigen Frau mit einem breiten, fischähnlichen Gesicht, das von einem vorsichtigen, besorgten Blick gezeichnet ist, zu. Er fragt sie, was das Phantom der Wahrheit über Cassilda gesagt hätte. Als wäre eine Triggerphrase gefallen, schreit sie ihm die Antwort entgegen. Lügen, nichts als Lügen.

Mit nun wieder breiterem Lächeln richtet er das Wort nun an einen großen, geradezu komisch dürren Mann mit struppigem Haar und eng stehenden Augen, den er als Mr. Pailotte anspricht. Mit einer vollkommen deplatziert wirkenden, irgendwie erzwungenen Jovialität antwortet dieser auf Friends Frage, wie viel Zeit bis zum Ende der Welt bliebe: Das Ende der Welt sei bereits passiert. Es wird passieren. Es passiert gerade. Der See, der Palast, die Schlacht, der Hof von Yahtel, die Maskerade, alles deutete, deutet, wird auf den Untergang hindeuten. 

Friend unterbricht, um sich einem unauffälligen, altersloser Mann mit sauber gescheiteltem Haar zuzuwenden. Es ist schwer zu sagen, ob Mr. Fuller 30 oder 60 ist. Friend fragt ihn, ob er eine Einladung erhalten hätte. Ein dunkler Schatten legt sich über das Gesicht des Angesprochenen. Der einzige Ausweg liege darin, weiter hinein zu gehen. Moseby hätte es gewusst. Doch er habe einen Fehler gemacht. Versuchte, es zu ignorieren, und jetzt ist er hier, für immer.er hat das zeichen gesehen

Der Blick des Arztes ruht auf einem kleinen Mann. Er ist ungepflegt und sieht krank aus, eingepackt in einen teuren Seidenpyjama und Hausschuhe. Seine Augen haben einen verzweifelten, verlorenen Blick. Seine Hände sind rau, mit Wasser vollgesogen und schälen sich, als hätte er schwere Arbeit im Wasser verrichtet. Parcival glaubt, ihn schon einmal gesehen zu haben und aus vager Bekanntheit wird kurz darauf Sicherheit, als Friend ihn als Mr. Daribondi anspricht und fragt, ob er seine Mitmenschen häufig zum Lachen brächte. Nein, das täte er nicht. Er habe sie zum Nachdenken anregen wollen. Immer nur das. Was auch immer passiert ist, er wollte das alles nie. Tränen sind in seinen Augen zu erkennen.bald wird er ins hotel weiterziehen

Darauffolgende Antworten von Preston und Parcival (Wie sah die Welt vor ihrer Geburt aus bzw. denken sie häufig über Tod und Leid nach) befriedigen Friend  nur wenig. Mit einem mittlerweile haifischartigen Grinsen wendet er sich stattdessen Sunshine zu. Ob er seine Flasche gefunden hätte. Die Frage evoziert einen Ausbruch von unverständlichen Emotionen, der in einem unkontrollierbaren Schluchzen kulminiert.

Augenscheinlich zufrieden mit seinem Werk legt der Doktor seine Fingerkuppen aufeinander, um sich mit neu gefasster Initiative Percy ein zweites Mal zuzuwenden. Hat er das Gelbe Z̵e̵i̶c̴h̸e̵n gesehen? Die Frage ist mehr geflüstert, gehaucht geradezu, als wirklich ausgesprochen. Ein Tuscheln und Wispern geht durch die versammelte Therapiegruppe, als der Befragte nach kurzem Zögern mit einem klaren Nein antwortet.

Schlussendlich sind alle Patienten ein oder mehrmals befragt worden, doch Friend scheint noch nicht ganz fertig zu sein. Er setzt mehrfach an, scheint nach den richtigen Worten zu suchen und dann ist da ein leichtes Zittern in seiner Stimme zu vernehmen, als er Timothy Bael anspricht.HIER BIN ICH Das Zeitalter des letzten Königs sei angebrochen. Ist ihm das klar? Parker blinzelt. War Bael bis zu diesem Moment überhaupt Teil der Runde gewesen? Er kann sich nicht daran entsinnen, ebensowenig wie die anderen. Bael seufzt ostentativ, so als hätte deutlich besseres zu tun, bevor er knapp nickt.

Friend bedankt sich überschwänglich und beendet die Sitzung. Bael rauscht aus dem Raum, Percy will ihm folgen, doch spürt er plötzlich Dubrovniks schwielige Hände auf seiner Schulter. Der Doktor würde ihn gerne noch einmal unter vier Augen sprechen. Langsam wird er aus dem Raum geschoben, in die entgegengesetzte Richtung von Baels schnellen Schritten. Die anderen drei versuchen nicht, zwischen den Pfleger und ihren Kameraden zu treten.

Parcival verspürt ein leichtes Ziehen auf Hüfthöhe an seiner Patientenkluft. Es ist Wilde, eine laut miauende Katze auf seinem verkrüppelten Rücken kletternd. Es sei ihm nicht entgangen, dass sie Interesse an einer Audienz bei Bael hätten, doch wäre dieser vielbeschäftigt. Wenn sie Wilde jedoch ein Buch aus der Bibliothek beschaffen könnten, würde er ein gutes Wort für sie einlegen. Um welches Buch es ginge? Die Imperial Dynasty of America.

Bevor er sich mit einer angedeuteten, leicht spöttischen Verbeugung verabschiedet, die die Katze nutzt, um seinen Körper vollends zu erklimmen, woraufhin er sie mit einer fließenden Bewegung von seinem Kopf reißt und gegen die Wand wirft, drückt er Parcival noch einen Zettel in die Hand. Von einem alten Freund, der an neuen Werken arbeitet. Mit besten Grüßen. Es handelt sich auf den ersten Blick nur um eine seltsame Aneinanderreihung von maschinengetippter Schrift, doch je länger Parcival es anstarrt, desto mehr erkennt er ein Zeiche̴n̵. Das Zei̶c̶h̵en.

Derweil widersetzt sich Percy nicht, während ihn Dubrovnik in einen pinken Raum mit sternenverzierter Decke zerrt, in dessen Mitte ein Operationstisch mit Fixiergurten steht. Er leistet keinen Widerstand, als man ihm geheißt, sich auf ebenjenem Tisch niederzulassen und die Schlingen um ihn festgezurrt werden. Selbst als Dr. Friend eine monströse Injektionsspritze an eines seiner Augen anlegt und sich diese langsam mit einer rötlichen, öligen Flüssigkeit füllt, blickt er im mit stoischem Grauen entgegen. Doch die Beständigkeit seines Opfers scheint Friend nicht weiter zu stören. Voller Begeisterung blickt er auf die Flüssigkeit. Das Patzu, wie er sagt, sei sehr potent.FRIEND WIRD SEINE FLASCHE NIE FINDEN, ABER ER ERFÜLLT SEINEN ZWECK

Mit Schmerzen und verschwommener Sicht aus dem Raum gestoßen, taumelt Percy durch die Gänge des nächtlichen Dorchester House, auf der Suche nach Timothy Bael. Vielleicht sind es Minuten, vielleicht Stunden, als er in Preston, Parker und Parcival stolpert - vor der Doppeltür zum Essens- und Aufenthaltsraum, in dem diese alptraumhafte Odyssee ihren Anfang nahm.

Die drei wollen mit Valater sprechen, der Dallan und die Bibliothek erwähnt hatte. Alleine sitzt er an einem Tisch und starrt in Richtung einer anderen Patientin, die an einem meterlangen Origami eines Drachen baut.SIE SCHAFFT DIE DRACHEN FÜR DEN CLOWN

Tatsächlich ist Valater ein vernünftigerer Gesprächspartner, als sie es nach allem, was bisher passiert ist, erwartet hätten. Auch am Tag Insasse und von Marionetten verfolgt, weiß er, dass einige der beklagenswerten Gestalten, die durch die Korridore wandeln, verloren seien – Abbilder ihrer selbst aus unterschiedlichen Zeiten. Friend wolle mehr über das Stück herausfinden, denn er selbst sitze hier fest und sei besessen von der Idee, dass jenes Werk der Schlüssel aus diesem Gefängnis sei. Bael hingegen ist mehr als die anderen. Er ist das Zentrum und sie täten gut daran, zu versuchen mit ihm zu reden. Er könne ihnen helfen.

Doch dafür brauchen sie das Buch. In der Tat ist der Zugang zur Bibliothek in Dallans Büro versteckt, ein Ort, der sich dort befände, wo er auch am Tag zu finden sei (was auch immer dies in Anbetracht der wahnhaft verworrenen Architektur dieses Ortes bedeuten mag).

Parcival vertraut darauf, dass seine Fähigkeit, die Wege durch die oberen Stockwerke des Macallistars zu finden, ihm auch hier zu helfen vermag. Die anderen folgen ihm. Tatsächlich gelingt es ihm, eine unauffällige Seitentreppe auszumachen, die in den dritten Stock führt. Doch gerade, als sie auf den Gang zu Dallans Büro heraustreten, bemerken sie einen Pfleger, welcher ein Wägelchen voller Container jener Flüssigkeit, die Friend Percy entnommen hatte, in Richtung eines Gemäldes schiebt. Der Füllstand der Gefäße nimmt rhythmisch ab und wieder zu. Unwillkürlich gewinnt Percy den Eindruck, sie würden… atmen. Der Pfleger betätigt einen versteckten Schalter und das Bildnis eines Theatersaals schwingt zur Seite. Sie können nicht sehen, was dahinter ist, doch legt er nach und nach alle Container dort hinein, bevor sie mit einem Unterdruck-artigen Geräusch verschwinden.

Schließlich ist der Weg frei. Dallans Büro ist nicht bewacht, nicht verschlossen und menschenleer, doch anders als bei Tage: Sein Fenster ist das erste, welches den Blick auf mehr als reines Schwarz eröffnet. Doch es ist nicht die Skyline von Boston, welche im Dunkeln funkelt. Es ist eine Stadt im Krieg, illuminiert von flackernden Gaslaternen, erschüttert von gelegentlichen Explosionen, Artilleriefeuer. Über all dem thronen die vage zu erahnenden Lichter einer Kremlartigen Konstruktion in weiter Distanz. Ein von Kuppeln gezierter Palast.

Eine Drucktür, wie man sie eher bei einem U-Boot erwarten würde, ist neben dem Bücherregal in die Wand eingelassen. Percy nimmt eines der Bücher aus dem Regal. A Vision for a Nation that is Prepared for War von Philip Pullman (1936). Dahinter ist ein weiteres Buch. Eugenics: The American Struggle against Human Evil von W. E. B. Du Bois (1900) - er zieht auch dieses hervor und kann in mittlerweile 30cm Tiefe noch ein Buch erkennen. The Lion-In-The-Cloud von Jack Torrance (1982). Gemeinsam macht sich die Gruppe daran, das Regal freizuräumen. Nach und nach „graben“ sie einen „Tunnel“ durch Bücher hindurch, bis sich ihr Weg schließlich öffnet in einen Saal voller Regale, voller Bücher, von dem mehrere Gänge abzweigen. Die Bibliothek.

Auf dem Boden entdeckt Parcival einen weiteren Zettel. Erneut in gedruckter Schrift darauf das Symbol. In der Ferne ist das Tippen einer Schreibmaschine zu vernehmen. Percy greift eines der Bücher aus dem Regal. The Last Day of Forever von Kaitlyn Ewing (1971). Daneben ein seltsames russisches Werk Любознательный пионер-ленинец на тракторном заводе имени Ф. Э. Дзержинского.DIE FABRIK BLEIBT DER DREH- UND ANGELPUNKT DES KRIEGES

Wie sollen sie hier nur jemals Wildes Desiderat finden? DAS ORIGINAL LÄSST CASTAIGNE NICHT AUS DEN AUGEN, AMBROSE MUSS HILDREDS STAMMBAUM ZU DIESER KOPIE UMARBEITEN

In Ermangelung einer Alternative macht Parcival den Vorschlag, dem Tippen zu folgen. Es ist unklar, woher das seltsam gedämpfte Licht stammt, das die Gänge erhellt. Es scheint, als würde es direkt aus den Regalen bluten. Gelegentlich stolpert die Gruppe über einen Seitentrakt, der zerstört scheint, vom Zahn der Zeit benagt, von Wasserfluten ertränkt oder als Lagerstätte genutzt, inklusive einer kleinen Feuerstelle, in der erloschene Papierasche glimmt und um die herum immer noch die kleinen Knochen von Nagetieren knacken, wenn sie unter dem Fußsohlen zerspringen.

Das Tippen wird lauter. Und schließlich öffnet sich der Weg auf eine Empore, die den Blick auf eine größere, von Regalen umrahmte Freifläche eröffnet, welche über und über von einzelnen Blättern bedeckt ist. Mehr als 100 Quadratmeter müssen es sein, dicht beschrieben mit sinnlos aneinandergereihten Buchstaben, doch gemeinsam ergeben sie, trotz einiger verbleibender Lücken, ein visuelles Schrift-Bild Kunstwerk.

Das Z̵ė̷i̵chen.

Selbst Percy sieht es nunmehr, nach all den Jahren.

Mit fiebriger Energie malträtiert der Urheber dieser literarischen Monstrosität seine Schreibmaschine. Es ist Roger Carun. Ein fanatisches Glimmen liegt in seinem Blick, als er die Gruppe bemerkt. Doch er lässt von seinem Tun ab und wendet sich dem unverhofften Besuch zu. Es gab im Haus „Probleme mit dem Gas“, deshalb sei er zunehmend nach oben gegangen und über die Bibliothek gestolpert, welche ihm eine wahrlich unverhoffte Inspiration beschert hätte.plagiaristen, allesamt

Er will gerade ansetzen, weiterzureden, da spricht ihn Parker auf die Imperial Dynasty an. Ja, sie befände sich tatsächlich in seinem Besitz. Eine „kürzliche Neuerwerbung“, von der sich die vorherige Besitzerin nur schwer getrennt hätte.

Für einen kurzen Moment fragt sich Percy, ob er es gleich bereuen würde, doch kann er sich nicht zurückhalten und fragt, wer der Vorbesitzer gewesen sei. Carun führt ihn und die anderen zwei Regalreihen weiter. Dort liegt die Leiche von Michelle Vanfitz, der Schädel gespalten von einem Tomahawk.

Während Carun mit großer Begeisterung über die emotionalen Schwächen seiner ehemaligen Nachbarin spricht, durchsucht Parker unauffällig die Leiche. In einer Jackentasche findet er ein rotes Lederbuch, gleich jenem, welches Barbas bedruckte. Die ersten Worte sind ihm wohl bekannt:

Along the shore the cloud waves break

The twin suns sink behind the lake,

The shadows lengthen

In Carcosa.

Es ist das Stück. Parker packt das Buch schnell weg und nimmt sich das Tomahawk, gerade als Percy Carun fragt, ob sie die Imperial Dynasty von ihm bekommen könnten. Als er die Waffe in Parkers Hand sieht, wirkt dieser erst enttäuscht und wütend, doch sieht dann schnell ein, dass für ihn die „Kunst vor dem Erbrecht“ stünde. Er hätte ohnehin eine Kopie der wichtigsten Teile angefertigt. Insofern könnten sie das Original ruhig haben, sofern sie ihn in Ruhe ließe. 

Er warnt sie noch vor dem Papierlöwen, der die Gänge der Bibliothek des Nachts durchstreifen würde. Tatsächlich ist es mittlerweile dunkler geworden, doch abgesehen von einigem Rascheln in der Distanz verläuft der Rückweg ereignislos.

Wilde erwartet sie bereits ungeduldig in Dallans Büro, doch Percy besteht darauf, zuerst selbst einen Blick in das Buch zu werfen.

Möge seine Wohltat auf unser Bemühen scheinen, dieses Land durch seine Hand gereinigt werden. Gewappnet gegen die wachsende Fäulnis in den Köpfen der Menschen, blühend in schöner Unschöpfung. Der Erste, der Letzte, der Einzige, der Keine. Der Eine.

Ein Foliant mit losen und vergilbten Seiten. Ein komplexer Stammbaum, der vorgibt, eine königliche Blutlinie von Carcosa bis New York City und darüber hinaus zu verfolgen. Es sind über tausend Namen enthalten. Castaigne, Labolas, Barbas, Samigina, Carun und so viele andere. Sie sind alle dort. Und selbst die Gruppe. Rabel, Thal, Lutece, Wilson. Mit feinen roten Linien sind sie auf die eine oder andere Art verbunden mit dem großen Ganzen.

Nach der Übergabe des Buches und einem grausigen Ringkampf zwischen Wilde und seiner Katze, führt der kleine Mann die Agenten durch zuvor definitiv nicht vorhandene Gänge, weiter und weiter voran, zum linken Flügel des dritten Stocks, anders aber doch ähnlich im Vergleich zum Tag, hinan zu jener Audienz, die sie so dringend ersuchten.

Und dort sitzt er. Bael, auf einem Thron aus hunderten durchnässten Telefonbüchern, neben sich ein alter Fernsprecher. Er ruft Anweisungen in den Apparat.MEMO: IHNEN ERKLÄREN, WAS JETZT PASSIERT

Nein, sie ist in der Villa, aber Lundine muss sie erst bauen. Schick Asa.

VON DER HYGROMANTEIA BIS ZUM ENDE DER WELT - ES SCHEINT, ALS WÄRE ALL DAS MEIN WERK.

Doch schlussendlich wendet er sich den Agenten zu und beginnt zu erklären. Alles, was sie zu wissen glauben, ist falsch, und erst jetzt haben sie einen Einblick in die Welt bekommen, wie sie wirklich ist.

Er sammelt es. Ich glaube, er trinkt es.

TATSÄCHLICH VERKLEINERTE SICH SCHLICHT DIE WELT UM MICH.

Das Stück steht im Zentrum der Dinge. Alle Ereignisse, Menschen und Orte gehen von ihm aus und nicht umgekehrt. Es ist ein Ouroboros, der die Welt ausspuckt und verschlingt. Hat man dies erkannt, gerät man unter die Aufmerksamkeit und den Einfluss des Königs in Gelb. Dann gibt es nur einen Ausweg: durch ihn hindurch.

Sag Ambrose, er soll jetzt das Telefon schicken. Nein, er hat viele davon.

RAUM, ZEIT UND IDENTITÄT SIND LÜGEN.

Nach Carcosa. Carcosa ist kein Ort, den man vom Krankenhaus aus erreichen kann. Das Krankenhaus ist wie eine Fliegenfalle, die verlorene Seelen einsammelt. Die Agenten müssen sich aus der Nachtwelt befreien und andere Wege finden, um von der "echten" Welt der Erde nach Carcosa zu gelangen. Wenn die Zeit reif ist, wird sich die Realität so gestalten, dass ein solcher Transit möglich ist.

Zwanzig Kinder. Lasst sie alle im Wasser.

NUR CARCOSA IST REAL.

Aber zuerst müssen sie aus dem Krankenhaus entkommen. Er kann ihnen helfen, doch sie müssen ihm vertrauen und folgen. Sie zögern nicht lange. Bael erhebt sich von seinen Thron und verlässt den Raum. Die Agenten folgen ihm. Er führt sie nach unten, durch das Dorchester, seine Heizungskeller und durch ewig verwobene Art Decor-Gänge vorbei an einem Mann, der in einer Silberrobe durch einen der Seitengänge an ihnen vorbeistürmt, was er nur mit einem lapidaren Hinweis darauf, dass Lundine seinen Weg schon finden werde, kommentiert, hinein in einen Theatersaal.

Mehrere Hundert Plätze sind besetzt von ihm Halbdunkel nur zu erahnenden Gestalten besetzt. Doch die erste Reihe ist leer. Bael heißt ihnen Platz zu nehmen und sich nicht umzudrehen. Preston tut es trotzdem. Direkt hinter ihm sieht er seine Schwester platziert. Ohnehin von den Geschehnissen im Dorchester sichtlich mitgenommen, steht er von seinem Platz auf und versucht, wider der gezischten Warnungen von Bael, nach ihr zu greifen. Er berührt sie und sie verschwindet. Zurück bleibt nur ein rötlicher Nebel, der aus einem Loch in ihrem Sitzplatz zu sickern scheint.jeder stuhl ist stets besetzt

Dann beginnt das Stück. Parker versucht bestmöglich, alles um ihn herum zu ignorieren, doch Bael heißt ihm, einzig auf die Bühne zu blicken, wo ein kleiner Clown, der Percy wohlbekannt ist, zu einem monotonen Trommelschlag zu tanzen beginnt, während er einen Papierdrachen durch hinter sich durch die Luft zieht.

Flüsternd erklärt Bael, dass der Tanz die Entstehung des Stücks widerspiegelt. Eine Person findet die Flasche des Autors in einer Höhle und bringt sie ihm bei einer Maskerade. Der Clown ist der König, der Drache das G̷e̷lbe̸ Z̸ei̴c̶he̷n und die Bühne die Welt. Im Tanz kreiert der König die Welt aus unserem Leben. Der Tanz erschafft unsere Welt. Das G̷e̷l̶b̷e̸ ̵Z̸e̸i̴c̶h̷e̷n̴ frisst das Leben in der Welt, um den König zu ernähren.

Während er Baels Wispern lauscht, sieht Percy, wie rote Wolken von den Stühlen hinter ihm aufsteigen und einem scheinbaren Sog folgend, in Richtung des Drachen wabern, der den blutigen Nebel in sich aufzunehmen scheint.

Schließlich, mit einem letzten Crescendo endet der Tanz und der Vorhang fällt. Nun drängt Bael. Sie müssen hinter die Bühne. Gemeinsam mit Parcival zieht er den Drachen hervor, schneidet ihn auf und entfernt das Patzu-Gefäß, trinkt davon, reicht es Percy und verschwindet.

Die Flüssigkeit atmet, der Clown erwacht. Doch auf der anderen Seite des Vorhangs ist keine Bühne, kein Theater mehr. An ihrer Stelle verbleibt eine Wand. Etwas an der Perspektive des Clowns scheint falsch. Er beginnt erneut seinen Tanz, doch mit jedem Schritt wird er größer und größer.

Flucht. Nur weg von dem Clown, der Meter um Meter wächst. Der Raum hinter der Bühne ist nunmehr nur noch ein Gang, an dessen Ende eine Tür liegt. Percy versucht zu trinken und scheitert, stolpert, die Flasche rutscht ihm aus der Hand, doch Parcival ergreift sie und trinkt. Das atmende Gebräu schmeckt wie flüssige Asche. Doch wenig Momente später verschwindet auch er. Parker, Preston und Percy rennen weiter, während sich der Gang verformt. Die Decke verliert an Kontur und wird Transparenz, gibt den Blick frei in einen Ballsaal voller tanzender Gestalten. Percy nimmt die Flasche auf und trinkt, diesmal mit Erfolg.

Er wirft Parker die Flasche zu und bevor er verschwindet, sieht er, als würde er in ein Aquarium blicken, Asa Daribondi hinter einer gläsernen Wand, neben ihm aufgedunsene Kinder, wie er Parker applaudiert, während er voranrennt, weg vom Clown und zu trinken versucht und ihn dann fallen lässt. Preston kann ihn gerade noch stoppen, während er auf die mittlerweile 8 Meter große Erscheinung hinter ihnen zurollt. Er trinkt, wirft Parker das Gefäß zu und verschwindet. Nur noch knapp vor seinem Verfolger gelingt es auch ihm, das Patzu zu verzehren.

Jenseits einer unüberwindbaren Weite sieht er einen Ballsaal und Hunderte von maskierten Feiernden. An der Seite steht allein eine Frau in einem blauen Kleid und trägt eine Katzenmaske. Sie bemerkt Parker und winkt ihm zu. Es ist Abigail Wright.

Die Agenten wachen auf, geweckt von einer kratzigen Schellackplatte. Parcival betrachtet die rotierende Scheibe im Plattenspieler. „Whatever happened to Abby“ von Phil Heart and the Heart Heps. Sie sind in einem leeren Haus. Auf dem Boden prangt das Siegel von MALPHAS, Visitenkarten einer Immobilienmaklerin, Patricia McSwain liegen auf dem Esstisch.MALPHAS DIENT DURCH IHRE ABWESENHEIT

Preston ist am Ende. Parker versucht ihn wieder aufzubauen, mit begrenztem Erfolg. Percy und Parcival gehen in Nachbarzimmer, um die beiden allein zu lassen, da hören sie eine Spieluhr. Ein  kleines Ding, etwas über 0,6 Meter groß, bestehend aus einem Messinguhrwerk, Rädern und den zerbrochenen Überresten einer Porzellanpuppe. Es kann nicht sprechen, aber sein Mund klappert auf und zu, während es auf zwei ungleichmäßigen Rädern wackelt. Seine Arme drehen sich, während es sich bewegt. Die Arme sind in einer Kreuzigungspose fixiert, und die Finger sind einfache, in Porzellan geschnitzte Kurven ohne Nähte. Zwischen ihnen steckt eine Nachricht. Ein dickes Stück cremefarbenes Briefpapier, an drei Stellen gefaltet. Auf der Vorderseite prangt der Schriftzug "HOTEL BROADALBIN", darunter in feinen Lettern Gerard Michael Lutece (Agent Parcival), auf der Rückseite, in der gleichen ausgefallenen Schrift mit roter Tinte, ist ein kurzes Gedicht zu lesen:
 

Find JAYCY LINZ at HOTEL BROADALBIN

Go now,

Find the hotel,

the labyrinth,

the author,

his bottle,

The city,

the lake,

its shadow,

the battle,

Then, the party,

the dance,

the girl in blue,

the one singing,

“Nothing is true,

except out is through”

Love and kisses,

Abby

NUNMEHR, ENDLICH, ÜBERQUEREN SIE DIE BÜHNE

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  • 2 months later...

Like a Map Made of Skin I

 

Als seine Hand die an ihn adressierte Einladung ergreift, überkommt Parcival eine tiefgreifende Gewissheit: Jedes Wort ist wahr. Sie müssen die Flasche des Autors finden und zum Palast reisen, wenn sie nicht auf ewig zu schattenhaften Abbildern ihrer selbst in der Welt der Nacht degenerieren wollen. Als er von dem cremefarbenen Briefpapier zwischen seinen Fingern aufblickt, ist das Uhrwerkkind verschwunden.

Im Wohnzimmer stabilisiert sich Prestons mentaler Zustand langsam aber sicher. Immer noch schwach hyperventilierend beobachtet er Parker, der mit militärischer Präzision und ohne Rücksicht für das gebohnerte Parkett die Malphas-Glyphe mit seinem Kampfmesser aus dem Boden zu entfernen versucht. Eine Verbissenheit zeichnet sein Gesicht, während er versucht, keinen Gedanken daran zu verschwenden, weshalb das Wissen um den Aufenthaltsort von Patricia McSwayne (in ihrem Jaguar unterwegs nach Brookline, um dort eine Besichtigung durch ein zum Verkauf stehendes Mehrfamilienhaus vorzubereiten) sich in sein Bewusstsein eingebrannt hat. Die Information war plötzlich da, einfach so.

Keiner spricht es aus, doch niemand ist begeistert von dem Gedanken, das Haus früher als notwendig zu verlassen. Doch irgendwann kann der Wunsch nach einem Hauch von Ruhe und Einkehr, einem Moment der Sicherheit in dieser immer weiter aus den Fugen geratenen Welt nicht länger als stumme Ausrede dienen. Allen vieren ist klar, dass sie weitermachen müssen.

Als Percy und Parcival den anderen beiden die Einladung zeigen, ist Parker nicht begeistert. Für ihn steht außer Frage, dass einzig die Vernichtung des Vektors, die vollständige Zerstörung der unnatürlichen Infektion, die ihr Leben unter seine Kontrolle gebracht hat, die logische Konsequenz aus dem Geschehenen darstellt. Parcivals intuitive Überzeugung scheint ihm im besten Fall ein Symptom fortschreitenden geistigen Verfalls oder im schlimmsten Fall eine Falle des Feindes zu sein. Doch spätestens als Percy sich auf Parcivals Seite stellt, wird schnell klar, dass eine einvernehmliche Entscheidung nur schwer zu finden sein wird. Doch zumindest herrscht Einigkeit darüber, dass die Gruppe zurück zum Wagen muss, um ihre Sachen zu holen und Koffer und Schreibmaschine in Augenschein zu nehmen.

Preston tritt als erster auf die Straße, in die Dorchester-Nachbarschaft hinaus. Die Welt wirkt auf den ersten Blick so, wie sie sie vor ihrem unfreiwilligen Besuch in Doktor Friends Anstalt zurückgelassen hatten. Doch etwas ist seltsam. Er blinzelt den Nieselregen von seinen Wimpern. Er sieht es immer noch. Dort, am Rande seines Sichtfeldes, in knapp 200m Distanz – wirken sie für den unaufmerksamen Beobachter auch wie normale Passanten, so bemerkt er, dass ihre Bewegungen zu ruckartig, ihre Körper zu grob sind. An feinen, sich im Himmel verlierenden Fäden hängende Marionetten. Auf den Bus wartend, aus einem Haus tretend, die Straße entlanggehend. Er behält es für sich.willkommen auf der bühne

Mit der U-Bahn fahren die vier zurück zum Boxer-Hotel. Als sie wieder an die Oberfläche treten, hat der Regen zugenommen, doch ihr geliehener Honda Civic steht immer noch dort, wo sie ihn zurückgelassen hatten. Als sie sich ihm nähern, halten Percy und Parker inne. Es ist mehr ein intuitiver Reflex als eine klare Beobachtung, doch können sie den Gedanken nicht abschütteln, dass etwas am Wagen… anders ist.

Im strömenden Regen prüft Parker den Wagen auf Bomben, doch findet nichts. Percy bemerkt jedoch einige kleine Kratzer am Schloss. Jemand hat sich Zugang verschafft, doch eine Durchsuchung zeigt, dass nichts zu fehlen scheint. Im Handschuhfach findet sich gleichwohl etwas, dass die Agenten dort nicht platziert hatten: Ein Nokia 3310 3G. Preston untersucht es – ein vollkommen normales Gerät.

Langsam macht sich Erschöpfung bemerkbar und man steuert den Wagen in Richtung Club Quarters. Die Rezeptionistin erkennt die Gäste wieder und begrüßt sie freundlich. Allen ist klar, dass es ein gewisses Risiko birgt, heute Nacht hier im Hotel zu schlafen, doch halten sie es in der Abwägung für akzeptabel. Aber was dann? Sollten sie aus Massachusetts verschwinden? Zurück nach New York? Würden sie dort das Hotel Broadalbin finden? Parcival ist davon überzeugt.BROADALBIN IST EINE IDEE, IN DER SICH DER VERSTAND VERFÄNGT – DER VERSTAND IST EINE FALLE IN DER BROADALBIN NUR EINE IDEE IST

Doch derlei Diskussionen haben bis morgen Zeit. Zuerst gilt es, die Funde aus Zimmer 616 zu sichten. Leider liefern diese keine entscheidende neue Spur: Bei der Schreibmaschine handelt es sich um eine portable Remington Remette, hergestellt im Jahr 1929, mit leichten Gebrauchsspuren, verziert durch ein kleines goldenes Käferemblem. Percy bemerkt, dass das Schriftbild identisch zu jenem auf den Seiten des Stückes im Macallistar-Building ist. Tatsächlich finden sich auf den beschriebenen Blättern, die Parker ebenfalls aus dem Zimmer herausholte, Fragmente jenes Werks, ebenso Protokolle von Gesprächen, die die Agenten in Abigales Raum anno 1995, sowie am Telefon geführt hatten. Der Koffer, außen gezeichnet mit den Initialien JCL, schlussendlich, ist ein kantiger Oswald Traveler aus dem Jahr 1930, angefüllt mit frischer Herrenkleidung, welche einem Mann des gleichen Jahres, der mit beschränkten finanziellen Mitteln zu haushalten gezwungen ist, gut stünden. Im inneren entdeckt Parker eine weitere Markierung: J LINZ. Hatten sie nicht einen JAYCY LINZ auf einem der Portraits in den Korridoren der Nacht gesehen?

Preston hackt sich derweil in das Bostoner CCTV-System ein. Es gelingt ihm, zu rekonstruieren, dass gerade einmal 90 Minuten vor ihrer Ankunft ein unauffälliger Mann sich mit einem Dietrich Zugang zum Wagen verschafft hatte, um das Handy zu hinterlegen. Percy und Parcival sind sich vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Erfahrung sicher, dass es sich um einen Profi handelte.

Nach allem, was in den letzten 24 Stunden passiert war, machen die Agenten an diesem Abend reichhaltig vom Zimmerservice Gebrauch, bevor sie schließlich zu Bett gehen. Parker übernimmt in den Morgenstunden die letzte Wache. Plötzlich klingelt das Nokia und die anderen drei schrecken hoch.

Eine schnarrende Stimme, deren Geschwindigkeit von einer irritierenden Fluktuation gekennzeichnet ist, meldet sich am anderen Ende.

Ed Miler Wist.  

Sie sollten den Fernseher einschalten. CBS Boston. Eine Texteinblendung informiert über den Inhalt des Beitrages:sie hätten dorchester nicht verlassen sollen

 

MEHRERE STRAFTÄTER AUS GESCHLOSSENER KLINIK AUSGEBROCHEN.

 

In der Nacht zum Sonntag sind drei Männer aus der geschlossenen psychiatrischen Anstalt Dorchester House geflohen. Mehrere Mitarbeiter des Klinikums wurden verletzt.

Wie die Männer aus der Psychiatrie in Dorchester, Boston fliehen konnten, bleibt zunächst unklar. Man habe nach der Flucht „sofort“ und „unverzüglich die Polizei eingeschaltet“, teilte Dr. Richard F. Dallan, Leiter des Klinikums mit. Es würden „intensive Ermittlungen“ zu den Details der Flucht geführt. Weitere Angaben wollte Dr. Dallan zunächst unter Verweis auf die Ermittlungen nicht machen.

Die rechtskräftig verurteilten Gewalttäter gelten als psychisch hochgradig labil und sind möglicherweise bewaffnet. Trotz Einsatz eines Hubschraubers und zahlreichen Polizisten vor Ort fehlt bis jetzt von den drei Flüchtigen aber jede Spur.

 

Die Polizei veröffentlichte deshalb heute Morgen Fahndungsbilder der Gesuchten - Mr. Gerard Michael Lutece, Janus Thal,  Laszlo Rabel. „Wenn sie gesehen werden, sollten sich die Menschen nicht in unnötige Gefahr begeben, sondern sofort die Polizei rufen“, sagte ein Polizeisprecher am Montagmorgen. "Diese Menschen sind eine außerordentliche Gefahr für sich und andere. Da die Möglichkeit besteht, dass sie sich mittlerweile über die Staatsgrenze hinaus bewegt haben, sind wir aktuell in Beratungen mit dem FBI. Wir werden alles tun, um diese psychisch kranken Gewalttäter schnellstmöglich in Gewahrsam zu nehmen.“

 

Fahndungsfotos werden eingeblendet. Sie zeigen die drei vermeintlichen Flüchtlinge mit leerem Gesichtsausdruck in normaler Kleidung vor einer weißen Tapete, wobei zu erkennen ist, dass sie allesamt irgendeine Form von Gegenstand (eine Flasche?) mit beiden Händen zu halten scheinen, was auf Grund des Bildcroppings allerdings nicht eindeutig klar wird.

Bevor sich die vier noch fragen können, warum nicht nach Preston gefahndet wird, erklingt erneut Wists Stimme am Telefon. Sie sollten sich keine Sorgen wegen des Hotels machen. Er hätte sie bereits dort gesehen. Bis dahin könnte ihr Leben aber recht unangenehm werden, doch er kann ihnen helfen – sofern sie bereit sind, ein paar Dinge für ihn zu erledigen. Nummer 1: Sie sollen eine Petzl – Duo S-Stirnlampe in den Wäscheschacht im Haus der Samiginas werfen.MEMO: LISTE IM BUCH LESEN, AUFSCHREIBEN, AN WILDE SENDEN, SODASS LISTE IM BUCH ENTSTEHT

Während Parker Wists Worte vernimmt, durchzuckt ihn plötzlich ein Bild. Esther Samigina – auf dem Weg vom Dorchester House zurück nach Hause. Er ignoriert es.

Wist beendet das Gespräch mit dem Hinweis, dass er ihnen seine Großzügigkeit demonstrieren würde und sie die Tür prüfen sollten. Tatsächlich bemerken sie einen unter der Schwelle hindurchgeschobenen Brief von Keyes, Norris, Ingalls & Grant. Darin finden sich falsche Papiere für Parker, Percy und Parcival.

Sie müssen hier weg. Schnellstmöglich schmeißen die vier ihre Sachen zusammen. Doch nach ein paar Minuten klopft es bereits zaghaft an der Tür. Preston blickt durch den Türspion: Ein Hotelmitarbeiter, jener, der ihnen noch… gestern? mit den Enzyklopädien geholfen hatte. Er wirkt so, als wäre er lieber an einem anderen Ort und klopft erneut. Etwas würde mit der Abrechnung für den gestrigen Zimmerservice nicht passen, könnten sie das kurz mit ihm klären? Aus dem Augenwinkel bemerkt Preston eine kurze Bewegung am Rande seines Sichtfeldes, neben dem Angestellten. Weitere Leute. Polizei.

Ermuntert durch seine unsichtbare Begleitung öffnet der Hotelier die Tür mit einer Master-Karte. Preston versperrt sie von innen. Panisch suchen Parker und Parcival nach einem Ausweg. Doch sie sitzen in der Falle.

Percy verweist auf die Verbindungstür zum Nachbarzimmer. Wieso hatten sie diese nicht bemerkt? Sie ist nicht einmal verschlossen. Sie rennen hindurch und Percy deutet auf die Feuerleiter, die vom Fenster dieses Zimmers herabführt. Mit ihrer notdürftig zusammengepackten Ausrüstung eilen sie so leise wie möglich die Treppe herunter, während die Tür zu ihrem Zimmer aufgetreten wird.

Parker bemerkt eine Gruppe von Bauarbeitern abseits jeder Baustelle, die schnell zur Seite springen, als er den unteren Teil der Feuerleiter ausrollt. Polizeisirenen sind zu hören und die Agenten pressen sich in die nächste Gasse. Sie haben Glück und werden übersehen.

Die Gruppe bringt schnellstmöglich einige Straßen Distanz zwischen sich und das Hotel. Doch zeigen dort Passanten auf sie? Vielleicht war es nur Einbildung, doch klar ist, dass sie hier schnellstmöglich weg und sich tarnen müssen, bevor das Hotel umstellt ist. Preston geht in die nächstbeste Drogerie, um Brillen, Makeup und Rasierer zu kaufen, doch die Verkäuferin, die er mit Blick auf die verrinnende Zeit um Hilfe bittet, scheint Probleme zu haben, seinen Ausführungen zu folgen, fragt mehrfach nach, was er will, als hätte sie ihn nicht verstanden und fokussiert ihren Blick immer wieder aufs Neue auf ihn. Was soll das?

Die Tarnung ist absolut notdürftig und wird nicht viel bringen, aber sie ist besser als gar nichts. Sie gehen 15 Minuten zu einem großen öffentlichen Parkplatz auf der anderen Seite des Charles Rivers, um einen neuen Wagen zu kriegen, ein vielleicht 10 Jahre alter Toyota Camry, der schon eine Weile dort steht, fällt ins Auge – Nummernschilder werden ausgewechselt und los geht es in Richtung des nächsten Home Depot, um eine Stirnlampe zu erwerben…

Edited by aeq
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Like a Map Made of Skin II

 

Es regnet, als der frisch angeeignete Camry auf dem nur eingeschränkt ausgelasteten Baumarktparkplatz hält. Die Tarnung ist mäßig und Preston als einziger nicht gesucht, ergo soll er sich um die Besorgungen kümmern. Parker, Parcival und Percy haben Glück – bei diesem Wetter haben Passanten besseres zu tun, als auf drei ältliche Männer in einem klapprigen Toyota acht zu geben - niemand bemerkt die Gruppe durch die ungetönten Fensterscheiben des Wagens.

Preston eilt durch die Gänge des Home Depot, per Funk mit den anderen verbunden. Sie brauchen die Stirnlampen, so viel hatte Wist ihnen gesagt, doch sollten sie die Gelegenheit für andere Anschaffungen nutzen? Percy erinnert an jene Kavernen, die sie dereinst im Macallistar gesehen hatten. Was, wenn sie dorthin müssten? Preston kauft sicherheitshalber sämtliche speläologische Ausrüstung, die er finden kann.

Im Wagen wartend wird Parker auf eine Gruppe von Schülern aufmerksam, die ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt unter einem Vordach des Baumarktes ausharrt. Einen Lehrer kann er nicht entdecken. Ohne etwas Besseres zu tun zu haben, recherchiert er das Logo auf ihren Uniformen. Die Boston Latin School, älteste High School der Vereinigten Staaten. Sein Interesse ist geweckt. Mit einem den anderen beiden auf der Rückbank Sitzenden langsam unheimlich werdenden Furor sucht er weiter nach irgendwelchen Anhaltspunkten, die die Jugendlichen in Bezug zu ihrer Situation setzen könnten, doch vergebens.

Schließlich lässt ihn eine Meldung von Preston unsanft in die Realität zurückkehren. Am gegenüberliegenden Ende eines lang gestreckten Ganges ist ihm eine Gestalt ins Auge gefallen, die, obwohl weit mehr als 300 Metern von ihm entfernt, klar aus jenen marionettengleichen Erscheinungen am Rande seines Sichtfeldes heraussticht: Ein Mann, in altmodischen Trenchcoat gehüllt, sein Gesicht verdeckt, soweit er es auf die Distanz erkennen kann, von einer Gasmaske. Ein länglicher Gegenstand ragt knapp hinter seinem Rücken hervor. Eine Waffe? Mit regungslos auf Preston gerichtetem Blick verharrt die Gestalt. CARTER

Doch bevor die Gruppe eine Einigung über den Umgang mit diesem irritierenden Phänomen finden kann, ist die Gasmaske bereits verschwunden. Einer Intuition folgend, entschließt sich Preston, Gasmasken für sich und die anderen mitzunehmen, bevor er Richtung Kasse geht. Er zahlt wohlweißlich in Bar, was einige Probleme nach sich zieht, als die Verkäuferin ihn zuerst schlicht zu übersehen scheint. Irgendwann gelingt es ihm, ihr das Geld aufzunötigen. Annähernd 500 Dollar. Ihre gemeinsamen liquiden Mittel, die sie vor der Operation zusammengetragen hatten, sind damit auf weniger als 4000 Dollar zusammengeschmolzen.

Das nächste Ziel ist klar: Oberschwester Samiginas Haus. In der Crockett Ave. 52 erblicken sie das wahrscheinlich in den 20ern erbaute Gebäude, ein großes, dreistöckiges, weißes Bauwerk mit Aluminiumseiten an einer schmalen, gewundenen Straße im Ashmont-Viertel. Eine ältere Frau betritt das Erdgeschoss, als die Gruppe vorfährt – anscheinend ist die Crockett Ave. 52 unter zwei Mietparteien aufgeteilt, den Samiginas im ersten und zweiten Stock, sowie einer Ms. Costick im Erdgeschoss.

Schnell ist der Plan gefasst, sich Zugang zum Appartment der Oberschwester und ihrer Familie zu verschaffen. Doch sämtliche Dietriche sind überflüssig, die Tür ist nicht abgeschlossen und gibt den Blick auf einen kleinen Flurbereich frei, der direkt in eine Treppe nach oben mündet. Parker sichert mit gezogener Waffe, die anderen folgen. Ein intensiver, würziger Geruch, der an zu lange gekochtes indisches Essen oder getrocknete Blumensträuße erinnert, liegt von oben herunterdringend in der Luft.

Parker geht hoch. Der erste Stock ist der Hauptwohnbereich. Es handelt sich um eine breite, offensichtlich nachgerüstete offene Etage mit modernem Design, die in ein zu altes Haus gezwängt wurde, eine L-förmige Küche inklusive. Ein beengter Bereich an der Seite beherbergt einen kleinen, runden Esszimmertisch und vier Stühle. Das große Wohnzimmer ist mit Sofas, Sesseln, Bodenkissen und einem längst erloschenen Kamin ausgestattet. Über dem Kamin ist ein Flachbildfernseher angebracht. Das offene Konzept ist gut gemeint, doch nicht mit den Gegebenheiten des Raumes kompatibel – nicht zuletzt der Mangel an Fenstern lässt den Raum dunkel und beengt wirken.

Gedämpfte Geräusche sind aus dem zweiten Obergeschoss zu erahnen.

Auf einem kleinen Fernsehtisch entdeckt Parker einen zusammengeklebten Entwurf einer Broschüre, einen Klebestift, Ausdrucke und Zeitungsausschnitte, die zu einem Flyer zusammengestellt wurden.

 

ENCOUNTER GROUP

 

Das Original, zu dem sie bereits wiederholt Kopien gesehen hatten.

 

Der Raum scheint sicher, die anderen folgen. In der Essnische stolpert Percy über einen großen Eimer. Ausgetrocknet und umgekippt, enthielt er der Aufschrift nach Leinöl. Ein zerknitterter Post-it-Zettel, der zuvor daran angeheftet war, liegt daneben. MEMO: MANUEL ERINNERN

 

Für Sami, zum abholen

 

In der Tat, Sami hatte Thomas‘ Lieferung aus dem Macallistar abgeholt.

Parcival betrachtet den Inhalt des Eimers genauer. Das im Behälter verbliebene Öl ist zu einer klaren Paste getrocknet. Leinöl findet insbesondere in der Ölmalerei Verwendung. Es trocknet transparent und verfügt über einen charakteristischen Geruch, der zumindest einen Teil der exotischen olfaktorischen Note in Samiginas Wohnung erklären würde. Eine schnelle Prüfung bestätigt seinen ersten Verdacht: Sämtliche Wände im ersten Stock sind damit bestrichen. Parcival schaudert. Getrocknetes Leinöl ist hochentflammbar – schon ein einziges Streichholz könnte das Haus in eine brennende Todesfalle verwandeln.

Percy irritiert der offensichtliche Mangel an Büchern im Wohnzimmer. Er geht ins kleine Badezimmer, das neben der Treppe abzweigt. Gerade einmal eine Toilette und ein Waschbecken. Ein kleines Schränkchen unter dem Becken beherbergt die einzige Kuriosität: eine barocke, rote Flasche, die scheinbar aus einem einzigen, riesigen Kristall geschnitzt ist, mit einer Bronzetafel.

 

HENRY J. SAMIGINA.er hat seine flasche gefunden

 

Der Deckel der Flasche, die mit einem Hebelverschluss versehen ist, ist offen. Im Inneren befindet sich nichts.

Eine zweite Treppe führt am Wohnzimmer vorbei hinauf in den zweiten Stock. Als Parker nach oben gehen will, durchzuckt eine Erinnerung seinen Geist. Er hat diesen Flur schon einmal gesehen. Auf einem Gemälde im Keller des Macallistars. Brennend. Mit doppelter Vorsicht macht er sich auf den Weg, in Richtung der Geräusche.

Auf dem Treppenabsatz befinden sich drei Türen. Aus einer dringen die Klänge einer Stimme, ein anderes ist als Badezimmer erkennbar. Eine neue Nähmaschine steht auf einer Anrichte neben der Badezimmertür. Auf dem Tisch liegen Dutzende von Kostümen, halb verbrauchte farbige Fäden, Garn und zugeschnittene Stoffstücke verstreut. Vier teilweise fertige Kostüme sind daneben gestapelt, rote, goldene und gelbe Pagenkostüme. Seltsame, flache Stoffstreifen mit ausgeschnittenen Filzscheiben liegen in der Nähe. Auf der Brust jedes Anzugs ist mit Goldfaden die Aufschrift HOTEL BROADALBIN aufgestickt.

Mit der Waffe im Anschlag öffnet Parker die Tür zum Bad: Dutzende Bücher liegen wahllos im Badezimmer verteilt. Paperbacks und Hardcover stapeln sich im hinteren Teil des Raumes und verdecken sogar die Toilette. Viele scheinen zerschnitten, um ausgewählte Wörter und Fotos zu entfernen, unter ihnen mehrere Werke der NIGHTSEA-Reihe und A World Without Doors.  Ausgeschnittene Bücher stapeln sich im Waschbecken und unter dem Badezimmerspiegel.

Parker blinzelt, als er in den Spiegel blickt. Nach einigen Sekunden erkennt er, dass sein Antlitz im Glas von einer komplexen Reihe seltsamer Linien überdeckt wird, die mit Fingerabdruckfett gezeichnet sind. Er erkennt die Form des Zeichens. Seine Gedanken so sorgsam wie möglich von dieser Realisation fernhaltend, verlässt er den Raum.

Mittlerweile ist er hinreichend sicher, dass jene vermeintliche Stimme hinter der Tür nicht mehr als eine Audioaufnahme ist. Zu regelmäßig die Kadenz, zu gleichförmig die Stimme, bar jedes Geräusches, dass auf Bewegung hindeuten würde. Er gibt den anderen das Zeichen zu folgen.

Preston will es richtig machen und bemüht sich darum, jegliches Knarzen der Treppe zu vermeiden, als er nach oben geht, doch mit beeindruckendem Pech gelingt es ihm, auf dem Teppichansatz auszurutschen und die Treppe mit einer enormen Geräuschkulisse an Parcival herunterzustürzen, dem es nicht gelingt, den Unglücklichen zu halten.

Die Zeit reicht kaum, um die Platzwunden in Augenschein zu nehmen, da sind unten Schritte zu vernehmen, dann ein Klingeln und Klopfen. Mrs. Costick, in Sorge um Henry, den Sohn der Familie, ob er sich verletzt habe, einen Krankenwagen oder sonstige Hilfe bräuchte. Percy versucht mit verstellter Stimme jede Hilfe abzulehnen, doch er ahnt, dass die Scharade aufgeflogen ist. Mit einem betont beruhigten Unterton in der Stimme verabschiedet sich Costick. Tempus fugit.

Parker öffnet eine der beiden verbleibenden Türen. Der Flur geht abrupt in einen Kunstparkettboden über, der von einem Kingsize-Bett, eine Kommode und einen Kleiderschrank bedeckt wird. Das Elternschlafzimmer.

Auf dem Bett liegen zwei komplette Sätze Männerkleidung so aus, prinzipiell tragbar, doch mit Sicherheitsnadeln zusammengeheftet. Die eine Garnitur scheint ein "Business Casual"-Outfit für einen großen Mann zu sein: kurzärmeliges Button-Down-Hemd, hellbraune Khakihose, Gürtel, Krawatte und Schuhe ohne Schnürsenkel auf dem Boden. Das zweite Outfit ist für einen Teenager, ebenfalls groß: ein Fetty Wap-T-Shirt, schwarze Jeans, ein gelber Kapuzenpulli, und Turnschuhe.

Parker hat keine Zeit, lange über die Bewandnis dieses befremdlichen Fundes nachzugrübeln. Doch er bemerkt, dass eine Ecke der Matratze seltsam unförmig wirkt. Eine genauere Betrachtung fördert ein monströs vollgestopftes Bastelalbum zutage, auf dessen Vorderseite der Titel THE PHANTOM SAYETH prangt. Zunehmend überzeugt, dass die Zeit für übermäßige Vorsicht spätestens mit dem Auftauchen von Costick verstrichen ist, packt er das Buch ein.

Parcival betritt derweil den letzten verbleibenden Raum, die Quelle jenes seltsamen Sprechgesangs, den die Agenten durch die Tür vernahmen. Unzweifelhaft eröffnet sich ihm der Blick auf ein Jugendzimmer: Poster von Bands und Rap-Stars bedecken die Wände, zusammen mit Skizzen von alltäglichen Themen, die von einem talentierten, aber ungeschulten Künstler angefertigt wurden.

 

The greatest secret

 

Unter dem Bett liegen Hanteln. Eine Ecke des Zimmers ist mit den Trümmern eines Computers bedeckt, der in Hunderte von Teilen zerbrochen ist. Der große Schreibtisch, auf dem das Gerät wohl einst stand, wird nunmehr fast vollständig von einem Pappmodell einer Stadt eingenommen. Es ist bizarr und komplex, und es scheint, als hätte es Tage gedauert, es herzustellen. Es ist dreistöckig, etwas mehr als einen halben Meter hoch, sicherlich 1,2 Meter breit und annähernd zwei Meter lang.HIERHIN IST HENRY GEGANGEN

 

To pull up the landscape

 

Preston ist nach seinem unrühmlichen Scheitern an der Treppe im ersten Stock verblieben, sodass Percy nunmehr alleine im Flur des zweiten Stocks steht. Er geht in das bereits von Parker gesicherte kleine Bad. Die Bücher und insbesondere das Zeichen im Spiegeln wecken sofort sein Interesse: Hat sich sein Abbild im Glas nicht kurz gewellt? Seine Finger gleiten über die glatte Fläche und zeichnen das Symbol nach. Als würde er in eine Mischung aus Ton und Softeis fassen, spürt Percy, wie seine Finger in die Linien einsinken. Er versucht, durch die Kanten hindurch die Spiegelfläche herauszureißen, doch stattdessen spürt er, wie etwas auf der anderen Seite seine Hand nicht wieder loslässt.

 

The origin of all things visible

 

Eine weitere Tür führt Parker in das an das Schlafzimmer angeschlossene große Bad. Ein Ventilator läuft und das Licht im Inneren ist durch den oberen Teil des Türrahmens sichtbar. Sie klemmt, doch nach längerem Rütteln gelingt es Parker, sie zu öffnen. Ein dickes blaues Handtuch ist von innen unter den Türspalt geklemmt worden und blockierte ihn vollständig. Ein intensiver Geruch überkommt ihn, nur zu bekannt: Tod. Die Badewanne verströmt einen intensiven chemischen Gestank, der lähmend wirkt. Dennoch kann sie den kranken, süßen Geruch von Fäulnis nicht überdecken. Die Badewanne ist mit Dutzenden von Industriereinigerflaschen gefüllt, die alle offen, verschüttet oder teilweise verschüttet sind. Die zentimetertiefe Flüssigkeit in der Wanne - aus den Behältern - ist dunkelbraun erstarrt. Jemand, etwas ist hierin gestorben.SIE TRINKEN PHILIP

 

And rotting sky

 

Die oberste Schicht ist eine akribische Pappkonstruktion einer zerbombten Stadt, die einen See umgibt, der in Wirklichkeit ein Spiegelausschnitt ist, der in ein Loch in der Pappe passt. Kleine Pappboote auf dem See werden von winzigen Pappmenschen gesteuert. Einige scheinen halb gesunken zu sein. Die mittlere Schicht der Stadt ist ein durchsichtiger, harter Plastikschacht, der die gleiche Form hat wie der Umfang des Sees. Er führt einen Fuß (30 cm) tief in die unterste Schicht des Modells. In diesem vertikalen Kunststoffschacht sind an Drähten Pappboote aufgehängt, die sich neigen, als würden sie nach unten fliegen. Dort sind seltsam aussehende Vögel und etwas Großes mit Flossen, viel größer als jedes Boot. Die untere Schicht der Stadt ist die gleiche wie die obere, nur dass die Gebäude vollständig und intakt sind. Am Rande der Stadt steht ein großer Palast mit einer Zwiebelspitze. In einem Ring in der Nähe des Palastes werden Schlachtszenen von Menschen aus Pappe nachgespielt. Es gibt sorgfältig in die Pappe geschnittene Krater und winzige Artilleriegeschütze und Maschinengewehrteams aus Papier. Parcival fühlt sich unwillkürlich an jenes fremdartige Panorama erinnert, welches sich der Gruppe beim Blick aus Dallans Arbeitszimmer bot.

 

Forever and without end

 

Im ersten Stock vernimmt Preston als erster die Geräusche im Erdgeschoss. Ein sich im Schloss drehender Schlüssel und Schritte auf der Treppe. Schnell setzt er die anderen ins Bild. Sie bekommen Gesellschaft.

 

Eternally diseased faces

 

Ein kleines digitales Diktiergerät liegt auf dem Badewannenrand. Parker steckt es ein.

 

We cannot help but wonder

 

Ein mehr als deplatziert wirkender Wäscheschacht im Badezimmer ist teilweise aufgestoßen. Auf einem daran angebrachten Post-it steht in Samiginas Handschrift "×4 Pagen, ×2 Gangster". Parker hört ein entferntes Dröhnen von Maschinen. Der Schacht endet über einem schwach beleuchteten weinroten Teppich etwa fünf Stockwerke tiefer, wo ein schattenhaftes Gesicht zu ihm hinaufschaut. Parker bemüht sich, nicht hinzusehen, als er die Lampen herabwirft.  

 

So many twisting roads through the blackness

 

Die Quelle des Sprechgesangs ist ein altmodischer CD-Spieler, in dem sich eine rötliche Kompakt-Disk dreht, ihre leere Hülle daneben stehend.

 

A landscape of pain

 

Er nimmt die CD heraus und steckt sie ein.

Parkers Blick fällt erneut auf den Badezimmerspiegel, auch dieser mit einer komplexen Reihe seltsamer Linien bedeckt, die mit Fingerabdruckfett gezeichnet wurden und im künstlichen Licht klar zu sehen sind. Erneut erkennt er das Zeichen. Raus hier.

Preston hört die Flammen, bevor er sie sieht: Ein dräuendes Grollen, dass durch den Flur aus dem Erdgeschoss in seine grollt. Einen Wimpernschlag später stehen die Wände um ihn herum in Brand, während Esther Samigina, in einen seltsam unförmigen Kapuzenumhang gehüllt, mit einem hohen Schrei auf ihn zurennt.

Parker springt mit dem Buch und dem Aufnahmegerät ausgestattet aus dem Fenster auf das Vordach im ersten Stock, rollt sich ab und landet sicher auf dem Boden. Preston versucht gleiches, einen Stock weiter unten – die Flammen züngeln bereits um das Fenster, doch bevor Samigina nach ihm greifen kann, gelingt auch ihm der (deutlich weniger elegante) Sprung in die Freiheit aus dem immer stärker werdenden Feuersturm um ihn herum.

Parcival zieht die wohlweißlich mitgebrachte, erst vor wenigen Stunden gekaufte Gasmaske auf und will Parkers Route durch das Schlafzimmerfenster folgen, als er Percy durch die geöffnete Tür des kleinen Badezimmers erkennt, seine Hand immer noch im Spiegel versunken. Er versucht ihn herauszuziehen, doch auch die gemeinsame Stärke der beiden Agenten hilft nicht. Parcival zückt seine Handfeuerwaffe und beginnt mit dem Knauf auf das Glas einzuschlagen. Percy spürt einen rasenden Schmerz in seiner Hand, doch es gelingt ihm, sie durch das zerbrechende Fenster herauszulösen. Der Spiegel zerbricht und eine im fortgesetzten Zustand der Verwesung befindliche Leiche bricht aus dem Spiegel hervor. Hatte sie ihn festgehalten?

Percy an sich herab. Sein Ring- und Mittelfinger (inklusive seines Eherings) fehlen, seine Hand ist blutüberströmt – eine gnädige Ohnmacht überfällt ihn und er sackt inmitten mittlerweile brennender Bücher auf dem gefliesten Boden zusammen.

Aus dem Spiegel fließt eine Flüssigkeit und kurz sieht Parcival Lichter von anderen Spiegeln und einen Mann in Weiß, der zwischen ihnen schwimmt, dann scheint es, als zerbreche der Spiegel erneut und zurück bleibt nicht mehr als ein leerer Hängeschrank.

Parcival will den arg mitgenommenen Percy gerade aus dem kleinen Badezimmerfenstern hieven, wo Parker bereits wartet, um ihn aufzufangen, als Henry Samigina, von Flammen umrahmt und in einen Kapuzenmantel gehüllt, ins Bad stürmt.

Es gelingt ihm noch, Percy in Sicherheit zu bringen, doch bevor er selbst entkommen kann, hat die bemantelte Gestalt von Phillipp Samigina (?) ihn bereits ergriffen und versucht ihn, DER LETZTE KÖNIG NAHT! schreiend, in die Flammen zu stoßen.wie glücklich sie ist

Parcival versucht auf ihn zu schießen, doch die Waffe wird ihm aus der Hand geschlagen und landet in der Badewanne. Mit letzter Kraft rammt er Esther Samigina (?) sein Messer in die Brust, sie lässt von ihm ab und er springt aus dem Fenster.

Unten steht Mrs Costick und starrt voller Verzweiflung auf das brennende Haus. Die Sirenen der Feuerwehr sind in der Distanz zu hören und die Gruppe verschwindet so schnell es geht.

Ein verlassener Parkplatz an einer Landstraße, 40 Meilen vor Boston. Percy ist kaum bei Bewusstsein, als die Agenten den Entschluss fassen, Wilde anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass der Auftrag erledigt ist. Dieser zeigt sich mit seiner wie üblich befremdlichen Sprachmelodie hocherfreut und fragt, was er im Gegenzug für die Gruppe tun kann.

Eine berechtigte Frage, über die sich Parker, Percy, Preston und Parcival bisher kaum Gedanken gemacht hatten. Parcival drängt darauf, dass sie schnell nach New York müssten. Wist stellt ihnen einen Privatjet in Aussicht, doch warum sollten sie nicht auch mit dem Wagen fahren können? Und sollten sie überhaupt nach NY reisen?

Parker weist auf das offensichtliche Problem hin, dass Percy ohne qualifizierte medizinische Behandlung kaum die nächsten Tage überleben, geschweige denn ernstlich einsatzfähig sein würde. Hatte SEERE nicht nach dem Angriff in der Mall Prestons Leben gerettet? Wist zögert kurz, doch stimmt dann zu. Ja, da könnte er aushelfen. Sie sollten an Ort und Stelle verbleiben und ihm zwei Stunden geben.

Bevor Parker auflegen kann, wendet sich Parcival an Wist: Würden sie das Hotel finden, wenn sie ihm helfen? Wist will sie nicht belügen – er belässt es bei einem „vielleicht“, doch letztlich müsse jeder selbst seinen Weg ins BROADALBIN finden.

Preston wohnt all dem schweigend bei. Arg mitgenommen und psychisch am Rande seiner Kapazitäten genießt er die Stille, als Wist das Gespräch beendet.

Wartend sichten die Agenten ihre Funde: Die drei lauschen den Aufzeichnungen des Diktiergeräts.

 

AUFNAHME 1: Stimme eines Teenagers: "Mum hat mir heute etwas gezeigt und, äh. Es war..." (Gelächter im Hintergrund.) "...interessant. Es war lustig. Ich mochte es, ich mochte es."

 

AUFNAHME 2: Stimme eines Teenagers: "Komm raus. Komm schon raus." (Sing-Song.) "KOMM. Raus. KOMM. Raus." (Rasselgeräusche wie eine Art Kampf. Dann schreit ein erwachsener Mann.)

 

AUFNAHME 3: Stimme eines Teenagers: "Also, ich habe Dad getötet. Er wollte es nicht sehen. Er wollte nicht hinsehen. Schade. So traurig. Ich muss los. Flasche."

 

AUFNAHME 4: Stimme eines Teenagers: "Ich mache ein Buch. Bleib dran."

 

AUFNAHME 5: Stimme eines Teenagers: (Lachend.) "Dad ist wieder da. Er erzählt mir Dinge, während er ... nun ja. Dinge für das Buch." (Eine Tür schlägt zu.) "Stell die Flaschen da drüben hin." (Knistern von Plastiktüten.)

 

AUFNAHME 6: Frauenstimme: "Du hast es gesehen? Wie hast du es gesehen?" Stimme eines Teenagers: "Im Spiegel."

 

AUFNAHME 7: Frauenstimme: "Ich denke, wir sollten..."

 

AUFNAHME 8: Stimme des Teenagers: "Mum hat mir heute die Masken gezeigt. Ich dachte, ich würde (unverständlich) meinen Verstand verlieren. Mann. Sie arbeitet gerade an etwas, ich..."

 

AUFNAHME 9: Stimme eines Teenagers: "Fast fertig. Dad war eine große Hilfe. Morgen, vielleicht."

 

AUFNAHME 10: Stimme eines Teenagers, der bei voll aufgedrehter Badewanne singt: "Zeig mir mehr, zeig mir mehr, zeig mir mehr." Gelegentlich ist ein quietschendes Geräusch zu hören. Schließlich spricht eine zweite Stimme mit einer tiefen, langsamen, krächzenden Stimme. Es klingt wie ein sehr, sehr alter und kranker Mann, der zwischen bellenden Luftschnappern spricht. Im Verlauf von 2 Minuten und 24 Sekunden sagt sie:

 

Und so kommen wir zu unserem Ende, gewissermaßen.

Ein Stück, das viele Menschen enthält:

Alle, die gestorben sind, 

alle, die leben,

Alle, die noch leben werden,

Auf dieser Bühne mit uns

Für immer.

ENDE."doch ehrlicherweise wird es nie kommen

 

Parcival liest parallel im PHANTOM SAYETH. Eine aufgeblähte Monstrosität eines Sammelalbums, das von einem gestörten Kind zusammengestellt wurde. Es wimmelt nur so von Zeitungsausschnitten, Papierschnipseln und scheinbaren Flugblättern, Fotos und sogar Gutscheinen. Viele von ihnen sind zusammengeschnitten, gefaltet oder ausgefranst. Schnell ist sich Parcival sicher: Es enthält eine vollständige Abschrift des Königs in Gelb, die aus tausend verschiedenen Quellen zusammengestellt wurde. Jedes einzelne Wort (und seltsamerweise manchmal auch ein ganzer Satz) ist aus einem Cosmopolitan-Artikel über Frisuren, einer Wasserrechnung oder aus persönlichen Korrespondenzen, die im Müll gefunden wurden, entlehnt. Jedes Element wird sorgfältig auf die Seiten geklebt.

Der erste Akt ist weniger beeindruckend, als er nach all dem, was bisher geschah, angenommen hätte. Doch gerade, als das Werk an Fahrt aufzunehmen beginnt, wird Parker klar, was Parcival gerade liest und er verlangt das Buch zurück.

Bevor die Situation zwischen den beiden eskalieren kann, bemerken alle drei die Gestalt. Ein Mann in Trenchcoat, das Gesicht von einer altmodischen Gasmaske bedeckt. In einer Hand eine locker gehaltene Schrotflinte. Stumm beobachtet er sie. COLWELL

Eine knappe Minute vergeht, als Motorenlärm durch die Stille schneidet. Ein massiver Mobile Emergency Room fährt auf dem Parkplatz vor. Der Soldat ist verschwunden. Ein sichtlich nervös wirkender Arzt nimmt sich Percy an. Schnell wird klar, dass er keine Ahnung über die genauen Umstände dieses Einsatzes hat, jedoch zweifelsohne irgendeine Form von krimineller Verstrickung vermutet, für deren geflissentliches Ignorieren er und sein Fahrer anscheinend ausgesprochen gut bezahlt werden.

Parker hat THE PHANTOM SAYETH wieder in seine Obhut gebracht. Parcival zeichnet mit einer kaum spürbaren Frustration ein letztes Mal an seiner fast fertigen Kopie von JUDGEMENT. Er kommt dabei mit dem Fahrer ins Gespräch, der ihm eine Zigarette anbietet. Gemeinsam rauchen sie und reden unter Parkers wachsamen Blick über Belanglosigkeiten. Irgendwann, mehr oder minder unvermittelt, fragt der Fahrer, ob sie nicht ein Hotel suchen würden. Parcival bejaht emphatisch, woraufhin sein Gegenüber jedoch nur mit den Schultern zuckt und meint, dass sie das doch alle täten.

Bevor er weiter nachhaken kann, tritt der nunmehr sichtlich zusammengeflicktere Percy aus dem Wagen und der Arzt verabschiedet sich überschwänglich, doch hastig. Seltsame, aber doch (größtenteils?) normale Menschen. Parker kommt zur Einsicht, dass Wist anscheinend tatsächlich nur über profane Ressourcen und Geld verfügt, im Gegensatz zu SEERE.

Doch nun, wo Percy wieder bei Bewusstsein ist, kann die Gruppe eine ganze Batterie von Fragen nicht länger verhehlen: Wie weiter machen? Gibt es verschiedene Parteien? Was sollen sie tun? Alles bekämpfen? Nach New York und das Hotel suchen? ARTLIFE existiert noch und das Macallistar-Building ist kurz nach der Jahrtausendwende wieder errichtet worden, wie eine schnelle Suche zeigt. Die Dämonen töten? Parker scheint intuitiv zu wissen, wo sie sind und Samigina hat seinem sechsten Sinn zufolge nicht überlebt. Sollten sie Barbas töten? Mit ihm reden?

Die Diskussion ist nicht sonderlich fruchtbar und wird vom Klingeln eines Handys unterbrochen. Prestons Vater. Er fragt, wie es seinem Sohn geht und scheint keinen konkreten Grund zu haben, um sich zu melden, jenseits von Sorge und Interesse. Seine Worte sind für sich genommen unauffällig und im Rahmen dessen, was Preston von ihm erwarten würde. Doch irgendetwas an seiner Intonation ist befremdlich. Als würde er Zeilen eines Manuskriptes vortragen. Bei komplexeren Fragen seinerseits, glaubt Preston ein Flüstern und Tuscheln im Hintergrund zu vernehmen, die Antworten erfolgen zeitversetzt, nach kurzer Pause.ICH WÜNSCHTE, DIE DARSTELLER WÜRDEN IHREN TEXT LERNEN

Er weiß nicht, um was es sich hierbei handeln mag, aber er hat genug. Das verdammte Hotel kann warten. Er muss nach Washington. 

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  • 1 month later...

Like a Map Made of Skin III 

 

Preston steht neben sich. Mit ausgeprägten Fingerspitzengefühl gelingt es Percy, ihn davon zu überzeugen, dass die Reise nach Washington nichts zum Positiven wenden würde: Er wird seinem Vater nicht helfen können, wer auch immer dort zu Werke geht, will doch nur, dass sie in diese Falle tappen. Doch was dann? Parcival drängt erneut darauf, dass sie nach New York müssten, doch die anderen sind skeptisch: Am morgigen Abend soll das Treffen der ENCOUNTER GROUP stattfinden – diese Gelegenheit dürfen sie sich nicht entgehen lassen. Bis dahin sollten sie im Raum Boston bleiben.

 

Als niemand widerspricht, präsentiert Parker seinen Plan für den Abend: Sie sollten Barbas endlich konfrontieren – entweder er ist noch nicht vollends verloren, oder sie müssen ihn ohnehin ausschalten und den Vektor, den sein Haus repräsentiert, vernichten. Doch dafür brauchen sie Ausrüstung, immerhin verfügt das Haus nach wie vor über den mechanischen Wachschutz des Löwen. Glücklicherweise weiß Parker von einer Green Box in einem Bostoner Vorort, die zumindest vor 15 Jahren einmal einigen Sprengstoff enthielt.

 

Die Fahrt dauert eine dreiviertel Stunde und endet vor einem unauffälligen Mehrfamilienhaus in einer unteren Mittelschichtslage. Kurz bevor sie das Gebäude betreten können, bemerkt Percy auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen brennenden Mann. Im leichten frühherbstlichen Nieselregen schlendert er den Bürgersteig entlang, scheinbar von den Flammen, die an seiner befremdlichen Kleidung und seinem Körper lecken, vollkommen unbekümmert. Parker kann den Stil der Uniform zuordnen: Ein chinesischer Soldat aus der Zeit des Koreakriegs. Ein Zementmischer fährt vorbei und verdeckt kurz die Sicht. Die Gestalt ist verschwunden. Sonst scheint keiner der Passanten die Erscheinung bemerkt zu haben. STATIC AM WERK

 

Ein Lagerraum im Keller des Mehrfamilienhauses. Die Tür besteht aus drei Zoll dickem Metall und ist mit Aufklebern versehen, auf denen OPERETTO UTILITY CO, GASVERTEILER - NUR AUTORISIERTES PERSONAL zu lesen ist. Glücklicherweise entsann sich Parker noch des gut versteckten Schlüssels, mit dem er nunmehr die Pforte in die Green Box aufstößt.

 

Der Raum dahinter ist etwa 75 Quadratmeter groß, nackter Betonboden mit einer nicht geringen Anzahl mysteriöser Flecken und dem Charme einer Sperrmüll-Sammelstelle. Es stinkt nach Schimmel und Tod. Abgesehen von einigen undichten Wasserrohren, die an einer Wand einen großen braunen Fleck hinterlassen haben und einer in die Jahre gekommenen Kochnische, gibt es keine Versorgungseinrichtungen. Scheinbar ohne System wurden billige Klappregale, Kisten, Kästen, Kartons und kreativere Aufbewahrungsmöglichkeiten im Lager verteilt. Von Parker mehrfach zu äußerster Vorsicht ermahnt, beginnt die Gruppe, die Green Box zu durchkämmen.

 

Als sich seine Augen an das schummrige Licht im Inneren gewöhnt haben, zuckt Preston kurz zusammen: In der nordöstlichen Ecke steht eine schwarze Person mit verschränkten Armen, die unterdurchschnittlich groß ist, sich aber bei näherer Betrachtung als eine lebensgroße Statue von Martin Luther King Jr. aus farbigem Plastik mit einzelnen Fasern für Haare und Kleidung erweist.

 

In Kings gekreuzten Armen balanciert ein Schuhkarton. Percy öffnet ihn. Er enthält eine Postkarte, adressiert an "Anna Vinogradova" in Moskau (UdSSR). Das Bild blickt über einen Strand aus reinem baltischem Bernstein, über einen nebligen See zu einem melancholisch-vertäumten Palast, der auf der anderen Seite aus dem Wasser ragt und ihm an das Panorama aus Dr. Dallans Büro erinnert. Aufgeblähte, löwenzahngelbe Monde baumeln dahinter an einem grauen Himmel, der von schwarzen Sternen schwach beleuchtet wird. Percys Smartphone entziffert den Kyrillischen Text auf der Rückseite: "Ich wünschte, du wärst hier".

 

Unter der Karte entdeckt er eine Ledermappe mit dem Wappen einer Familie Castaigne aus dem Königreich Frankreich. Im Inneren befindet sich ein Pergament; auf der einen Seite eine Karte eines Dorfes, auf der anderen vier Spalten Text mit Unterschriften. Das Dorf und die Kirche, um die herum es gegründet wurde, scheinen bei Reims zu liegen, obwohl jedes Gebäude auf der Karte einen lateinischen Namen trägt ("Taverne", "Bäcker" usw.). Ein Gebäude am Ufer eines Sees oder Sumpfes, das ursprünglich als "Maison des Portes" bezeichnet wurde, trägt jetzt die ergänzende Aufschrift "ibi cubacit lamia" (hier ist die Höhle des Ungeheuers der Nacht). In jeder Textspalte auf der Rückseite ist derselbe Text in einer anderen Sprache geschrieben: Russisch, Schwedisch, Latein und Kirchenslawisch.

 

Sie berichten über eine Reise von Gesandten des Königreichs Schweden und des Russischen Reichs nach Frankreich zu einem gewissen Gabriel Castaigne. Die Ikonographie und der Stil der Schrift sowie der Zustand des Pergaments weisen darauf hin, dass es sich um ein Originaldokument handelt. Die Autoren erzählen davon, dass das Anwesen von Seigneur Castaigne voller mechanischer Wunderwerke sein soll, die sie in Augenschein nehmen wollten. Der sich selbst als „Kunsthanderwerker“ bezeichnende Castaigne hätte Jahre damit verbracht, Automaten, Uhren und kleine, federbetriebene Maschinen zu bauen.  Sie beschreiben das „Maison des Portes“ als befremdlichen, labyrinthischen Ort - an jeder Wand eine Tür, selbst in den oberen Stockwerken, die nach außen führt. Sie berichten, dass sie nachts seltsame Leute im Haus sähen - Männer in Masken und silbernen Gewändern, ein Gespenst mit brennendem Kopf und dergleichen mehr. lundine war dort, daribondi auch und anscheinend static ebenso

 

All dies kulminiert in der Sichtung einer teuflischen Invokation durch Castaigne. Ein schwarzer Dämon, sei der Ursprung seiner Handwerkskunst. Gar eine Skizze der Kreatur ist beigefügt: Es ist Barbas. In seinem Anzug, mit seiner Brille. Wie sie ihn kennen. Was macht ein solches Dokument hier?
CASTAIGNE RUFT BARBAS, UM SEIN HANDWERK ZU ERLERNEN? AUSGEZEICHNETER GEDANKE
eine befremdliche erfahrung, fürwahr

 

Parcival nimmt sich derweil die gegenüberliegende Seite des Raumes vor: Unter einem zugemauerten Fenster befindet sich ein Heizkörper mit einem Paar leeren Handschellen, die daran befestigt sind und eine Menge altes, getrocknetes Blut enthalten. An ihnen kleben Fellbüschel. Auf einer Werkbank daneben liegt etwas, das mit einem Laken abgedeckt ist. Eine genauere Untersuchung identifiziert es als Lock-N-Load-Munitions-Nachladepressen-Set. Ebenfalls auf der Werkbank findet er neben klassischem Schwarzpulver eine Substanz, die an oxidiertes Kupfer erinnert und wohl genutzt wurde, um die Munition zu strecken.

Preston bleibt in der Nähe des Eingangs, wo er ein Küchenmesser mit Schlagring und einem grob angeschweißten Grabenspieß findet. Es wurde wie besessen geschärft. Ein rostiger, nicht identifizierbarer, drehbarer Granatwerfer, der dem Milkor MGL ähnelt, aber offenbar um die Jahrhundertwende gebaut wurde, liegt nicht weit davon entfernt. Er fasst fünf große Granaten mit Messinghülsen, die das gleiche seltsame Pulver enthalten, welches Parcival gefunden hatte.

 

Parker ruft Preston zu, dass er den Granatwerfer einpacken soll. So etwas kann man immer gebrauchen. Währenddessen sucht er nach den Rohrbomben, die er vor so vielen Jahren hier gesehen hatte. Entgegen aller Erwartungen findet er sie bereits nach kurzer Zeit, doch zwei von ihnen sind unbrauchbar, eine dritte instabil. Bevor schlimmeres passieren kann, entschärft er die Gefahrenquelle.

Während Percy noch in die Unterlagen vertieft ist, klopft es an der Tür. Er schreckt auf und schaut vorsichtig nach. Ein an ihn adressiertes Paket, eine Holzkiste, liegt auf dem steinernen Boden des Kellerflures. Er öffnet sie. Darin: Seltsame Samen und Käfer in kleinen Phiolen. Der Fund erinnert sehr an die Kiste, die Barbas (?) 1995 in den Korridoren platziert hatte. diesmal habe ich damit nichts zu tun

 

Darauf eine kleine Notiz:

 

VON AGENT ZU AGENT – MOSEBY ICH KANN IHN IMMER NOCH NICHT FINDEN. ER IST FLINK.

 

Für Parker ist klar, dass dies das Signal zum Aufbruch ist. Jemand kennt ihren Aufenthaltsort, hat vielleicht gar das Dokument über Castaigne hier platziert, damit sie es finden. Sie sollten schnellstmöglich zu Barbas. Sein sechster Sinn und der Sender, den Preston unter dem Auto des kompromittierten Agenten angebracht hat legen nahe, dass er zwar auf dem Weg nach Hause sei, sie allerdings noch vor ihm dort sein könnten.

 

Doch als die Gruppe in den mittlerweile stärker gewordenen Regen hinaustreten, bemerkt Parker Werbeflyer für ENCOUNTER GROUP, die an den umgebenden Telefonmasten befestigt wurden. Wohlwissend, dass es wertvolle Zeit kostet, entfernt er jeden einzelnen von ihnen. Aus dem Augenwinkel bemerkt er, dass er dabei beobachtet wird. Ein Mann mit Gasmaske zieht eine Schrotflinte. Er geht in Deckung, die anderen folgen, doch die Gestalt ist bereits verschwunden.BURBACH

 

Parcival fährt so schnell er kann. Die Agenten sind ungefähr 15 Minuten von Barbas Haus entfernt, als plötzlich, mitten in Downtown, eine Gestalt mit Gasmaske und Schrotflinte über die Straße rennt, verfolgt von Polizisten im Stil der 50er.wer im richtigen moment schaut, bemerkt sich selbst

 

Knapp gelingt es ihm auszuweichen, aber langsam ist klar, dass sie nicht vor Agent Exeter am Haus ankommen werden. Kurzfristig ändert Parker den Plan: Parcival soll sie hinaus aus der Stadt bringen, sodass sie sich in einem Waldstück für die Nacht verstecken und im Wagen zu schlafen können. Schlaf ist eine knappe Ressource, niemand beschwert sich.

 

Sie halten in der Nähe des Bare Hill Ponds, auf einer abgelegenen Lichtung am Rande eines unbefestigten Waldweges. Der Regen hat sich verflüchtigt und ein frischer, erdiger Geruch liegt in der Luft. Parcival meldet sich freiwillig für erste Wache, und zum ersten Mal seit langer Zeit schläft Parker ausgezeichnet.

 

L zückt das Nokia 3310 und drückt die Rufwiederholung. Er hat nur eine Frage an die Stimme am anderen Ende: Kann er ihn hier heraus, nach New York schaffen?

Selbstverständlich könnten Wists willfährige Gehilfen bei K.N.I.G. ihn nach New York bringen, einzig die Frage der Gründlichkeit würde das Unterfangen erschweren und entsprechend verzögern – ein vorgetäuschter Tod ist aufwendiger als ein simpler Transport, der sich sicherlich bereits in einer halben Stunde einrichten lassen sollte, sofern sich L nach wie vor in der Umgebung von Boston befände.

Kurz zögert er, doch schließlich stimmt L zu. Er gibt Wist seine Koordinaten und bittet um eine schnelle Extraktion. Er wartet und schreibt eine Notiz auf einen Zettel, den er an der Windschutzscheibe befestigt. Schließlich sieht er in der Distanz die Scheinwerfer eines BMW mit einem schweigsamen Fahrer mit Sonnenbrille. L steigt ein.

 

Percy wacht kurz nach drei auf. Es ist zu spät – warum hat Parcival ihn nicht geweckt? Hinter den Scheibenwischer geklemmt, bemerkt er einen Zettel, der im Wind flattert.

please, do what you must. it is not my way. dont look for me, but i wish you all the luck and health i can muster. our paths may yet cross again. Farewell, my friends

 

Percy schüttelt Parker und Preston aus ihren Träumen. Es herrscht Panik. Hat Parcival etwas mitgenommen? Außer dem Telefon scheint glücklicherweise nichts zu fehlen. Wo ist er hin? Parker vermutet, dass er sich auf eigene Faust auf den Weg nach New York gemacht hat. Könnte er übergelaufen sein? Das scheint unwahrscheinlich, ist aber nicht ausgeschlossen. Trotzdem hat die Arbeit hier in Boston bis auf weiteres Priorität und ihn einzuholen wird ohnehin kaum möglich sein. Wenn überhaupt könnten sie ihn immer noch nach Beseitigung der ENCOUNTER GROUP und von Barbas ausfindig machen.

 

L blickt aus dem Fenster der kleinen Cessna. Die Flughöhe ist gerade erreicht worden, doch wird bereits in wenigen Minuten wieder verlassen werden, um mit dem Landeanflug zu beginnen. Die Stewardess, eine kleine, hübsche hispanische Frau mit lockigem schwarzem Haar und großen, grünen Augen reißt ihn mit professioneller Freundlichkeit aus seinen Gedanken. Sie präsentiert eine Auswahl hochpreisigen Weins, Käsevariationen und beeindruckend frisch wirkendes Baguette mit Pâté de campagne zu kredenzen. Geistesabwesend beginnt er zu essen.

 

Doch als Parker und Percy den Spuren von Percys „Fluchtwagen“ durch den Matsch des Feldweges zu folgen versuchen, hören sie Geräusche. Ehe sie reagieren können, hat ein fünf Personen umfassendes Polizei SWAT-Team einen Halbkreis um sie gezogen. Aber Parker hat einen letzten Trumpf: Er reißt seine Weste auf und enthüllt den Blick auf mehrere Ladungen dort befestigten Sprengstoffes, welcher sie alle in den Tod reißen wird, sobald sein Herz zu schlagen aufhört.

 

Die Angreifer zögern kurz und die beiden rennen zurück, während sie Preston zurufen, dass er den Wagen starten soll. Die Polizei eröffnet das Feuer, doch die Agenten können knapp in das Innere ihres Gefährts entkommen, dessen Karosserie einen Großteil der Geschosse abfängt, dabei jedoch sichtlichen Schaden nimmt. Doch der Camry fährt, allerdings eindeutig nicht mehr lange.

 

Nur wohin? Der Weg zurück zur befestigten Hauptstraße in Richtung Boston ist von der Polizei versperrt, also weiter den Feldweg entlang in Richtung des nahegelegenen Sees. 

 

Mittlerweile haben sich mehrere Polizeiwagen an die Fersen von P-Cell geheftet und der Polizeifunk legt nahe, dass sie bald Verstärkung haben werden. Plötzlich sieht man erleuchtete Fenster in einigen Metern Entfernung zwischen den Bäumen. Der Weg öffnet sich zu einem Grundstück – eine Farm. Man hört Hunde bellen, doch Percys Blick fällt auf einen vor einer Scheune geparkten Land Rover.

 

Die Agenten springen aus dem Toyota und unter Beschuss aus dem Haus (gepaart mit lauten Rufen, dass sie gerade Landfriedensbruch begehen) und von dem unaufhörlich näher kommenden Polizeitruppen hetzen sie mit allem, was sie in der gegebenen Eile aus dem Wrack ihres Automobils heraushieven können in Richtung des Geländewagens. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt.

 

Preston macht sich an der Elektronik zu schaffen, und der Motor heult auf. Er legt einen Gang ein, doch hat er anscheinend irgendetwas falsch verkabelt und mit Wucht fährt er in die Polizei hinter ihm, die sich daran macht, den Wagen unter Feuer zu nehmen. Glas splittert und das Polster des noch nicht sehr alten Land Rovers fliegt durch den Innenraum. Die Situation scheint verfahren, doch mit einer überraschenden fahrerischen Leistung fängt sich Preston und beschleunigt über das Feld hinter dem Haus schnellstmöglich aus der Reichweite der Verfolger.
Eine überraschend warme Nacht grüßt L, als er den kleinen Privatflughafen verlässt und in das wartende Taxi steigt. Der übernächtigt wirkende Mitarbeiter hatte ihm nach der Landung einen Brief in die Hand gedrückt, der sich bei genauerer Betrachtung als Telegramm herausstellte.

 

ENTSCHEIDUNG WAR RICHTIG. HABE ES INS HOTEL GESCHAFFT. FLASCHE HIER. KOMM SOBALD DU KANNST. LOVE AND KISSES. ABBY.

 

Das Dokument ist perforiert. Fasziniert faltet L es, während der Taxi-Fahrer an seinem Radio herumnestelt. Eine Origami-Flasche formt sich.

 

Die Gruppe brettert in ihrem erbeuteten Automobil über Feldwege, als sie den Lärm von Rotoren vernimmt. Der Polizeifunk bestätigt es kurz darauf: Verstärkung aus der Luft ist angekommen. Der Helikopter hat seinen Scheinwerfer auf sie gerichtet, sodass die Polizei am Boden systematisch ihre Fluchtrouten abschneiden kann. Als alles fahrerische Können nicht mehr hilft, gibt es für Parker nur noch eine Lösung: Er muss den Hubschrauber zum Landen zwingen. Er schießt mehrfach aus dem fahrenden Wagen mit panzerbrechender Munition auf den Heckrotor, beim dritten Mal trifft er und trennt ihn ab.

 

Preston nutzt die Chance und hängt ihre Verfolger einige Minuten später ab. Ruhe kehrt ein. Zum ersten Mal bemerkt Percy, dass das Radio anscheinend die ganze Zeit eingeschaltet war. Das Nachtquiz auf Boston Baroque Radio meldet sich gerade mit einer neuen Frage nach einer kurzen Werbeunterbrechung zurück.

 

Welcher US-amerikanische Nachrichtendienst-Angehörige übersetzte das beliebte Theaterstück DER KÖNIG IN GELB ins Englische?

 

Die Stimme des Anrufers ist ihnen wohlbekannt. Leland Fuller kennt die Antwort selbstverständlich: Edward Moseby.

 

Nachdem der Moderator Fuller zu seinem Erfolg beglückwünscht, gibt es Musik.

 

Phil Heart - Whatever happened to Abby

 

Mit leicht zittrigen Händen recherchiert Percy Heart auf seinem Smartphone, doch nicht viel lässt sich über ihn in Erfahrung bringen. Seinen größten Hit hatte er 1928, doch nachdem mehrere weitere Titel daran nicht anknüpfen konnten, arbeitete er als mäßig erfolgreicher Hotelpianist und –Entertainer, bevor er 1955 in New York verstarb.

 

Sein Werk scheint nur wenig Nachhall gefunden zu haben – mit einer Ausnahme: Das Digitalisat eines 1995 erschienenen Artikels eines obskuren Alternative-Magazins aus London. Ein Interview, geführt mit dem Sänger von Current 93, der ihn scherzhaft (?) als eine seiner Inspirationen angibt. David Tibet.

 

Das Lied ist vorbei.

 

In welcher Sprache führt der bekannte Buchhändler Robert R. Robert sein Rechnungshauptbuch?
mittlerweile würde er ihnen sogar die wahrheit sagen

 

Ein Furor durchzuckt Percy und so schnell er kann wählt er die Nummer des Senders. Doch es ist besetzt. Er schreit die anderen beiden an, ihm ihre Handys zu geben. Parker widerspricht nicht und reicht ihm wortlos sein Telefon. Mittlerweile ist es ihm fast egal.

 

Percy kommt durch schreit die Antwort geradezu in den Apparat – Es ist arabisch. Der Moderator gratuliert ihm zu seinem Preis. 1000 Melonia-Kapseln.

Eine ihm bekannte Frauenstimme übernimmt das Gespräch, um die Formalien der Lieferung zu klären. Deborah Carver. Unter der Hand empfiehlt sie ihm, die Samen zu zerkleinern und zu injizieren.

 

Er gibt ein Postfach an.

 

Eine Stimme mit neuenglischem Akzent ist im Radio zu vernehmen. Ein Quiz. Entschuldigend und ungefragt wirft der Taxifahrer ein, dass er aus der Region kommt und den gelegentlichen Draht zur Heimat bräuchte. L bemerkt ihn kaum, als er plötzlich eine bekannte Stimme hört. Doch dann ist die Sendung auch schon vorbei. Nachrichten. Nach wie vor befänden sich drei geflohene geisteskranke Verbrecher auf freiem Fuß, nachdem sie sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert hatten. Augenzeugen berichten von Schusswechseln und einem zerstörten Helikopter. Percy lächelt.

 

L betritt das Haus durch den Hinterhof, nachdem er den auffällig unauffälligen Van vor seiner Tür bemerkt hat. Das Innere der Wohnung ist unberührt, das Bett gemacht, die Bilder der Familie hängen an der Wand. Als wären die letzten Tage nie geschehen.  Das Telefon klingelt. Wist. Mit Anweisungen. Ein USB-Stick, der ihn heute um 12 Uhr an der Stillwell Avenue Station von einem Mann mit gelbem Kapuzenpullover übergeben werden soll und den er um exakt 21:23 in Raum M99 in der Fifth Avenue 350 anschließen soll. L zögert, doch Wist versichert ihm, dass niemandem Schaden zugefügt werden wird und er sagt zu.

 

Bereits im Begriff seine Sachen zusammenzupacken, um sich auf den Weg in Richtung des Macallistars zu machen, sieht L eine Gestalt hinter dem Fenster des gegenüberliegenden Hauses im Halbdunkel stehen. Sie trägt eine Gasmaske. L blinzelt und sie ist verschwunden. Er blickt zum Foto seiner Eltern, vor dem Tod seines Vaters, auf dem Schlafzimmerschrank, legt seine Sachen ab und geht zu Bett.

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Like a Map Made of Skin IV (Finale)

 

Die Reste von P-Cell fahren in ihren von Kugeln durchsiebten Land Rover durch die Nacht Neu Englands. Sie sind erschöpft. Sie sind verwirrt von dem, was gerade passiert ist. Sie sind müde. Doch bevor an Schlaf auch nur zu denken wäre, müssen sie den Wagen loswerden. Mehr träumend als wachend und auf in all den Jahren internalisierte Reflexe bauend, stiehlt Parker einen rostigen Ford und entsorgt den Rover im Sumpf, nicht weit von jener Stelle entfernt, wo schon sein alter Wagen dem Vergessen überantwortet worden war. Percys notdürftig behandelte Wunde schmerzt. JEDE FLUCHT IST DOCH NUR AUSFLUCHT

L erwacht. Er hat nicht lange geschlafen und will sich auf den Weg zu jenem Ort machen, den Wist ihn als Treffpunkt genannt hatte, doch der Blick auf die Uhr zeigt, dass er noch zweieinhalb Stunden Zeit hat. Er macht sich frisch, rasiert sich, zieht seinen besten Anzug an, doch die Zeit will kaum vergehen. So fällt sein Blick auf das Buch, welches er mitgenommen hat. Und er beschließt, zu lesen.

Endlich Ruhe. Abseits der Wege unter Bäumen, zwischen deren bunter werdenden Blättern die Morgensonne hindurchglimmt, versuchen Percy und Preston auf der Rückbank ihre Kräfte zu regenerieren. Parker hingegen hält Wache.

 

Ronald Aamon Lewis, weiß, 24 Jahre alt. Ein leutseliger und offenkundig gerade angetrunkener Mann, der Pfeife raucht.

 

Er weiß nicht, was die nächsten Stunden und Tage ihm bringen mögen, doch gibt es eine Sache, die er zu erledigen hat.

 

Tabitha K. Flauros, schwarz, 15 Jahre. Ein kleines, schüchternes Mädchen, das eine Latzhose trägt und eine überladene Sporttasche mit sich herumschleppt.

 

Seine… Gabe ermöglicht es ihm, Ort und Identität jedes einzelnen Dämonen der Ars Goetia zu erkennen.

 

Huan Jen, asiatisch, 33 Jahre. Ein UPS-Fahrer am Ende seiner Schicht.

 

Er denkt und beginnt zu schreiben.

 

Michele J. Banister, weiß, 61 Jahre alt. Eine alte Dame mit einem "Ich möchte gerne den Geschäftsführer sprechen"-Haarschnitt und teurer Kleidung in einem Cafe.

 

Er weiß nicht, ob er die Mission beenden kann, doch die Gruppe wird von seiner Aufklärungsarbeit profitieren. wenn nicht sie, werden es andere sein

 

Der Fernseher reißt L nach unbestimmter Zeit aus seinen Gedanken. Es ist das unverkennbare Jingle aus Saturday Night Live. Wiewohl es weder Samstag noch Abend ist, erklingt die von einer diesmal seltsam gepressten Stimme vorgetragene, traditionelle Anmoderation.

 

It’s live from New York!

 

L blickt auf den Flachbildschirm. Eine leere, professionell ausgeleuchtete Bühne. Gelächter aus dem Publikum. Nicht enden wollendes Gelächter.

 

Immer wieder prüft Parker parallel die Daten aus Barbas‘ Haus. Er ist trotz des fortschreitenden Tagesanbruchs immer noch im Haus. Wieso? Er scheint an etwas zu schreiben, murmelt vor sich hin. Parker geht die vergangenen Stunden durch: Gestern Morgen hatte er telefoniert, wirkte nervös. Das Gespräch war größtenteils einseitig, nur ein Name fiel wiederholt, wie um sich rückzuversichern, dass man das Gegenüber richtig verstanden hatte. Losette. Was ist hier los? WILDE BESITZT KOMPROMAT, ALSO MUSS WIST ES ORGANISIEREN.

 

Die anderen wachen auf: Sie brauchen neue Burner-Phones, etwas zu essen und müssen tanken. Zudem braucht Percy früher oder später medizinische Hilfe. Eine Raststätte/Tankstelle in der Nähe des Highways wird als Ziel auserkoren. Wie immer ist es Prestons Los, die notwendigen Besorgungen zu erledigen.

 

L bestellt ein Uber und fährt zur Stillwell Avenue Station. Hier, wo damals alles begann. Vor 20 Jahren. Die Herbstsonne scheint durch die rostigen Speichen des Riesenrades in einigen hundert Metern Entfernung. War er seitdem jemals wieder hier gewesen? Wie anders hätte sein Leben ablaufen können, wenn er in jener Nacht nicht gekommen wäre. Familien mit Kindern steigen aus der Bahn, voller Vorfreude auf den Besuch des Parks.

L ist hingegen allein.

 

Um im Wagen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erwecken, tippt Parker derweil geistesabwesend auf seinem Telefon herum. Als er ohne besonderen Grund sein Mail-Programm öffnet, bemerkt er etwas Befremdliches: Im „gesendet“-Ordner finden sich dutzende Nachrichten, an deren Versand er sich nicht erinnern kann. An Freunde, Verwandte, Kollegen, Medien – Exzerpte und Zitate aus dem Stück, Hinweise auf ENCOUNTER GROUP, sogar eine Nachricht an eine Druckerei, weitere Plakate und Handzettel für selbige zu drucken, wenngleich zu anderen Zeiten und an anderen Orten als auf jenem Flyer, der sie auf die Spur dieses Kreises gebracht hatte. manchmal spielt einem die Erinnerung streiche

Preston wird im Inneren der Tankstelle einmal mehr kaum wahrgenommen. Er kauft einige Billigtelefone, ein weiteres Erste-Hilfe-Set und zahlt für das Benzin. Als er wieder ins Freie tritt, bemerkt er zertretenes Papier auf dem Boden. Werbung für ENCOUNTER GROUP.

 

L hält Ausschau und identifiziert schließlich am Ende des Bahngleises einen seltsam alterslosen Mann in gelbem Kapuzenpullover, der ihm irgendwie bekannt vorkommt. Er schaut sich nervös um. Als Percy auf ihn zugeht, drückt er ihm etwas in die Hand – einen USB-Stick. Er sagt, dass seine Schuld bei Wist damit beglichen sei und steigt ohne weitere Worte in die gerade vorgefahrene Bahn.

Parker ist sich sicher, dass sein Telefon in irgendeiner Form korrumpiert wurde. Er zerstört und beseitigt es, schnellen Ersatz durch Prestons Einkauf findend. Es ist klar, dass sie am Abend zum Treffen der Gruppe müssten, doch bis dahin haben sie noch einige Stunden Zeit. Percy drängt darauf, den Preis des nächtlichen Quiz abzuholen – 1000 Melonia-Samen, die in einem Postfach am Stadtrand, nicht einmal eine Stunde von hier, zu finden wären. Parker und Preston stimmen zu.

 

L ist gerade im Begriff, wieder nach unten zu gehen, um sich ein Taxi zu rufen, als er in der Bewegung inne hält. Drei Männer, ausgestattet mit Gasmasken und Schrotflinten bewegen sich die Treppe herauf, direkt auf ihn zu. Sie blicken sich suchend um, doch scheinen sie ihn nicht zu bemerken. Das Warnsignal der Bahn ertönt. Kurz bevor die Tür schließt, springt er hinein. Der gelbe Kapuzenpulli blickt in misstrauisch an. L duckt sich, um aus dem Sichtfeld seiner Verfolger zu bleiben, doch gerade, als sich die Bahn bereits in Bewegung setzt und die Station verlässt, spürt er mehr als dass er es sähe, den Blick eines Gasmaskenträgers in seinem Nacken und eine plötzliche Schwäche überkommt ihn. Er lässt sich in seinen Sitz fallen und versucht bei Sinnen zu bleiben. Menschen blicken ihn, in seinem vollkommen aus der Norm des öffentlichen Personennahverkehrs fallenden Anzug, immer wieder irritiert bis neugierig an. SIE SIND AUF DER JAGD

 

L fährt bis Manhattan und setzt sich in den Washington Square Park. Etwas frische Luft würde ihm guttun und er hatte ohnehin noch Zeit. Er setzt sich auf eine Bank und lässt seine Gedanken schweifen. Plötzlich – Lärm: Zwei Frauen, die in einen ernsthaften Streit verwickelt sind, der an der Grenze zur Gewalttätigkeit steht. Gelegentlich schubsen sie sich gegenseitig oder führen Drohgebärden aus, die jedoch nicht zum Ziel führen. Sie schreien sich heftig an. Spaziergänger machen einen Bogen um sie. Sieh es dir an, schreit die eine die andere an. Du musst es sehen, um es zu verstehen. Die andere weigert sich. Die beiden geraten in einen heftigen Kampf. Schau es dir an, schau. SIEH HIN! Es wird handgreiflich. Während L noch überlegt, ob er einschreiten sollte, bemerkt er ein Stück Papier, welches von einer der Streitparteien auf den Boden fallen gelassen wurde.

 

Er blickt es an und sieht das Zeichen. Die beiden hören auf zu streiten und gehen auseinander – so als wäre nie etwas geschehen.

In der Nähe eines in den Bostoner Außenbezirken befindlichen Busbahnhofs, der bereits bessere Tage gesehen hat, steigen Percy und Preston aus dem Wagen. Parker bleibt zurück und versendet von seinem nunmehr hoffentlich sauberen Burner Fotos seiner handgeschriebenen Liste an die alte Nummer, die er von A-Cell hatte.

 

Percy und Preston bewegen sich schnellen Schrittes auf die von Graffiti überdeckten Postfächer zu. Eine Gruppe chinesischer Touristen schiebt sich aus einem Fernbus, einige Meter von ihnen entfernt. Doch die Masse umfließt mit einer unbewussten Koordination drei Gestalten, die die Asiaten überragen. Gasmaskenbewährt und kampfbereit blicken sich die Erscheinungen um, während sie sich langsam und methodisch in die Richtung von Preston und Percy bewegen. Doch schnell wird klar- sie scheinen sie nicht zu sehen, selbst als sie den Agenten so nahe sind, dass Percy das durch die Maske gedämpfte Wort „Parker“ vernimmt. Via Telefon setzen sie selbigen in Kenntnis, nehmen die Samen und verschwinden in eine nahegelegene Gasse, wo Parker bereits auf sie wartet. STATIC WEISS DASS SIE EXISTIEREN

 

Die Backsteinwände sind über und über von abblätternden ENCOUNTER GROUP-Plakaten bedeckt. Die Uhr legt nahe, dass sie sich auf den Weg machen müssen.

L will weg. Einer Intuition folgend, versucht er den Buchladen aufzusuchen, doch seine Schritte führen ihn zu Jennings Galerie. Dort, wo sich selbige befinden müsste, blickt er in die Auslagen von Robert R. Roberts Sortiment.

 

L ist sich selbst unsicher, was er eigentlich sucht, doch der Buchhändler ergreift das Wort. Irgendetwas ist anders an ihm, doch kann er es nicht benennen. Gleichzeitig scheint es, als wäre ihm eine Maskerade zu Eigen und doch wirkt er auf befremdliche Art authentischer als bei ihrer letzten Begegnung.  Mit einem Lächeln, das gleichzeitig aufrichtig und falsch wirkt, beglückwünscht Robert ihm zu seiner Entscheidung und erklärt, dass das Broadalbin eine Zwischenstation auf dem Weg zum König sei. Die Menschen würden dorthin gezogen, um nach ihrer Wahrheit zu suchen, die irgendwo unter dem Hotel versteckt ist.

Einem Impuls folgend fragt L Robert, ob er ein Exemplar der Imperial Dynasty besitzen würde, doch der verneint. Gleichwohl will er nicht ausschließen, dass einer seiner zahlreichen Kunden ein Exemplar in den Untiefen des Ladens zurückgelassen hat und weist mit einer einladenden Geste in die sich in der Dunkelheit verlierenden Gänge des Geschäfts.

 

L atmet tief ein und tritt zwischen die unzähligen, mit Büchern vollgestopften und in die Tiefe reichenden Regale, stets darauf bedacht, den Eingang nicht aus dem Blick zu verlieren. Sein Blick fällt auf ein Buch mit französischen Titel. „Les Rois maudits“. Ein kleiner Mann mit schwarzem Haar, schrecklich vergilbten Zähnen und einem pockennarbigen Teint, gehüllt in ein Wams und eine Hose, einen pelzgefütterten Mantel und Kragen sowie eine gelbe Kapuze und einen Umhang greift danach. Er sieht krank und schlecht ernährt aus, doch sein Gesicht ist von ungläubigen Staunen erfüllt. Er plappert von einer "Tür im Arbeitszimmer", die ihn hierher geführt hat, und dem "Buch der 72 göttlichen Formen". Auf die Frage, was er damit meint, erklärt er, dass ein Mann namens Bael, der vielleicht ein vom Teufel gesandter Dämon ist, sie ihm erklärt hat. Er stellt sich noch als Augustus Chastaigne vor, als von irgendwoher ein tiefer, unangenehmer Gong erklingt und er plötzlich in die Tiefen des Ladens rennt.

 

Vor der Kirche bleibt Parker erneut im Wagen, während Preston und Percy sich für die Observation vorbereiten. Auch wenn der Gedanke, das Treffen im Keim zu ersticken, immer wieder zwischen ihnen hin und her gespielt wird, entscheiden sie sich letzten Endes dafür, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – zumindest für den Anfang.

 

Sie sind früh dran, doch im Inneren des auf die 1880er zurückgehenden Backsteingebäudes mit Spitzturm und einem ästhetisch wenig ansprechenden Anbau aus den späten 70ern werden die beiden bereits von einem Mann empfangen, der eine Pappmache -Maske mit einem ausdruckslosen, weißen Gesicht und ein langes silbernes Gewand trägt, das die darunter liegende Kleidung verdeckt. Wortlos gibt er jedem Agenten eine identische Maske aus einer gewachsten Pappschachtel mit aufgestempelter russischer Schrift. Die Pappmache -Masken scheinen neu hergestellt worden zu sein, jene von Percy ist sogar noch minimal feucht. Danach überreicht er jedem Agenten ein langes, silbernes Gewand aus synthetischem Stoff aus demselben Karton. Die Gewänder liegen tief genug auf dem Boden, um Kleidung und Schuhe zu verdecken. Die Kapuzen verdecken alle Haare. Als niemand ihre Identität mehr erahnen könnte, weist der Mann mit einer Geste den Weg in den Mehrzweckraum im Keller des Anbaus.

 

L folgt ihm, doch gelingt es ihm nicht, ihn wiederzufinden. Langsam verliert er den Eingang aus den Augen, als er gedämpft durch die Wand hinter dem Regal zu seiner linken eine irgendwie bekannt wirkende Stimme vernimmt. Die Kadenz lässt auf eine Rezitation schließen, nicht irgendeine Rezitation, wohlgemerkt, L hat den starken Verdacht, die Verse selbst in dieser nur schwer zu verstehenden Form zu erkennen. Das Stück.

L unterdrückt den Impuls, dem Vortrag weiter zu lauschen oder gar einen Weg durch die Wand zu finden. Stattdessen geht er zurück in Richtung Eingangsbereich. Robert wartet auf ihn, erneut mit jenem befremdlichen Lächeln. Er fragt ihn, wann der Laden entstanden sei. Doch dieser erklärt ihm, dass er die falsche Frage stelle: In der Handlung eines Buchs existiert Zeit von Kapitel zu Kapitel linear, doch ein Autor ist nicht an diese gebunden, er kann in Kapitel 2 Dinge ändern, wenn Entwicklungen in Kapitel 20 es notwendig machen. Doch wer ist der Autor? Das ist eine offene Frage.

 

Im Auto klingelt Parkers Telefon. Die Stimme am anderen Ende ist männlich. Sie flüstert voller Grauen, dass Burbach im anderen Zimmer sei und Verstärkung benötigt würde. Auf die Frage, wer da spricht, klingt die Stimme verzweifelt – er sei natürlich Colwell, wer auch sonst? Das Gespräch wird durch ein hohles Dröhnen unterbrochen, das die Leitung kurzzeitig mit Rauschen füllt. Colwell schreit, dass er im Badezimmer eingesperrt ist. Er wird durch das Geräusch einer eingetretenen Tür und unmenschliches Gelächter unterbrochen. Er wimmert. Mit letzter Kraft flüstert er, dass Parker melden sollte, dass das Team gescheitert sei, dass das STATIC-Protocol gescheitert sei. Die Stimme in der Leitung geht in schrecklichen, gurgelnden Schreien unter, dann ertönt das Rufzeichen. ich wette, der anruf kam aus zimmer 616

 

Als L den Laden verlässt, hat die Dämmerung bereits eingesetzt. Es ist 20:22 und er befindet sich an jenem Ort, an dem er Robert R. Robert vor 20 Jahren getroffen hatte. Das Empire State Building ist nur wenige Blocks entfernt, seine leuchtende LED-Wall zeigt abstrakte Farbenspiele, die den Abend in ein funkelndes Licht tauchen.

 

L betritt das Gebäude. Die letzten Touristen verlassen die Fahrstühle des prachtvollen Art Decor-Atriums. Geschäftsleute strömen an einem Rezeptionisten am anderen Ende des Saals vorbei, durch Drehkreuze hindurch, nach draußen, ihre Smartphones ans Ohr gedrückt. Er wendet sich ihm zu, legt seinen Ausweis vor und erklärt den Grund seines Hierseins – ein Verdacht auf Cyberkriminalität, für den er den Serverraum im 99. Stock prüfen muss. Das LED-Steuerungssystem, wie sein Gegenüber feststellt, als er ihn mit einem Klicken das Drehkreuz öffnet.

 

L spürt den USB-Stick in seiner Hosentasche. Im Fahrstuhl spielt ein 13 Zoll-Monitor leise Werbung für WHERE’S ABBY - die neue Netflix-Show über das Verschwinden eines jungen Mädchens, das eine ganze Stadt in Atem hält. Der 99. Stock - ein gleichförmiger, hotelartig anmutender Gang, labyrinthisch und größer als gedacht. Niemand ist hier. Kein Bewohner, kein Wachmann – Leere. An teilweise mit Namen versehen Türen entlang, steht er schließlich vor M99.

 

Auf Linoleumboden befinden sich 10 Stühle. Nach und nach füllt sich der Raum mit identischen, silbrigen Maskenträgern. Als die zehnte Person die Treppe nach unten gekommen ist, vernehmen die beiden einen geographisch nicht zuordbaren Gong. Alle nehmen Platz, die Agenten folgen.

 

Einer spricht: Sagt die Dinge, von denen ihr sonst nicht sprechen könnt.

Die Gruppe antwortet: Die Wahrheit leitet uns.

Sprecher: Wir finden und wir kennen uns.

Gruppe: Wahrheit schafft uns.

Sprecher: Werden Herrscher unseres eigenen Daseins.

Gruppe: Die Wahrheit befreit uns.

Sprecher: Sprecht, was ihr sagen werdet

 

Erneut erklingt der Gong und es wird dunkel im Raum. Plötzlich erhebt sich die Versammlung. Schritte sind zu vernehmen, als Stühle gewechselt werden. Percy und Preston sehen sich gezwungen, mitzuspielen. Als das Licht, nunmehr zentriert über dem Stuhlkreis, erneut elektrisch zu surren beginnt, könnte niemand mehr sagen, wer sich hinter der Uniformität der Maskerade verbirgt.

 

L öffnet die unverschlossene Feuerschutztür. Wärme und stickige Luft dringen ihm entgegen, das gleichförmige Summen und Rumoren der Lüfter Dutzender Serverracks legt sich wie ein gutartiger Tinnitus über sein Gehör. Auf einem staubigen Schreibtisch erblickt er einen Desktop-PC, der das Herz des Systems zu bilden scheint. Er steckt den USB-Stick in die Maschine und der vormals schwarze Monitor erwacht zum Leben. Dutzende Shells öffnen sich, etwas scheint gebootet zu werden. Eine Prozentleiste füllt sich, bevor schließlich das Wort CENTRAL LED CONTROL OVERWRITE - S U C C E S S zu lesen ist.

 

Von einer seltsamen inneren Ruhe getragen, geht L zurück zum Fahrstuhl. Kein Alarm ertönt, kein Sicherheitspersonal stellt sich ihm entgegen. Das Atrium ist menschenleer und nur mehr schwach beleuchtet. Doch im Zwielicht erkennt er unter den zwei stilisierten Sonnen des großen Wandgemäldes einen… Kasten? der dort zuvor nicht stand.

Unvermittelt beginnt eine der Masken zu reden.

 

Der Mann, der in der Wohnung gegenüber von mir wohnt, ist nicht echt. Er ist wie eine große ... Puppe. Er bewegt sich in der Wohnung und sieht manchmal fast echt aus. Aber ich lasse mich nicht täuschen. Wenn das Licht richtig ist, sehe ich seine Fäden.

 

Schweigen.

 

Ich weiß nicht, warum sie die Straßenschilder entfernen. Erst gestern habe ich bemerkt, dass die Nummern an meinem Haus weg sind. Sie schicken Kinder los, um das zu tun. Sie übermalen die Schilder und klauen die Nummern. Ich habe eines ihrer Verstecke gefunden, gefüllt mit Stapeln von Straßenschildern und Hausnummern. Ich weiß, dass es echt ist. Ich weiß, dass es passiert.

 

Eine weitere Gestalt setzt an.

 

Wenn man weiß, was man sie fragen muss, können Statuen sprechen, wisst ihr? Könnt ihr euch vorstellen, dass sie tausend Jahre leben? Sie sind immer am warten. Sie haben viele Dinge gesehen. Sie haben alles gesehen.

 

L kommt näher. Es ist totenstill im Gebäude. Aus der Nähe betrachtet handelt es sich um ein merkwürdiges Gerät, etwa so groß wie eine Tischhockeykonsole. Es liegt flach auf dem Boden und hat keine Beine. Die Oberfläche ist mattschwarz lackiert. Auf den ersten Blick scheint sie ganz zu sein, doch in Wirklichkeit ist sie von kaum sichtbaren Linien und Scharnieren durchzogen. Er entdeckt seltsame, sorgfältig gefertigte, aufklappbare Holzteile an Metallscharnieren, Schienen und Riemenscheiben. Doch als seine Hand das Holz berührt, beginnt die Maschine zu klicken und zu schnappen. Kleine, kuriose Figuren erscheinen, Abbilder von ihm, Percy, Parker und Preston, die durch Schlitze oder Öffnungen in der Oberfläche auftauchen. Sie drehen sich und gleiten auf vertieften Schienen. Während sie sich bewegen, entstehen "Kulissen" um sie herum. Türen, Torbögen, Stadtlandschaften und vieles mehr schieben sich an ihren Platz. Die Kuriositäten der Agenten bewegen sich über den Tisch, und die Kulissen verschieben sich um sie herum. Es ist wie ein winziges, mechanisches Puppentheater. Ein kleines, kunstvoll gearbeitetes Macallistar, die Straßen New Yorks, die Ankunft in Boston, das Boxer Hotel, der Hinterhalt in der Trivellino Mall – ein plötzliches, mechanisches Stocken, als sie sich im nächtlichen Dorchester wiederfanden, das erneute Erwachen in dieser Welt. Die Flucht. Die Trennung. New York. Das Empire State Building. Die Lobby. Der Apparat.

 

Eine Frau spricht.

 

Ist noch jemandem aufgefallen, dass die Leute brennen? Ich meine, Leute, die nicht schreien oder so, sondern einfach die Straße entlanglaufen, während sie in Flammen stehen? Nein? Nur ich? ich hab es einmal gesehen, inklusive der Schrotflinten und Gasmasken

 

Niemand reagiert. Bis Percy Prestons Stimme vernimmt. Dass Menschen in der Ferne zu Marionetten werden, an Fäden durch die Welt gezogen, nicht mehr als Abbilder einer wirklichen Existenz, gefangen in den immer gleichen, simplifizierenden Bewegungsabläufen. Percy bezieht sich auf die Vorrednerin – auch er hat brennende Menschen gesehen. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmt die beiden, als sie vor der Gruppe Zeugnis ablegen. Ganz und gar plötzlich scheint eine Last von ihren Schultern genommen – sie atmen freier, denken freier.

 

Angestachelt erhebt ein weiterer Mann das Wort.

 

Ich habe ein Loch in meiner Wand unter dem Trockner gefunden. Ich kann nicht mehr warten. Ich gehe heute Abend rein. Ich werde meine Flasche finden.

 

Und eine andere weibliche Stimme ist auf einmal ganz aufgeregt.

 

Ich habe meine gestern gesehen. Es war in einem Traum, aber ich weiß, dass sie echt ist. Wenn du sie findest und öffnest, dann sagt sie dir Dinge!

 

Aus dem Seitenspiegel sieht Parker eine Gestalt mit Gasmaske, die sich mit schnellen Schritten auf den Wagen zubewegt. Er wirft eine Blendgranate aus dem Fenster und drückt auf das Gaspedal. Doch das Pedal ist nur Schein. Es handelt sich schlicht um ein Requisit. Parker verschanzt sich im Inneren und zieht seine Waffe, während er die Fenster im Auge behält. In seinem Ohr vernimmt er nur Rauschen. Das Signal nach drinnen ist abgebrochen.

 

Ein anderer Redner setzt an:

 

Einmal konnte ich nicht herausfinden, wo ich wohne. Nicht nur meine Adresse, sondern auch die Straße und sogar die Stadt. Ich konnte nicht einmal meine Stadt finden. Heh. Ich irrte einen Monat lang und ging nach... Europa, vielleicht? Es war schwer zu schwer zu sagen. Ich habe dort ein paar…

 

Mit einem laut widerhallenden Krachen explodiert der Kopf der maskierten Gestalt. Zwei Männer mit Schrotflinten und Gasmaske blockieren die Kellertreppe. Die anderen Teilnehmer der ENCOUNTER GROUP beginnen voller Panik und Terror zu schreien. Manche reißen sich die Masken vom Gesicht, doch zum Vorschein kommen nur normale Menschen, die keiner der beiden kennt. Percy ruft nach Verstärkung, doch das Signal nach draußen ist abgebrochen. Gleichwohl bemerkt er, während er panisch seinen Sender prüft, dass er sich gegen eine Tür lehnt, die ihm zuvor nicht aufgefallen war. Ohne groß darüber nachzudenken reißt er sie auf und rennt hindurch, den mittlerweile demaskierten Preston hinter ihm, verfolgt von den beiden Schrotflintenträgern.

 

Doch L beobachtet das Schauspiel weiter. Während sich die kleinen Agenten durch die Welt bewegen, erscheinen auf beiden Seiten ihres Weges seltsame Gestalten, zwischen denen sie hindurchgleiten. Sie tragen Gasmasken und haben Schrotflinten dabei. Sie "jagen" frenetisch die Kuriositäten der Agenten. Sie schießen immer wieder Pulverpatronen an den Enden ihrer Schrotflinten ab, die jeweils durch einen winzigen Uhrwerkhammer ausgelöst werden. Diese Gasmaskenfiguren werden gelegentlich von der Parkerfigur „getötet“ und verschwinden in der Kiste, um dann doch wieder aufzutauchen und die Agenten in größerer Zahl zu belästigen. Immer mehr werden es und auf einmal schiebt sich ein übergroßer, goldgekleideter König lautlos vor diese Prozession verfolgter Agenten. Wo er hingeht, erscheinen die Kulissen direkt vor ihnen, so als ob der König die Welt um sie herum erschaffen würde. Schließlich eilen die Agenten auf ein Gebäude zu, das sich aus mehreren Uhrwerkbewegungen auflöst und ein Schild mit der Aufschrift HOTEL BROADALBIN enthüllt. Dahinter betritt der goldene König eine aufklappbare Höhle und scheint eine Flasche auf ein Regal zu stellen. Als die Kuriositäten der Agenten das Hotel erreichen, verschwinden alle Elemente wieder im Tisch.

Schritte schwerer Stiefel hallen durch die Lobby. Schweres, gedämpftes Atmen. Eine Schrotflinte wird durchgeladen. Parcival beginnt zu rennen.

 

Preston und Percy jagen durch einen lichtlosen Gang, reißen eine Tür auf und blicken in das Panorama der Häuserschluchten Manhattans, vor ihnen das Empire State Building, dessen mehrere hundert Quadratmeter umfassende LED-Fassade vom Z̶e̵i̷c̵h̸e̴n̸ erleuchtet ist und aus dem gerade Parcival herausstürmt, verfolgt von einem Mann mit Schrotflinte und Maske, gleich den beiden, die gerade Preston durch den Gang folgen. Percy packt Parcivals Arm. Gemeinsam rennen sie so schnell es geht in eine Seitengasse. Etwas ist seltsam. Die Wände der umliegenden Gebäude wirken befremdlich, so als bestünden sie nicht aus Stein, Glas oder Beton – sondern wären nur Teil eines beeindruckend gefertigten, aber letztlich klar als solches erkennbaren Bühnenbildes.

 

Die Blendgranate explodiert, doch scheint sie Parkers Angreifer kaum zu irritieren. Ein Schuss durchschlägt die Frontscheibe – ein zweiter Angreifer nähert sich dem Wagen von der anderen Straßenseite. Parker rollt sich aus dem Wagen und eröffnet vollautomatisches Feuer auf den ersten Schützen, dessen maskierter Kopf von der Salve halb von seinem Torso gerissen wird. Doch hinter ihm nähern sich zwei weitere Kombattanten. Parker geht hinter dem Wagen so gut es geht in Deckung und zieht eine Granate, die einen der beiden und mit ihnen das… Requisit eines Baumes zerfetzen. Weitere Schüsse von der anderen Straßenseite. Drei neue schrotflintenbewährte Gestalten bewegen sich zielgerichtet auf ihn zu. Man kann sie nicht töten, zumindest nicht nachhaltig

 

Percy wirft eine Tränengasgranate hinter sich, wohlwissend, dass die Gasmasken die Wirkung stark einschränken werden. Die neblige Substanz blockiert zumindest für eine gewisse Zeit die Sichtlinie. Trotzdem landen die Verfolger erste Treffer, doch das Adrenalin im Blut lässt nicht zu, dass einer der drei zu Boden ginge. Parcival hat zudem das befremdliche Gefühl, dass die Wunde, die die Schrapnelle gerade in seiner Schulter verursacht haben, sich mit unnatürlicher Geschwindigkeit zu schließen beginnt. 

 

Parker ist umzingelt, als er bemerkt, dass nicht nur sein Wagen einem requisitorischen Regressionprozess unterworfen ist, sondern auch die Wände aller umliegenden Gebäude. Er greift seine Tasche, rennt zur Kirche und eröffnet das Feuer. SIE SIND IN DER UHRWERKWELT

 

Percy, Preston und Parcival hören vollautomatische MG-Schüsse wenige Meter vor ihnen aus einem der Gebäude und versuchen in Deckung zu gehen. Sie entspannen sich, als sie Parker durch die zerstörte Pseudo-Betonwand treten sehen. Parker schmeißt seine Tasche in Richtung der anderen, als er sie sieht und fordert sie auf, sich zu bewaffnen und hinter den (anscheinend nicht fahrfähigen) Autos auf der Straße Schutz zu suchen. Kurz darauf zerbirst das Erdgeschoss des Gebäudes aus dem Parker gerade hervorgetreten ist, als sich sämtlicher Sprengstoff, der noch im Wagen befindlich war, von ihm ferngezündet wird. Die strukturelle Integrität des 13-stöckigen Bühnen-Hochhauses ist nicht länger gegeben, es bricht zusammen und stürzt über die Straße.

 

Die Agenten beginnen zu rennen und bringen die fallenden Trümmer zwischen sich und ihre Verfolger. Schwer atmend hetzen sie voran, als sie plötzlich auf eine seltsame Prozession von Menschen, die Overalls, Arbeitsstiefel und Handschuhe tragen, treffen, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Sie tragen Seile, Flaschenzüge und andere Bühnenausrüstung. Sie schieben rollende Karren und Kulissen, ohne Rücksicht auf die Schrotflintenschüsse zu nehmen, die aus Richtung des Trümmerhaufens wieder an Intensität zunehmen. Percy bemerkt dass die transportierten Leinwandkulissen weiß gestrichene Säulen mit goldenen Filigranen darstellen. Mehrere Personen scheinen in Bühnenkleidung und Make-up aus einem Shakespeare-Theaterstück gekleidet zu sein. MEMO: AMBROSE MUSS DIE SZENE DEKORIEREN

 

Man kämpft sich durch den Strom der Menge, die Gasmaskenträger auf den Fersen, die doch gleichwohl von den Bühnenarbeitern nicht wahrgenommen zu werden scheinen. Plötzlich spürt L eine Hand auf seiner Schulter. Die Verfolgung durch die Killer lässt plötzlich nach, für einen Moment scheint es, als würde die Realität in Zeitlupe ablaufen. Ein Mann hält ein Bündel von Papieren in der Hand, die wie eine Zeitung zusammengerollt sind. Trotz des Blutes, der Schüsse und gezogenen Waffen übergibt er dem ihm voller Begeisterung die Papiere, denn die Rolle sei perfekt für ihn. Dann verschwindet er in der Menge Auf dem Umschlag des Drehbuchs steht: HER GREY SONG von B. Padgett. Innen sind alle Rollen für THE KING mit rotem Fettstift unterstrichen. Mit einem durch eine Gasmaske gedämpften Schrei kehrt die Welt zur „Normalität“ zurück. mein stück, darauf wette ich

Die Menge lichtet sich und die Agenten sehen den Ursprung der Masse – eine breite Tür, eingefasst in eine Holzwand. Sie rennen hindurch und finden sich in einem abgedunkelten Raum wieder, der dem Bereich hinter der Bühne in einem Theater ähnelt. Ihre Verfolger auf den Fersen, rennt die Gruppe immer weiter, vorbei an Seilen, Flaschenzügen und Sandsäcken, die Parker bestmöglich einsetzt, um die Gasmasken zu behindern. Hinterhältige, glitzernde Augen beobachten sie aus der Dunkelheit. Schemenhaft erkennbare Gesichter zeigen ein zerknirschtes Lächeln. Dann stehen sie erneut vor einer Tür, Percy reißt sie auf.

 

Die Agenten tauchen plötzlich auf einer offenen, hell erleuchteten Bühne auf und sind kurzzeitig geblendet. Auf ihr stehen zahllose Gestalten, in Kostüme gekleidet und überzogen geschminkt. Schauspieler, viele kommen ihnen bekannt vor. Doch Parkers sucht zielgerichtet nach einer Person. Schnell wird er fündig: Dr. Elias Barbas, kostümiert, wie dereinst auf eine Fotografie gebannt, blickt ihm in die Augen. so sieht man sich wieder

1895 – die gestörte Derniere.

 

Er hatte es geahnt.

 

Das Publikum beobachtet das Schauspiel voll aufgeregter Begeisterung, doch als Schrotflintenschüsse die Luft zerreißen, bricht allgemeine Panik aus. Auf der anderen Seite der Bühne entdeckt Percy eine einzelne, geschlossene Tür hinter den Vorhängen. Sie öffnet sich zur Straße an einem hellen Tag.

 

Die Agenten treten heraus. Sie sind umgeben von Menschen, Autos und den Geräuschen einer Großstadt. Verschwitzt und am Rande ihrer Kräfte rennen sie weiter. Doch etwas ist seltsam: Umstehende reagieren weder auf das plötzliche Auftauchen der Agenten noch ihrer Verfolger. Alle Männer tragen Anzüge und Hüte. Alle Frauen tragen lange Röcke, Kleider und unmodisches Make-up. Die Autos sind archaisch. Percy schließt, dass sie sich im New York der 1950er oder 1960er Jahre befinden müssen.

 

Sein Geist, nicht mehr fähig, dieses Faktum angemessen zu verarbeiten, versteigt sich zu einer bizarren Idee, als er einige Polizisten am Rande seines Sichtfeldes ausmacht. Schwer atmend ruft er, dass sie von einem sowjetischen Killerkommando verfolgt würden – und tatsächlich: Die Polizei beginnt sich zu regen und eröffnet das Feuer.

 

Parcival ist der erste, der es in der Distanz sieht: Ein anmutiges Art Decor-Gebäude, an dem die Worte HOTEL BROADALBIN prangen. OUT IS THROUGH

Es ist ein schweißtreibendes, lungenbrecherisches Rennen, um die letzten 50 Meter zum Hotel Broadalbin zurückzulegen. Preston bemerkt, dass die Killer sie nicht länger verfolgen. Sie greifen die Agenten nicht an, sie fliehen ebenfalls, denn sie alle werden von Polizisten in altmodischen Uniformen gejagt.

 

Mit letzter, verzweifelter Kraft schleppen sich die vier über die Schwelle zum Hotel Broadalbin. Ein Gefühl der Synchronizität, des Déjà-vu und der Vollendung überkommt sie. Ein kleiner, immer grinsender Mann, der es irgendwie schafft, gleichzeitig wie ein Teenager und ein Rentner auszusehen, begrüßt sie.

 

Er stellt sich als Elmer Losette vor. 

Edited by aeq
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  • 3 months later...

EXEUNT - BROADALBIN I

 

Mr. Wilson erwacht. Eine in die Jahre gekommene, doch großzügige und bequeme Couch mit rotem Samtbezug quietscht kaum vernehmlich unter ihm, als er sich umblickt. Zwei kurze Marmorsäulen, die von vergoldeten Wasserspeiern gekrönt werden, flankieren die Eingangstüren der Lobby. Jeder Wasserspeier hat eine Gasflamme in seinem Mund, an der sich Raucher Zigaretten anzünden können.  Vereinzelte Gestalten auf anderen, gemütlich wirkenden Sitzmöbeln sind in der Halle verteilt, ins Leere starrend, wohl in Gedanken oder stummer Erwartung. Er muss eingenickt sein. Broadalbin wirkt, als wäre es dem Verfall preisgegeben. Früher wurden keine Kosten gescheut. Als seine Mahagoni-Portale zum ersten Mal geöffnet wurden, muss es ein herrlicher Anblick gewesen sein. Jetzt scheinen Goldverzierungen, schuppige und abblätternde Tapeten, pockennarbige Geländer und ausgefranste und dünne Teppiche eklektisch rearrangiert, wie um die schlimmsten Mängel zu verdecken.  

 

Eine Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Ein Mann, am anderen Ende der Couch, in anachronistischster Kleidung, knapp einen Meter von ihm entfernt. In altertümlich anmutenden Französisch versucht er Wilson in ein Gespräch zu verwickeln, welches jedoch schnell an der offenkundigen Sprachbarriere zu scheitern verdammt ist. Wilsons Blick schweift in Richtung der Wand. Innerhalb ziselierter Goldverzierungen zeigt die Tapete ein sich wiederholendes Motiv von winzigen, sich wiederholenden Kinderclowns, die an einer Schnur einen gewundenen Drachen hinter sich herziehen. DER URSPRUNG DES CLOWS

 

Mr. Rabel erwacht. Es fällt schwer, sich genau zu erinnern, welche Abfolge von Ereignissen dazu führte, dass er nunmehr vollbekleidet auf einem Bett inmitten eines Hotelzimmers liegt, welches eine exakte Kopie des Raumes zu sein scheint, in den er dereinst hineingeschwommen war. War das vor vier Tagen? Wochen? Monaten? Er schaut sich um. Eine Toilette scheint es nicht zu geben. Seine Kleidung ist dafür sauber im Schrank verstaut und zusammengelegt, sein Helm geradezu liebevoll darauf drapiert. Er spürt das Gewicht seines Messers an sich, doch zeitigt auch eine längere Suche keine Klarheit ob des Verbleibs seiner sonstigen Bewaffnung. Die Akten des Deuxieme Bureaus liegen auf dem Nachttisch, wohlverstaut in der altbekannten Bleitasche. Im Schubfach darunter findet sich gleichwohl keine Gideon-Bibel, stattdessen jedoch ein rotes Büchlein, wie jene von Barbas. Rabel atmet tief ein und schlägt die erste Seite auf. Es ist leer, leer wie sein Notizbuch. Mit einer Ausnahme – ein Blatt in seiner Handschrift, darauf die Namen

 

Linz verachtenswert

Carun inkompetent

Barbas

Moseby armselig

 

und – durchgestrichen, doch dann erneut überschrieben –

 

Fitzroy infantil

 

die letzten vier mit Fragezeichen versehen. Die Schreibmaschine des ersteren befindet sich auf dem Schreibtisch, doch ist dies nicht Zimmer 616. Ein Blick auf die Durchwahl des Telefons bringt Klarheit. Zimmer 618. SECHSTER STOCK? INTERESSANT

 

Rabel resigniert. Es mangelt an Gas, um diesen Vektor auf die althergebrachte Art zu beseitigen. Er nimmt die Karte des Stockwerks aus dem Feuerschutzplan, packt seine Ausrüstung (soweit noch vorhanden) zusammen) und setzt seinen Helm auf, bevor er auf den Hotelflur hinaustritt. Irgendwo müssen die anderen sein.

 

Mr. Thal erwacht. Sein Kopf zuckt von einer holzvertäfelten Bartheke nach oben. Ein kleiner, schmaler, aber zwei Stockwerke hoher Raum, der vor den Blicken der Kunden an der Rezeption durch Doppelschwingtüren geschützt ist. Einige Angestellte sitzen in der Ecke und rauchen. Zeitschriften, alte Bücher und Zeitungen aus den 1920er und 1930er Jahren liegen verstreut auf einem schmalen Regal, das den Raum auf halber Höhe umgibt. Ein langer, schmaler Teppich zieht sich von den Türen bis zur anderen Seite des Raums. Ein kleiner, eiserner Industrieventilator ist in die Holzdecke eingelassen, um Zigarettenrauch zu vertreiben. Es riecht nach Schnaps. Ein dicklicher, älterer Mann in einer knisternden Plastiksilberrobe tippt ihn wiederholt mit seinem Zeigefinger an. Neben ihm liegt eine weiße Pappmache-Maske. Vage, traumgleiche Erinnerungen scheinen zu implizieren, dass er bereits seit längerer Zeit hier ist, doch fühlt er sich instinktiv genötigt, in Erfahrung zu bringen, ob sein Gegenüber es „ebenfalls gerade herausgeschafft“ hätte.

 

Der Mann, der sich als Henry Lundine vorstellt, blickt Thal nur verständnislos an, ein Zustand an dem auch Verweise auf die Geschehnisse im Rahmen der ENCOUNTER GROUP-Sitzung nichts ändern können. Er sei hier, um einen König zu treffen, gekommen durch eine Tür, die er in seinem Haus in New York gefunden hat, als er das Dach betreten wollte. All das hätte er doch bereits mehrfach erklärt, ob sich sein Gegenüber nicht gut fühle? Vielleicht sollten sie eine Kleinigkeit essen gehen. Thal weiß, dass er jeden Tag zwei neue Wertmarken für Essen vom Auto-Mat in der Lobby bekommt. Er zieht sie aus seiner Hosentasche und schließt sich Mr. Lundine an.

 

Mr. Lutece erwacht. Der Grund ist ein schwaches Ziehen an seinem Anzug. Auf der Suche nach seinem Ursprung fällt sein noch minimal von Traumfragmenten verwirrter Blick zuerst auf mehrere knisternde Kaminfeuer in seiner Nähe, Feuerschalen mit Toastscheiben, die von ein, zwei Gästen in Lehnstühlen und Sesseln um ihn herum in die Flammen gehalten werden und schlussendlich auf die lange Wand mit kleinen, verglasten Fensterchen, mit einzelnen Gerichten gefüllt oder leer, hinter ihm. Der Speisesaal. Ein leises, sonores Schnarchen legt nahe, dass er nicht der einzige ist, der sich Orpheus Griff, in eines jener bequemen Sitzmöbel gebettet, nicht entziehen konnte. Er ist durchdrungen von einem kaum charakterisierbaren Gefühl der Erleichterung und des allgemeinen Wohlbefindens. Doch bevor seine Gedanken weiter davondriften, erinnert er sich wieder des nunmehr beharrlicher werdenden Ziehens an seiner Kleidung, welchem nunmehr durch eine piepsige Stimme Nachdruck verliehen wird. Ein blasses junges Mädchen, kaum 12 Jahre alt, mit einem schwarzen Haarwirrwarr, gehüllt in ein leicht altmodisches, weißes Nachthemd, erinnert ihn mit der gespielten Andeutung eines Vorwurfs daran, dass er doch mit ihr das Gebäude weiter erkunden wollte. Er blinzelt sie an, lächelt und nickt. Sie greift nach Luteces Hand, blickt zu ihm herauf und fragt mit kindlicher Neugier, was ihn eigentlich hierhergeführt hätte. Nach kurzem Nachdenken entgegnet er, dass er und seine Freunde auf der Suche nach einem Mädchen gewesen seien, kaum älter als sie es sei. Doch das Kind runzelt die Stirn und unterbricht ihn. Mit einer seltsamen Sicherheit in der Stimme stellt sie fest, dass Abigale natürlich älter als sie  gewesen sei. Sie hält inne, scheinbar von sich selbst überrascht. Mit einem erneuten warmen Lächeln überwindet Lutece die kurze, etwas unangenehme Gesprächspause. Er stellt sich als Künstler vor, worauf ihre Begeisterung geweckt ist – könnte es wohl sein, dass Mr. Lutece schreibt? Er verneint und stellt die Gegenfrage. Das Mädchen beginnt geradezu zu leuchten, als sie erwidert, dass sie für ihr Leben gerne schreibe. Mit einem gewissen Stolz fügt sie hinzu, dass ihre Mutter ihr gesagt hätte, sie sei gar eine Art Wunderkind. Ein Verdacht beginnt sich in Lutece Gedanken zu formen, als er das Kind nach seinem Namen fragt. Das Mädchen reagiert spielerisch enerviert – wie hat er es denn nur geschafft, zu vergessen, dass sie Emeline heißt. Emeline Fitzroy. hier schrieb sie ihre geschichte – UND WAS NOCH?

 

Thal und Lundine durchschreiten die Bar. Nach einem kurzen Monolog über die wechselhafte Qualität der im Hotel feilgebotenen Speisen versucht Lundine seine Begleitung stärker in ein Gespräch einzubinden, er selbst sei ja nur auf der Durchreise, um besagten König zu treffen, aber was führte ihn eigentlich ins Broadalbin? Thal reagiert einsilbig – eine Freundin versuche er zu finden, welche im sechsten Stock residiere. Lundine schüttelt ungeduldig mit dem Kopf. Er hätte diese Abigale ja schon mehrfach erwähnt und sein Zimmer befände sich ja ebenfalls im sechsten, worin genau liegt denn eigentlich das Problem? Gegebenenfalls könne er sich ja auch einfach an Losette wenden, und deutet auf den Mann hinter der Rezeption, der gerade leicht konsterniert einem Franzosen in altmodischem Kostüm lauscht, offenkundig ohne dass auf beiden Seiten auch nur ein Hauch von Verständnis für den jeweils anderen existierte.losette ist ein unruhestifter  Als Thal Lundines Geste folgt, erstarrt er in der Bewegung, als er in der Nähe jener babylonischen Sprachverwirrung den etwas orientierungslos wirkenden Mr. Wilson entdeckt. Lundine zuckt mit den Schultern und geht bereits vor, um Plätze zu reservieren, während Wilson und Thal ihre Erinnerungen und Erkenntnisse austauschen. Wie lange sind sie schon hier? Was haben sie in dieser Zeit getan? Wo war Agent Parcival und was hatte er getan? Keiner von beiden hat Antworten auf diese Fragen, doch Wilson erinnert sich zumindest an Lundine. Der Mann, der durch die labyrinthischen Tunnel unter dem Dorchester House rannte, als Bael sie zum Theater führte. ER WAR NIE FÜR SEINE PÜNKTLICHKEIT BEKANNT

 

Rabel steht in einem Gang, der ihn auf unangenehme, aber penetrante Weise an die Korridore in den befremdlichen höheren Stockwerken des Macallistars erinnert. Vorsichtig, geht er zum Nachbarzimmer. 616. Er hält die Luft an, die Hand am Messer in seiner Tasche, und klopft. Die Stimme auf der anderen Seite ist nicht Linz, als sie fragt, was los sei. Rabel stellt sich mit korrektem Namen vor. Die Tür öffnet sich. Ein junger Mann, der eine weiße Wehrmachtswinterjacke trägt und ein Gewehr hinter sich herzieht. Er blickt angestrengt in Rabels Gesicht, den Helm auf seinem Kopf vollkommen ignorierend. Pvt. Labolas kenne einen David Rabel, der ihm ähnlich sähe. Könnten die beiden verwandt sein? Rabel lügt über die Verwandtschaft zu seinem Onkel und entgegnet, dass die beiden entfernte Cousins seien. Je mehr Labolas Vertrauen zu seinem Gegenüber fasst, desto offenkundiger wird, wie verwirrt und hilflos er scheint. Er behauptet, er sei in einem großen französischen Haus mit vielen "verrückten" Türen während der Ardennenschlacht 44 in den Kampf verwickelt gewesen, aber dann hier aufgewacht. Weiß nicht, welches Jahr es sei. Die Zeitungen, die er findet, sind aus den 20ern und 30ern, doch die Schlagzeilen sind fremdartig. Ist er in einer Nervenheilanstalt? Nach kurzem Zögern entgegnet Rabel, dass es 1945 sei. Der Krieg wäre gerade vorbei und er wäre nach einer Verwundung wohl hier untergebracht worden. Aus unsagbar müden Augen blickt der kaum 30-jährige Soldat Rabel an, offenkundig, dass er an seinen Worten zweifelt. Er ahne, dass er sich in der Vorhölle befindet. Nur wie lange noch? WIE IN TRANCE SAH ER DEN CLOWN DURCH DIE GÄNGE TANZEN

 

Emeline zieht Lutece Hand in Hand flink aus dem Speisesaal heraus und durch die Lobby hindurch, doch auf halben Weg hört er vertraute Stimmen in der Nähe der Rezeption. Mr. Thal und Mr. Wilson. Er erstarrt. Auf Emelines fragenden Blick hin erklärt er, dass die beiden Freunde seien, sie sich jedoch nicht unter den besten Umständen getrennt hatten. Nach kurzem Nachdenken entgegnet sie, dass echte Freunde einander verzeihen können. Mehr zu sich selbst gerichtet nickt Lutece und geht auf die beiden zu. Die beiden reagieren kühl, doch haben kaum eine andere Wahl als im Angesicht des Mädchens aufzutauen. Lutece stellt sie als Polizisten vor. Oder Leute, die für die Polizei gearbeitet haben. Arbeiten werden? Emeline ist irritiert, dass ihr Begleiter anscheinend Probleme mit Tempusformen hat, welche doch selbst ihre unfähigsten Altersgenossinnen beherrschten. Er antwortet ausweichend. Plötzlich weiten sich die Augen der Kleinen und ihr Mund verzieht sich zu einem verschmitzten Grinsen. Ob die vier aus der Zukunft kämen? Menschen aus der Vergangenheit gäbe es ja auch, wie zum Beispiel diesen „komischen Mittelalterfranzosen“. Doch mit einer für ihr Alter überraschenden Luzidität erkennt Emeline, dass die drei wohl einige Dinge ohne sie besprechen müssen und bietet an, sich zurückzuziehen, wenngleich es ihr schwer fällt, ihre Enttäuschung zurückzuhalten.

 

Lutece bittet sie, kurz zu warten und zieht aus seiner Tasche die Skizze der Judgement-Tarotkarte, die er dereinst im Traum gesehen hatte. Er bittet sie, darauf aufzupassen, bis sie sich endlich (bald!) wiedertreffen könnten, um das Hotel gemeinsam zu erkunden. Voller Bewunderung für die Kunstfertigkeit nimmt sie Lutece die Zeichnung ab. Tatsächlich kennt sie das Motiv. Lady Trionfi hätte ihr ebenfalls bereits die Karten gelegt. Sie sei irgendwo in einem der höheren Stockwerke.

 

Nachdem sich das Mädchen verabschiedet hat, reden die drei. Agent Parcivals Handlungen werden hierbei für den Moment ausgespart, stattdessen stehen drängendere Fragen im Zentrum: Sie sind alle aufgewacht – was, wenn sie hier immer wieder aufwachen, ohne sich erinnern zu können? Sie müssen sich sammeln, brauchen Parker und müssen Notizen machen. Sie gehen zusammen in den Essenssaal, wo Lundine ihnen bereits den Platz reserviert hat.

 

Ziellos streift Rabel durch die Korridore des Broadalbin. Die Gänge sind im Gegensatz zum Macallistar klar begrenzt und scheinen der Karte zu entsprechen, die er aus seinem Zimmer mitgenommen hatte. Doch die Anzahl der Stockwerke selbst, das ist eine andere Frage. Er meidet den altmodischen Fahrstuhl und erwidert das freundliche Grüßen des Liftboys nur halbherzig, während er die Treppen nach oben geht. Im 30. Stock angelangt, ist er schwer atmend davon überzeugt, dass das Hotel nicht enden wird. Er muss die Anderen finden. Den einen oder anderen Gast passierend, macht sich Rabel auf den Weg zum Speisesaal.

 

Wilson, Lutece und Thal setzen sich neben den bereits essenden Lundine, welcher im Angesicht der gehörigen Verspätung seiner Begleitung und der nicht abgesprochenen weiteren Gäste, mit denen er nunmehr seinen acht Plätze (davon bisher sieben leer) teilen muss, finster in Richtung der Kamine starrt. Thal blickt ebenfalls zum Feuer, doch treiben ihn kulinarische Gelüste um. Er muss einfach einmal einen dieser gerösteten Toasts probieren. Als er die paar Schritte zur langen Wand mit den kleinen, verglasten Speisefenstern geht, um sich etwas Weißbrot zu holen, bemerkt er ein Fragment einer eingerissenen LSD-Pappe, die wohl ein Stück des verrückten Hutmachers aus Alice im Wunderland abbildet. Er erinnert sich gut daran, dass Nathan diese häufiger gekauft hatte.

 

Mr. Wilson bemerkt eine alte Frau mit schütterem, grauem Haar und einer abgemagerten Figur, die ein Nachthemd und Hausschuhe trägt. Lundines finstere Blicke über den Rand seines Sandwiches hinweg können sie nicht davon abhalten, sich dem Tisch zu nähern. Sie schleppt eine veraltet aussehende medizinische Infusionsleitung hinter sich her, die noch an ihrem inneren Ellbogen festgeklebt ist. Ihr Gesicht ist voller Staunen. Sie behauptet, sie sei hier, um ihren Sohn zu sehen, der "im Hotel wohnt" und um seinen Namen von den Morden reinzuwaschen, die ihm die Polizei angehängt hat. Ob sie ihn wohl gesehen hätten? Sein Name sei Asa Daribondi. Wilson und Lutece verneinen, Lundine ebenfalls, doch nicht ohne der suchenden Mutter klarzumachen, dass seines Erachtens nach ihr Nachwuchs zwar ein Genie sei, gleichwohl allerdings schon im Bauprozess seines Hauses durch seine mentale Labilität aufgefallen war. Er jedenfalls zweifle nicht daran, dass Daribondi die Kinder tatsächlich ertränkt hätte. Für einen kurzen Moment ist der Blick der alten Dame von Verzweiflung und Wut gezeichnet, bevor sie inne hält und langsam, ohne weitere Worte, davonzieht. die wahrheit schmerzt

 

Rabel ist im Essenssaal angekommen und bemerkt den nachdenklich auf einen kleinen Papierfetzen starrenden Thal. Beide setzen sich über das bisher Geschehene ins Bild, bevor sie zum Tisch gehen. Die Stimmung ist erwartungsgemäß ein wenig unterkühlt, als sich die Blicke von Rabel und Lutece treffen, doch kommen alle schweigend darin überein, schwere Gespräche bis auf weiteres zu vertagen. Gleichwohl stellt Lundine mit leichter Indignation und minimal übertriebener Lautstärke fest, dass er sehr wohl merke, wenn er nicht erwünscht sei und sich deshalb nunmehr zurückziehen würde.

 

Nach kurzer Unterhaltung ist klar, dass zumindest in einem wesentlichen Punkt Einigkeit zwischen den vier Gentlemen herrscht, ein Punkt, in dem sie sogar Lundine zustimmen müssen. Sie müssen Abigale finden. Und möglicherweise ist der einzige, der ihnen hierbei weiterhelfen kann, tatsächlich der seltsam alterslose Rezeptionist, Elmer Losette. Doch dieser hält sich bedeckt, zumindest ohne Gegenleistung. Und so kommt man darin überein, dass er den Herren gegen eine kleine Gebühr von Melonia-Samen Auskunft gewähren würde…

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  • 3 months later...

EXEUNT - BROADALBIN II

 

Immer noch in der Lobby stehend, auf halbem Wege zwischen Aufzug und Rezeption positioniert, hält die Gruppe erneut inne. Ist der Fahrstuhl funktionstüchtig oder wäre die Treppe die bessere Wahl? Sollten sie wirklich nach oben gehen, um das Melonia zu holen? Kann man Losette ehrlich trauen? Selbiger wirft immer wieder aus den Augenwinkeln kurze, huschende Blicke zu Mr. Rabel und den anderen herüber. Als Ihnen dies nicht mehr entgeht, räuspert er sich und fragt, ob er noch etwas für sie tun könnte.  Die Intervention genügt, um den kurzen Weg Richtung Fahrstuhl abzuschließen und in die gerade ins Erdgeschoss einfahrende Kabine zu treten, aus der heraustretend sich ein Mann in Sträflingskleidung an Mr. Wilson vorbeischiebt. Mr. Thal blinzelt. Hatte nicht Lundine nach einem Herrn Decraig gefragt, der solch zweifelhafter Mode frönte? Bevor er weiter darüber nachdenken kann, ist die Gestalt verschwunden und die Herren treten ein.

 

Nervös befühlt Lutece die Innentasche seines Anzugs. Schon seit er am Kamin in Gegenwart der kleinen Emeline erwacht war, fragt er sich, wo das Drehbuch verblieben sein mochte, welches ihm der seltsame Mann auf der Flucht aus der Realität gen Broadalbin in die Hand gedrückt hatte. Er hatte es eingesteckt, doch befindet es sich nicht länger an seinem Körper. plagiate, wohin man nur blickt

Um sich abzulenken, blickt er sich in der kleinen Kabine um. Der alte Aufzug muss wohl einst ein Wunder des viktorianischen Zeitalters gewesen sein, doch nunmehr wird er nur noch von Punktschweißungen, schwarz lackierten Metallklammern, die mehr schlecht als recht zum Eisen passen, und sogar von Abschnitten eines leidlich versteckten Seils zusammengehalten. Es rattert und klappert, als sich der Boden durch die plötzliche Veränderung des Gewichts unmerklich absenkt. Die Lobby und die Wände sind durch den sich hinter den Eintretenden schließenden Eisenkäfig hindurch sichtbar. Rabel muss den unwillkürlichen Gedanken unterdrücken, dass die Kabine im Falle eines Schusswechsels wohl nur begrenzt Schutz bieten würde.

 

Ein ältlicher Mann begrüßt sie pflichtbewusst und mit einem befremdlich gekünstelt wirkenden italienischen Akzent. Er trägt ein übergroßes Pagenkostüm, welches ihm bis zu den Knöcheln reicht und an den Handgelenken baumelt.  Hinter ihm sind in eine hüfthohe Mahagonileiste eingelassen nur die Pfeile "UP" und "DN" zu sehen, keine Nummern oder Etagenmarkierungen. Fragend blickt er in Richtung der Gäste. Thal bittet um Beförderung in den sechsten Stock. Der Mann lächelt. Seine Hand ruht auf einem empfindlich wirkenden Richtungshebel mit goldenem Griff, den er mit sanfter Präzision nach unten zieht, während er die UP-Taste betätigt.

Der Aufzug setzt sich in Bewegung und der alte Liftboy bemüht sich um freundliche Konversation. Er stellt sich als Guido „Charley“ Antonucci vor und nach einem kurzen zwanglos-belanglosen hin und her fragt er seine Gäste nach dem Grund ihres Hierseins. Kurze Blickwechsel, nicken. Man sucht eine Freundin. Abigale. Ob er sie vielleicht kennen würde? Für einen kurzen Moment ruckt der Fahrstuhl, als Charley unwillkürlich die Hand vom Hebel nimmt, bevor er sich seiner Tätigkeit besinnt. Ein angedeutetes, leicht nervös scheinendes Kichern durchzieht seine Worte. Ja, er erinnere sich an sie, doch sei sie aller Wahrscheinlichkeit nach mittlerweile nicht länger Gast. Wohin sie ihr Weg geführt hätte? Ein erneutes lavierendes, halb unterdrücktes Lachen. In Richtung des Kellers. Ob sie auch dort herunterkönnten? Nun, eigentlich wären die Stockwerke unterhalb der Lobby dem Personal vorbehalten, aber diverse Gäste würden diese Regel… flexibel interpretieren. Gleichwohl würden die Angestellten des Hotels ein solches Eindringen in ihre angestammte Sphäre, die Wäscherei, die Küche, die Unterkünfte, nicht sehr schätzen. Andererseits freue im Besonderen er sich stets über Gesellschaft. Falls Interesse bestünde, könnte er sie gegebenenfalls einmal zum Essen herunterholen? Vielleicht ergäbe sich ja bei dieser Gelegenheit eine Möglichkeit, um sich einmal ein wenig umzuschauen. Ein kurzes, verblüfftes Schweigen, der Fahrstuhl rastet mit einem Glockenschlag im sechsten Stock ein. Natürlich möchte er sich nicht über das Verhältnis zwischen Hotelangestellten und Gästen erheben, setzt er noch leicht peinlich berührt nach, doch Thal unterbricht ihn. Sehr gerne würden sie auf dieses Angebot zurückkommen. Charley lacht noch einmal leicht nervös und öffnet die Tür. Er verabschiedet sich von den vier Herren namentlich und bietet dem arg übermüdet wirkenden Mr. Wilson an, ihm einen Kaffee auf sein Zimmer bringen zu lassen, worauf dieser dankend eingeht. niemand fragt ihn je nach seinen puppen  

Ein seltsamer Zeitgenosse. Kann man seinen Aussagen über Abigale Glauben schenken? Was sollte sie im Keller suchen? Und ist der auf dem Silbertablett servierte Weg in den Selbigen eine Falle? Die Vier sind sich nicht gänzlich sicher, inwieweit Charlies Verhalten und nicht zuletzt die Einladung nach einer weniger als 60-sekündigen Unterhaltung genuinen Grund zum Misstrauen bietet oder statistisch nicht vom Grundrauschen der Normbefremdlichkeit des Broadalbin zu unterscheiden ist. Verhalten stimmt man letztlich darin überein, auf das Angebot am Abend einzugehen, sofern sich keine bessere Alternative ergibt. Doch wann ist überhaupt Abend?

 

Gemeinsam betritt man Wilsons Zimmer. Seine auf der Flucht unter großen Strapazen mitgeschleppte Ausrüstung findet sich zu seiner großen Erleichterung sauber verstaut in den hoteltypischen hölzernen Schränken und Schubladen. Ein größeres Problem stellt allerdings die Stromversorgung dar. Während das Broadalbin durchaus elektrifiziert ist, sind im Raum nur zwei antiquiert wirkende Steckdosen verbaut, in denen das Telefon und die Schreibtischlampe stecken. Wilson überprüft den Akkustand seiner wichtigsten Geräte. Seine Drohne könnte unter Volllast noch sieben Minuten, sein Laptop eine knappe Stunde betrieben werden. Thal wirft Rabel einen kurzen, fragenden Blick zu und nickt in Richtung des gedankenverloren an die Wand starrenden Lutece.

 

Rabel schüttelt den Kopf. Er blickt in Richtung des Bettrandes. Statt einer Gideon-Bibel hatte sein Nachttisch ein leeres rotes Büchlein enthalten, gleich jenen, die Barbas in seiner Wohnung als Rohling des Stückes benutzte. Was würde er hier finden? Er öffnet die Schublade. Eine Kopie von Nightsea, deren Cover von Zwillingssonnen dominiert wird, welche in einem See versinken. JEDE GESCHICHTE KANN EIN ENDE FINDEN

 

Es klopft. Ein unauffälliger, ein wenig picklig wirkender, junger Mann ist durch den fischäugigen Türspion erkennbar, ein Tablett vor sich balancierend. Wilson nimmt seinen Kaffee in Austausch für eine Wertmarke in Empfang - koffeinerstarkt beendet er seine Arbeiten einige Minuten später und die Gruppe macht sich auf den Weg zum schräg gegenüberliegenden Zimmer. Lutece Unterkunft.

 

Auf dem Gang legt Rabel Thal kurz die Hand auf die Schulter und nickt ihm kaum merklich zu. Lutece betritt sein Zimmer, gefühlt zum ersten und hundertsten Mal zu gleich. Alles, was er bei sich trug (ergo nicht sehr viel) ist auch hier ordentlich eingeräumt. Auf seinem Schreibtisch sieht er das Drehbuch liegen. "HER GREY SONG von B. Padgett". Er schlägt es auf. Ein Off-Broadway Theaterstück aus dem Jahr 1955. Wenn auch durch Regieanweisungen und Hinweisen auf Requisiten ergänzt - der Text ist ihm bekannt, er ist identisch mit jenem des roten Büchleins, welches er gestern, vor Wochen, Monaten auf seinem Bett sitzend, gelesen hatte. Im Inneren sind alle Abschnitte für DEN KÖNIG mit rotem Buntstift unterstrichen. Erst, als er den Blick von den Seiten löst, bemerkt er, dass Percy, Preston und Parker sich strategisch im Raum positioniert haben. Es scheint merklich kühler geworden zu sein. Er atmet tief ein und blickt jeden Einzelnen von ihnen nacheinander in die Augen. Dieser Moment ließ sich nicht ewig herauszögern.

 

Parker weist Preston an, das Zimmer zu durchsuchen, ohne seinen Blick von Lutece zu nehmen, die Hand demonstrativ an der Hosentasche, in der sich sein Messer befindet. Schweigen. Schließlich ist es an Percy, die offenkundige Frage zu stellen: Wieso hat er sie verraten? Nach all den Jahren? Lutece scheint irritiert. Als Parker und Percy darlegen, was nach dem Verschwinden von Agent Parcival passierte, wirkt er genuin überrascht und erschüttert. Insbesondere Parker fällt es ob der offenkundigen Naivität von Lutece zunehmend schwer, ruhig zu bleien. Doch bevor er etwas sagen kann, ergreift Percy erneut das Wort und bekräftigt sein Drängen nach Antworten: Warum? Was war der Plan? Eine geradezu flehende Verzweiflung liegt in seiner Stimme. Parcival legt das Theaterstück zur Seite. Er greift in die Innentasche seines Anzugs und zieht etwas hervor. Es ist die Nachricht Abigales, die ihm das Uhrwerkkind nach ihrer Flucht aus der Anstalt überbracht hatte.

 

Go now,

Find the hotel,

the labyrinth,

the author,

his bottle,

The city,

the lake,

its shadow,

the battle,

Then, the party,

the dance,

the girl in blue,

the one singing,

“Nothing is true,

except out is through”

Love and kisses,

Abby    

 

Die anderen kennen sie, doch stellt er sicher, dass alle drei sie noch einmal sorgfältig gelesen haben. Er beginnt davon zu erzählen, wie er über die vergangenen 20 Jahre zunehmend verstand, wie sinnlos ihr Kampf war. Dass sie die Apokalypse allerhöchstens noch einen weiteren Tag auf Distanz halten, der Menschheit ein paar weitere Stunden seliger Unwissenheit erkauften. All die Toten. Die Unschuldigen. Die Mitwisser. Die Familien. Warum? Wofür? Die Zweifel wurden stärker, Mission für Mission. Doch als er Abigales Nachricht las, waren all die Stimmen in seinem Kopf verstummt. Alles, was blieb, war die glasklare Gewissheit, dass ihre Worte einer tiefgreifenden Wahrheit Ausdruck verliehen. Dass sie ihre Botschaft beherzigen und tiefer in den Kaninchenbau vorstoßen, die Flasche finden und überbringen, sich auf den Tanz jener Mächte, die so viel größer waren als sie selbst, einlassen müssten, oder ihre Existenz und mit ihr möglicherweise alles, was sie zu kennen geglaubt hatten, dem Untergang geweiht war.

 

Nothing is true, except out is through.

 

Parker ignoriert Lutece emotionalen Appell. Kalt fragt er ihn, was Wist im Gegenzug für seine Hilfe verlangt hatte. Erst ausweichend ergibt sich im Wechselspiel mit Parkers unerbittlichen Fragen nach und nach ein Bild dessen, was Lutece getan hatte – der USB-Stick, das Empire-State-Building, der Server, das Z̵eich̵en̵͛ͅ. WILDE HAT SEINE ROLLE ERFÜLLT  

 

Schweigen. Wortlos greift Parker nach dem Drehbuch und schlägt die letzte Seite auf. Er erkennt ihren Text aus den wenigen Zeilen von Moseby’s Übersetzung wieder. Das Stück.

Schließlich fragt Percy, was Parcival im Angesicht seines Verhaltens für angemessen hält.

 

Lutece weiß es nicht. Doch mit einem höhnischen Lachen ergänzt er, dass Parker mit Sicherheit eine Idee hat, erkennt er doch in seinen Augen exakt den gleichen Glanz, der ihn bis in seine Träume heimgesucht hat, nachdem sie zum Abschluss einer Operation „aufgeräumt“ hatten.

 

Parker übergeht Luteces Kommentar und weist Preston an, zu prüfen, welches Buch in der Nachttischschublade zu finden ist. Es ist „A World Without Doors“, verfasst von Emeline Fitzroy.   

Parker weiß nicht ganz, was er erwartet hat. Er setzt sich auf die Kante des Bettes und beginnt zu erzählen. Von seiner Zeit in der Gruppe. P-Cell. Der alten P-Cell, vor Parcival, Preston und Percy. Von Agent Portia. Oder dem, was einmal Agent Portia gewesen war. Wie sie einfach nicht sterben wollte. Bittete und bettelte. Und er sie zusammen mit Agent Phillip trotz allem verbrannte. Wie sie schrie, solange ihre Lungen noch dazu in der Lage waren. Und wie Phillip danach seelenruhig seine abgesägte Schrotflinte an sein Kinn legte und abdrückte.

 

Parkers Stimme war kontinuierlich lauter geworden. Mittlerweile schreit er sein Gegenüber an. Woher er die Unverfrorenheit nähme, ihm die unvermeidbaren Opfer ihrer Arbeit vorzuwerfen? Ob Lutece auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was Parker aufgegeben hat, was er verloren hat? Er hat keine Familie mehr. Er IST Delta Green. Und nunmehr hat er alles verloren, was ihm geblieben war. Wegen ihm. Parcival ist der Grund, warum A-Cell sie zum Abschuss freigegeben hat. Er und sein kleinliches Denken, sein Festhalten an Moralvorstellungen, die im Angesicht ihres Kampfes nur als absurd zu bezeichnen sind. Sein heuchlerisches Betrauern von Bauern, die nicht einmal wissen, auf welchem Spielbrett sie sterben mussten. Und im Angesicht all dessen besitzt er die Unverfrorenheit Parker mit einer derartigen Mischung von Unfähigkeit und Idiotie entgegenzutreten? Hatte er in den vergangenen 20 Jahren IRGENDETWAS gelernt? Verbleibt ein einziger, nur EIN EINZIGER Grund, weshalb die anderen ihn am Leben lassen sollten? willkommen auf der bühne

 

Lutece schluckt und streicht sich einige Tropfen Speichel von der Wange, während Parkers bellende Stimme mehr und mehr einem unverständlichen Flüstern und Säuseln weicht. Percy sucht Parcivals Blick. Möglicherweise kann er am Leben bleiben und einen Beitrag zu dieser Operation leisten. Doch dafür muss er für einige Zeit betäubt werden. Parker blickt Percy fassungslos an.

 

Parcival nickt. 

Edited by aeq
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  • 3 weeks later...

EXEUNT - BROADALBIN III

 

Parcival wird über den Gang vorsichtig ins Nebenzimmer verbracht.

 

Percys Zimmer. Alles, was er auf der Flucht zurückgelassen hat, findet sich auch hier, inklusive Tränengas und Schlagstock. Nur seine Schusswaffen fehlen. Er wirft einen Blick in die Nachttischschublade: Einzelne Seiten, maschinengetippt. Anhand einzelner Zitate erkennt er, dass es sich um die Deuxieme Bureau-Akten handelt – das Stück feinsäuberlich herausgetrennt.

 

Er versteht die Logik hinter den Bücherfunden nicht. Parcival fand A World without Doors von jenem früh verschiedenen Wunderkind, Emeline Fitzroy. Parker hatte ein leeres, rotes Lederbüchlein mit dem Zeichen darauf neben seinem Bett gefunden.mein buch Und Preston eine Kopie von Nightsea. Könnten es Werke sein, mit denen sie sich in jener seltsamen Gedächtnislücke zwischen ihrer Ankunft und ihrem Erwachen beschäftigt haben?  UND JEDES ENDE KANN EINE GESCHICHTE FINDEN

 

Auch das Melonia ist noch hier. 1000 getrocknete Samenkapseln in einer dünnen Plastiktüte, wie man sie an einem Gemüsestand erwartet. Sie erinnern vage an Sonnenblumenkerne. Außerdem die 6 Glasphiolen, die ihnen ebenjener Moseby „von Agent zu Agent“ vor der Green Box zurückgelassen hatte. Luftdicht verschlossen finden sich ihnen weitere Samen. Frisch, doppelt so groß und von einer befremdlichen Maserung überzogen.carvers stoff hätte sich jeder injiziert

 

Während Preston und Percy das Zimmer inspizieren, lässt Parker Parcival nicht aus den Augen. Was sollen sie mit ihm machen? Anketten? Betäuben? Percy hatte einige Opioide und Barbituriate in seiner Tasche, die er in einem Schränkchen unter seinem Schreibtisch wiederfindet.

 

Parcival wehrt sich nicht. Er streicht seinen Anzug und seine Fliege zurecht und legt sich auf das frisch gemachte Hotelbett. Sein Kopf sinkt in das Kissen ein, während Percy an der Dosierung arbeitet. Es ist bereits eine Weile her, dass er etwas Vergleichbares zuletzt zu tun gezwungen war. Er injiziert das Mittel und Parcival driftet aus der Realität. Eine kurze Prüfung der vitalen Zeichen legt nahe, dass es sich zumindest nicht um eine massive Überdosis gehandelt haben kann.

Als klar ist, dass der Gefangene schläft, versuchen die verbliebenen drei Agenten von Zelle P darin übereinzukommen, was um alles in der Welt sie nun tun sollten. Percy ist eine leichte Nervosität anzusehen, während er von Zeit zu Zeit zum Schlafenden Parcival herüberblickt. Könnten sie es sich wirklich weiter leisten, die Finger von der „hypergeometrischen Keksdose“ zu lassen, im Angesicht der Situation, in der sie sich befinden? Könnte er ihnen nicht noch nutzen?

Parker blickt ihn mit einer kalten Mischung aus Mitleid und Irritation an. Soetwas würde nie zum Guten führen. Percy hält dagegen, dass sie ihn beobachten, bewachen und kontrollieren könnten, doch Parker bleibt hart – nein, genau das könnten sie eben nicht. Er hat die Gruppe verraten und er wird wieder zu entkommen versuchen. Möglicherweise verfügt er über ihnen unbekannte Ressourcen.

 

Preston wirft ein, dass sie vielleicht eine Art simple Bombe bauen könnten, die detoniert, wenn er zu entkommen versucht. Parker scheint zumindest kurz über den Vorschlag nachzudenken, bevor er ihn mit dem allgemeinen Verweis auf Parcivals Instabilität verwirft. Percy zögert kurz, setzt an, hält inne und fragt in den Raum, ohne einen der anderen dabei anzusehen, inwieweit Parcivals Reaktion unter den gegebenen Umständen nicht… bis zu einem gewissen Grad… nachvollziehbar sei?

 

Parker verwirft den Einwand mit einer unwirschen Geste. Sein Handeln war vor allem eins: Unprofessionell. Und das ist etwas, was sich eine Zelle der Gruppe nicht  leisten kann. Wissen ist eine Infektion. Erst recht hier. Man kann ihm nicht trauen, möglicherweise hater sogar immer noch Kontakt zum Feind. Ihn als eine Mischung aus literarischem Vorkoster und menschlichem Schutzschild zu nutzen, ist kein nachhaltiger Plan. Sie müssen ihn beseitigen. Percy lässt nicht locker: War es nicht gerade die Beseitigung eines vermeintlichen Vektors in der eigenen Zelle, die die alte P-Cell zerstörte? Ein undefinierbarer Unterton liegt in Parkers Stimme, als er festhält, dass es sich hierbei um ein Berufsrisiko handelt. Der Begriff „9mm-Verrentung“, den er irgendwann mal benutzt hatte, liegt unausgesprochen in der Luft.

 

Percy wirkt frustriert – Parcival hatte recht, eine Rückkehr zur Normalität wird es für sie nicht mehr geben. Warum sollten sie sich also weiter wie ein Politkommissar an die Regeln der Gruppe klammern? Parker unterbricht ihn. Eine grimmige Entschlossenheit funkelt in seinem Blick. Das hier ist ein memetischer Parasit. Ein Ideenvirus. Er muss fressen. Konsumieren. Wenn man ihm seine Nahrung entzieht, wird er absterben. Und wenn sie es nicht tun… Paris 1890 ist nichts gegen die massenmediale Gegenwart. Es könnte das Ende der Wirklichkeit sein. Irgendwann wird sich ein Punkt zum Handeln ergeben. Und wenn nicht, dann werden andere ihnen nachfolgen und für jede richtige Entscheidung, die P-Cell bis zu diesem Moment getroffen hat, dankbar sein.

 

Percy kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Parkers Worte den Charakter eines Mantras haben, nicht zuletzt dem Zweck dienend, sich seiner eigenen Überzeugungen zu vergewissern. Doch er spricht es nicht an. Stattdessen stimmt er ihm zu. Sie müssen mitspielen. Abigale finden. Die Samen nutzen. Und raus aus dem Hotel. In das Labyrinth. ich bin einmal nach unten gegangen und konnte es nicht finden

Deutlich zu früh erwacht in diesem Moment Parcival und übergibt sich auf den roten Teppichboden. Er scheint das Betäubungsmittel nicht sehr gut vertragen zu haben, sodass Percy davon absieht, ihn erneut auszuschalten. Stattdessen informieren sie ihn, dass alles auf seinen Tod hindeutet – sie ihm nicht vertrauen und ihn nicht kontrollieren können.

 

Parcival atmet tief ein. Es war kurzsichtig und dumm, was er getan hat, aber er glaubt, dass er den anderen immer noch von Nutzen sein kann. Percy zweifelt daran: Was will Parcival überhaupt? Was sind seine Ziele? Seine Motivation?

Er will nur raus. Parker unterbricht ihn. Er will nicht raus. Er will auf den Thron. Parcival entgegnet erhitzt, dass er nicht weiß, was er will. Dass irgendwer einen Plan für ihn zu haben scheint. Aber, dass es eine Sache gibt, die er weiß. Definitiv. Er weiß, dass es nur einen Weg gibt. Weiter hinein. Sonst werden sie auf ewig hier zurückbleiben. Wie Losette. Lundine. All die anderen.verzweifelt suchend, niemals findend – nicht wie ich   

Er will wissen, wo das alles hinführt. Das ist rhetorisch gemeint, oder?

 

Parker blickt ihn nur mitleidig an. Es wird für alle schwerer, wenn Parcival es weiter hinauszögert. Er weist die anderen an, den Vektor zu fixieren. Percy und Preston fühlen sich sichtlich unwohl, als sie auf Parcival zugehen. Plötzlich springt er vom Bett auf und rennt Richtung Fenster. Parker versucht ihn festzuhalten, er befreit sich, stolpert, Parker greift erneut nach ihm, zerrt ihn zurück und rammt ihn gegen den Bettkasten. Rippen splittern. STATIC LEBT FORT

 

Parker zieht sein Messer, Parcival reißt sich los und läuft wieder auf das Fenster zu. Preston stellt sich zwischen ihn, aber wirkt nicht vollends überzeugt und springt im letzten Moment zur Seite, als Parcival nach ihm zu schlagen versucht. Dieser lenkt die Wucht seiner Faust gegen das Fenster. Das Glas splittert, aber zerspringt nicht.

 

Parker will ihn greifen, doch Preston blockiert ihn, rein zufällig natürlich, und Parcival durchbricht mit seiner Schulter das Fenster. Wie in Zeitlupe bricht sein Körper durch das Glas, scheint für einen Moment zu schweben, bevor er zwischen den Reflektionen des Sonnenlichts in 1000 Glassplittern hinunter in dieses seltsame viktorianische New York stürzt.

 

Polizisten und Passanten rennen herbei. Die Reste von P-Cell verbleiben im Zimmer. Percy ruft in der Rezeption an. Losette bedauert den Verlust. Das Fenster wird zeitnah ausgewechselt. Guten Tag.

 

Sie schweigen sich an. Irgendwann spricht Percy. Dass er versagt hat. Er wusste, dass Parker früher oder später einen von ihnen umbringen wird. Er hatte gehofft, dass er es verhindern kann. Oder zumindest dass er es zuerst sein wird.

 

Parker blickt ihn kalt an.  Er hatte es bereits vor 20 Jahren geahnt, als er das Haus gesprengt hat. Er hätte es melden sollen. Hat er nicht. Sein Fehler.

 

Erneutes Schweigen. Durch das zerbrochene Fenster dringt ein Windhauch in das Zimmer. Die aufgeregten Stimmen der Menschen auf der Straße sind zu vernehmen.

 

Parker macht Anstalten, vom Schreibtisch aufzustehen.

 

Plötzlich ruft Percy in dem Raum, den Blick an die Wand geheftet. Wie hieß Parcival, wie hieß Lutece mit Vornamen? Er kann hier nicht raus, ohne Luteces Vornamen zu kennen. Er steht ruckartig auf und beginnt die Hinterlassenschaften des Verstorbenen zu durchsuchen.

 

Skizzen. Aquarellstifte und Kohle. Durchaus hübsch anzusehen. Charakterstudien der Gruppe, in Situationen des Alltags. Parker, wie er mit einer Waffe in der Hand nachdenkt, als wäre er kurz davor, eine Tür einzutreten, nur 10 jahre jünger. Preston über ein Notebook gebeugt, daneben undefinierbare Technik. Percy, vertieft in ein Buch, nicht klar erkennbar, aber wichtig wirkend.

Im Portemonaie die Ausweisdokumente. Gerade Michael Lutece. Ein abgegriffenes Foto einer gesetzten Dame in ihren späten 40ern, daneben ein junger Mann, lächelnd, mit stolzgeschwellter Brust, in der Uniform eines New Yorker Polizeiangehörigen. Ein wenig versteckt ein weiteres Foto, neueren Datums. Ein Bild von einer strahlenden jungen Frau vor einer anscheinend neu eröffneten Galerie. Darunter in einer geschwungenen Handschrift ein Satz.

 

For my crime-fighting artist – don’t forget what you are fighting for.

XXX claire 

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