Mit einem kurzen Disclaimer vorab, der besagt, dass mir einige Kernregeln der 6. Edition auch nicht so recht behagen, möchte ich Dir wiedersprechen. Neue Editionen haben so große Kern-Änderungen, dass sie mit dem alten System nicht mehr kompatibel sind. Als Beispiel würde ich die Initative heranziehen, die von "hohe Ini ist drei Mal dran, bevor die Goons kommen" eine lange Entwicklung durchmacht hat. Dazu hat Shadowrun, wie alle near future Cyberpunk-Systeme, das Problem, das zu den Anfängen Ende der 80er/Anfang der 90er viele heutige Entwicklungen noch nicht absehbar waren. Siehe dazu William Gibson und mobile Telefone. Eine gewisse Divergenz entsteht natürlich schon dadurch, dass wir seit längerem in einer von der Shadowrun-Geschichte abweichenden Zeitlinie leben (zum Glück), trotzdem schadet es nicht, so Dinge wie eine Kabellose Matrix als Modernisierung zu verpacken. Die 6. Edition ist zum Beispiel mit einer großen Entschlackung als Ziel angetreten, und das hat sie auch umgesetzt. Und viele der vereinfachten Mechanismen gefallen mir auch sehr gut - andere eben nicht so. Die "Meta" bei Rollenspiel-Mechanismen entwickelt sich ja auch ständig weiter, Systeme lassen sich gegenseitig inspirieren und übernehmen gut gehende Mechaniken. Klar gibt es auch ein paar, die OSR hochhalten und ihre Regelwerke aus den 80ern einsetzen, ich würde aber schon deutlich mehr als die von Dir provokant behaupteten "minimalen Abweichungen" sehen. Dann gibt es auch immer noch Regeln, die man aus meiner Sicht deutlich verbessern könnte. Die ewige Baustelle Matrix zum Beispiel, die im 5er über drei Regelbücher verteilt nicht so recht in den Griff zu bekommen war. Mittlerweile sind Decker aber immerhin fester Teil der Abenteuergruppe "vor Ort", statt eigentlich keinen Grund zu haben die Couch zu verlassen. Eventuell gibt es ja Lerneffekte aus dem eher durchwachsenen Abschneiden des 6ers, und irgendwann kommt ein überzeugendes 7er daher (sehr optimistisch). Auch in anderen Systeme gab es zwischendurch mal eher lauwarm aufgefasste Editionen, zum Beispiel die 4er bei D&D, die jetzt durch eine sehr erfolgreiche 5. Edition wieder großen Erfolg hat. Was Ergänzungsbände angeht, da sehe ich eine Limitierung durch den Mechanisumus. Wenn die grundsätzlichen Erweiterungen (Magie, Matrix, Rigger, Cyberware) abgefrühstückt sind, bleiben nur noch Dinge mit tollen neuen und besseren Sachen. Bis die tollen neuen Spielzeuge den Rahmen des balancierten Spielsystems sprengen ist nicht allzu viel Platz. Klar, man könnte auch Bücher ganz ohne tolle neue Sachen rausbringen - die locken dann aber niemanden hinter dem Ofen hervor. Und deswegen kommen die wirtschaftlichen Gründe. Mit Regelbüchern von vor 10 Jahren kann wohl kein Hersteller überleben. Ist für Dich als Kunde natürlich erst einmal nicht so super, man hat ggf viel Geld für eine Sammlung ausgegeben. Deswegen bleibt einem ja die Wahl, altes System einfach beibehalten oder weiter "abonnieren". Ich habe hier immerhin vier SR6-Bücher stehen: Das Grundregelwerk war zu einem sehr gutem Preis verfügbar, da habe ich mir doch gerne selbst ein Bild gemacht. Die anderen (Hinter dem Vorhang, Berlin, Ruhrpott) sind ausreichend Systemunabhängig. Alle 4-6 Jahre ein neues System, so war es schon immer, so wird das Hobby lebendig gehalten. Ob man dabei mit macht, hat dann viele andere Motivationen (kein Geld, keine Zeit, keine Freunde).