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Das Sanatorium (Tagebuch von W. Mannock)


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Teil 7b: Auf Erkundungstour (Fortsetzung)

 

Fortsetzung Session 06.10.2007

 

Da wir weder einen Anlass noch einen Weg sahen, in dieses Gebäude einzudringen, entschlossen wir uns, weiter dem Trampelpfad zu folgen, der nunmehr in die östliche Richtung führte. Schon nach wenigen Metern konnten wir linkerhand den Strand sehen, der sich über einen Teil der Nordküste der Insel erstreckte. Zwei Dinge fielen uns ins Auge: Ziemlich in der Mitte des Strandes befanden sich die ?berreste eines offensichtlich eingestürzten Zeltes, etwas weiter davon entfernt ein altes Schiffswrack.

 

Wenn Mrs. Stevens-McCormmick Recht behalten sollte, dann war dies wohl das Zelt des Ornithologen. Während wir uns vorsichtig und die Umgebung im Auge behaltend näherten, sahen wir bereits, dass offenbar die gesamte Ausrüstung des Vogelkundlers in einem grö?eren Umkreis um das Zelt verstreut lag. Viele der Gegenstände waren zerschmettert, die zusammengesackte Zeltplane an mehreren Stellen gerissen, die Heringe herausgezogen. Ich bereitete mich auf den Anblick einer weiteren Leiche vor und hob die Zeltplane an, um ins Innere zu schauen. Wie sich herausstellte, war meine Befürchtung jedoch unbegründet: Auch innerhalb des Zeltes befanden sich nur verwüstete Ausrüstungsgegenstände. Ich durchsuchte sie kurz, fand aber nichts von Interesse.

 

Nun wandten wir uns dem Wrack zu. Den Ausma?en nach zu urteilen handelte es sich um einen sehr alten Einmaster, wahrscheinlich ein Fischerboot. Vom Rumpf und den Aufbauten war nicht viel mehr übrig als ein hölzernes Gerippe, welches zudem etwa zur Hälfte im Sand versunken war. Eine genauere Untersuchung erschien mir unnötig und zu riskant - erstens lag das Schiff mit Sicherheit schon viele Jahre hier und zweitens konnte man quasi hindurchsehen, so dass sich nichts und niemand darin versteckt haben könnte.

 

"Vielleicht sollten wir am Zelt mal nach Spuren suchen", schlug Pater Benedict vor, und ich ärgerte mich darüber, dass mir das als geübtem Spurenleser nicht schon früher eingefallen war. Falls dort tatsächlich Spuren vorhanden waren, dann hatten wir sie jetzt wahrscheinlich schon zertrampelt. Also beschloss ich, den Sand in einem weiten Kreis um das Zelt herum nach einer Spur abzusuchen, die nicht von uns selbst stammte. Bereits nach kurzer Zeit wurde ich fündig: Eine Fu?spur führte vom Zelt aus gesehen in östlicher Richtung bis zum Wald, der sich - wie wir inzwischen festgestellt hatten - im Norden der Insel bis ans Wasser erstreckte. Schleifspuren lie?en au?erdem vermuten, dass der Fu?gänger irgendetwas Schweres hinter sich hergezogen hatte.

 

Als wir den Waldrand erreichten, sahen wir, dass sich der Trampelpfad dort ebenfalls fortsetzte, und zwar in südöstlicher Richtung, die verdächtige Spur führte jedoch in grö?erem Abstand neben dem Pfad entlang. Wir folgten weiter der Spur ein gutes Stück durch den Wald, bis wir uns einer Lichtung oder dem Waldrand zu nähern schienen. Ich hie? den Pater an, dort zu warten, wo er stand, und pirschte mich langsam an die Baumgrenze heran. Während ich mich näherte, vernahm ich ein lauter werdendes Summen, wie von einem gro?en Bienenschwarm.

 

Ich erreichte den Waldrand und schaute vorsichtig zwischen zwei Bäume hindurch auf offenes Gelände. Nur wenige Meter vor mir befand sich ein gro?er Felsblock, der oben abgeflacht war und eine Art Steintisch formte. Auf dem Tisch lagen die ?berreste eines Menschen, aber mehr war kaum noch zu erkennen. Die Person sah aus, als wäre sie durch einen Fleischwolf gedreht worden. Der ganze Tisch stand voller Blut, au?erdem war es natürlich auch die Seiten herabgeflossen. Das Summen stammte von unzähligen Fliegen, die in einer Wolke über dem Opfer standen und es auch wie mit einer schwarzen Decke überzogen. ?belkeit stieg in mir auf. Ich wandte mich von der Szenerie ab und musste mich mehrmals übergeben.

 

Als sich mein Magen wieder beruhigt hatte, wankte ich zu Pater Benedict zurück und berichtete ihm, dass ich den Ornithologen gefunden hatte. Ich riet ihm jedoch, sich diesen Anblick zu ersparen. Wir beschlossen, zum Sanatorium zurückzukehren und dabei den Weg zu nehmen, den wir gekommen waren. Nach meiner Vermutung setzte sich der Pfad auf der anderen Seite des Waldes ohnehin nur nach Süden bis zur Abzweigung beim Sanatorium fort, so dass es sich praktisch um einen Rundweg um die Insel handelte. Da der Pfad aber sehr nahe an dem Steintisch entlang führte, hätten wir ihn nicht nehmen können, ohne uns dabei erneut der grausigen Szenerie aussetzen zu müssen.

 

Nach einer guten Stunde Fu?marsch erreichten wir das Sanatorium und berichteten den anderen von unseren Entdeckungen.

 

Fortsetzung in Teil 8: Aufräumarbeiten

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Teil 8: Aufräumarbeiten

 

Fortsetzung Session 06.10.2007

 

Nachdem wir uns zurückgemeldet und den anderen kurz berichtet hatten, beschlossen Pater Benedict und ich, uns auch hinter dem Anwesen einmal umzuschauen. Wir verlie?en das Haus durch das Hauptportal und gingen au?en herum bis zum zerstörten Hintereingang, zu dem ein paar Stufen hinaufführten. Die Tür lag zerschmettert einige Meter entfernt. Ich untersuchte die Stufen sowie den Bereich davor nach Spuren, fand jedoch keine. Dafür entdeckte ich aber etwas anderes: Neben dem Sockel der Treppe lag eine tote Katze, deren Zustand eine frappierende ?hnlichkeit mit demjenigen der Beine des Zimmermädchens aufwies: sie war völlig vertrocknet und zusammengeschrumpelt. Ich rührte sie nicht an.

 

Als wir uns ein wenig umschauten, entdeckten wir, dass sich zwischen den Bäumen, die neben dem Sanatorium standen, noch einige kleinere Gebäude verbargen. Bei näherer Betrachtung entpuppten sie sich als zwei kleine Wohnhäuser und zwei noch kleinere Schuppen, au?erdem befand sich hier ein Brunnen, der mit einer metallenen Haube abgedeckt war, auf der eine gro?e, elektrisch betriebene Pumpe thronte. Zunächst sahen wir uns aber die beiden Wohnhäuser an, die sich - wie wir erfreut feststellen durften - mit unseren Schlüsseln öffnen lie?en. Beide Häuser erschienen bewohnt, jedoch befand sich niemand darin. Eines der Häuser war mit vielen Accessoires nautischen Charakters dekoriert, so dass wir stark vermuteten, dass es sich um die Heimstatt Ebenezers handelte. Das andere Haus konnten wir nicht zuordnen. Eine kurze Durchsuchung beider Häuser förderte keine Besonderheiten zutage.

 

Auch die beiden Schuppen lie?en sich problemlos mit unseren Schlüsseln öffnen. Im ersten fiel uns ein gro?es Gerät auf, welches man mittig darin aufgestellt hatte. Es hatte ?hnlichkeit mit einem Motorblock, so dass Pater Benedict und ich schnell erkannten, dass es sich wohl um den Stromgenerator handeln musste, der im Laufe der letzten Nacht seinen Dienst quittiert hatte. Seitlich von dem Gerät befand sich ein Tank - leer. Dem Generator war offenbar der Sprit ausgegangen. Glücklicherweise fanden wir im zweiten Schuppen nicht weniger als zweiundzwanzig Kanister, die jeweils fünf Gallonen fassen konnten. Eine schnelle ?berprüfung erbrachte, dass sämtliche Kanister mit Benzin gefüllt waren. Au?erdem beinhaltete dieser Schuppen noch eine erkleckliche Auswahl diverser Werkzeuge und anderer Utensilien.

 

Der Pater und ich wollten versuchen, den Generator wieder in Gang zu setzen. Zunächst nahmen wir uns einen der Kanister und füllten den Inhalt in den Tank, dann jedoch überkam uns gro?e Ratlosigkeit - weder Pater Benedict noch ich waren in der Handhabung derartiger Gerätschaften bewandert. Zwar befanden sich an dem Motor mehrere Schalter und Knäufe, jedoch war keiner davon beschriftet. Um kein Risiko einzugehen, entschieden wir uns dazu, lieber nicht daran herumzufummeln und den Generator damit eventuell zu beschädigen, sondern wollten uns zunächst erkundigen, ob sich vielleicht einer der anderen damit auskennen würde. Wir marschierten zum Sanatorium zurück.

 

Während wir den anderen berichteten, kam Lady Gordon die Treppe herunter. Sie hatte offenbar genug geschlafen und wollte sich nun mit Meerwasser ein wenig frisch machen, da ja im Haus kein flie?endes Wasser mehr zur Verfügung stand. Kurz nachdem sie durch die Tür nach drau?en getreten war, vernahmen wir einen spitzen Schrei. Wir stürzten zum Eingang und sahen Lady Gordon, wie sie an die Hauswand gelehnt mit schreckgeweiteten Augen auf Ebenezers Leichnam starrte. Verdammt, Ebenezer! Den hatte ich ja völlig vergessen! Nachdem Lady Gordon ihren Schreck überwunden hatte, machte sie ihrer Wut Luft: "Hätten sie mich nicht wenigstens vorwarnen können? Wieso liegt der überhaupt hier oben?!" Ich entschuldigte mich für meine erneute Unaufmerksamkeit und erklärte ihr, dass wir Ebenezer nicht einfach unten auf dem Steg liegen lassen gewollt hatten. Dass sie ihn andernfalls wenige Momente später unten ohnehin gesehen hätte, sagte ich ihr lieber nicht ins Gesicht - die Dame war auch so schon empört genug.

 

Als Lady Gordon wieder zurück war, stellte sich heraus, dass auch die Damen und Dr. Tiller in Sachen Generator völlig unbeleckt waren. Nichtsdestotrotz lie?en sie es sich nicht nehmen, selbst einen Blick auf das Gerät werfen zu wollen, und so begaben wir uns allesamt zu den Schuppen - vielleicht hatte ja einer von ihnen eine buchstäblich "zündende" Idee. Wie sich herausstellte, war das leider nicht der Fall. Vorerst würden wir also wohl ohne Strom auskommen müssen.

 

Auf dem Rückweg zum Sanatorium berieten wir uns, wie es weitergehen sollte. Selbst wenn wir dem Mörder irgendwie aus dem Weg gehen oder ihn sogar dingfest machen konnten, dann stand uns noch mindestens eine Woche auf der Insel bevor, und auch dies nur dann, wenn beim Ausbleiben von Ebenezers Besuch in dem Küstendorf sofort jemand nachschauen kommen würde. Wenn wir Pech hatten, würden wir zwei Wochen oder sogar noch länger hier festsitzen. So lange konnten wir die Leichen der Mordopfer unmöglich im Haus herumliegen lassen. Abgesehen davon, dass uns bei dem Gedanken nicht wohl war, dass in jedem zweiten Raum eine Leiche lag, wollten wir uns gar nicht ausmalen, welche Geruchsbelastung dies verursachen und welchem Krankheitsrisiko wir uns damit aussetzen würden.

 

Während die anderen sich wieder ihren Dokumenten hingaben, beschlossen Pater Benedict und ich, uns dieses Problems anzunehmen. Wir besorgten uns einen Stapel Bettlaken aus dem Wandschrank in der Waschküche, deckten dann nacheinander die Leichen von Ebenezer, Catherine Ames (die Krankenschwester, die im Wohnzimmer ermordet worden war), Bobby Birch (der Pfleger, der noch immer auf seinem Stuhl im Erdgeschoss des Patiententrakts sa?) und Melba Carson (das Zimmermädchen aus der Waschküche, das noch in einem der Schlafzimmer lag) ab, wickelten sie ein und legten sie ein gutes Stück abseits des Sanatoriums nahe der Steilküste ab. Auch die verdorrten Beine von Melba Carson bargen wir auf diese Weise aus der Waschküche und brachten sie zu den anderen ?berresten.

 

Nun folgte der schwierigste Teil: Wir besorgten uns eine Zange und zwei Eimer aus dem Werkzeugschuppen, füllten die Eimer am Steg mit Meerwasser und begaben uns dann in Dr. Brewers Büro. Zunächst zogen wir mit der Zange die Nägel heraus, die der Mörder durch seine Hände und Fü?e in den Boden gejagt hatte, dann wickelten wir Dr. Brewer in den Teppich ein, auf dem er lag, und schlugen ihn zusätzlich noch in zwei Laken ein. Nichtsdestotrotz hatte sich an der Unterseite ein gro?er Blutfleck gebildet, noch bevor wir mit dem Bündel an der Steilküste angekommen waren. Wir legten seinen Leichnam auf die anderen und kehrten dann in sein Büro zurück, um mit Hilfe weiterer Laken und des Meerwassers zumindest die gröbsten Unreinheiten zu entfernen. Nach getaner Arbeit begaben wir uns auf den Steg und wuschen unsere Kleidung, die das Ganze leider nicht unbeschadet überstanden hatte, so gut es eben ging.

 

Danach holten wir einen der Kanister aus dem Schuppen und verteilten den Inhalt über dem Leichenberg. Pater Benedict sprach noch ein kurzes Gebet, dann entzündete ich ein Streichholz und warf es auf das Benzin. Unglücklicherweise hatten wir uns in Bezug auf die Grö?e der entstehenden Stichflamme schwer verschätzt. Mit einem Fauchen bildete sich ein gro?er Feuerball, dessen Front auf Pater Benedict und mich zuraste. Der Pater konnte sich gerade noch rechtzeitig zu Boden werfen, ich jedoch wurde kurz von den Flammen erfasst und erlitt einige Verbrennungen, bevor ich auf dem Boden aufschlug.

 

Ich schrie vor Schmerz und Schock. Feuer! Genau die Art, auf die mein Cousin gestorben war: Verbrannt in seinem abstürzenden Wrack. Ich Idiot! Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein? Wieso sind wir überhaupt auf die Idee gekommen, die Leichen zu verbrennen? Ich wusste es nicht. Als ich die Augen öffnete, sah ich Pater Benedict über mir. Er zerrte mich auf die Fü?e und dann ins Sanatorium hinein, zu Dr. Tiller. Immer noch benebelt sah ich, wie Tiller hektisch in seiner Tasche wühlte, eine Salbe hervorholte und sie auf meine Wunden auftrug. Als er schlie?lich einen Verband anlegte, hatten die Schmerzen schon erheblich nachgelassen. Wie er mir erklärte, waren die Wunden nicht sonderlich schlimm - ich würde keine bleibenden Schäden davontragen, bis auf ein paar kleine Narben vielleicht. Noch mal Glück gehabt.

 

Als ich wieder vollständig bei Besinnung war, dankte ich Dr. Tiller für die schnelle und kompetente Hilfe. Nach diesen ganzen Aufregungen hätte ich gut und gern einen Drink vertragen können. Leider gab es in diesem ganzen verdammten Sanatorium nicht einen einzigen Tropfen Alkohol, au?er vielleicht in Form von Medikamenten. Verflucht!

 

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als Dr. Tiller berichtete, dass er die Patientenakte von Cecil Randolph durchgearbeitet und dabei herausgefunden hatte, dass es sich bei ihr um die Ehefrau eines Zeitungs-Tycoons handelt, die unter Halluzinationen und einer schweren Paranoia leidet. Ein Opfer von Alkoholmissbrauch - wie passend. Jedenfalls benötigte sie alle vier Stunden Beruhigungsmittel. Mrs. McCormmick hatte die Buchhaltungs-Unterlagen vollständig gesichtet, dabei jedoch nichts Bemerkenswertes gefunden.

 

Die Mittagszeit war zwar schon lange um, aber aufgrund der Tatsache, dass auch das Frühstück verspätet stattgefunden hatte, holten wir die Patienten nach unserem bewährten Schema aus ihren Zimmern und setzten sie an den gro?en Tisch im Esszimmer. Blanche kredenzte uns nur kalte Speisen, da es ihr ohne Wasser nicht möglich gewesen war, zu kochen. Der einzige, der sich lauthals beschwerte, was das hier für ein Saustall wäre, war natürlich Henry Adam Barber. Wenn er gewusst hätte, wie Recht er damit gehabt hatte...

 

Ende Session 06.10.2007

 

Fortsetzung in Teil 9: Der alltägliche Wahnsinn

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Teil 9: Der alltägliche Wahnsinn

 

Session: 03.11.2007

 

Nachdem wir das Mittagessen beendet und die Patienten wieder in ihren Zimmern eingeschlossen hatten, meldete sich Lady Gordon zu Wort: "Ich würde gerne Ebenezers Haus durchsuchen. Vielleicht hatte er ein Morse- oder Funkgerät, mit dem wir Hilfe holen könnten." Einen Versuch war das sicherlich wert, und so schloss sich ihr Mrs. Stevens-McCormmick an. Au?erdem nahmen sie noch Blanche mit, damit sich diese auch an dem Generator versuchen konnte. Nach eigenem Bekunden hatte sie zwar das Gerät noch nie bedient, aber wir wollten nichts unversucht lassen. So zogen die Damen von dannen.

 

Dr. Tiller schlug vor, derweil eine therapeutische Sitzung mit einem der Patienten abzuhalten, da diese eventuell von den gestrigen Vorfällen etwas mitbekommen hätten. Unter Umständen würden wir auf diese Art und Weise vielleicht einige Hinweise erhalten, was genau geschehen war. Dem konnte ich nur zustimmen. Als geeignetster Kandidat erschien uns Leonard Hawkins, denn er war derjenige, der uns von den drei "Testpersonen" Brewers noch am ehesten ansprechbar und am leichtesten zugänglich erschien. So holten wir Hawkins aus seinem Zimmer und begaben uns mit ihm in den Behandlungsraum im ersten Stock. Pater Benedict verzichtete auf eine Teilnahme an der Sitzung und machte es sich stattdessen in der Bibliothek mit seinem gefundenen Gedichtband bequem.

 

Dr. Tiller bettete Hawkins auf die Liege, setzte sich auf einen Stuhl neben das Kopfende des Patienten und redete beruhigend auf ihn ein. Ich setzte mich etwas abseits auf einen Hocker und verhielt mich möglichst still. Hawkins antwortete zwar auf Dr. Tillers Fragen, machte jedoch einen etwas verstörten Eindruck. Es dauerte eine Weile, bis Tiller Hawkins' Vertrauen gewonnen hatte, dann kam er auf die Ereignisse des vorigen Tages zu sprechen. Hawkins wurde sichtlich unruhiger. Wie sich herausstellte, hatte er wohl nicht allzu viel mitbekommen, gerade genug, um ihm ordentlich Angst einzujagen. Das einzige, was er konkret gesehen haben wollte, war ein "Haufen Seifenblasen", der an seinem Zimmer vorbeigekommen war. Danach wurde Hawkins zu nervös, um die Sitzung fortsetzen zu können. Er zitterte am ganzen Leib und stammelte nur noch unverständliches Zeug. Dr. Tiller beruhigte Hawkins wieder so gut es ging, dann brachten wir ihn in sein Zimmer zurück. Enttäuscht von diesem mageren Ergebnis begaben wir uns in die Bibliothek und berichteten Pater Benedict, dass es nichts zu berichten gab.

 

Kurz darauf trafen auch die Damen wieder ein. Natürlich hatte Blanche den Generator nicht starten können. Auch die Durchsuchung von Ebenezers Haus war weniger erfolgreich verlaufen als erhofft, allerdings nicht ganz erfolglos: Zwar hatten die Damen kein Funkgerät gefunden, dafür jedoch einen Brief, der ihnen suspekt erschienen war. Sie hatten ihn mitgebracht:

 

Brief an Ebenezer

 

Der Brief ist auf den 13. Oktober 1896 datiert und stammt von einem gewissen "William" - offenbar ein guter Freund Ebenezers. Er berichtet, dass er zu einer Reise nach Cincinnati aufgebrochen ist, und dass er dem Umschlag ein Geschenk für Ebenezer beigelegt hat. Dabei soll es sich um einen Glücksbringer handeln, den William von den Eingeborenen erhalten hatte, denen er und Ebenezer auf "den Inseln" begegnet waren. Des Weiteren berichtet er, dass er den Glücksbringer immer getragen hätte und manche Schiffe, die aus Innsmouth auslaufen, etwas ähnliches an ihrer Unterseite angebracht haben sollen.

 

Die Handschrift war kaum zu entziffern, au?erdem war der Brief offensichtlich schon ein Vierteljahrhundert alt. Den "Glücksbringer", von dem in dem Brief die Rede war, hatten die Damen leider nicht gefunden. Wie auch immer, einen unmittelbaren Zusammenhang dieses Briefs mit unserer derzeitigen Situation konnte ich jedenfalls nicht erkennen, und ich fragte mich, warum den Damen ausgerechnet dieser Brief aufgefallen war. Noch bevor ich meine Frage artikulieren konnte, vernahmen wir jedoch erneut einen Schrei.

 

Schnell hatten wir als Ursprungsort das Erdgeschoss des Patiententrakts ausgemacht. Während wir dorthin eilten, ertönten weitere Schreie, die - wie wir nun feststellen konnten - aus Mrs. Randolphs Zimmer kamen. "Da ist etwas unter meinem Bett!", kreischte sie, offenbar in einem Zustand fortgeschrittener Panik. Ich entriegelte die Tür zu ihrem Zimmer und öffnete sie. Noch ehe ich reagieren konnte, war Mrs. Randolph an mir und den anderen vorbeigeschossen und rannte Hals über Kopf den Gang entlang in Richtung Foyer, wobei sie ihr Kreischen nicht unterbrach. Sofort stürzten wir hinter ihr her. Glücklicherweise war Mrs. Randolph auch in Panik keine allzu schnelle Läuferin, so dass ich sie überholen und mich in den Türrahmen stellen konnte, um sie aufzuhalten. Auch Dr. Tiller kam an ihr vorbei und warf die Tür zum Foyer ins Schloss - damit war ihr der Fluchtweg endgültig verbaut.

 

Als Mrs. Randolph an der Tür eintraf und stoppen musste, redete Dr. Tiller beruhigend auf sie ein. Er bat Mrs. Stevens-McCormmick, in das Medikamentenlager zu gehen und das Beruhigungsmittel zu holen, welches Mrs. Randolph laut ihrer Patientenakte benötigte. Noch bevor Mrs. Stevens-McCormmick mit den entsprechenden Arzneien eintraf, konnte Dr. Tiller Mrs. Randolph jedoch wieder so weit beruhigen, dass wir sie in ihr Zimmer zurückführen konnten. Natürlich schauten wir auch unter ihr Bett - erwartungsgemä? befand sich dort jedoch nichts. Nachdem Dr. Tiller Mrs. Randolph das Beruhigungsmittel verabreicht hatte, schlief sie ein. Während die anderen bereits in die Bibliothek zurückgingen, sah ich noch kurz nach Colonel Billings und brachte ihn auf die Toilette.

 

Wieder zurück in der Bibliothek erfuhr ich, dass den anderen Blanche über den Weg gelaufen war, die sich unwirsch darüber beschwert hatte, dass sie ohne Wasser kein Abendessen kochen könne. Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick hatten sich daraufhin entschlossen, sich der Sache anzunehmen, und waren verschwunden. Pater Benedict las immer noch in seinem Gedichtband und Dr. Tiller schien sich etwas entspannen zu wollen, also schnappte ich mir die Patientenakte von Colonel Billings.

 

Tatsächlich kehrten die Damen nach einiger Zeit zurück, ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt: Sie hatten sich ein Seil und einen Eimer aus dem Geräteschuppen organisiert, und es war ihnen gelungen, durch eine Wartungsklappe an der Pumpe Trinkwasser aus dem Brunnenschacht zu schöpfen. Immerhin hatten wir eine Lösung für unser Wasserproblem gefunden - blieb also nur noch der geisteskranke Killer.

 

Mangels einer besseren Idee begaben sich Mrs. Stevens-McCormmick und Lady Gordon in Dr. Brewers Arbeitszimmer, um sich den Safe vorzuknöpfen. Sie hatten sich vorgenommen, die Geburtsdaten von Dr. Brewer, des Personals und gegebenenfalls auch der Patienten an dem Zahlenschloss auszuprobieren, oder das Büro noch einmal speziell nach einem Hinweis auf die Kombination zu durchsuchen. Ich wünschte ihnen viel Glück, war jedoch wenig zuversichtlich. So allmählich wurde allen klar, dass wir hier im Prinzip vollkommen hilf- und ratlos waren. Irgendwo auf der Insel trieb sich noch dieser Axtmörder herum. Wahrscheinlich hatte er sich im Wald verkrochen und harrte nur darauf, dass es dunkel wurde. Uns blieb nichts anderes übrig, als darauf zu warten, was er als nächstes tun würde. Mit Sicherheit würde er keine Ruhe geben. Und wir sa?en hier herum, lasen Akten und versuchten verzweifelt, die Zahlenkombination eines Safes zu erraten. Ich fühlte mich wie ein Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt werden sollte.

 

Während ich meinen finsteren Gedanken nachhing, drang wieder einmal ein Schrei an mein Ohr. Fast hätte ich nicht darauf reagiert, aber ich erkannte die Stimme: Mrs. Stevens-McCormmick! Wir stürzten nach oben. Sie stand am Schreibtisch und blickte uns an, als ob sie selber nicht wüsste, was gerade passiert war. "Was ist los?", fragte ich. "Nichts, alles wieder in Ordnung", antwortete sie nach kurzem Zögern. Lady Gordon stand vor dem Safe, schaute Mrs. Stevens-McCormmick an, dann uns, und zuckte ratlos mit den Schultern. Wir vergewisserten uns noch einmal, dass es Mrs. Stevens-McCormmick gut ging, dann begaben wir uns wieder nach unten. Warum sie geschrieen hatte, wusste niemand. Wenn sie nicht gerade beim Durchsuchen des Schreibtischs eine Spinne gesehen hatte, dann blieb als einzige Erklärung, dass ihr die Nerven durchgegangen waren. Das konnte ich ihr kaum verübeln. Wenn wir jemals von dieser Insel runterkommen würden, dann wären wir wahrscheinlich alle reif für die Klapsmühle.

 

Fortsetzung in Teil 10: Die zweite Nacht

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Teil 10: Die zweite Nacht

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Ich begab mich zurück in die Bibliothek und nahm das Studium der Patientenakte von Colonel Billings wieder auf, Pater Benedict las weiter in seinem Gedichtband. Es dauerte allerdings nicht lange, bis die Damen ebenfalls wieder aus Brewers Büro zurückkamen, mit Enttäuschung auf ihren Gesichtern: Der Safe war immer noch zu.

 

Dr. Tiller merkte an, dass es an der Zeit wäre, sich um die Patienten zu kümmern. Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick schlossen sich ihm an, als er sich seine Arzttasche nahm und Richtung Patiententrakt auf den Weg machte. Nach einer Weile kehrten sie zurück. Sie berichteten, dass sie den Blutfleck an der Wand von Allen Harding sicherheitshalber mit einer Decke verhangen hatten - Lady Gordon war zu der ?berzeugung gelangt, dass Harding wahrscheinlich versucht hatte, mit seinen Fingern den Fleck von der Wand zu kratzen, also war es vielleicht besser für seine Gesundheit, wenn er ihn nicht mehr sah.

 

Mangels Alternativen schlugen Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick vor, eine psychoanalytische Sitzung mit Darlene abzuhalten, um in Erfahrung zu bringen, was sie gestern Abend gesehen hatte. Dr. Tiller war einverstanden, und so holten sie Darlene aus ihrem Zimmer und begaben sich mit ihr in den Behandlungsraum im Obergeschoss. Pater Benedict und ich blieben derweil in der Bibliothek zurück und befassten uns mit unserer jeweiligen Lektüre.

 

Etwa eine Stunde später trafen die Damen und Dr. Tiller wieder in der Bibliothek ein, gerade als ich die Akte von Colonel Billings beendet hatte. Auf die Frage, ob Darlene irgendetwas gesagt hätte, antwortete Mrs. Stevens-McCormmick: "Nur Unsinn, reine Zeitverschwendung." Lady Gordon wurde etwas genauer: "Sie will Kugeln gesehen haben, die von links nach rechts an ihrem Zimmer vorbeigekommen sind." Mrs. Stevens-McCormmick schnaubte verächtlich. "Wie gesagt, nur Unsinn.", fügte sie hinzu. Ich dachte nach. Hawkins hatte Seifenblasen gesehen, Darlene Kugeln. Merkwürdig waren diese Aussagen in der Tat, aber merkwürdig war auch, dass sie sich durchaus ähnelten. War irgendetwas den Gang im Keller entlang gerollt? Ein weiteres Rätsel.

 

Ich unterbrach mein Grübeln und teilte den anderen mit, was ich in Colonel Billings Akte gelesen hatte: Das einzige, woran Billings litt, war eine fortgeschrittene Alterssenilität. Eine Geisteskrankheit lag bei ihm nicht vor, so dass er auch keine Behandlung erhalten hatte, sondern nur zur Betreuung hier war. "Pflegestufe Baby", wie Brewer sich auszudrücken pflegte. Einerseits war ich froh, dass dem Colonel nichts Schlimmeres fehlte, andererseits hie? das aber auch, dass es kaum Hoffnung gab, dass er sich von diesem Zustand wieder erholen würde. Alterssenilität war nicht behandelbar.

 

Blanche hatte das Abendessen hergerichtet, und so holten wir die Patienten aus ihren Zimmern und brachten sie zu Tisch. Während wir a?en, wurde nicht viel geredet, um die Patienten nicht zu beunruhigen. Mit der Abwesenheit des Pflegepersonals hatten sie sich offenbar abgefunden, manche von ihnen halfen sogar beim Abräumen mit. Danach brachten wir sie wieder auf ihre Zimmer zurück und schlossen sie für die Nacht ein.

 

Gleich darauf legten sich Mrs. Stevens-McCormmick und ich auf unsere Matratzen, da wir gegen Mitternacht wieder aufstehen und zu einer kleinen Expedition aufbrechen wollten. Wir hatten die Hoffnung, dass das seltsame rötliche Leuchten, das Pater Benedict und ich in der letzten Nacht in der Nähe des Leuchtturms wahrgenommen hatten, diese Nacht wieder auftauchen würde. Vielleicht konnten wir in Erfahrung bringen, wodurch es verursacht wird. Lady Gordon und Dr. Tiller beschlossen, inzwischen eine Sitzung mit Blanche abzuhalten, um sie nach den gestrigen Ereignissen zu befragen. Pater Benedict blieb mit uns in der Bibliothek. Er las immer noch seinen Gedichtband.

 

---

 

Es war auch tatsächlich gegen Mitternacht, als wir von Lady Gordon hastig geweckt wurden. "Da hat jemand etwas gebrüllt!", rief sie aufgeregt. Wie ich bemerkte, waren Mrs. Stevens-McCormmick und ich nicht die einzigen, die geschlafen hatten. Pater Benedict lag auf der dritten Matratze und Dr. Tiller auf der Couch. Lady Gordon hatte offenbar Wache gehalten. Nun rappelten wir uns jedoch alle hoch und eilten Richtung Patiententrakt. Dr. Tiller hatte sich seine Arzttasche gegriffen. "Ich glaube, es ist aus dem Keller gekommen.", teilte Lady Gordon uns mit und steuerte auf die Kellertreppe zu.

 

In diesem Moment bestätigte sich ihre Vermutung: "ES KOMMT!", schrie eine männliche Stimme von unten. Wir rasten die Treppe hinunter und schlossen die Tür zum Patiententrakt auf. Der Lärm kam aus Hardings Zimmer. "ES WILL MICH!", brüllte er aus Leibeskräften. Eiligst suchte ich an meinem Bund nach dem Schlüssel zu seinem Zimmer und drehte ihn im Schloss herum. Wir rissen die Tür auf und stürmten hinein. "ES WILL DICH!", schrie Allen Harding mit panikerfüllter Miene und zeigte dabei auf mich. "ES WILL DICH!", wiederholte er, und zeigte auf Pater Benedict. Der Pater bekreuzigte sich. "ES WILL DICH!", schrie Harding abermals, wobei er seinen Finger dieses Mal auf Dr. Tiller richtete, der sich nach vorne gedrängt und seine Arzttasche geöffnet hatte. Während Tiller eine Spritze aufzog und Harding in den Arm stach, hatte dieser noch Gelegenheit, die gleiche Prozedur bei Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick zu wiederholen. Danach schien er sich etwas zu entspannen - das starke Beruhigungsmittel, das Tiller ihm verabreicht hatte, zeigte offenbar seine Wirkung. Seine Augenlider flatterten kurz, dann schlossen sie sich ganz und er sank auf sein Bett zurück.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/allenharding.jpg

 

"Der wird jetzt erst mal ein Weilchen schlafen.", verkündete Dr. Tiller und packte seine Tasche zusammen. Harding hätte wohl einen Alptraum gehabt und eine Panikattacke erlitten, diagnostizierte er. Erleichtert schlossen wir Harding wieder ein und begaben uns zurück in die Bibliothek. Ich fragte Dr. Tiller nach der Sitzung mit Blanche. Wie sich herausstellte, war sie wohl auch wenig aufschlussreich gewesen. An dem betreffenden Abend hatte sie nichts gesehen und die vorgefundenen Leichen von Bobby Birch und Catherine Ames tatsächlich für Unfälle gehalten. Allerdings hatte sie wohl gehört, dass Charles Johnson, der Pfleger, der in dem Schlafraum im Kellergeschoss untergebracht war, irgendetwas gerufen hatte. Bedauerlicherweise hatte sie nicht verstanden, was.

 

Und Pater Benedict hatte inzwischen auch den Gedichtband von Allen Harding beendet. Als ich ihn nach dem Inhalt fragte, schaute er mich mehrere Sekunden lang nachdenklich an. Er sah aus, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. "Ach, nur sinnloses, wirres Zeug.", meinte er schlie?lich und wandte den Blick von mir ab.

 

Nach dieser eigenartigen Antwort hätte ich ihn gerne etwas näher befragt, aber die Zeit war knapp. Wenn das Leuchten heute wieder kurz nach Mitternacht auftauchen würde, dann mussten wir uns beeilen, um es noch zu erwischen. Ich holte meine Elefantenbüchse und steckte sicherheitshalber zwanzig Schuss Munition ein. Mrs. Stevens-McCormmick nahm zwei Íllampen aus dem Foyer, füllte sie auf und überreichte mir eine davon. Zum Glück waren wir bereits fertig angezogen, denn mit den Damen zusammen in einem Raum im Pyjama zu schlafen, war natürlich undenkbar. Mrs. Stevens-McCormmick tastete die Taschen ihrer Kleidung ab - sie schien etwas zu suchen. Als ich sie danach fragte, antwortete sie, dass sie ihr Schlüsselbund vermissen würde. Sie war sich sicher, dass sie es noch einstecken hatte, als wir uns hingelegt hatten, und wollte es nun hier lassen, da es ja nicht ratsam gewesen wäre, beide mitzunehmen.

 

"Oh, ihr Schlüsselbund habe ich.", sagte Lady Gordon und holte es hervor. Mrs. Stevens-McCormmick schaute sie verdutzt an. "Sie haben es mir weggenommen, während ich geschlafen habe?", fragte sie. "Irgendwie musste ich ja die Türen abschlie?en", antwortete Lady Gordon und fügte mit einem süffisanten Lächeln hinzu: "Und Mr. Mannock hätte ich ja wohl kaum durchsuchen können." Mrs. Stevens-McCormmick und ich waren beide baff ob dieser Anzüglichkeit. Ich sah, wie Mrs. Stevens-McCormmick errötete, konnte aber nicht sagen, ob es an Lady Gordons frivoler Andeutung oder an Empörung über die Entwendung des Schlüsselbunds lag. Jedenfalls fiel es ihr sichtlich schwer, die Contenance zu wahren.

 

"Wir müssen los.", sagte Mrs. Stevens-McCormmick schlie?lich. Dass wir es eilig hatten, war wahrscheinlich der einzige Grund, warum es in diesem Moment nicht zum offenen Streit zwischen ihr und Lady Gordon kam. Wir verlie?en das Sanatorium und traten in die Nacht hinaus.

 

Es war stockfinster. Von dem roten Lichtschein war nichts zu sehen und ich hoffte, dass wir ihn nicht bereits verpasst hatten. Nach wenigen Minuten erreichten wir die Weggabelung und wandten uns nach links in Richtung Leuchtturm. Durch das schwache Licht der Íllampen kamen wir nur sehr langsam voran - jeder zu hastige Schritt hätte uns stolpern lassen können. Wir waren etwa 30 Minuten gegangen und hatten nach meiner Einschätzung etwas mehr als die Hälfte der Strecke bis zum Leuchtturm zurückgelegt, als ich plötzlich innehielt. Ich hatte etwas gehört. Auch Mrs. Stevens-McCormmick blieb stehen. Ich drehte mich zu ihr um. Sie legte einen Finger auf ihre Lippen. Da war es wieder: Ein Schrei. Dann noch einer. Und dann hörte es nicht mehr auf.

 

Die Schreie kamen vom anderen Ende der Insel her, aus Richtung der Steinplatte, auf der ich auch den Ornithologen gefunden hatte, und es handelte sich um eine Frau - so viel war klar. Der Mörder hatte ein neues Opfer gefunden. Aber welches? Au?er uns und den Patienten lebte hier doch niemand mehr. Ich spitzte die Ohren und versuchte, ruhig zu bleiben, doch es gelang mir nicht, die Stimme zu erkennen. Dafür hörte ich etwas anderes: Zwischen den Schreien konnte man ganz leise einen rhythmischen Singsang vernehmen.

 

"Hören sie das auch?", fragte ich Mrs. Stevens-McCormmick, doch sie antwortete mir nicht, sondern starrte nur mit weit aufgerissenen Augen auf einen Punkt hinter mir. Ich drehte mich um.

 

Das rote Leuchten war wieder da.

 

Fortsetzung in Teil 11: Böses Erwachen

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Teil 11: Böses Erwachen

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

"Was machen wir jetzt?", fragte Mrs. Stevens-McCormmick, nachdem sie ihre Augen von der Leuchterscheinung losgerissen hatte. Ich wusste, dass es allenfalls noch eine oder zwei Minuten dauern würde, bevor der Mörder seine Tat vollendet haben würde - es in dieser Zeit bis ans gegenüberliegende Ende der Insel zu schaffen, war unmöglich. Der schreienden Frau konnten wir nicht mehr helfen. "Schnell, zum Leuchtturm!", antwortete ich und rannte auch schon los. Mrs. Stevens-McCormmick setzte mir nach.

 

Der Spurt über den Trampelpfad erwies sich angesichts der schlechten Lichtverhältnisse als äu?erst tückisch. Sich nicht die Fü?e umzuknicken und dabei die Íllampe halbwegs im Gleichgewicht zu halten, war reine Glückssache. Als wir etwa 30 Sekunden gerannt waren und bereits das nordwestliche Wäldchen erreicht hatten, hörte ich hinter mir einen kurzen Schrei und einen dumpfen Aufschlag. Dann sah ich Mrs. Stevens-McCormmicks Íllampe in einem hohen Bogen Richtung Wald fliegen. Kurz vor der ersten Baumreihe zerschellte sie auf dem Boden und das Íl, das sich noch in ihr befunden hatte, entzündete sich mit einem Knall in einer zwei Meter hohen Stichflamme.

 

Kurz erwog ich, einfach weiterzurennen. Dann entschied ich mich jedoch, umzukehren und nach Mrs. Stevens-McCormmick zu schauen. Falls sie sich ernsthaft verletzt hatte, würde ich sie nicht einfach so hier liegen lassen können - nicht in der Nähe des Signalfeuers, das sie soeben entfacht hatte. Wie sich herausstellte, war der Sturz jedoch glimpflich verlaufen, und so konnte ich ihr wieder auf die Fü?e helfen. Sofort eilten wir weiter den Pfad entlang.

 

Wir waren nur wenige Meter weitergelaufen, als die Schreie der unbekannten Frau abrupt abbrachen. Wenn es sich so abspielen würde wie in der vergangenen Nacht, dann würde nur wenige Momente später auch das Leuchten verschwinden. Verbissen hastete ich weiter - es konnte nun nicht mehr allzu weit sein. Kurz bevor wir den Punkt erreichten, an dem der Leuchtturm hinter dem Wäldchen hätte auftauchen müssen, erstarb das rote Licht. Nur mit Mühe konnte ich einen vulgären Fluch unterdrücken und drosselte mein Tempo auf normale Schrittgeschwindigkeit. Mrs. Stevens-McCormmick tat es mir gleich.

 

Nach kurzer Absprache entschlossen wir uns dazu, unseren Weg dennoch fortzusetzen. Es war nun in der Tat nicht mehr weit bis zum Leuchtturm und nach nur wenigen Minuten hatten wir ihn erreicht. Zu sehen war nichts. Der Turm sah noch genauso aus wie wir ihn tags zuvor verlassen hatten, und auch in der Umgebung war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Eine zeitaufwendige Spurensuche erschien uns allerdings zu riskant, denn wir hatten die Befürchtung, dass die Explosion von Mrs. Stevens-McCormmicks Lampe den Mörder auf uns aufmerksam gemacht haben könnte. Möglicherweise war er bereits auf dem Weg hierher. Nachdem wir uns nur kurz umgeschaut hatten, drückte ich Mrs. Stevens-McCormmick die verbliebene Íllampe in die Hand und machte mein Gewehr schussbereit, dann setzten wir uns in Bewegung - zurück in Richtung Sanatorium. Als wir die Stelle passierten, an der das Missgeschick geschehen war, trat ich noch schnell die restlichen Flammen aus, um einem möglichen Verfolger die Orientierung wenigstens noch ein bisschen zu erschweren.

 

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir nach ca. 45 Minuten Fu?marsch unser Ziel und begaben uns sogleich in die Bibliothek, wo Lady Gordon auf uns wartete. Pater Benedict und Dr. Tiller hatten sich in die Gästezimmer im Obergeschoss zurückgezogen, um zu schlafen. Als wir Lady Gordon von unseren Erlebnissen berichteten, teilte sie uns mit, dass sie von irgendwelchen Schreien nichts mitbekommen hätte und ihr auch ansonsten nichts Ungewöhnliches aufgefallen wäre. Welches Opfer der Mörder gefunden hatte, konnte sie sich genauso wenig erklären. Um auf Nummer sicher zu gehen, entschlossen wir uns jedoch dazu, die Patientenzimmer zu überprüfen.

 

Wir begaben uns ins Foyer. Ich machte meine Elefantenbüchse bereit, während Lady Gordon die Tür zum Erdgeschoss des Patiententrakts aufschloss. Sofort nachdem sie die Tür geöffnet hatte, verriet uns ein kalter Luftzug, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung sein konnte. Die Sicherheitstür am anderen Ende des Ganges stand auf! Ebenso die Tür zu Mrs. Randolphs Zimmer! Sofort rasten wir den Gang entlang und in den Raum hinein: er war leer. Auf dem Bett befand sich lediglich ein tellergro?er Blutfleck. "Nein!", rief ich bestürzt und hastete durch die offene Sicherheitstür in die Waschküche, das Gewehr im Anschlag. Nichts und niemand war zu sehen, durch den zerstörten Hintereingang drang nur die kalte Nachtluft hinein. Der Mörder war einfach hier hereinspaziert und hatte sich Mrs. Randolph geschnappt! Ich konnte es nicht fassen.

 

"Wie ist das möglich?", fragte ich die Damen, in deren Gesichtern sich die gleiche Fassungslosigkeit widerspiegelte wie in meinem. Und, an Lady Gordon gerichtet: "Haben Sie denn gar nichts gehört?" Natürlich war das eine überflüssige Frage, wie ich bereits an dem Entsetzen erkennen konnte, das sich nun in ihrem Gesicht abzeichnete, als sie begriff, wie knapp sie offenbar selber dem Tod entronnen war. Au?erdem offenbarte mir aber auch ein schneller Blick auf die Schlösser beider Türen keine Gewalteinwirkung. Scheinbar hatte der Mörder kaum Lärm verursacht - wie auch immer er das angestellt hatte. Und die ansonsten eher schreifreudige Mrs. Randolph? Warum hatte sie keinen Mucks von sich gegeben? Mir fiel ein, dass Dr. Tiller ihr nach ihrem Fluchtversuch am Nachmittag starke Beruhigungsmittel verabreicht hatte. Vermutlich hatte sie nichts bemerkt, bevor es zu spät war.

 

Ich lie? mich gegen die Wand sinken und rieb mir die Stirn. Wie war es möglich, dass der Mörder hier einfach so eindringen konnte? Bisher waren wir davon ausgegangen, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als sich hier gewaltsam Zutritt zu verschaffen, was mit Sicherheit Lärm verursacht und uns alarmiert hätte. Natürlich wussten wir, dass er theoretisch durch den zerstörten Hintereingang problemlos in die Waschküche gelangen konnte, aber dann hätte er vor einer verschlossenen Sicherheitstür gestanden. Von der Waschküche führte noch eine Treppe in den Keller, aber auch dieser Weg endete schnell vor einer solchen Tür. Es gab dafür nur eine mögliche Erklärung, und Mrs. Stevens-McCormmick sprach sie aus: "Kann es sein, dass er Schlüssel hat?"

 

Ich dachte darüber nach und dann durchfuhr es mich wie ein Blitz: "Oh, mein Gott, wir Hornochsen! Natürlich hat er welche!", platzte es aus mir heraus. Mir war eingefallen, dass wir in Charles Johnsons Kellerraum an der Wand einen Haken gesehen hatten, der offensichtlich für ein Schlüsselbund dort angebracht worden war - einen leeren Haken. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und war der Verzweiflung nahe. Unsere Gedankenlosigkeit hatte soeben ein Menschenleben gefordert. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.

 

Es dauerte einen Moment, bis wir uns nach diesem Schock wieder so weit zusammengerissen hatten, dass wir die Türen erneut abschlie?en und uns wieder in die Bibliothek begeben konnten. Die Damen legten sich auf den Matratzen schlafen, ich jedoch patrouillierte die ganze restliche Nacht mit geladener Waffe durch die Gänge des Sanatoriums. So etwas würde mir nicht noch einmal passieren. Sollte sich der Mörder dazu entschlie?en, noch einmal zurückzukehren, würde ich ihm einen angemessenen Empfang bereiten.

 

3. Tag

 

Gegen 8 Uhr morgens weckte ich Pater Benedict und Dr. Tiller, den Damen wollte ich noch etwas mehr Schlaf gönnen. Nachdem die beiden Herren im Esszimmer Platz genommen hatten, setzte ich sie über die Geschehnisse der letzten Nacht ins Bild. Wie zu erwarten, zeigten sie sich merklich betroffen, und waren wie ich der Meinung, dass wir uns auf die kommende Nacht entsprechend vorbereiten müssten. Charles Johnson würde sich mit Sicherheit ein weiteres Opfer holen wollen, und das galt es unter allen Umständen zu verhindern.

 

Zunächst wollte ich jedoch der Steinplatte auf dem Ostteil der Insel einen Besuch abstatten, um nach Hinweisen zu suchen und mich zu vergewissern, dass Mrs. Randolph wirklich nicht mehr zu helfen war. Dr. Tiller zeigte sich von dieser Idee wenig angetan, Pater Benedict bot sich jedoch an, mich zu begleiten. Bei dem Anblick, der mich dort wahrscheinlich erwarten würde, war ein wenig geistlicher Beistand vermutlich nicht die schlechteste Idee, und so nahm ich das Angebot gerne an.

 

Kurz darauf waren wir bereits unterwegs. Wir folgten dem Trampelpfad ins Inselinnere und wandten uns an der Abzweigung nach rechts. Der Weg beschrieb eine weite Linkskurve an der Küste entlang und nach etwa 30 Minuten Fu?marsch kam der Steintisch in unser Blickfeld. Schon von weitem sahen wir, dass sich darauf etwas bewegte. Ich machte meine Elefantenbüchse bereit und wir näherten uns weiter an. Es war ein Schwarm Möwen, der sich auf dem Tisch niedergelassen hatte. Die Tiere pickten eifrig auf der Oberfläche der Steinplatte herum, und einige sahen wir mit roten Fleischfetzen im Schnabel davonfliegen. Weitere Möwen kreisten über dem Tisch und warteten offenbar darauf, dass sie an der Reihe waren.

 

In etwa zehn Metern Entfernung blieben wir stehen. Natürlich war uns im Grunde vollkommen klar, womit sich die Tiere da gerade den Bauch vollschlugen, aber die Situation war einfach zu bizarr. Ich musste daran denken, dass auf dem Tisch ja auch noch die ?berreste des Ornithologen lagen und hätte angesichts der Ironie seines Schicksals beinahe laut aufgelacht. Stattdessen hob ich kurzerhand mein Gewehr und schoss in die Luft.

 

Pater Benedict fuhr zusammen und starrte mich entsetzt an. Die Möwen stieben auf und flatterten in alle Richtungen davon - Ziel erreicht. In beiden Fällen. Mein eisiger Blick hielt Pater Benedict offenbar davon ab, irgendetwas zu sagen, aber ab diesem Moment lie? er mich nicht mehr aus den Augen. Egal. Irgendwie hatte ich mich abreagieren müssen, um den angestauten Frust über die eigene Machtlosigkeit loszuwerden. Die Gelegenheit war günstig und Pater Benedict gerade da - Pech gehabt.

 

Ich ging zum Steintisch.

 

Fortsetzung in Teil 12: Spurensuche

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Teil 12: Spurensuche

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Jeder geistig und moralisch gesunde Mensch würde versuchen, sich den Anblick eines zerrissenen Körpers zu ersparen, und normalerweise würde auch ich so handeln. Hier aber war es etwas anderes: Für den Tod von Mrs. Randolph fühlte ich mich in gewisser Weise mitverantwortlich. Ich war es ihr einfach schuldig, mich den Tatsachen zu stellen. Vielleicht wollte ich mich auch nur selbst bestrafen für meine Unbesonnenheit, wer wei?. Dr. Tiller hätte das bestimmt herausfinden können, aber der war nicht hier und mir war es ohnehin einerlei.

 

Bevor ich es überhaupt wagte, einen Blick auf die Steinplatte selbst zu werfen, lie? ich auf dem Weg dorthin meine Augen über den Boden schweifen und suchte nach Spuren. Pater Benedict blieb in weiser Voraussicht an der Stelle stehen, an der ich den Schuss abgegeben hatte.

 

Tatsächlich hatte jemand den gleichen Weg genommen wie wir: Eine noch relativ frische Spur aus Schuhabdrücken führte vom Trampelpfad aus direkt zum Steintisch, au?erdem hatte der Betreffende etwas Schweres hinter sich hergezogen - es hätte mich auch gewundert, wenn Mrs. Randolph freiwillig hierher gekommen wäre.

 

Mit fest auf den Boden gehefteten Augen umrundete ich in geringem Abstand den Tisch und fand weitere Schuhabdrücke. Schlie?lich führte noch eine Spur vom Ort des Geschehens auf geradem Weg Richtung Nordwesten in den Wald hinein. Offenbar hatte sich der Mörder nach getaner Arbeit direkt dorthin zurückgezogen.

 

Nun kam ich jedoch nicht mehr umhin, einen Blick auf die Steinplatte zu werfen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und hob den Kopf. Der Anblick glich jenem des Ornithologen vom Vortag, dieses Mal jedoch hatte sich der Mörder etwas Besonderes einfallen lassen: Die obere Hälfte von Mrs. Randolphs Schädel stand mittig auf dem Tisch, so dass es aussah, als wäre sie bis zur Nase in dem Stein versunken. Darauf waren über Kreuz ihre Arme drapiert - oder besser: das, was davon übrig war. Viel mehr als Knochen, einige Fleischreste und Kleidungsfetzen war nicht mehr zu erkennen. Auch ihre Augenhöhlen waren leer - die Möwen hatten ganze Arbeit geleistet.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/cecilrandolph.jpg

 

Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken und Ekel stieg in mir auf, aber ich schaffte es glücklicherweise, ihn wieder hinunterzuschlucken. Der Anblick von so vielen schrecklich zugerichteten Leichen während der letzten beiden Tage hatte mich wohl etwas abstumpfen lassen - in diesem Moment kam mir das sehr zupass.

 

Ich ging zurück zu Pater Benedict und berichtete ihm, was ich gefunden hatte. Als ich ihm den merkwürdigen Zustand von Mrs. Randolphs ?berresten schilderte, wollte er sich die Sache jedoch unbedingt selbst ansehen, und so begleitete ich ihn zum Tisch zurück.

 

Stumm starrte er einige Sekunden auf die grausige Szenerie. "Sieht aus wie ein Ritual", murmelte er dann leise in sich hinein, ohne den Blick von dem Tisch abzuwenden. Ich hob eine Augenbraue. "Sehen Sie diese Kerben hier?", fragte er und deutete auf mehrere Stellen auf der blutbesudelten Oberfläche des Steintischs. Widerwillig beugte ich mich etwas vor. An den von Pater Benedict angedeuteten Stellen befanden sich in unregelmä?igen Abständen mehrere halbmondförmige Einkerbungen in der Steinplatte, die relativ frisch zu sein schienen. "Ja?", fragte ich zurück und war äu?erst gespannt darauf, was nun kommen würde. "Die stammen wahrscheinlich von einer Axt", sagte er schlie?lich. Ich entspannte mich etwas. Dass der Mörder eine Axt besa?, hatten wir ja bereits seit Ebenezers gespaltenem Schädel vermutet, und dies schien sich hier zu bestätigen. Ich hoffte blo?, dass Pater Benedict sein Wissen über Axtspuren vom vielen Holzhacken her hatte.

 

Pater Benedict sprach noch ein kurzes Gebet, dann entschlossen wir uns, den Spuren weiter in den Wald hinein zu folgen. Vielleicht konnten wir so herausfinden, wo sich der Mörder versteckt hielt. Die Abdrücke setzten sich auch im Wald in einer relativ geraden Linie fort, so dass es nicht allzu schwer war, ihnen zu folgen. Nach etwa 50 Metern hörte die Spur jedoch plötzlich auf. Ich ging zurück zu der Stelle, an der ich den letzten Abdruck gesehen hatte, um zu untersuchen, ob der Mörder vielleicht die Richtung gewechselt hatte, fand jedoch auch in der näheren Umgebung nichts. Ich musste Pater Benedict gestehen, dass ich die Spur verloren hatte.

 

Die einzige Möglichkeit, die uns noch blieb, war einfach in die Richtung weiterzugehen, in die die Spur zuletzt geführt hatte - mit etwas Glück hatte der Mörder seinen Weg einfach in gerader Linie fortgesetzt. Also taten wir es ihm gleich. Wir waren etwa weitere 50 Meter gegangen, als wir den Waldrand erreichten und auf den nördlichen Strand hinaussahen, genau auf das alte Schiffswrack. Pater Benedict und ich warfen uns fragende Blicke zu - sollte sich der Mörder doch dort irgendwo versteckt halten? Wir hielten es kaum für möglich, aber scheinbar war das Wrack das Ziel des Mörders gewesen.

 

Bevor wir uns auf den Weg über den Strand machten, wollte ich jedoch den Waldrand erneut nach Spuren absuchen. Spätestens auf dem Sand sollten die Fu?abdrücke eigentlich leicht wiederzufinden sein. Ich ging ein wenig auf und ab und lie? meinen geübten Blick über den Boden streifen - ergebnislos. Wahrscheinlich war der Mörder gar nicht hier gewesen, sondern hatte im Wald doch eine andere Richtung eingeschlagen.

 

Trotzdem wollten Pater Benedict und ich sicherstellen, dass an dem alten Holzwrack nicht doch noch irgendetwas faul war, also begaben wir uns dorthin und nahmen eine gründliche Untersuchung vor. Auch am Wrack selbst waren keine frischen Spuren zu erkennen, ebenso wenig darin. Pater Benedict schätzte das Alter des Schiffs auf etwa 100 Jahre und hielt es für einen Walfänger - in solchen Dingen kannte er sich also auch noch aus. Ich nahm mir vor, ihn bei nächster Gelegenheit mal zu fragen, was er neben seiner Haupttätigkeit als Bettelmönch noch so alles in seiner Freizeit anstellen würde.

 

Momentan jedoch mussten wir uns eingestehen, dass unsere Spurensuche erfolglos gewesen war und es wohl auch bleiben würde. Also beschlossen wir, zum Sanatorium zurückzukehren und den anderen von Mrs. Randolphs Tod zu berichten. Als auf dem Rückweg die Anspannung allmählich von mir abfiel, brach die Müdigkeit über mich herein. Mir fehlte eine Nacht Schlaf, und das lie? sich nun auch nicht mehr verleugnen.

 

Als Pater Benedict und ich im Sanatorium eintrafen, waren die anderen gerade dabei, ihr Frühstück einzunehmen. Da die Patienten mit am Tisch sa?en, verloren wir über unsere Entdeckungen natürlich vorerst kein Wort. Als einer von ihnen fragte, wo denn Mrs. Randolph wäre, antwortete Dr. Tiller, dass sie leider momentan unpässlich sei. Glücklicherweise reichte diese Erklärung, und streng genommen war das ja auch noch nicht einmal gelogen. Pater Benedict und ich beendeten das Frühstück mit den anderen, dann brachten wir die Patienten auf ihre Zimmer zurück und begaben uns allesamt in die Bibliothek.

 

Natürlich waren die Damen und Dr. Tiller nicht überrascht, von Mrs. Randolphs Tod zu hören. Pater Benedict und ich hatten allerdings auch beschlossen, ihnen die grausigen Einzelheiten der Umstände von Mrs. Randolphs Auffinden zu ersparen - sie waren auch so schon mehr als genug aufgewühlt. Pater Benedict und ich waren zu der Auffassung gelangt, dass uns der Mörder damit ohnehin nur Angst einjagen wollte, und ma?en dem keine weitere Bedeutung bei.

 

Inzwischen konnte ich jedoch kaum noch die Augen offen halten. Ich entschuldigte mich, erledigte meine Morgentoilette und legte mich in eines der Gästezimmer. Sofort schlief ich ein.

 

Fortsetzung in Teil 13: Audienz bei Annephis

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Dramatis Personae: Lady Elizabeth Gordon

 

Ich stamme aus guten Verhältnissen, habe allerdings mit 17 den letzten Verwandten verloren.

 

Einige Jahre meines Lebens war ich mit einem ebenfalls adeligen Mann verheiratet. Diese Ehe zählte zu den schlechtesten Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe.

 

Mein Beruf "Privatdetektiv", den ich seit meiner Scheidung ausübe, macht mir Spa?. Ich betreibe ihn allerdings nicht öffentlich mit Kanzlei, Visitenkarte, etc., sondern werde nur weiterempfohlen, da ich hauptsächlich in den gehobenen Kreisen recherchiere und da ein "Schnüffler" nicht erwünscht ist. Für ein unauffälliges Arbeiten dort hilft mir meine adlige Abstammung, da ich ohnehin dort verkehre. Ehemalige Kunden reden nicht darüber, dass sie mich beauftragt haben, um ggf. neue Aufträge aussprechen zu können und auch, um sich nicht selbst zu schaden, indem bekannt wird, dass sie einen Privatdetektiv beauftragt hatten. Au?erdem bitte ich bei jeder Beauftragung um gegenseitige Diskretion.

 

Aufgrund der alleinigen Arbeitsweise wurde es in der Vergangenheit trotz aller Diskretion und Vorsicht immer mal brisant und ich musste mich verteidigen. Dazu habe ich Kampfsport gelernt und nutze nur in absoluten Ausnahmefällen den Revolver, da ich keinerlei Auffälligkeiten wünsche.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/elizabethgordon.jpg

 

Steckbrief:

  • Name: Lady Elizabeth Gordon
  • Geburtsort: Salisbury
  • Alter: 36
  • Geschlecht: Weiblich
  • Titel: Lady
  • Wohnort: London-Camden
  • Hautfarbe: Wei?
  • Haarfarbe: Braun
  • Augenfarbe: Grün
  • Besondere Kennzeichen: Jugendliches Aussehen
  • Beruf: Privatdetektivin

Anmerkung: Hintergrund und Steckbrief wurden auf jene Dinge gekürzt, die den anderen Spielern bekannt sein dürfen.

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Teil 13a: Audienz bei Annephis

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Es war erst früher Nachmittag, als ich durch ein vorsichtiges Klopfen an meiner Zimmertür geweckt wurde. "Ja, bitte?", fragte ich verschlafen. "Mr. Mannock, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich denke, es ist besser, wenn Sie aufstehen", antwortete die besorgt klingende Stimme von Mrs. Stevens-McCormmick. "Was ist los?", fragte ich und warf mich aus dem Bett. Während ich mich hastig ankleidete, berichtete sie mir durch die geschlossene Tür, dass sich Lady Gordon und Dr. Tiller nun schon seit einiger Zeit in einer Sitzung mit Darlene befinden würden. Sie hatten Darlene den in ihrer Patientenakte angegebenen Drogencocktail verabreicht, um mit ihrer multiplen Persönlichkeit Annephis Kontakt aufzunehmen. Mrs. Stevens-McCormmick selbst hatte an dieser Sitzung zunächst auch teilgenommen, dann jedoch den Raum verlassen, nachdem es ihr zu bunt geworden war: "Diesen Unfug wollte ich mir nicht länger anhören." Mehr wollte sie zum Inhalt des Gesprächs nicht sagen, fügte dann jedoch hinzu: "Allerdings dauert die Sitzung nun schon au?ergewöhnlich lange und so allmählich fange ich an, mir Sorgen zu machen."

 

Meine Müdigkeit wich einer Mischung aus Bestürzung und Empörung und mir rasten einige Gedanken durch den Kopf. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass solche fragwürdigen Methoden nur im äu?ersten Notfall zur Anwendung kommen sollten, und dieser war hier meiner Ansicht nach nicht gegeben. Warum hatten die Damen und Dr. Tiller das getan? Nichts, was uns Darlene in ihrer Gestalt als Annephis erzählen könnte, würde uns irgendwie gegen den wahnsinnigen Axtmörder alias Charles Johnson weiterhelfen, der uns gegenwärtig bedrohte. Hinzu kam, dass sie in meinen Augen ein unkalkulierbares Risiko eingegangen waren. Was, wenn Darlene in ihrer Annephis-Gestalt plötzlich gewalttätig werden und sie angreifen würde? Gut, Lady Gordon wusste sich durchaus zu verteidigen, aber man konnte nie wissen, wozu Menschen unter Drogeneinfluss imstande sind.

 

Als ich fertig angezogen war, schnappte ich mir meine Elefantenbüchse und riss die Tür auf. "Ich sehe mir das mal an. Besser, Sie warten hier", sagte ich und ging schnellen Schrittes in Richtung Patiententrakt. Mrs. Stevens-McCormmick blieb vor meiner Tür stehen und schaute mir mit sorgenvoller Miene hinterher.

 

Vor dem Behandlungsraum angekommen legte ich zunächst mein Ohr an die geschlossene Tür und lauschte. Ich hörte Gesang! In dem Zimmer sang eine mir fremde, weibliche Stimme in einer mir unbekannten Sprache. Mich beschlich ein äu?erst ungutes Gefühl. Ich machte meine Waffe bereit und öffnete die Tür so leise wie möglich einen Spalt breit, um in den Raum hineinlugen zu können. Darlene sa? auf der Liege und malte mit ihren Fingern auf einem Blatt Papier herum, während sie mit dieser fremden Stimme eine monotone Melodie sang. Dr. Tiller und Lady Gordon sa?en davor und schauten ihr offenbar dabei zu, regten sich jedoch nicht. Augenscheinlich hatten sie mich nicht bemerkt, aber da sie mit dem Rücken zu mir sa?en, konnte ich ihre Gesichter nicht sehen.

 

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"Pst", machte ich in den Raum hinein und schob die Tür ein Stückchen weiter auf. Lady Gordon und Dr. Tiller drehten ihre Köpfe zu mir herum, Darlene jedoch schien nichts zu bemerken - jedenfalls setzte sie ihre Aktivitäten unbeeindruckt fort. Wie mir jetzt auffiel, befand sie sich scheinbar in einer Art Trancezustand. Mit verärgerter Miene gab ich Dr. Tiller und Lady Gordon durch eine Geste zu verstehen, dass ich wissen wollte, was hier los war. Lady Gordon antwortete mir ebenfalls mit einer Geste, dass alles in Ordnung sei, und deutete mir dann an, dass ich den Raum verlassen sollte. Ich traute dem Braten zwar nicht vollends, trotzdem erschien es mir als das Klügste, ihrem Wunsch zunächst zu entsprechen. Leise schloss ich die Tür, begab mich zu Mrs. Stevens-McCormmick zurück und berichtete ihr, was ich gesehen hatte.

 

Auf dem Weg nach unten in die Bibliothek bat ich Mrs. Stevens-McCormmick, mich darüber in Kenntnis zu setzen, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Wie sich herausstellte, war das so einiges: Zunächst waren sie und Pater Benedict in den Keller gegangen, da der Pater sich den Blutfleck an der Wand von Allen Hardings Zimmer noch einmal genauer anschauen wollte. Er meinte, der Fleck ergäbe eine Symbolik, die ihm irgendwie bekannt vorkommen würde. "Wo ist Pater Benedict jetzt?", unterbrach ich ihren Bericht. "Noch immer dort unten", antwortete sie und fügte hinzu: "Er sagte, dass er Zeit und Ruhe bräuchte, um den Fleck zu untersuchen, also habe ich mich Lady Gordon und Dr. Tiller angeschlossen." Ich runzelte die Stirn und nahm mir vor, dem Pater dort unten später mal einen Besuch abzustatten.

 

Inzwischen hatten wir in der Bibliothek Platz genommen. Mir fiel ein Buch auf, das dort aufgeschlagen auf dem Tisch lag und das ich noch nicht kannte. "Was ist das?", fragte ich. "Das Castro-Manuskript", antwortete Mrs. Stevens-McCormmick, "das ist das Buch, das Dr. Brewer in seinem Tagebuch erwähnt hat. Das Buch, das er wohl von diesem 'Jameson' aus London bekommen hat. Ich lese es gerade." Erstaunt nahm ich es in die Hände. Es fühlte sich irgendwie unangenehm an. "Woher haben Sie das?", fragte ich und legte es vorsichtig wieder auf den Tisch zurück. "Dazu komme ich jetzt", antwortete sie mir und setzte ihre Erzählung fort: "Wir hatten die Idee, mit Blanche eine psychoanalytische Sitzung abzuhalten, um in Erfahrung zu bringen, ob sie eventuell die Kombination des Safes wei?. Wie sich herausstellte, kannte sie zwar die Zahlenfolge selbst nicht, konnte jedoch sagen, wo sie zu finden war: Auf einem Zettel, der an der Unterseite von Brewers Nachttisch klebt. Tatsächlich haben wir dann an der angegebenen Stelle die Kombination gefunden und den Safe damit öffnen können. Neben wichtigen Dokumenten, Unterlagen und Wertpapieren, die jedoch allesamt nicht auffällig oder irgendwie ungewöhnlich waren, befand sich darin aber auch dieses Buch. Eine Seite war markiert, vermutlich ein Hinweis von Jameson an Brewer." Mit diesen Worten schlug sie die entsprechende Seite auf und zeigte darauf: "Hier!"

 

Das Castro-Manuskript (Auszug)

 

Und man sagt, dass, als "Jene, die warten" in das Land des Pharao kamen, sie das Land verwüsteten und erst dann gestoppt und vernichtet werden konnten, als sie der Priesterin Annephis vom Tempel der Bast gegenüberstanden. Sie wanderten des Nachts und fürchteten Ra ebenso wie das rauschende Wasser. Und die Steine wurden von ihr geschaffen und von der Priesterin getragen. Sie trieb mit diesen die Kreaturen in den Nil, welcher sie zum Meer trug, wo sie vernichtet wurden. Annephis starb an ihren Wunden und mit ihr, so sagt man, starb das Geheimnis der Steine. Sie wurde in einem Grab an einem Ort bestattet, der bislang noch nicht wiederentdeckt wurde.

 

Wie es schien, hatte ich hier die Erklärung, warum Darlenes multiple Persönlichkeit Annephis plötzlich für die Damen und Dr. Tiller so interessant geworden war, auch wenn das scheinbar nicht unmittelbar etwas mit unserem aktuellen Problem zu tun hatte, sondern wohl eher in die Richtung "wissenschaftliches Interesse" ging. Die Patienten unter Drogen zu setzen, konnte ich zwar trotzdem nicht guthei?en, aber zu erfahren, woran Dr. Brewer genau gearbeitet hatte, konnte sicherlich auch nicht schaden. Vielleicht hatten seine Experimente ja tatsächlich irgendetwas damit zu tun, dass Charles Johnson in den Wahnsinn getrieben und zu einem blutrünstigen Serienmörder geworden war. Andere Anhaltspunkte hatten wir jedenfalls nicht, und so war es zwar unschön, aber zumindest nachvollziehbar, dass die anderen nach diesem Strohhalm gegriffen hatten.

 

"Gratuliere!", sagte ich zu Mrs. Stevens-McCormmick, "Blanche zu fragen war eine gro?artige Idee." Sie errötete leicht und berichtete, dass sie vor Darlene noch eine "normale" Sitzung mit Henry Adam Barber abgehalten hatten, die jedoch ergebnislos verlaufen war. Danach hatte die Sitzung mit Darlene begonnen und den Rest würde ich kennen.

 

Fortsetzung in Teil 13b

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Teil 13b: Audienz bei Annephis (Fortsetzung)

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Allerdings stellte sich heraus, dass wir nun vor einem anderen Problem standen: Es war höchste Zeit, dass die Patienten ihre Medikamente bekamen, und Dr. Tiller, der dies ansonsten immer erledigt hatte, würde sich noch auf unbestimmte Zeit im Behandlungsraum aufhalten. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als dies selbst in die Hand zu nehmen. Glücklicherweise hatte Dr. Tiller Mrs. Stevens-McCormmick detaillierte Anweisungen gegeben, so dass wir zumindest wussten, welchem Patienten wir welche Arzneimittel zu verabreichen hatten. Als problematisch erwies sich lediglich Leonard Hawkins, denn dessen Medikation gab es nur in Injektionsform. Weder Mrs. Stevens-McCormmick noch ich hatten jemals irgendjemandem eine Spritze gesetzt. Da ich jedoch aus dem Krieg zumindest einige Erfahrung als Ersthelfer hatte und Hawkins eine Frau bestimmt ohnehin nicht so nahe an sich heranlassen würde, blieb mir nichts anderes übrig, als es trotzdem zu versuchen.

 

Hawkins warf mir skeptische Blicke zu, während ich die Vene in seiner Armbeuge suchte. Als ich glaubte, sie gefunden zu haben, nahm ich allen Mut zusammen, drückte die Nadel in die Ader hinein und den Kolben der Spritze langsam herunter. Als sie leer war, zog ich die Nadel vorsichtig heraus und drückte einen Wattebausch auf die Einstichstelle - scheinbar hatte es geklappt. "Sie können von Glück sagen, dass ich nichts gespürt habe", drohte Hawkins und legte sich wieder hin.

 

Nach diesem medizinischen Husarenstück hatte ich mir mein Mittagessen redlich verdient. Mein Magen hing ohnehin schon in den Kniekehlen. Zum Glück hatten mir die anderen freundlicherweise etwas übriggelassen, das ich nun hastig in mich hineinschlang. Mrs. Stevens-McCormmick war in der Bibliothek geblieben und las weiter im Castro-Manuskript.

 

Ich wollte mich gerade auf den Weg in den Keller machen, um nach Pater Benedict zu schauen, als dieser auch schon die Treppe hinaufkam. Ich begleitete ihn in die Bibliothek und er berichtete uns, was er herausgefunden zu haben glaubte: "Die Linien, die Harding mit seinen Fingern in das Blut gezeichnet hat, bilden ein äu?erst kompliziertes Muster. Es war nicht einfach, es zu entschlüsseln, auch aufgrund des fehlenden Teils in der Mitte, aber ich denke, ich wei? jetzt, was es bedeuten soll. Es handelt sich um eine Art Tor."

 

Mrs. Stevens-McCormmick und ich blickten Pater Benedict verständnislos und ungläubig an. "Was meinen Sie mit 'Tor'?", fragte ich schlie?lich. "Einen Durchgang auf die andere Seite der Wand?" Die Idee erschien mir zunächst selbst abwegig, aber dann fiel mir ein, was sich auf der anderen Seite der Wand befand: Charles Johnsons Bett.

 

"Nein, nein", antwortete Pater Benedict jedoch, "bei frühzeitlichen Naturreligionen hat man ähnliche Muster schon gesehen. Sie stellen einen ?bergang in eine andere Welt oder eine andere Dimension dar. Für diese Naturreligionen waren dies die Pforten zur Welt der Götter." Das ergab für mich nun überhaupt keinen Sinn. "Und warum hätte Harding so ein Ding an seine Wand malen sollen?", fragte ich. Pater Benedict zuckte mit den Achseln: "Das kann ich Ihnen auch nicht sagen."

 

Wie es schien, kamen wir hier nicht weiter. Mrs. Stevens-McCormmick hatte ohnehin kein Verständnis für diesen "abergläubischen Hokuspokus" und ich kam zu dem Schluss, dass Pater Benedict sich irgendwie geirrt haben musste. Wahrscheinlich hatte Harding im Wahn sein Blut einfach an die Wand geschmiert und das ähnelte dann eben zufällig einem Muster, das der Pater schon mal in irgendeinem Buch gesehen hatte. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Wie auch immer, gegen Charles Johnson würde uns das jedenfalls nicht weiterhelfen.

 

Glücklicherweise mussten wir nur noch wenige Minuten mit unserer Ratlosigkeit ausharren, bis Lady Gordon und Dr. Tiller in die Bibliothek traten. Sie baten uns, mit ihnen die inzwischen eingeschlafene Darlene aus dem Behandlungsraum zu holen, und schlugen vor, sie in das unbelegte Patientenzimmer im Erdgeschoss umzuquartieren, da sie sie als ungefährlich einstuften. Dagegen war nichts einzuwenden, und so holten wir Darlenes Bettzeug und Matratze aus dem Keller und richteten das leere Zimmer E3 provisorisch für sie her. Danach trugen wir sie aus dem Behandlungsraum und betteten sie in ihr neues Refugium. Da wir inzwischen sehr neugierig auf das Ergebnis ihrer Sitzung waren, begaben wir uns allesamt in die Bibliothek. Dr. Tiller berichtete:

 

"Vorab kann ich bestätigen, dass Darlene an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet: Fakten und Wahnvorstellungen verbinden sich bei ihr zu zahlreichen, neuen Identitäten, die abwechselnd die Kontrolle über ihr Verhalten übernehmen. Nachdem ich ihr die in ihrer Patientenakte beschriebene Rezeptur verabreicht und sie unter Hypnose gesetzt hatte, ist es mir gelungen, Darlenes multiple Persönlichkeiten zu aktivieren. Sie wechselte mehrfach von einer Identität zur nächsten, bis wir endlich Kontakt zu jener Frau bekamen, nach der wir gesucht hatten: Annephis, die ägyptische Prinzessin - oder Priesterin, wenn man dem Castro-Manuskript Glauben schenken kann - die vor mehr als 3.000 Jahren gelebt haben soll."

 

"Geht das schon wieder los?", unterbrach ihn Mrs. Stevens-McCormmick, "diese 3.000 Jahre alte ?gypterin spricht also perfekt Englisch, ja?" - "Sie hatte ja genug Zeit zum Lernen", erwiderte Lady Gordon schlagfertig mit einem Lachen. Ich musste auch schmunzeln, aber Dr. Tiller fand diesen Einwand anscheinend ganz und gar nicht witzig: "Mrs. Stevens-McCormmick, es steht natürlich völlig au?er Frage, dass wir uns hier mit der eingebildeten Persönlichkeit einer kranken Patientin unterhalten haben. Dass es sich selbstverständlich nicht um die echte Annephis gehandelt hat, ist doch wohl hoffentlich allen hier im Raum klar!" Nach einigen Sekunden Stille, in denen Dr. Tiller niemand widersprochen hatte, fasste er sich wieder und setzte seinen Bericht fort:

 

"Es ist uns gelungen, mit Darlenes Annephis-Identität eine Konversation zu führen. Lady Gordon schilderte ihr die bisherigen Geschehnisse hier auf der Insel, um irgendetwas aus ihr herauszukitzeln, woraufhin sie fragte, ob 'Jene, die warten' wieder da wären. Lady Gordon bejahte dies, um das Gespräch weiter in diese Richtung zu lenken, und erkundigte sich, ob es irgendwelche Mittel gäbe, mit denen man gegen diese Kreaturen vorgehen könnte. Annephis erklärte, dass es ein Zeichen gäbe, vor dem sie sich fürchten würden. Daraufhin haben wir ihr ein Blatt Papier und einen Füllfederhalter in die Hand gedrückt und sie gebeten, dieses Zeichen aufzumalen. Annephis untersuchte den Füller, nahm ihn auseinander, tauchte ihre Fingerspitzen in die Tinte und begann dann, mit den Fingern auf das Blatt Papier zu zeichnen. Sie schien sehr konzentriert auf diese Tätigkeit, au?erdem stimmte sie dabei eine Art rituellen Gesang an. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie fertig war."

 

Während Dr. Tiller sprach, legte Lady Gordon das Blatt Papier auf den Tisch, das sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Darauf befand sich ein extrem kompliziertes und verschnörkeltes Linienmuster. Als zentrales Element war ein unregelmä?iger, fünfzackiger Stern zu erkennen, dessen Spitze nach oben zeigte, und in dessen Mitte ein Auge mit einer Flamme als Pupille dargestellt war. "Kennen Sie das?", fragte ich Pater Benedict. "Der Stern ist ein Pentagramm, ein weit verbreitetes okkultes Schutzsymbol. Aber in diesem Zusammenhang habe ich so etwas noch nie gesehen", antwortete er.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/zeichen.gif

 

"Das war noch nicht alles", warf Lady Gordon ein, "Annephis hat uns auch gesagt, wie diese Wesen vernichtet werden können: Nur durch Sonnenlicht, Feuer und Wasser."

 

"Also, das wird mir jetzt wirklich allmählich zu albern", erwiderte Mrs. Stevens-McCormmick, "wir haben es hier nicht mit irgendwelchen Fabelwesen aus dem alten ?gypten zu tun, sondern mit einem Krankenpfleger, der den Verstand verloren hat! Ich wei? beim besten Willen nicht, wie uns das Geschwafel einer offensichtlich geistig verwirrten Frau dabei behilflich sein soll. Lassen Sie uns lieber darüber nachdenken, wie wir uns in der kommenden Nacht vor Johnson schützen können."

 

Dem war nichts mehr hinzuzufügen.

 

Fortsetzung in Teil 14: Showdown

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Teil 14a: Showdown

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Wir einigten uns schlie?lich darauf, sämtliche Türen so gut wie möglich zu verbarrikadieren und die Patienten für die kommende Nacht allesamt ins Erdgeschoss zu verlegen, um sie besser im Auge behalten zu können - ein einziger Flur war schlie?lich leichter zu überwachen als zwei. Sogleich machten wir uns an die Arbeit.

 

Zunächst räumten wir die persönliche Habe der verstorbenen Mrs. Randolph in die Abstellkammer, dann quartierten wir Darlene in ihr Zimmer um. Den nun frei gewordenen, ehemals leer stehenden Raum belegten wir mit Leonard Hawkins, da er sich in Mrs. Randolphs Zimmer sicherlich unwohl gefühlt hätte. Da es nun im Erdgeschoss kein freies Zimmer mehr für Allen Harding gab, verlegten wir Colonel Billings kurzerhand ins Wohnzimmer - da er ohne fremde Hilfe noch nicht einmal seinen Rollstuhl verlassen konnte, erschien er uns als der geeigneteste Kandidat dafür. Schlie?lich führten wir den immer noch dahindämmernden Allen Harding in das Zimmer von Colonel Billings. Damit waren nun alle Patienten im Erdgeschoss untergebracht.

 

Danach begaben wir uns zu den Schuppen, um nach geeignetem Werkzeug zu suchen. Neben Hämmern und Nägeln fanden wir auch ein Brecheisen, mit dem wir sogleich damit begannen, Bretter aus einem der Schuppen zu hebeln und zum Sanatorium zu tragen. Sämtliche Türen, die in den Keller führten, wurden von uns verschlossen und mit Brettern vernagelt. Dann kümmerten wir uns um den zerstörten Hintereingang: Wir hoben die Tür des Wäscheschranks aus ihren Angeln, positionierten sie in der leeren Zarge der Hintertür und nagelten sie mit mehreren Brettern fest, dann rückten wir noch den schweren Wäschetrockner davor. Wenn Johnson hier einzudringen versuchen würde, dann hätte er zumindest ein hartes Stück Arbeit vor sich. Schlie?lich existierten noch zwei kleinere Nebeneingänge, von denen einer ins Foyer und der andere in die Küche führte. Beide wurden von uns verschlossen, au?erdem stellten wir jeweils einen Stuhl davor, so dass wir hoffentlich durch Lärm gewarnt würden, falls Johnson es hier versuchen würde. Unser Plan war, uns an der verstärkten Tür zwischen Foyer und Patiententrakt zu postieren, da wir von dieser Position aus den Haupt- und den Hintereingang sowie den gesamten Flur mit den Patientenzimmern überblicken konnten.

 

Als wir mit der Arbeit fertig waren, begann der Abend zu dämmern. Wir rechneten jedoch nicht damit, dass Johnson vor Mitternacht auftauchen würde, und bis dahin waren es noch ein paar Stunden. Also beschlossen Dr. Tiller und ich, eine therapeutische Sitzung mit Leonard Hawkins abzuhalten, während die anderen Wache hielten oder sich ausruhten. Aus Hawkins' Akte wussten wir ja bereits, dass er in seinem religiösen Wahn von der "Ankunft derer, die warten" gesprochen hatte - ein ähnlicher Terminus wie er auch im Castro-Manuskript auftauchte. Wir hatten die Hoffnung, dass er uns vielleicht etwas mehr darüber erzählen konnte. Sicherheitshalber nahm ich meine Elefantenbüchse mit - wir hatten ja schon einmal eine Sitzung mit Hawkins abgehalten, bei der wir ihn nach den Ereignissen der Mordnacht befragt hatten, und auch dabei war er schon sehr unruhig geworden. Au?erdem neigte er ja ohnehin zu gewalttätigen Ausbrüchen - wie er reagieren würde, wenn wir ihn auf "jene, die warten" ansprachen, konnte also niemand vorhersagen.

 

Im Behandlungszimmer angekommen legte sich Hawkins auf die Liege, Dr. Tiller setzte sich neben ihn und ich nahm wie gehabt auf einem Hocker etwas abseits Platz. Wie üblich begann Tiller die Sitzung damit, dass er beruhigend auf den Patienten einredete, sich nach seinem Befinden erkundigte und versuchte, dessen Vertrauen zu gewinnen. Während des Gesprächs war Hawkins zwar wie gewohnt ungehalten, beantwortete aber alle Fragen und verhielt sich ansonsten nicht weiter auffällig. Als Dr. Tiller ihn jedoch auf "jene, die warten" ansprach, änderte sich sein Verhalten schlagartig: Schwei? brach auf seiner Stirn aus, seine Atmung wurde schneller, er zitterte am ganzen Leib und blickte verängstigt im Raum umher. Dr. Tiller versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, aber es war zwecklos. Als Hawkins sich anschickte, aufzustehen, sprang ich zu ihm hin und drückte ihn auf die Liege zurück. Er wehrte sich gegen meinen Griff und spie mir wüste Flüche ins Gesicht, dann hielt er jedoch kurz inne und brüllte: "Jene, die warten, sind die wahren Götter! Sie sind hier! Ihr solltet niederknien und sie preisen! Bald werden sie ihre Transformation abgeschlossen haben!"

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/henrytiller.jpg

 

Nach diesen wirren Worten wurde er etwas ruhiger und ich lockerte meinen Griff. Dr. Tiller fragte noch, woher er dieses Wissen habe, aber Hawkins hatte sich offenbar dazu entschieden, nichts mehr zu sagen. Er lag nur noch schwer atmend auf der Liege, die Augen geschlossen und beharrlich schweigend. Nach wenigen Minuten gab Dr. Tiller schlie?lich auf und wir brachen die Sitzung ab. Wir führten Hawkins in sein neues Zimmer zurück, begaben uns in die Bibliothek und erstatteten den anderen Bericht.

 

Wir nahmen noch ein schnelles Abendessen ein, dann sperrten wir die Patienten für die Nacht in ihre Zimmer und bezogen Posten am Eingang zum Patiententrakt. Die verstärkte Tür am Anfang des Flurs lie?en wir geöffnet, damit wir alles hören konnten und freie Sicht durch das Foyer auf den Haupteingang hatten. Meine Elefantenbüchse hatte ich natürlich geladen und Mrs. Stevens-McCormmick trug den Revolver aus Dr. Brewers Schreibtisch.

 

Voller Anspannung warteten wir so noch eine Stunde, bis es Mitternacht war. Wir hatten uns auf den Boden gekauert und verhielten uns mucksmäuschenstill. Die Damen behielten die ganze Zeit über den Haupteingang im Auge, während ich durch den Flur in Richtung des Hintereingangs schaute. Pater Benedict und Dr. Tiller hatten sich in die Nische zurückgezogen, in der der Schreibtisch des Pflegepersonals stand, um im Ernstfall nicht im Schussfeld zu sitzen.

 

Es vergingen noch einige Minuten, ohne dass etwas geschah. Dann horchte Lady Gordon plötzlich auf. "Da war was", flüsterte sie. In diesem Moment hörten wir ein Krachen und Splittern hinter der verstärkten Tür zur Waschküche. Offenbar war irgendjemand gerade dabei, den verbarrikadierten Hintereingang einzuschlagen. Ich legte mich bäuchlings auf den Boden und legte auf die geschlossene Sicherheitstür an. Mrs. Stevens-McCormmick hockte sich neben mich und tat es mir mit ihrem Revolver gleich. Kurz darauf erfolgte ein erneuter Hieb, dann ein dritter. Wir hörten wie das Holz zerbarst, gefolgt von einem rumpelnden Schaben - der Wäschetrockner wurde verschoben. Es vergingen einige stille Sekunden, dann erfolgte der nächste Hieb, diesmal gegen die Sicherheitstür. Staub rieselte herab. Beim fünften Schlag sahen wir, wie die Klinge einer Axt durch die Tür drang - Johnson war da!

 

Ich machte mich bereit, zu schie?en, sobald sich meinem Auge ein Ziel bot. Die Axt wurde wieder herausgezogen. Ich wartete auf den nächsten Hieb, doch nichts geschah. Gespenstische Stille senkte sich über den Gang herab. Mrs. Stevens-McCormmick und ich schauten uns fragend an. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass Johnson schon aufgegeben hatte, also war er wohl gerade auf der Suche nach einem einfacheren Eingang. Vielleicht hatte er auch die Falle gewittert. Mrs. Stevens-McCormmick wandte sich wieder dem Haupteingang zu, ich beobachtete sicherheitshalber weiter die Hintertür.

 

Lange mussten wir nicht warten: Glas klirrte. Johnson hatte offenbar eine Fensterscheibe eingeschlagen. "Das kam aus dem Wohnzimmer!", rief Mrs. Stevens-McCormmick und hastete in Richtung Bibliothek. Verdammt, Colonel Billings! Lady Gordon und ich setzten ihr nach. Mrs. Stevens-McCormmick und ich rannten durch die Bibliothek zum Eingang des Wohnzimmers und richteten unsere Waffen in den Raum. Eines der drei Fenster war zerschlagen und die hereinströmende Nachtluft blähte die zugezogenen Vorhänge auf, aber ansonsten war nichts zu sehen. Colonel Billings sa? unversehrt in seinem Rollstuhl. Lady Gordon eilte an uns vorbei in den Raum hinein, schnappte sich den Colonel und schob ihn ins Foyer, wo sie ihn unter der gegenüber liegenden Treppe abstellte. "Ein Ablenkungsmanöver?", fragte ich Mrs. Stevens-McCormmick. Sie zuckte mit den Achseln. "Ich bleibe hier, gehen Sie am besten in den Flur zurück", antwortete sie. "In Ordnung, aber stellen Sie sich besser an den Eingang zur Bibliothek, damit wir Sie sehen können", schlug ich vor. Mrs. Stevens-McCormmick stimmte mir zu und so bezog sie ihren neuen und ich meinen alten Posten. Lady Gordon blieb im Foyer bei Colonel Billings.

 

Fortsetzung in Teil 14b

 

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Teil 14b: Showdown (Fortsetzung)

 

Fortsetzung Session 03.11.2007

 

Es verstrichen einige Minuten, in denen nichts geschah. Gespannt warteten wir darauf, wo es der Mörder als nächstes versuchen würde. Plötzlich hörten wir, wie der Stuhl des Nebeneingangs in der Küche zur Seite geschoben wurde, dann folgten schnelle, schwere Schritte. Ich hatte gerade noch genug Zeit, um mich umzudrehen und in Richtung des Foyers zu zielen, als Johnson auch schon im Durchgang zum Esszimmer erschien. Er bot einen grauenerregenden Anblick: Ein Riese von einem Kerl, mindestens zwei Meter gro?, seine ehemals wei?e Pflegerkleidung vollständig von Blut und Dreck durchtränkt. In seinen Händen hielt er eine blutverschmierte Axt, die er zum Schlag erhoben hatte, während er quer durch das Foyer auf Mrs. Stevens-McCormmick zustürmte.

 

Diese schien vor Entsetzen gelähmt zu sein, jedenfalls starrte sie nur mit offenem Mund in seine Richtung. Als Johnson die Mitte des Foyers erreicht hatte, gelangte er in mein Schussfeld. Er musste mich jedoch in letzter Sekunde gesehen haben: Abrupt bremste er ab und warf sich zur Seite, als ich gerade abdrückte. Die Kugel verfehlte ihn und schlug ein gro?es Loch in die Wand neben dem Haupteingang. In diesem Moment hechtete Lady Gordon unter der Treppe hervor und stürmte ihm entgegen. Etwa zwei Meter vor Johnson sprang sie in die Luft und rammte ihm ihren rechten Fu? direkt unters Kinn. Wir hörten, wie Knochen und Zahnschmelz splitterten.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/elizabethgordon.jpg

 

Jeder normale Mensch wäre nach so einem Tritt zu Boden gegangen - Johnson jedoch blieb stehen. Schlimmer noch: Er hob seine Axt. Mit vor Ungläubigkeit weit aufgerissenen Augen musste Lady Gordon mit ansehen, wie Johnson ausholte und die Klinge tief in ihren rechten Oberarm grub. Sofort quoll Blut aus der Wunde, aber Lady Gordon war wohl selbst zum Schreien zu verdutzt. Nun hatte sich Mrs. Stevens-McCormmick offenbar gefangen. Sie hob den Revolver und schoss. Die Kugel pfiff knapp an Johnson vorbei und bohrte sich in die Wand zum Esszimmer. Ich hatte inzwischen wieder auf Johnson angelegt. Während er mit seiner Axt zu einem weiteren Hieb auf Lady Gordon ausholte, die sich verzweifelt von ihm weg zu bewegen versuchte, drehte er sich plötzlich um und schaute mir direkt in die Augen. Sein Blick war kalt und leer. Sein Unterkiefer hing schief herunter und Blut troff daraus hervor. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

 

Dieser Schuss musste einfach sitzen, andernfalls würde ich erst einige Sekunden brauchen, um das Gewehr nachzuladen - genug Zeit für Johnson, um Lady Gordon und mich in kleine Stücke zu hacken. Ich biss die Zähne zusammen, zielte auf seine Stirn und drückte ab. Krachend löste sich der Schuss. Die Kugel drang vorne in Johnsons Stirn ein und trat an seinem Hinterkopf in einer Fontäne aus Blut und Gehirnmasse wieder aus. Johnson stand immer noch da und schaute mich mit seinen kalten Augen an. Dann polterte die Axt aus seiner Hand und schlie?lich sackte er zu Boden. Der Körper zuckte noch kurz und blieb dann reglos liegen.

 

Stille senkte sich über den Raum. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die Situation begriffen hatte: Johnson war tot. Und ich hatte ihn erschossen. Zwar fühlte ich irgendwo Erleichterung, aber nach Jubelgeschrei war mir nicht zumute. Mein Verstand sagte mir zwar, dass es die einzige Möglichkeit gewesen war, ihn aufzuhalten, aber es änderte nichts daran, dass ich soeben einen Menschen getötet hatte. Ein wahnsinniger Serienmörder zwar, aber nichtsdestotrotz ein Mensch. Den anderen erging es offenbar nicht anders. Ich blieb an der Stelle liegen, an der ich den Schuss abgegeben hatte und atmete tief durch.

 

Am Rande bemerkte ich, wie Dr. Tiller an mir vorbeieilte und sich um die Wunde von Lady Gordon kümmerte. Auch Pater Benedict und Mrs. Stevens-McCormmick näherten sich langsam der Eingangshalle. Sollte es wirklich vorbei sein? So recht konnte das niemand von uns glauben. Wie in einem bösen Traum ging ich zu Johnsons Leiche, um mich davon zu überzeugen, dass er wirklich tot war. Ich trat sogar die Axt ein Stück von seiner Hand weg, nur um auf Nummer sicher zu gehen, obschon mir sehr wohl bewusst war, dass einen solchen Kopfschuss niemand hätte überleben können. Johnson war so tot wie seine Opfer.

 

Wir wollten die Leiche so schnell wie möglich aus dem Haus haben, also organisierte Pater Benedict ein Bettlaken aus dem Wäscheschrank. Der Pater und ich wickelten Johnson auf die altbewährte Weise ein, trugen ihn nach drau?en und legten ihn neben der Treppe ab, wo zuvor schon Ebenezer gelegen hatte. Mrs. Stevens-McCormmick hatte sich inzwischen einen Eimer und einen Putzlappen besorgt und kümmerte sich um Johnsons ?berreste, die sich an der Wand und auf dem Boden des Foyers verteilt hatten.

 

All dies taten wir, ohne dabei viel zu sprechen. Um so mehr erschraken wir, als plötzlich Allen Hardings Stimme durch die Räume und Gänge dröhnte: "IHR DENKT, DASS IHR IHN AUFGEHALTEN HABT, ABER IHR IRRT EUCH! NUN WIRD ES NOCH SCHLIMMER WERDEN! SCHLIMMER F?R UNS ALLE!"

 

Ende Session 03.11.2007

 

Fortsetzung in Teil 15: Der Morgen danach

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  • 2 weeks later...

Teil 15: Der Morgen danach

 

Session: 02.02.2008

 

Hardings Worte waren nicht nur uns durch Mark und Bein gegangen, auch die Patienten zeigten sich ziemlich irritiert. Dr. Tiller und Pater Benedict machten einen Rundgang durch das Erdgeschoss und versuchten, einen nach dem anderen wieder zu beruhigen, während Lady Gordon, Mrs. Stevens-McCormmick und ich noch mit Aufräumen beschäftigt waren. Schlie?lich sammelten wir uns alle in der Bibliothek.

 

Nach einigen Sekunden des Schweigens sagte ich schlie?lich: "Tja, ich denke, die unmittelbare Gefahr ist erst einmal vorüber oder sehe ich das falsch?" - "Was meinen Sie denn mit unmittelbarer Gefahr?", fragte mich daraufhin Dr. Tiller. "Rechnen Sie etwa mit weiteren geistesgestörten Mördern?", fügte er mit leicht ironischem Unterton hinzu. Ich musste an das rötliche Leuchten denken, gab ihm jedoch keine Antwort. Tatsächlich konnte ich mir selber nicht erklären, warum ich das unbestimmte Gefühl hatte, dass wir noch nicht in Sicherheit waren. Ich versuchte, es beiseite zu schieben.

 

"Tja, unser nächstes Problem ist jedenfalls, von der Insel runter zu kommen", merkte Lady Gordon an. Allerdings hatte niemand von uns eine Idee, wie wir dies bewerkstelligen sollten. Das Festland war jedenfalls von der Insel aus nicht zu sehen, also selbst wenn wir eine Möglichkeit gehabt hätten, das Meer zu überqueren, dann hätten wir noch nicht einmal gewusst, in welche Richtung wir segeln sollten. Au?erdem hatte niemand von uns Erfahrung im Umgang mit Wasserfahrzeugen oder gar Navigation. An Schwimmen war angesichts der herbstlichen Wassertemperaturen ohnehin nicht zu denken, so dass uns sämtliche herkömmlichen Methoden der Meeres-?berquerung genommen oder viel zu riskant waren.

 

Da Ebenezer ein Mal in der Woche zum Festland übergesetzt hatte, hofften wir, dass irgendjemand in dem kleinen Küstendörfchen nach spätestens zwei Wochen misstrauisch werden und nachschauen kommen würde. Wie es schien, würden wir wohl mindestens so lange noch hier ausharren müssen.

 

Also machten wir uns Gedanken über andere Optionen: Wir hatten bereits früher vermutet, dass sich Johnson tagsüber in irgendeinem Unterschlupf wie beispielsweise einer Höhle aufgehalten hatte, und so bot ich an, dass wir uns auf die Suche danach machen könnten. Als jedoch klar wurde, dass wir ohne einen echten Anhaltspunkt dazu die gesamte Insel hätten durchkämmen müssen, wurde dieser Vorschlag schnell wieder verworfen. Schlie?lich war da noch der Leuchtturm - das einzige Gebäude, das wir noch nicht näher untersucht hatten.

 

"Auf jeden Fall möchte ich vorschlagen, morgen eine psychotherapeutische Sitzung mit Allen Harding abzuhalten", warf Dr. Tiller ein. Harding war der einzige Patient, mit dem wir dies noch nicht getan hatten - nicht zuletzt deswegen, weil er sich bisher in einer Art Dämmerzustand befunden hatte und für ein therapeutisches Gespräch nicht in der Verfassung gewesen war. Wir hielten das für eine gute Idee, da wir in dieser Nacht aber ohnehin kaum noch zu einem vernünftigen Gedanken in der Lage waren, beschlossen wir, uns erst einmal schlafen zu legen. Vorher gingen Pater Benedict und Lady Gordon aber noch kurz vor die Tür, um die Leiche von Johnson zu durchsuchen, was wir in all der Aufregung versäumt hatten. Au?er einem weiteren Schlüsselbund fanden sie jedoch nichts.

 

Da es die Damen vorzogen, auch diese Nacht in der Bibliothek zu verbringen, gingen Pater Benedict, Dr. Tiller und ich nach oben und machten es uns in den Gästezimmern bequem. Colonel Billings nahmen wir mit und legten ihn in eines der anderen Schlafzimmer.

 

---

 

4. Tag

 

Um 10 Uhr morgens klingelte mein Wecker. Nachdem ich mich frisch gemacht und angezogen hatte, begab ich mich ins Foyer und hörte eifriges Werkeln aus der Küche. Blanche war gerade im Begriff, das Frühstück herzurichten und begrü?te mich mit einem ungehaltenen "Ich hab' kein Wasser!" Ich wünschte ihr einen guten Morgen und griff mir einen der leeren Eimer. Als ich wieder durchs Foyer kam, vernahm ich Dr. Tillers Stimme durch die offen stehende Tür des Patiententrakts. Er war gerade dabei, seine morgendliche Visite zu absolvieren. Ich setzte meinen Weg fort, schöpfte Wasser aus dem Brunnenschacht und brachte den vollen Eimer zu Blanche zurück.

 

Danach ging ich noch einmal nach drau?en, zu der Stelle hin, an der wir die Leichen verbrannt hatten. Ich hatte mich im Laufe der letzten Nacht an den Glücksbringer erinnert, von dem in dem Brief an Ebenezer die Rede gewesen war. Falls Ebenezer ihn getragen hatte, dann war er mit ziemlicher Sicherheit ein Raub der Flammen geworden. Andererseits konnte man ja nie wissen - vielleicht hatte ich Glück. Angewidert betrachtete ich die verkohlten ?berreste. Welche davon zu Ebenezer gehörten, war jedoch nicht mehr zu erkennen. Ich suchte mir einen stabilen Ast und begann, zaghaft in der Asche herumzustochern. Nach einigen Minuten gab ich es auf. Wie zu erwarten hatte ich nichts gefunden. Ich ging ins Esszimmer zurück und wartete auf das Frühstück.

 

Als Blanche fast fertig war, kam Dr. Tiller ebenfalls herein und fragte, ob wir nicht die anderen wecken sollten, damit sie dem Frühstück beiwohnen konnten. Ich stimmte ihm zu und so warfen wir erst die Damen und dann Pater Benedict aus den Federn. Letzterer wachte erst auf, nachdem wir wild an seine Zimmertür getrommelt und seinen Namen gebrüllt hatten. Offenbar hatte der Mann einen seligen Schlaf.

 

Um 11 Uhr waren wir schlie?lich alle am Frühstückstisch versammelt, auch die Patienten. Lady Gordon fragte, ob inzwischen jemand eine Idee hätte, wie wir die Insel verlassen könnten. Pater Benedict hatte tatsächlich eine: "Wir könnten versuchen, den Leuchtturm wieder in Gang zu bringen, um damit eventuell Morsezeichen zu geben." Ich sah die Chance, dass irgendein Schiff den Leuchtturm bemerken würde, zwar als äu?erst gering an, da wir bisher noch kein Schiff gesehen hatten, aber einen besseren Vorschlag hatte ich auch nicht parat. Also beschlossen wir, uns nach dem Frühstück auf den Weg zu machen. Mrs. Stevens-McCormmick und Dr. Tiller wollten jedoch hier bleiben, um die therapeutische Sitzung mit Allen Harding abzuhalten.

 

Während wir a?en, berichtete ich davon, dass ich in der Asche vergeblich nach Ebenezers Glücksbringer gesucht hatte. Lady Gordon war von der Idee sehr angetan und verkündete, dass sie auch noch einmal nachschauen wolle, denn vielleicht hätte ich ja etwas übersehen. Sobald sie ihren letzten Bissen in den Mund geschoben hatte, stand sie auf und lief hinaus. Pater Benedict und ich gingen derweil in unsere Zimmer und packten unser Marschgepäck. Ich lud meine Elefantenbüchse und steckte zur Sicherheit auch das Verbandszeug ein. Als wir uns im Foyer wieder trafen, kam auch Lady Gordon von ihrer Untersuchung zurück und berichtete uns, dass sie auch nichts gefunden hatte. Sie begab sich in die Bibliothek, um ihre Siebensachen zu packen, während Pater Benedict und ich schon mal vor die Tür gingen.

 

Kurze Zeit später kam Lady Gordon wieder heraus und teilte uns mit, dass sie Darlenes bzw. Annephis' Zeichnung an Mrs. Stevens-McCormmick übergeben hatte, um Allen Harding während der Sitzung dazu zu befragen. Wir diskutierten kurz, ob wir Charles Johnsons Axt mitnehmen sollten, um die Tür des Leuchtturms notfalls mit Gewalt öffnen zu können, entschieden uns dann jedoch dagegen. Nicht nur, dass uns bei dem Gedanken nicht ganz wohl war - immerhin waren mit dieser Axt mehrere Menschen getötet worden - es handelte sich zudem um eine Tatwaffe, die wir vorher hätten reinigen und damit als Beweisstück unbrauchbar machen müssen. Au?erdem war sie uns wahrscheinlich ohnehin nicht von gro?em Nutzen, da die Tür des Leuchtturms nicht aus Holz, sondern wie der gasamte Leuchtturm aus Metall bestand.

 

Als wir endlich losmarschierten, war es bereits Mittag geworden. Nach einer guten halben Stunde erreichten wir den Leuchtturm. Er stand noch genau so da, wie wir ihn zuletzt verlassen hatten, und auch in der Umgebung war nichts Au?ergewöhnliches zu entdecken. Lady Gordon zückte sogleich ihr "Werkzeug" und machte sich am Schloss der Tür zu schaffen. Pater Benedict und ich beobachteten sehr interessiert, wie sie mit verschiedenen, merkwürdig geformten Metallstäbchen und -haken zunehmend verzweifelt in dem Schloss herumfuhrwerkte. Nach einigen Minuten gab sie schlie?lich auf und räumte ihre Dietriche enttäuscht wieder zusammen. "Und, wie sieht Plan B aus?", fragte sie in die Runde. "Aufschie?en?", erwiderte ich unsicher. Mein Vorschlag stie? auf wenig Gegenliebe, und auch ich war alles andere als davon überzeugt, dass er funktionieren würde.

 

Die Tür war nach au?en hin zu öffnen, so dass auch ein Eintreten oder Einrammen wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Pater Benedicts Vorschlag, die Tür aus den Angeln zu hebeln, hörte sich im ersten Moment viel versprechend an, dann jedoch stellten wir fest, dass die Türangeln innenliegend angebracht sein mussten - wir sahen sie jedenfalls nicht. Diese Tür war ein verdammter Tresor und weitere Eingänge gab es nicht. In der Seitenwand des Turms befanden sich lediglich einige bullaugenförmige Fensterchen, die einen Durchmesser von etwa 30 Zentimetern hatten. Selbst wenn es uns gelingen würde, das unterste dieser Fenster, das in etwa drei Metern Höhe angebracht war, zu erreichen, hätten wir dort niemals hindurch gepasst.

 

Die einzige Möglichkeit, die uns noch in Sinn kam, war, es mit dem Brecheisen zu versuchen. Vielleicht konnte man es in der Fuge zwischen Tür und Seitenwand ansetzen und mit einem Rohr oder etwas ?hnlichem verlängern, so dass mehrere Leute drücken und die Hebelwirkung verstärken konnten. Natürlich hatte niemand daran gedacht, das Brecheisen mitzunehmen. Da uns alle anderen Alternativen ausgegangen waren, schlug Lady Gordon vor, dass einer von uns es holen geht, während die anderen noch einmal das Schiffswrack untersuchen würden. Da ich das Wrack bereits zur Genüge kannte, bot ich mich an, zum Sanatorium zurückzugehen. Lady Gordon und Pater Benedict waren einverstanden und so machte ich mich auf den Weg.

 

Als ich mich nach einer weiteren guten halben Stunde Fu?marsch dem Gebäude des Sanatoriums näherte, öffnete sich plötzlich die Eingangstür und Mrs. Stevens-McCormmick kam mir entgegen gerannt. Sie war kreidebleich und rief meinen Namen. Ich eilte ihr entgegen und fragte sie, was geschehen sei. "Es ist etwas Schreckliches passiert!", entgegnete sie vollkommen aufgelöst. "Allen Harding ist tot und Dr. Tiller verhält sich irgendwie eigenartig."

 

Mit der relativen Idylle dieses Vormittags war es offenbar vorbei.

 

Fortsetzung in Teil 16: Traumata

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Um mal ein kleines Statement zu dem bisherigen Spielbericht zu geben:

 

GRANDIOS!!!!!!!

 

Das Lesen macht irre viel Spa? und ich freue mich schon auf den Abschluss. Sehr detailliert und ein schöner Stil. Ich werde das Abenteuer demnächst wohl als 1:1 leiten und habe durch den Bericht verdammt viel Lust darauf bekommen. Hoffentlich erlebt mein Spieler ähnlich viel Horror.

 

Zum Schlu? noch ein besonderes Lob:

Ich hatte beim Lesen sogar mal Herzklopfen! 8o

 

Weiter so...

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  • 2 weeks later...

Vielen Dank für das sehr positive Feedback! Freut mich, dass der Spielbericht so gut ankommt. :)

 

Das Ganze als 1:1 zu leiten, stelle ich mir sehr intensiv vor. Dein Spieler tut mir jedenfalls jetzt schon leid. ;)

 

Wenn ihr fertig seid, dann schreib doch mal bitte, wie es ausgegangen ist. Das würde mich wirklich interessieren.

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Teil 16: Traumata

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

Noch ehe ich etwas erwidern konnte, begann die offensichtlich unter Schock stehende Mrs. Stevens-McCormmick, mir in hastigen Worten zu schildern, was sie erlebt hatte. Während sie sprach, ergriff sie meinen Arm und zog mich in Richtung Haupteingang. Mir fiel auf, dass sie offenbar ihre Kleidung gewechselt hatte. "Wir haben die Sitzung abgehalten und Allen Harding ist auf keine meiner Fragen eingegangen, sondern hat nur irgendwelche wirren Sätze von sich gegeben", berichtete sie. "Irgendwann hat er dann die in seiner Akte beschriebene andere Persönlichkeit angenommen und behauptet, dass wir alle sterben würden. Dann hat er gefragt, ob er uns zeigen soll, was mit uns passieren wird. Er hat angefangen zu zittern, seine Haut hat Blasen geworfen und dann ist sein Bauch aufgeplatzt."

 

Ich starrte sie ungläubig an. Inzwischen waren wir im Foyer angekommen und Dr. Tiller kam die Treppe herunter und gesellte sich zu uns. Ein Glück - hoffentlich konnte er mir etwas Klarheit verschaffen. "Dr. Tiller, was ist hier los?", fragte ich ihn. "Dr. Tiller, was ist hier los?", entgegnete er im gleichen besorgten Tonfall. "So verhält er sich seit diesem Ereignis", erklärte Mrs. Stevens-McCormmick. "So verhält er sich seit diesem Ereignis", wiederholte Dr. Tiller. "Ich habe ihn eben erst einmal oben in eines der Betten gelegt, aber ich wei? nicht, was ich mit ihm tun soll", fügte Mrs. Stevens-McCormmick hinzu. Auch dieser Satz wurde von Dr. Tiller wiederholt.

 

Mir schwirrte der Schädel und ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich lie? die beiden einfach im Foyer stehen und eilte die Treppe hinauf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ich öffnete die Tür des Behandlungszimmers. Auf der Liege lag eine Gestalt, die mit einem blutdurchtränkten Laken verdeckt war, ansonsten war der Raum erstaunlich sauber - allerdings roch es nach verschmortem Fleisch. Mrs. Stevens-McCormmick kam ebenfalls die Treppe hinauf, gefolgt von Dr. Tiller. Nachdem die beiden zu mir aufgeschlossen hatten, erzählte Mrs. Stevens-McCormmick, dass sie Harding zugedeckt und den Raum ein wenig gereinigt hatte. Als Dr. Tiller auch diesen Satz wiederholte, verlor sie offenbar die Nerven: "Halten Sie die Klappe!", schrie sie Dr. Tiller an, und als dieser die gleichen Worte zurück schrie, zerrte sie ihn in sein Gästezimmer und schloss ihn ein.

 

"So, jetzt kann man sich wenigstens in Ruhe unterhalten", bemerkte sie, als sie wieder zurückkam. Ich bat Mrs. Stevens-McCormmick, sich zu beruhigen und mir noch einmal zu berichten, was hier vorgefallen war. Sie wiederholte die Geschichte, die sie mir bereits auf dem Weg ins Foyer erzählt hatte, und fügte hinzu, dass Dr. Tiller total verschreckt reagiert hätte und seitdem stumpf alles wiederholen würde, was man sagt.

 

Dass Allen Harding während der Sitzung geplatzt war, erschien mir völlig abwegig. Ich hoffte blo?, dass Dr. Tiller oder Mrs. Stevens-McCormmick ihn nicht irgendwie umgebracht hatten. Jedenfalls musste ich mir Gewissheit verschaffen, und das war nur auf eine Art möglich: Ich ging zu der Liege und hob das Laken an.

 

Die Leiche, die darunter lag, war so gerade eben noch als Allen Harding zu erkennen. Die Haut an seinen Händen, Unterarmen und im Gesicht war mit unterschiedlich gro?en Brandblasen übersät und teilweise angesengt. Seine Bauchdecke war aufgesprengt und schwärzliches, bestialisch stinkendes Gedärm quoll daraus hervor. Der Mann sah aus, als hätte er von innen heraus angefangen zu kochen und wäre dann aufgeplatzt wie eine Brühwurst. Das war zu viel. Mir wurde schwarz vor Augen und ich verlor die Besinnung.

 

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Als ich wieder erwachte, lag ich auf dem Bett in meinem Zimmer. Neben mir standen Mrs. Stevens-McCormmick und Dr. Tiller, die mich mit sorgenvollen Mienen anblickten. "Mr. Mannock, wie geht es Ihnen?", fragte Letzterer. Ich wollte ihn gerade das gleiche zurückfragen, als mir einfiel, warum ich in Ohnmacht gefallen war. Ich erinnerte mich an jedes Detail und der Schrecken kehrte mit voller Wucht zurück. Ich begann zu zittern. "Schlecht", konnte ich Dr. Tiller noch so gerade antworten, dann brachte ich kein Wort mehr heraus. Er kam an mein Bett, deckte mich zu und fragte, ob ich darüber reden wolle. Ich schüttelte den Kopf. Dann fragte er, ob er bei mir bleiben soll, und ich nickte. Mrs. Stevens-McCormmick holte mir ein Glas Wasser. Als sie zurückkam, trank ich einen Schluck und erholte mich so weit, dass ich zumindest meine Sprache wieder fand.

 

Wie sich herausstellte, war ich nur für etwa fünf Minuten weggetreten. Mrs. Stevens-McCormmick hatte gesehen wie ich mich zu Boden geworfen und zusammengerollt hatte und mich daraufhin in mein Zimmer gebracht. Dann hatte sie nach Dr. Tiller gesehen und mit Erleichterung festgestellt, dass er wieder "normal" geworden war. Als sie beide in mein Zimmer gekommen waren, sei ich wieder aufgewacht. Dr. Tiller erklärte mir, dass er mich in "Fötalstellung" vorgefunden hatte, wahrscheinlich als Folge eines traumatischen Schocks. Mrs. Stevens-McCormmick hatte ihm auch von seinem eigenen Zustand berichtet und er diagnostizierte dies als "Echolalie", konnte sich aber nicht erklären, woher er sie gehabt haben sollte. An die Sitzung mit Harding konnte er sich zwar noch erinnern, aber nicht mehr daran, wie dieser umgekommen war. Scheinbar wollte er sich auch nicht mehr erinnern, was ich ihm kaum verübeln konnte.

 

Schlie?lich fragte Dr. Tiller, wo Lady Gordon und Pater Benedict wären. Ich berichtete, dass Lady Gordon den Leuchtturm nicht hatte öffnen können und ich zurückgekommen wäre, um das Brecheisen und eine Verlängerung zu holen. Dr. Tiller riet mir jedoch, erst einmal liegen zu bleiben und mich auszuruhen. Tatsächlich verspürte ich auch wenig Lust, wieder zum Leuchtturm zurückzukehren, und so erklärte sich Mrs. Stevens-McCormmick bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie holte das Brecheisen aus dem Schuppen, als Verlängerung fand sie jedoch nur einen Spaten. Mangels Alternativen machte sie sich damit auf den Weg.

 

Nach etwa einer halben Stunde fühlte ich mich wieder kräftig genug, um aufzustehen, also begaben sich Dr. Tiller und ich in die Bibliothek. Um uns vom Erlebten abzulenken, beschäftigen wir uns mit etwas leichter Lektüre aus den Bücherregalen.

 

Als wir zwei Stunden später hörten, dass die anderen zurückkamen, gingen wir ins Foyer, um sie in Empfang zu nehmen. Mrs. Stevens-McCormmick bat Dr. Tiller sogleich, sich die Hand von Lady Gordon anzuschauen, da sie verletzt sei, aber diese wiegelte nur ab: "Das ist nicht nötig, tut nicht mehr weh." Stattdessen stammelte sie nur etwas davon, dass noch jemand auf dem Turm sein müsse, der sie irgendwie angegriffen hatte, vermutlich mit einer Art Säure oder etwas ?hnlichem. Widerwillig streckte sie Dr. Tiller ihre Hand hin. "Das kommt mir bekannt vor", merkte er an, "Mr. Mannock, schauen Sie doch mal." Ein Stück Haut auf Lady Gordons Handrücken war ledrig und zusammengeschrumpelt. "Wie die Beine des Zimmermädchens", sprach Pater Benedict das Offensichtliche aus.

 

Da Lady Gordon jedoch keine Schmerzen verspürte und die Verletzung auch nicht blutete, sah Dr. Tiller vorerst keinen Handlungsbedarf. Er diagnostizierte, dass das Gewebe tot sei und er daran auch nichts mehr ändern könne. Nun wollte ich aber endlich genau wissen, was vorgefallen war.

 

Pater Benedict berichtete: "Wir haben zunächst wie besprochen das Schiffswrack untersucht, dabei jedoch nichts Au?ergewöhnliches gefunden, und sind dann wieder zum Leuchtturm zurückgekehrt, um auf Sie zu warten. Als statt Ihnen Mrs. Stevens-McCormmick kam, haben wir sie natürlich gefragt, was mit Ihnen sei. Sie hat uns jedoch nur erzählt, dass Allen Harding tot sei und Sie und Dr. Tiller etwas Ruhe bräuchten - die Details wollte sie später uns allen gemeinsam mitteilen." Bei den letzten Worten warf Lady Gordon Mrs. Stevens-McCormmick einen verärgerten Blick zu - offenbar hatte es ihr gar nicht gefallen, dass Mrs. Stevens-McCormmick die beiden im Unklaren gelassen hatte.

 

Pater Benedict fuhr jedoch unbeirrt fort: "Wir haben dann versucht, die Tür aufzubrechen, zunächst mit dem Brecheisen alleine, dann haben wir den Spaten mit dem Seil an das Brecheisen gebunden - nichts hat funktioniert. Erst als wir das Seil direkt an das Brecheisen geknotet und einmal um den Turm herumgelegt hatten, konnten wir zu Dritt genug Kraft aufbringen, um die Tür aufzubrechen. Innen befand sich nur eine staubbedeckte Wendeltreppe aus Eisen und es war ziemlich düster. Da Lady Gordon die Taschenlampe hatte, ging sie voran die Treppe hinauf, gefolgt von Mrs. Stevens-McCormmick und mir. Oben kamen wir an eine Luke, die offenbar auf die Plattform führt, die sich auf dem Turm befindet. Lady Gordon öffnete die Luke, dann stie? sie plötzlich einen Schrei aus, lie? die Luke zufallen und stürmte an uns vorbei die Treppe hinunter. Mrs. Stevens-McCormmick folgte ihr, ich ging erst noch ein Stück weiter hoch, um mir die Luke anzuschauen. Der Verschlussriegel war zugeschnappt. Ich wollte mich gerade umdrehen, um zu den Damen hinunter zu gehen, da sah ich, wie sich der Riegel wieder öffnete. Sofort stürmte ich die Treppe hinunter, warf die Tür des Leuchtturms zu und klemmte den Spaten unter die Klinke. Dann liefen wir gemeinsam zum Waldrand, wo wir uns erst mal um Lady Gordon kümmerten, die ziemlich erschrocken war. Schlie?lich haben wir uns entschlossen, wieder hierher zurückzukehren."

 

"Und wie haben Sie sich nun verletzt?", fragte ich Lady Gordon. So recht erklären konnte sie es mir jedoch nicht. Sie meinte, sie hätte die Hand durch die Luke geschoben, um sich hochzuziehen, aber dann hätte sie wohl das Licht geblendet und sie wäre irgendwie mit Säure in Kontakt gekommen. Sie vermutete, dass dort vielleicht jemand, der den Turm instand setzen wollte, etwas stehen gelassen hatte, aber so recht schien sie davon selbst nicht überzeugt. Mehr konnte oder wollte sie dazu jedenfalls nicht sagen.

 

Nach einigen Sekunden ratlosen Schweigens fragte Mrs. Stevens-McCormmick schlie?lich, ob sie uns nun von der Sitzung mit Allen Harding berichten sollte. Die anderen stimmten zu, ich jedoch begab mich in die Bibliothek - ich wollte mir das nicht noch einmal anhören, vor allen Dingen nicht in allen Einzelheiten. Pater Benedict hielt mich jedoch noch kurz am Arm fest und raunte mir ins Ohr: "Irgendetwas muss Lady Gordon da oben gesehen haben. Als sie an uns vorbei die Treppe heruntergestürmt ist und später am Waldrand hat sie immer wieder 'Das kann nicht sein, das kann nicht sein' gesagt und war äu?erst verstört. Sie hat sogar etwas von einer 'Blase' erzählt, die sie gesehen haben wollte." Dann wandte er sich von mir ab und ich ging in die Bibliothek, verwirrter als je zuvor.

 

Fortsetzung in Teil 17: Jämmerliche Existenzen

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