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Spielbericht "Die Amerikafahrt des Graf Zeppelin"


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Spielbericht „Die Amerikafahrt des Graf Zeppelin“

Ein selbsterdachtes Cthulhu-Live-Szenario für bis zu 20 SpielerInnen



Vorwort:
Nachdem wir 2015 mit 15 SpielerInnen „Gatsby und das Große Rennen“ auf der Drachenzwinge-Convention mit 3 Spielleitern angeboten hatten, bettelten die Beteiligten förmlich um ein nächstes „Cthulhu-LIRP“. Also steckten wir die Köpfe zusammen. Wie und wo bekommen wir eine ähnliche Spielerzahl in einem Closed Room zusammen, so dass man sie einen Abend bespaßen kann? Wieder mit parallelen Gruppen? Oder doch lieber zusammen? Wie wäre es mit einem Transportmittel? Über den Luxusdampfer kamen wir schließlich zu einem Luftschiff. Ein Zeppelin! Ja, das ist doch ein tolles Setting! Ein Haufen Cthulhu-Spieler in der Passagiergondel eines mit Wasserstoff gefüllten Luftschiffs. Was soll schon schiefgehen?

Recherche:
Nun ging es los. Im Internet findet man tolle, wenn auch meist englischsprachige Webseiten, wo die Geschichte der Luftschifffahrt eindrucksvoll und mit vielen Details versehen geschildert wird. Schnell kam heraus, dass die erste Amerikafahrt des Graf Zeppelin etwas Besonderes war. Denn auf dieser Fahrt ging so einiges schief… Ein antiquarisches Buch mit Berichten aus Sicht des Kommandanten Dr. Hugo Eckener und eines Journalisten unterstützte uns darüber hinaus.
Was wir nun herausfanden, hat uns Spielleiter auf einige Stabilitätsproben gestellt. Sehr oft saßen wir kopfschüttelnd beisammen und fassten es nicht. Es passte alles zusammen! Ein prestigebesessener Kommandant, der koste es was es wolle trotz sehr schlechten Wetterbedingungen diese Fahrt zu einem spektakulären Erfolg bringen wollte, ein Sturm über dem Atlantik, ein Riss der Hülle inkl. anschließender waghalsiger Reparatur über dem Bermudadreieck, eine Knappheit an Trinkwasser, weil man doppelt so lange brauchte als geplant und mehr alkoholische Getränke im Frachtraum hatte, als man je hätte austrinken können.
Herausragende Grundlagen, auf denen man wunderbar aufbauen konnte! Nun mussten wir uns nur noch ausdenken, was wirklich auf dem „Graf Zeppelin“ geschehen war.

Die Spielfiguren:
Zuerst einmal sammelten wir, wer wirklich bei dieser Fahrt dabei war und wer Potential hat, in einem dramatischen Beziehungsgeflecht eine Rolle zu spielen. Eine Einteilung in Passagiere und Mannschaft war logisch und rasch hatten wir 4 Plotlinien erdacht, denen wir die SCs zuordnen wollten: Prestige, Drama, Alkoholschmuggel und einen Kult. Denn um dem Ganzen einen cthuloiden Touch zu verpassen, erdachten wir uns einige Kultisten, die ganz besondere Ziele auf dieser Fahrt haben. Aber dazu mehr bei der Beschreibung der einzelnen Plotlinien.
Klar war, dass wir neben führenden Mannschaftsmitgliedern wie dem Kommandanten, Vize-Kommandanten und  weiteren Offizieren noch einen Piloten, Funker, Ingenieure und Kabinenpersonal besetzen können. Als Passagiere boten sich einmal Journalisten und Beobachter anderer Nationen an, aber auch zahlende Gäste aus Europa und den USA. Um die Drama-Plotlinie noch weiter auszufüllen, holten wir sogar die ganze Familie des Kommandanten an Bord.
Als wir damit 17 SCs erdacht hatten, schrieben wir die Runde in unserem Forum aus. Und wurden von 25 Meldungen erschlagen. Nach langem Überlegen fügten wir noch 3 SCs den Planungen hinzu und stockten die Spielerzahl auf 20 auf. Mehr war beim besten Willen auch von den räumlichen Kapazitäten nicht möglich.
Letztlich ergaben sich 9 Besatzungsmitglieder, 10 Passagiere und eine blinde Passagierin. 6 Spielfiguren waren davon weiblichen Geschlechts.
Dazu muss man erwähnen, dass wir die Spieler/innen teilweise schon gut und lange kannten und ihnen einige Rollen mehr oder weniger auf den Leib geschrieben haben.
Bei den Hintergründen bedienten wir uns – falls vorhanden – bei den Geschichten der historischen Figuren, hatten aber auch keine Scheu, eigene Ideen einzubringen und sie neu zu interpretieren. Auch wenn die Namen oft gleichgeblieben sind, dürfte klar sein, dass die Spielfiguren nicht mit den Personen zu verwechseln sind, die real gelebt haben.


Die Plotlinien:
Uns war von Anfang an klar, dass wir ein Beziehungsnetzwerk und Handlungsstränge brauchen, die möglichst Selbstläufer sind und wenig Aufmerksamkeit der SL brauchen. Ebenso wollten wir auf NSCs komplett verzichten. Wir erdachten uns vier Handlungsstränge und ordneten die SCs diesen zu, obwohl es hier selbstverständlich zu Querverknüpfungen kam.
1)    Prestige
Hier geht es primär um die Zukunft der Deutschen Luftschifffahrt und deren zentrale Figur Dr. Hugo Eckener. Nach dem Großen Krieg stand sie vor dem Aus. Es war Deutschland lange verboten, Luftschiffe zu bauen und parallel schritt die Entwicklung von Passagierflugzeugen immer weiter voran. Alle Aufmerksamkeit ruhte auf diesem Luftschiff und dieser Amerikafahrt. Presse, Politik, Industrie. Alle diese Fraktionen sind mit mindestens einer Person vertreten.
2)    Drama
Natürlich darf hier das Zwischenmenschliche nicht fehlen! Ehebruch, Beziehungsdramen und unglückliche Liebesgeschichten. Eine Menge Material für die Klatschpresse. Und natürlich dazu, Konflikte zur Eskalation zu bringen.
3)    Alkoholschmuggel
Der Zeppelin startet im Jahr 1928. Mitten zur Zeit der Prohibition in den USA! Da der Zeppelin bei Gelingen der Fahrt regelmäßig Linienflüge zwischen den Vereinigten Staaten und Europa bieten wird, wittern zumindest zwei findige Geschäftsleute ihre Chance. Doch es gibt auch Gegenspieler. Ausgerechnet der Steward ist überzeugter Puritaner. Und die Anwesenheit des preußischen Innenministers und ehemaligen Polizeipräsidenten Berlins ist sicherlich auch nicht förderlich für die Planung solcherlei Unternehmungen.
4)    Kult
Prestigekampf, die „Titanic der Lüfte“, Dekadenz pur. Das schreit förmlich nach dem König in Gelb! Eine unglückliche junge Liebe und eine nicht-akzeptierte Sexualität treibt drei der Spielercharaktere an, einen Weg nach Carcosa zu suchen. Dazu muss das Luftschiff nur an die richtige Stelle, die natürlich über Bermuda liegt, gelotst werden, ein Funkspruch mit der richtigen Anrufung gesendet und mittels eines Zaubers das gelbe Zeichen auf die Außenhülle gebracht werden. Wer würdig ist, wird auch in Carcosa aufgenommen werden. Die weibliche Kultistin und blinde Passagierin Louise Arnstein erhoffte sich sogar, als Königin in Rot an der Seite des Königs in Gelb zu herrschen. Doch sie ist nicht die einzige Anwärterin.



Link zur Beziehungsgrafik

 
Ablauf:
Wir stellten eine grobe Zeitlinie zusammen, denn länger als 3-4 Stunden sollte das LIRP nicht andauern. Da es unmöglich ist, eine 4 Tage dauernde Fahrt auf die Zeit einzukürzen, begann das Spiel erst, als der Zeppelin nach zwei Tagen das offene Meer erreichte. Dementsprechend hatte die Spieler auch ihre Charakterinformationen erhalten.
Jeder bekam ein „Bordbuch“ (DinA5 s. Bild) mit folgendem Inhalt:

  • Fahrschein (nur die Passagiere)
  • kurzer geschichtlicher Abriss
  • Beschreibung des Charakters inkl. Ziele
  • Übersicht und Informationen zu allen weiteren, anwesenden Personen.

Die Informationen zu den Personen ergaben sich durch die Eindrücke, die sie spätestens in den letzten Tagen erhalten haben.
 

Deckblatt Bordbuch

 

Unser geplanter Ablauf - (flexibel, Uhrzeiten Anhaltspunkte. Fixpunkt: Portal-Funkspruch um 23h (+/-5 Minuten) )

  • 20:00 Uhr - Treffen am Spielort. Kurze Einführung, Vorstellung der Räumlichkeiten und der Charaktere, Zeitplan (Ende Mitternacht) - Die ersten Tage der Reise über das europ. Festland.
  • 20:30 Uhr - Spielstart. - Zeppelin befindet sich über dem Atlantik.
  • zwischen 20:30 und 21 Uhr - Louise beendet ihre Vorbereitungen und tritt in Erscheinung - --
  • 21:30 Uhr - Eskalationspunkt Alkohol - Info an Kubis und/oder Knorr: Trinkwasser wird knapp - Alkohol ist genug an Bord!
  • 22:00 Uhr - Eskalationspunkt Unwetter - Ein Sturm zieht auf - es wird ungemütlich auf dem Zeppelin
  • zwischen 22:15 Uhr und 22:55 Uhr - kleine Eskalationspunkte - kryptische Funksprüche mit Bezug zu Dramen verbreiten sich
  • 23:00 Uhr - Eskalationspunkt Portal-Funkspruch - Medium hört die Anrufung mit Louises Stimme
  • ab 23:00 Uhr - Das Phantom der Wahrheit erscheint, die Zeit läuft:

- Es flüstert Wahrheiten in die Ohren der Anwesenden und malt gelbe Zeichen auf die Stirn der Würdigen

- Spiegelung des Zeppelins wird erkannt, das Zeichen an der Außenhülle sichtbar - Zusammenhang wird hergestellt. Plan der Kultisten offenbart?

- Pläne, das Zeichen zu entfernen werden in die Tat umgesetzt. - Ein Trupp Freiwilliger klettert an die Außenhülle des Zeppelins

- Mit Hilfe eines Jenga-Turms wird der Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens ermittelt - Schaffen die Freiwilligen es, den Zeppelin zu retten?

  • Ende gegen 0 Uhr



Die Vorbereitungen vor Ort:
Der Spielort war eine geräumige Ferienwohnung, wo wir primär 3 Räume genutzt haben – die Küche (Steuerraum: Der Wasserhahn wurde prompt von den Spielern als Ruder umfunktioniert, eine Abstellkammer stellte den Funkraum dar), das Wohnzimmer (der Gästesalon mit Sitzgelegenheiten) und der große Flur, der die Räume verband. Eines der Schlafzimmer wurde zudem als „Frachtraum“ deklariert, wo sich die blinde Passagierin Louise Arnstein versteckte.
Es wurden Namensschilder mit Namen und Funktion an Bord verteilt, für Getränke gesorgt und kleine Stärkungen (in Form von süßen und herzhaften Keksen, selbstverständlich in Zeppelin-Form) standen bereit. Im Salon sorgte zeitgenössische Musik für ein wenig Flair. Im Funkraum war dazu noch eine Bluetooth-Box aufgebaut, mit der Morsegeräusche gesendet werden konnten um anzuzeigen, wann eine neue Nachricht reinkam.
Ein Papiermodell (gebastelt aus einer Vorlage aus dem Internet) des „Graf Zeppelin“ stand für die Vorbereitungen des Kults bereit sowie gelbe Farbe zum Zeichnen des Zeichens.
Für das „Phantom der Wahrheit“, das nach der Anrufung auftauchen sollte, lag ein schwarzer Mantel und eine weiße Maske bereit, neben einer Sanduhr, die es mit sich tragen sollte.
Ein Jengaturm war zur Hand, um dramatische Aktionen wie das Herumklettern auf der Zeppelin-Aussenhülle auszuwerten.


Das Ergebnis:
Wie wir erwartet und insgeheim erhofft hatten, überraschten uns die Beteiligten von der ersten Minute an. Letztlich waren wir 4 Spielleiter, die für Fragen zur Verfügung standen, aber in der ersten Zeit wurden wir kaum gebraucht.
Zuerst rief der Kommandant eine Mannschaftsbesprechung ein, die Passagiere beschnupperten sich gegenseitig und die Presse wurde auch rasch aktiv, indem sie eine Führung durch den Zeppelin und insbesondere auch dessen Steuerraum verlangte, der sich noch einige andere Passagiere anschlossen. Da standen wir nur staunend daneben und freuten uns, ob dieser grandiosen Eigendynamik.
Schon früh brodelte der Konflikt zwischen dem sicherheitsbewussten, amerikanischen Vizekommandanten und dem Kommandanten stark auf und nicht nur einmal wurde es sehr laut im Steuerraum.

Der Spieler, der den Steward spielte, verteilte Getränke und als die blinde Passagierin auftauchte, sahen wir viele sprachlose Gesichter. Denn sie war mitnichten eine Unbekannte sondern die Tochter eines Mitreisenden, der eigentlich im Sinn hatte, die Fahrt zu sabotieren.
Mit ihren eigenen Zielen beschäftigt verging die Zeit wie im Flug. Die SL brachte immer wieder nach Ablaufplan Eskalationspotential ein, aber wirklich den Eindruck, dass dies zur Aktivierung des Spiels notwendig gewesen wäre, hatten wir letztlich nicht. Aber zum Aufbau des Spannungsbogens zum Finale waren sie dennoch sinnvoll und notwendig.

Als mit dem Auftauchen des Phantoms der Wahrheit (kombiniert mit seinem Zitat aus der Ouvertüre vom „König in Gelb“) spätestens dann einige Skandale ans Licht kamen und die Anwesenden durch die Fenster ihr eigenes Spiegelbild sahen, der Sturm wütete und alle das Unheil nahen sahen, das spätestens nach Ablauf der Sanduhr kommen sollte, gab es sehr unterschiedliche Reaktionen.
Der Kommandant, der soeben seine Frau mit einem seiner Feinde in flagranti erwischt hatte und erfahren durfte, dass er nicht der Vater seines geliebten Sohnes ist, war völlig neben der Spur. Das wieder vereinte Liebespaar, bestehend aus der Ehefrau des Kommandanten und dem ehemaligen Konstrukteur Karl Arnstein zogen sich mit einigen Flaschen Champagner in einen der Frachträume zurück, um die letzten Augenblicke ihres Lebens gemeinsam zu verbringen. Währenddessen versuchte eine kleine Truppe mutiger Freiwilliger (der Ballonmeister, einer der Funker, ein Journalist und der Vize-Kommandant) verzweifelt, das gelbe Zeichen von der Außenhülle zu entfernen.

Selbstverständlich versuchten die Kultisten, die mittlerweile sogar den Mafiosi nachrekrutieren konnten, dagegen zu arbeiten und schafften es sogar, dass der Ballonmeister in die Tiefe stürzte.
Doch dem Vize-Kommandanten und dem Journalisten gelang es, trotz aller Widrigkeiten, das Zeichen abzuwaschen, wofür sie den großen Vorrat an Kirschwasser (Erläuterungen, wie es dazu kam würden den Rahmen dieses Berichts sprengen) nutzten. Und das gelang noch bevor die Zeit in der Sanduhr ablief, die den vollständigen Übertritt des Zeppelins durch das Portal nach Carcosa anzeigte.

Doch der Augenblick der Freude war nur kurz. Getrieben von Wahnsinn und Verzweiflung war der Kommandant nicht untätig. Er manipulierte die Blitzableiter des Zeppelins insoweit, dass es beim nächsten Blitzeinschlag zu einer Explosion kam.
Es gab keine Überlebenden. Nur die Nachricht, dass das Luftschiff LZ 127 „Graf Zeppelin“ über Bermuda den Funkkontakt abbrach und nie wieder etwas von ihm gesehen wurde.

Fazit:
Es war ein großartiges Erlebnis. Zwar haben wir als Spielleiter unverhältnismäßig viel Zeit, sicherlich viele hundert Arbeitsstunden in die Vorbereitung gesteckt, aber es hat viel Freude bereitet. Der Plan ging auf, alle Beteiligten schienen Spaß zu haben und es bleibt in guter Erinnerung.
Und wer weiß? Vielleicht gibt es eines Tages eine Gelegenheit, die Amerikafahrt einmal zu wiederholen.

 

Daher freuen wir uns auch über Feedback :) Falls Interesse an den Spielmaterialien besteht oder ihr Fragen zum Vorgehen/Konzept habt, könnt ihr mich gerne kontaktieren.

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