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Das Sanatorium (Tagebuch von W. Mannock)


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Teil 17: Jämmerliche Existenzen

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

[ALIGN=center]PROTOKOLL

 

der psychotherapeutischen Sitzung mit dem Patienten

 

ALLEN HARDING

 

von: Prof. Dr. rer. cult. Rebecca Helen Stevens-McCormmick[/ALIGN]

 

Teilnehmer:

 

- Allen Harding (AH)

- Prof. Dr. rer. cult. Rebecca Helen Stevens-McCormmick (RS)

- Dr. Henry Tiller (HT)

 

Zweck der Sitzung:

 

Aktivierung der multiplen Persönlichkeit des Patienten, Befragung derselbigen, insbesondere zu "jenen, die warten".

 

Vorbereitende Ma?nahmen:

 

Körperliche Untersuchung des Patienten durch HT, ohne neuen Befund. HT erklärt den Patienten für sitzungstauglich.

 

Sitzungsverlauf:

 

HT beginnt die Sitzung, indem er sich nach dem Befinden des Patienten erkundigt und mit einigen einleitenden Sätzen und Fragen dessen Vertrauen zu gewinnen versucht. Nach wenigen Minuten erklärt HT, dass der Patient nun einen Zustand erreicht hat, in dem man ihm Fragen stellen kann.

 

- RS: "Wissen Sie, warum Sie hier sind?"

 

- AH (nach einigen Sekunden des Zögerns): "Es muss essen."

 

- RS (eindringlicher): "Wissen Sie, warum Sie hier sind?"

 

- AH: "Es will nicht hier bleiben, aber es muss essen, bevor es wieder gehen kann."

 

- RS: "Woher stammt das Symbol an der Wand in Ihrem Zimmer?"

 

- AH: (wiederholt seine vorherige Aussage)

 

- RS: "Wer hat das Blut an die Wand geschmiert?"

 

- AH: "Es kommt! Es kommt!"

 

- RS: "Wissen Sie, warum Johnson die Leute umgebracht hat?"

 

- AH: "Ihr denkt, dass ihr ihn aufgehalten habt, aber ihr irrt euch. Nun wird es noch schlimmer werden. Schlimmer für uns alle!"

 

- RS: "Wen sollen wir aufgehalten haben?"

 

- AH: "Ich habe es nicht rein gelassen. Ich hätte das nie getan. Ich rief es und ich schuf die Tür. Doch als ich es sah, war ich nicht in der Lage, ihm noch weiter zu helfen. Der andere half ihm. Es ist alles sein Fehler. Nun werden wir alle sterben!"

 

Nach diesen Worten ändert sich die Mimik des Patienten. Er richtet sich auf und dreht RS und HT den Kopf zu.

 

- HT (flüsternd zu RS): "Das muss die Veränderung zu der anderen Persönlichkeit sein."

 

Der Patient reagiert nicht auf Ansprache. Nach einigen Sekunden des Schweigens beginnt er, mit veränderter Stimmlage zu sprechen.

 

- AH: "Ihr werdet alle sterben."

 

RS stellt mehrere Fragen, der Patient reagiert jedoch nicht, sondern fährt damit fort, RS und HT anzustarren.

 

RS holt das Blatt Papier mit dem von der Patientin Darlene gezeichneten Symbol hervor und hält es AH hin. AH zuckt zurück.

 

- AH: "Nimm das weg, Du jämmerliche Existenz! Das wird euch auch nicht vor eurer Vernichtung retten!"

 

RS schlägt HT vor, die Sitzung zu beenden, da AH in keinster Weise auf ihre Fragen eingeht.

 

- AH: "Soll ich euch zeigen, was mit eurer jämmerlichen Existenz passiert?"

 

- RS: "Ja, zeigen Sie uns, was passiert."

 

Der Patient beginnt zu zittern und zu würgen, seine Haut fängt an, Blasen zu werfen. Rauch steigt von ihm auf und es riecht nach verbranntem Fleisch. Mit einem lauten Knall bricht seine Bauchdecke auf und schwärzliche Gedärme spritzen durch den Raum. Danach sackt der offensichtlich tote Patient auf die Liege zurück.

 

RS und HT weichen schockiert zurück, HT erleidet offensichtlich ein temporäres psychisches Trauma.

 

- Ende der Sitzung -

 

Ich hörte die anderen im Foyer heftig diskutieren. Soviel ich durch die geschlossene Tür verstand, konnten auch Lady Gordon und Pater Benedict Mrs. Stevens-McCormmicks Bericht kaum Glauben schenken. Letztere war schon drauf und dran, die beiden nach oben zu zerren, um ihnen Hardings Leiche zu zeigen, doch auch dazu waren sie nicht bereit. Stattdessen kamen sie alle in die Bibliothek.

 

Ratlos sa?en wir einige Minuten herum und starrten uns schweigend an. Niemand hatte eine Idee, wie es nun weitergehen sollte, geschweige denn eine Erklärung für all das, was heute bereits geschehen war. Irgendwie mussten wir uns von dem Erlebten ablenken und wieder ein wenig zur Normalität zurückfinden. Mrs. Stevens-McCormmick steckte sich eine Zigarette nach der nächsten an und vertiefte sich in das Castro-Manuskript, Dr. Tiller wählte sich etwas leichteren Lesestoff aus den Bücherregalen. Lady Gordon hielt es nicht länger auf ihrem Stuhl: Sie begann damit, sämtliche Íllampen und Wassereimer wieder aufzufüllen. Ich half ihr dabei. Pater Benedict verkroch sich in Dr. Brewers Büro, um in dessen ?gyptologie-Buchsammlung eventuell etwas über das Zeichen, das Darlene gemalt hatte, herauszufinden. Nachdem Lady Gordon und ich mit dem Auffüllen der Lampen und Eimer fertig waren, brachten wir Colonel Billings wieder in sein Zimmer zurück - Harding würde es ja nun nicht mehr benötigen.

 

Anschlie?end begab ich mich wieder in die Bibliothek, während Lady Gordon noch nach den anderen Patienten schauen wollte. Dr. Tiller hatte die Augen geschlossen und war offensichtlich eingenickt oder beabsichtigte, dies zu tun. Als ich eintrat, hob Mrs. Stevens-McCormmick den Kopf und erkundigte sich nach meinem Befinden. Wir unterhielten uns kurz darüber, was Lady Gordon am Leuchtturm zugesto?en sein könnte, kamen aber zu keinem Ergebnis. Mrs. Stevens-McCormmick glaubte jedenfalls nicht, dass sich dort oben noch jemand aufhalten würde. Ich schlug vor, den Leuchtturm am nächsten Tag noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

 

Als es Abend wurde, begann Blanche damit, das Dinner vorzubereiten. Lady Gordon, die die ganze Zeit im Haus umhergestreift war, kam in die Bibliothek und unterhielt sich leise mit Dr. Tiller. Soweit ich sie verstehen konnte, wollte sie ihn davon überzeugen, eine weitere Sitzung mit Darlene abzuhalten, um ihre Annephis-Identität nach den letzten Ereignissen zu befragen. Dr. Tiller hielt dies jedoch für unsinnig, da diese darüber nichts wissen könne und sie auch keine neuen Erkenntnisse hätten, zu denen sie Annephis befragen könnten. Als Lady Gordon anfing, Dr. Tiller von einer Kugel zu berichten, die sie auf dem Leuchtturm beobachtet haben wollte, spitzte ich die Ohren. Sie hatte also tatsächlich etwas gesehen. Dr. Tiller vermutete jedoch, dass Lady Gordons Bewusstsein ihr aufgrund des Schmerzschocks einen Streich gespielt hatte. Auszuschlie?en war das natürlich nicht. Als Lady Gordon schlie?lich Hardings Reaktion auf Annephis' Zeichen erwähnte und Dr. Tiller sich zu dem Satz "Glauben Sie etwa, was Mrs. Stevens-McCormmick da erzählt hat?" hinrei?en lie?, konnte selbige natürlich nicht mehr so tun, als würde sie von dem Gespräch nichts mitbekommen. Sie fragte ihn, warum er sich Harding denn nicht selbst einmal ansehen würde.

 

Bevor dieser Disput in einen echten Streit eskalieren konnte, ertönte jedoch glücklicherweise ein lautes "Essen!" aus der Küche. Wir beschlossen, unsere Debatte nach dem Abendessen mit weniger erhitzten Gemütern fortzusetzen. Pater Benedict kam die Treppe herunter (er war natürlich nicht fündig geworden) und wir holten die verbliebenen fünf Patienten aus ihren Zimmern.

 

Nachdem wir uns gestärkt, die Patienten versorgt und wieder eingeschlossen hatten, war es schon später Abend geworden und wir versammelten wir uns erneut in der Bibliothek. Als sich die anderen anschickten, sich wieder in ihre Bücher zu vertiefen oder die Augen zu schlie?en, fragte ich kurzerhand in die Runde, ob wir uns denn nun noch in Gefahr befinden würden, denn dann wäre es ja eventuell sinnvoll, entsprechende Schutzma?nahmen zu ergreifen. Pater Benedict war davon überzeugt, dass sich auf dem Turm noch jemand aufhalten würde, also schlug ich vor, wieder Wachen aufzustellen, ein gemeinsames Schlafgemach zu beziehen und alle Türen - soweit möglich - zu verriegeln und zu verrammeln. Es verstrichen einige Sekunden, ohne dass jemand etwas sagte, dann erhob sich Mrs. Stevens-McCormmick mit dem Hinweis, dass sie etwas frische Luft schnappen müsse. Sie verlie? die Bibliothek und wir hörten, wie sie im Foyer den Haupteingang öffnete. Nach einigen Sekunden vernahmen wir plötzlich ihre Stimme.

 

Sie schrie wie am Spie?. Dann flog die Eingangstür krachend ins Schloss.

 

Fortsetzung in Teil 18: Die Nacht des roten Todes

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Teil 18: Die Nacht des roten Todes, Teil 1

 

Forsetzung Session 02.02.2008

 

Wir stürzten ins Foyer. Mrs. Stevens-McCormmick befand sich etwa zwei Meter von dem geschlossenen Haupteingang entfernt und wich langsam von der Tür zurück, wobei sie am ganzen Leib zitterte. "Was ist los?", rief ich, während ich auf sie zu rannte. Sie blickte uns an - ihr Gesicht ein einziger Ausdruck des Entsetzens. "Da... da war was", stammelte sie, "Mr. Johnson - er ist weg! Oh, Gott! Da war was!" Mehr brachte sie nicht mehr hervor. Dr. Tiller führte sie in die Bibliothek und setzte sie auf die Couch. Die anderen folgten den beiden, ich rannte nach oben, um meine Elefantenbüchse zu holen.

 

Als ich zurückkehrte, war Blanche inzwischen ebenfalls im Foyer eingetroffen und blickte mich fragend an. Ich war allerdings im Augenblick nicht in der Stimmung, mich mit ihr zu unterhalten, also lie? ich sie stehen und postierte mich an der offenen Tür zur Bibliothek. So konnte ich verstehen, was drinnen gesprochen wurde und dabei gleichzeitig den Haupteingang im Auge behalten. Ich wusste zwar nicht, was Mrs. Stevens-McCormmick gesehen hatte, aber wenn Johnsons Leiche tatsächlich verschwunden war, dann drohte wahrscheinlich Gefahr. In der Bibliothek herrschte Stille - Mrs. Stevens-McCormmick zog mit zitternden Fingern an einer Zigarette und alle warteten gespannt, bis sie sich wieder etwas beruhigt und ihre Sprache zurückerlangt hatte.

 

Sie berichtete, dass sie etwa fünf Meter vor dem Eingang einen Ring aus rötlichem Leuchten gesehen hatte, der um das ganze Gebäude herumzuführen schien. Aus diesem Ring hatte sich etwas gelöst, das wie eine Art Schlauch ausgesehen und nach Johnsons Leichnam gegriffen hatte. Der Schlauch hatte Johnson zu sich herangezogen, wobei dieser regelrecht verkümmert bzw. zusammengeschrumpelt wäre. Dann hatte sie geschrieen und die Tür zugeschlagen.

 

Dr. Tiller beugte sich vor, um Mrs. Stevens-McCormmicks Augen zu untersuchen und fragte sie, ob sie irgendetwas eingenommen hätte. Sie versicherte, dass sie sich genauso wenig erklären konnte, was sie da gerade gesehen hatte. Ich wollte jedenfalls Gewissheit: Ich begab mich zum Haupteingang und öffnete die Tür. In etwa fünf Metern Entfernung sah ich einen schwach rötlich schimmernden Lichtschlauch, der sich knapp über dem Boden schwebend nach links und rechts erstreckte. Der Leichnam von Johnson war tatsächlich verschwunden - genau wie Mrs. Stevens-McCormmick gesagt hatte. Was zum Teufel war hier los?

 

In diesem Moment hörte ich Lady Gordon rufen: "Es stimmt!" Sie hatte offenbar einen Blick aus einem der Fenster in der Bibliothek geworfen. "Was stimmt?", hörte ich Dr. Tiller fragen. Kurz darauf kam Pater Benedict aus der Bibliothek auf mich zu und meinte: "Es ist noch da." - "Ja, ich sehe es", antwortete ich und wies auf die geöffnete Tür. "Und Johnson ist weg", fügte ich hinzu. Blanche trat neben uns und schaute ebenfalls ungläubig hinaus.

 

"Ich denke, wir sollten besser mal nach den Patienten schauen", schlug ich Pater Benedict vor. Kaum hatte ich diesen Satz beendet, erscholl ein markerschütternder Todesschrei aus dem Patiententrakt. Gleichzeitig nahm der Lichtschlauch vor dem Eingang an Leuchtkraft zu. Während ich noch starr vor Schreck auf die Leuchterscheinung blickte, fasste sich Pater Benedict ein Herz und warf die Eingangstür zu. Der Knall holte mich in die Realität zurück und ich stürmte gemeinsam mit dem Pater in Richtung Patiententrakt. Aus der Bibliothek taten es uns Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick gleich.

 

Der Schrei hatte von einer männlichen Person gestammt, also war unser erstes Ziel das Zimmer E4 von Henry Adam Barber. Ein kurzer Blick durch die in der Tür angebrachte Klappe offenbarte uns, dass er zwar wach, aber unversehrt war. Die nächste Station war das Zimmer von Colonel Billings, E2. Er lag auf seinem Bett und schlief. Blieb nur noch Leonard Hawkins übrig, den wir in Zimmer E3 einquartiert hatten. Der Raum war völlig dunkel, jedoch konnte man am Fenster Hawkins' Umrisse erkennen. Ich schloss die Tür auf und irgendjemand leuchtete mit einer Íllampe in den Raum. Die Scheibe des Fensters war zertrümmert und Hawkins' Oberkörper halb durch die Gitterstäbe gezogen worden, au?erdem war er bis auf die Knochen mumifiziert.

 

Ich schaffte es nicht, meinen Blick von Hawkins' ?berresten zu lösen. Mein Verstand sagte mir, dass es besser wäre, schnell von hier zu verschwinden, aber meine Fü?e bewegten sich nicht. Pater Benedict, der neben mir gestanden hatte, machte einige vorsichtige Schritte in den Raum hinein. Ich tapste ihm einfach hinterher. "Die Patienten müssen von den Fenstern weg, wir müssen sie aus den Zimmern rausholen", murmelte Lady Gordon und entfernte sich den Flur entlang in Richtung Foyer. Mrs. Stevens-McCormmick stand immer noch im Türrahmen und starrte fassungslos auf die Szenerie. Der Pater deutete mir mit einer Kopfbewegung an, aus dem Fenster zu schauen. Vorsichtig spähte ich hinaus und konnte zwischen den Gitterstäben und Hawkins' skelettierter Gestalt den rötlichen Lichtschlauch erkennen. Scheinbar führte er tatsächlich um das ganze Gebäude.

 

Genau in diesem Moment gellte ein weiterer Schrei durch das Haus. Es war die Stimme von Blanche und sie kam aus dem Foyer. Pater Benedict stürzte sofort aus dem Zimmer an Mrs. Stevens-McCormmick vorbei und folgte Lady Gordon den Gang hinunter. Ich wollte ihnen einfach nicht folgen. Nicht noch ein Opfer. Ich sah, wie sich das rötliche Leuchten abermals verstärkte. "Die Leute müssen von den Fenstern weg!", hörte ich Lady Gordon rufen und Pater Benedict brüllte aus Leibeskräften nach Dr. Tiller, der sich immer noch in der Bibliothek aufhielt. Hastige Schritte drangen aus dem Flur an mein Ohr, Türen wurden aufgerissen und zugeworfen. All dies nahm ich jedoch nur am Rande wahr. Ich legte meine Elefantenbüchse auf den Lichtschlauch an und feuerte beide Läufe gleichzeitig ab. Gras und Erde spritzten hinter der Leuchterscheinung hoch. Die Kugeln gingen einfach hindurch! Mit einem letzten Funken Geistesgegenwart wich ich von dem Fenster zurück.

 

Es dauerte einige Sekunden, dann hatte ich endlich meine Fassung vollends zurückerlangt. Ich erinnerte mich daran, dass Lady Gordon und Pater Benedict die Patienten aus den Zimmern holen wollten, also verlie? ich den Raum, um zu sehen, ob ich ihnen noch irgendwie dabei helfen konnte. Auf dem Gang herrschte das totale Chaos: Lady Gordon hatte Darlene auf den Stuhl in der Nische des Pflegepersonals gesetzt und war gerade gemeinsam mit Mrs. Stevens-McCormmick dabei, Dr. Tiller von der Tür zum Foyer wegzuziehen. Tiller war offensichtlich nicht mehr Herr seiner Sinne: Er lachte nur noch hysterisch und zeigte immer wieder in Richtung Haupteingang. Mrs. Stevens-McCormmick versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, er hörte jedoch nicht auf zu lachen. Pater Benedict rüttelte an der Tür von Colonel Billings und schrie nach einem Schlüssel. Dazwischen stand der heftig protestierende Henry Adam Barber, den irgendjemand aus seinem Zimmer gezerrt und dann einfach stehen gelassen hatte.

 

Pater Benedict befand sich mir am nächsten, also eilte ich zu ihm hin und schloss die Tür zu Colonel Billings Zimmer auf. Gemeinsam hievten wir den Colonel in seinen Rollstuhl und schoben ihn auf den Gang hinaus. Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick hatten Dr. Tiller inzwischen ebenfalls in den Gang gezogen und die Tür zum Foyer geschlossen. Direkt neben der Nische befand sich ein Putzschrank und gegenüber eine Abstellkammer, beide fensterlos. Aus der Kammer holte Lady Gordon eine Decke und hing diese über das Fenster in der Nische. Kurz konnte sie noch erkennen, dass das rötliche Leuchten inzwischen ziemlich hell geworden war. Dann bugsierten wir Darlene und Colonel Billings in den Putzschrank, Henry Adam Barber sperrten wir in die Abstellkammer. Letzterer beschwerte sich zwar lautstark, aber in dieser Situation hatten wir einfach keine andere Wahl.

 

Nachdem die Patienten in Sicherheit waren, konnten wir einen Augenblick durchatmen. Dr. Tiller kam wieder zu sich, sah aber sehr mitgenommen aus. Langsam rutschte er an der Wand hinunter und setzte sich schlie?lich kreidebleich auf den Boden. Mrs. Stevens-McCormmick kniete sich neben ihn: "Dr. Tiller? Was haben Sie gesehen, was ist passiert?" Tiller starrte ins Leere. "Blanche... ist tot", brachte er mühsam hervor, dann sagte er nichts mehr. "Was geht hier vor?", fragte Mrs. Stevens-McCormmick in die Runde. Niemand wusste darauf eine Antwort. "Auf jeden Fall kann man es nicht erschie?en", merkte ich an.

 

Es verstrichen einige Minuten, in denen wir einfach nur dasa?en und nicht weiter wussten. "Ich will hier raus, lassen Sie mich hier raus!", brüllte Henry Adam Barber und trommelte gegen die Tür der Abstellkammer. "Können Sie ihn irgendwie beruhigen?", fragte Lady Gordon Dr. Tiller. Dieser blickte sie jedoch noch nicht einmal an und murmelte nur: "Geben Sie ihm Beruhigungsmittel." Pater Benedict und Mrs. Stevens-McCormmick erklärten sich bereit, über die hintere Treppe ins Obergeschoss zu gehen, um aus dem Medikamentenlager die entsprechenden Präparate und eine Spritze zu holen. "Beeilen Sie sich, schauen Sie auf keinen Fall raus und halten Sie sich von den Fenstern fern", riet Lady Gordon ihnen überflüssigerweise.

 

Nach wenigen Minuten kehrten sie zurück. Dr. Tiller sah sich jedoch au?erstande, in seinem Zustand eine Spritze zu setzen - seine Hände zitterten immer noch sehr stark. Schlie?lich erklärte sich Mrs. Stevens-McCormmick bereit, es zu versuchen. Sie nahm die Spritze in die Hand, dann jedoch hockte sie sich plötzlich hin und starrte einige Sekunden ins Leere. Ich wollte sie gerade fragen, was los ist, als sie mit einem kurzen Aufschrei hoch schreckte und verwirrt umherschaute: "Ich werde noch wahnsinnig hier!" Noch ehe jemand eine Frage stellen konnte, fügte sie hinzu: "Ich glaube, ich hatte gerade eine Vision."

 

Fortsetzung in Teil 19: Die Nacht des roten Todes, Teil 2

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Teil 19: Die Nacht des roten Todes, Teil 2

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

Mrs. Stevens-McCormmick blickte in vier verdutzte Gesichter. "Was meinen Sie mit Vision?", fragte Lady Gordon. "Ich habe mich selbst vor einem der Fenster stehen sehen und beobachtet, wie drau?en ein gelbes Leuchten war und sich gro?e Brocken aus dem Erdboden gelöst haben und nach oben geflogen sind", stammelte Mrs. Stevens-McCormmick schlie?lich. "Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn", fügte sie hinzu, legte die Spritze und das Beruhigungsmittel beiseite und erklärte, dass sie es lieber doch nicht versuchen wolle. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was sie da gerade gesehen hatte, und augenscheinlich ging es auch den anderen nicht anders. Vermutlich waren ihr einfach nur die Nerven durchgegangen.

 

Abermals verlangte Barber lautstark, aus der Abstellkammer herausgelassen zu werden. Mrs. Stevens-McCormmick holte eine Packung Zigaretten hervor, zündete sich eine davon an, und noch ehe wir reagieren konnten, stand sie auf, öffnete die Tür und hielt Barber die Schachtel hin: "Rauchen Sie?" Barber ignorierte das Angebot jedoch völlig und stapfte nur mit den Worten "Na endlich!" an Mrs. Stevens-McCormmick vorbei den Gang hinunter in Richtung seines Zimmers.

 

Die erste, die aufsprang, war Lady Gordon. Sie rannte ihm hinterher und versuchte, ihn dazu zu überreden, nicht in sein Zimmer zu gehen, da dieses gerade gereinigt würde. Barber glaubte ihr jedoch kein Wort und setzte seinen Weg fort. Daraufhin befahl ihm Mrs. Stevens-McCormmick, sich wieder hinzusetzen und still zu sein. Als auch dies nicht fruchtete, versuchte Lady Gordon, ihn festzuhalten, bekam ihn jedoch nicht gepackt. Nun setzten ihm auch Mrs. Stevens-McCormmick und Pater Benedict nach und versuchten, ihn aufzuhalten, doch es war zu spät: Barber hatte sein Zimmer bereits erreicht.

 

Glücklicherweise waren die Vorhänge vor seinem Fenster zugezogen. Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick folgten ihm und redeten weiter auf ihn ein - erfolglos. Ich entschloss mich zu einer anderen Taktik: Ich stürzte voller Panik in sein Zimmer, schrie "Raus hier! Raus hier!" und versuchte, ihn zu packen. Aber auch ich bekam ihn nicht richtig zu fassen - er war schlüpfrig wie ein Aal. Mrs. Stevens-McCormmick gab mir durch einige Gesten zu verstehen, dass sie es lieber gewaltlos versuchen wolle, also hielt ich mich danach zurück. Sie begann, auf Barber einzureden. Pater Benedict kam herein. Offenbar war auch er inzwischen bereit, Henry Adam Barber mit Gewalt aus seinem Zimmer zu holen - als er jedoch sah, dass Mrs. Stevens-McCormmick mit ihm redete, zog er sich wieder zurück.

 

Barber hatte sich auf sein Bett gesetzt und verlangte, dass wir sein Zimmer verlassen. Lady Gordon ging hinaus. Da ich zu der ?berzeugung gelangt war, dass Barber durch die geschlossenen Vorhänge vor dem Lichtschlauch gut genug geschützt war, folgte ich ihr. Mrs. Stevens-McCormmick blieb allein mit Barber zurück. Lady Gordon holte ein paar Decken aus der Abstellkammer und deckte sie über Darlene und Colonel Billings, die im Putzschrank inzwischen eingeschlafen waren. Ich setzte mich neben Dr. Tiller, der auf dem Stuhl in der Nische Platz genommen hatte. Pater Benedict lie? sich neben uns nieder und fragte, ob er Dr. Tiller irgendwie beistehen könne, doch dieser schüttelte nur den Kopf.

 

Endlich kehrte etwas Ruhe ein. Das einzige, was zu hören war, war die Stimme von Mrs. Stevens-McCormmick, die weiter beruhigend auf Barber einredete. Dann jedoch wurde sie etwas lauter: "Bleiben Sie sitzen!" Das nächste, was wir hörten, war das Geräusch von Vorhängen, die aufgezogen wurden, dann folgten das Klirren von Glas und ein kurzer, aber heftiger Aufschrei. Barber hatte es erwischt. Ich vergrub meinen Kopf zwischen den Händen. Kurz darauf taumelte Mrs. Stevens-McCormmick aus dem Zimmer. Lady Gordon nahm sie in Empfang und führte sie zu uns in die Nische, wo sie sich zitternd auf den Boden setzte. Um etwas mehr Platz zu schaffen, hob Pater Benedict den Schreibtisch an und stellte ihn senkrecht vor das Fenster.

 

Vorerst blieb uns nichts anderes übrig, als hier abzuwarten, bis die Nacht vorüber war. Von den Patienten waren nur noch Darlene und Colonel Billings am Leben, und diese befanden sich momentan in Sicherheit. So sa?en wir einfach da im schummrigen Licht der heruntergedrehten Íllampen und warteten ab, was als nächstes passieren würde. Nach Barbers Tod war es geradezu gespenstisch still geworden. Die Nacht erschien uns bereits eine Ewigkeit gedauert zu haben, tatsächlich waren aber erst wenige Minuten verstrichen, seit Mrs. Stevens-McCormmick vor die Tür getreten war, um ein wenig frische Luft zu schnappen. In diesen wenigen Minuten waren drei Menschen gestorben - und es war noch nicht einmal Mitternacht.

 

Plötzlich erhob Pater Benedict seine Stimme: "Wie kann man dieses Leuchten aufhalten, stoppen, vernichten?" Er klang verzweifelt. "Licht, Feuer, Wasser", antwortete ich ihm kurz und bündig - dies waren die drei Dinge, die Darlene uns in ihrer Annephis-Identität aufgezählt hatte. Meine Antwort war nicht wirklich ernst gemeint, aber Pater Benedict stieg darauf ein: "Braucht man alles drei oder reicht eines davon? Und muss es sich um flie?endes Wasser handeln oder reicht stehendes?" Natürlich konnte ihm diese Fragen niemand beantworten. "Im Castro-Manuskript steht jedenfalls, dass die Kreaturen erst im Meer vernichtet wurden", warf Lady Gordon ein. "Meer haben wir hier jedenfalls genug", stellte Mrs. Stevens-McCormmick mit einem nervösen Lachen fest. Ich merkte an, dass es uns schwer fallen dürfte, Licht ins Meer zu treiben, aber dass wir hier durchaus über eine Menge Benzin verfügen würden - für Feuer könnten wir also sorgen. Wir diskutierten mehrere Möglichkeiten: Lady Gordon wollte mit den Benzinkanistern eine Schneise zum Meer hin bauen; ich schlug vor, das Benzin genau an der Stelle auszuschütten, an der nun der Lichtschlauch zu sehen war, und es zu entzünden, sobald er in der nächsten Nacht wieder dort auftauchen würde. Pater Benedict erwog sogar, das Benzin in Flaschen abzufüllen, um daraus Wurfbrandbomben zu bauen. Alle diese Vorschläge erschienen uns jedoch bei näherer Betrachtung als wenig Erfolg versprechend.

 

"Wollen Sie einen zweiten Weltkrieg beginnen?", fragte Dr. Tiller in die Runde, "gegen was wollen Sie da eigentlich kämpfen?" So recht klar war uns das in der Tat nicht. Mrs. Stevens-McCormmick schlug jedenfalls vor, besser nach einem Weg zu suchen, von der Insel herunterzukommen. Wenn es sich tatsächlich um eine solche Kreatur wie aus dem Castro-Manuskript handeln würde, die nicht ins Wasser kann, dann wären wir auf dem Meer jedenfalls in Sicherheit. Dem widersprach Lady Gordon jedoch: "Wenn diese Wesen nicht ins Wasser können, warum befestigen dann irgendwelche Seeleute Schutzsymbole unter dem Bug ihrer Schiffe? Vermutlich hei?t das nur, dass diese Wesen im Wasser getötet werden können, nicht aber, dass sie im Wasser von alleine umkommen."

 

Ich wusste zwar nicht, wie Lady Gordon auf einen Zusammenhang zwischen unserer Situation und dem Brief, den sie in Ebenezers Haus gefunden hatte, gekommen war, aber das Gespräch war inzwischen ohnehin sehr abenteuerlich geworden. Wir heckten Taktiken gegen etwas aus, von dem wir noch nicht einmal ansatzweise wussten, um was es sich handelt. Au?erdem zogen wir mit unseren Mutma?ungen ja indirekt in Betracht, dass es sich tatsächlich um eine Art mythologisches Monster aus dem alten ?gypten handelte und Darlenes Annephis-Identität offenbar die echte Annephis war. Ein völlig irrwitziger Gedanke - das war uns vollkommen klar. Aber: Was hatten wir für Alternativen?

 

Pater Benedict kam schlie?lich auf die Idee, den Leuchtturm anzuzünden - einerseits wussten wir, dass dort oben noch irgendjemand oder irgendetwas sein musste, das Lady Gordon verletzt hatte, andererseits hatten der Pater und ich ja auch genau dort bereits ein rötliches Leuchten gesehen, als wir in der ersten Nacht den Schreien von Mrs. Randolph gefolgt waren. Es deutete also alles darauf hin, dass es - was immer "es" auch war - sich tagsüber wahrscheinlich in oder auf dem Leuchtturm aufhalten würde. Mit genügend Holz und Benzin sollte es kein Problem darstellen, auch einen metallenen Leuchtturm in ein flammendes Inferno zu verwandeln. Ich hielt das Ganze zwar für ziemlich gewagt, aber in unserer verzweifelten Situation erschien mir dies noch als der sinnvollste Vorschlag.

 

Dr. Tiller erklärte uns zwar alle für völlig verrückt, aber da auch er keine bessere Idee hatte, lie? er uns gewähren. Lady Gordon zählte auf: "Licht, Feuer, Wasser - wir haben Tageslicht, mit Feuer treiben wir es ins Wasser, aber wie bringen wir es dann im Wasser um?" Ich merkte an, dass es wahrscheinlich nicht notwendig sei, alle drei Dinge gleichzeitig anwenden zu müssen, denn laut Castro-Manuskript hatte Annephis die Kreaturen in den Nil getrieben - ohne Feuer und Licht. Stattdessen hatte sie allerdings irgendwelche Steine gehabt, über die wir rein gar nichts wussten. Uns fiel das Symbol ein, das Darlene in ihrer Annephis-Identität gezeichnet hatte. Vielleicht hatte sich dieses Symbol auf den Steinen befunden und dann wäre es eventuell möglich, damit auch noch etwas zu erreichen - immerhin hatte ja auch Hardings andere Identität darauf reagiert.

 

Mrs. Stevens-McCormmick und Dr. Tiller waren zwar der ?berzeugung, dass es sich um eine Art Maschine oder einen Wahnsinnigen handeln musste, die oder der sich dort oben auf dem Leuchtturm befand, letzten Endes war dies jedoch einerlei - die Ursache war offensichtlich dort zu suchen. Ich schlug vor, morgen bei Tageslicht mit genug Benzin zum Leuchtturm zu gehen, Holz darin aufzuschichten und das Ganze anzuzünden. Sollte der Wahnsinnige, der dort oben hauste, aus dem Turm herauskommen, würden wir ihn mit dem Zeichen ins Meer treiben. Somit hatten wir alles: Feuer, Tageslicht, Wasser und das Zeichen. Das alles klang zwar ziemlich verwegen, aber immerhin: Wir hatten einen Plan.

 

Als die Uhr Mitternacht zeigte, stieg unsere Zuversicht, dass uns in dieser Nacht keine unliebsamen ?berraschungen mehr bevorstehen würden. Trotzdem blieben wir natürlich sicherheitshalber in der Nische und dem Gang sitzen, denn dass der rote Lichtschlauch verschwunden war, daran glaubte niemand von uns. Pater Benedict schlug vor, dass wir abwechselnd schlafen sollten, und legte sich gleich als Erster hin. Ich begann, meine Waffe zu putzen. Als es gegen 1 Uhr immer noch ruhig geblieben war, beschloss ich, ebenfalls die Augen zu schlie?en. Um 4 Uhr weckte mich Lady Gordon und fragte, ob wir tauschen könnten. Ich blieb wach bis 8 Uhr morgens, dann öffnete ich vorsichtig die Tür zu Barbers Zimmer. Zwischen den Gitterstäben und den darin verkeilten mumifizierten ?berresten des ehemaligen Bewohners drang Tageslicht herein. Argwöhnisch spähte ich hinaus. Das rötliche Leuchten war verschwunden.

 

Die Nacht war überstanden.

 

Fortsetzung in Teil 20: Gegenoffensive

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Teil 20: Gegenoffensive

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

5. Tag

 

Ich begab mich wieder auf den Gang. Pater Benedict war ebenfalls wach geblieben, und so teilte ich ihm mit, dass das rötliche Leuchten nicht mehr zu sehen sei. Wir beschlossen, die beiden Damen zu wecken, Dr. Tiller jedoch noch nicht - in seinem Zustand war ein wenig mehr Schlaf vielleicht besser für sein Seelenheil. "Ich kümmere mich erst mal um Blanche", verkündete Pater Benedict, nahm sich zwei Decken aus der Abstellkammer, öffnete die Tür zum Foyer und deckte die vertrockneten ?berreste der ehemaligen Patientin ab, damit uns der Anblick erspart blieb. Der Haupteingang stand immer noch sperrangelweit offen.

 

Lady Gordon holte inzwischen Darlene aus dem Putzschrank und brachte sie in ihr Zimmer zurück, ich tat das Gleiche mit Colonel Billings. Wir versorgten unsere beiden Patienten kurz, dann trafen wir uns alle im Flur wieder. "Bevor wir zum Leuchtturm gehen, sollten wir vielleicht die Fenster von Darlene und Colonel Billings von au?en verhängen", schlug Lady Gordon vor, "und ihnen einen kleinen Essens- und Wasservorrat in die Zimmer stellen." Als sie unsere fragenden Blicke bemerkte, fügte sie hinzu: "Falls wir nicht wiederkommen."

 

Zwar war mir im Grunde klar, das diese Möglichkeit durchaus bestand, aber dafür Vorbereitungen zu treffen, lie? sie mir auf unangenehme Weise real erscheinen. Wie dem auch sei: Weder Darlene noch Colonel Billings waren in der Lage, sich selbst zu versorgen, auch wenn das Essen direkt vor ihrer Nase stand. Trotzdem sagte ich nichts. Wahrscheinlich würde Dr. Tiller ohnehin hier bleiben wollen und sich - sollten wir tatsächlich nicht zurückkehren - weiter um die Patienten kümmern.

 

Pater Benedict und ich marschierten zu den Schuppen, um die Benzinkanister zu holen. Ich wollte die Tür des Verschlags gerade öffnen, als mich der Pater plötzlich am Arm festhielt. "Was ist, wenn es im Dunkeln im Schuppen sitzt?", fragte er. Ich war jedoch gerade nicht in der Stimmung für übermä?ige Vorsicht - ich wollte endlich etwas unternehmen. "Das können wir dann auch nicht mehr ändern", antwortete ich und zog die Tür auf. Im Schuppen war alles ruhig. "Das letzte, was sie sahen, war ein roter Lichtschlauch...", murmelte der Pater, während wir durch die Tür in das staubige Zwielicht traten.

 

Wie sich schnell herausstellte, war so ein Kanister mit fünf Gallonen Benzin ziemlich schwer. Mit blo?en Händen lie?en sich zwar pro Person zwei davon tragen, aber bis zum Leuchtturm würden wir das auf keinen Fall durchhalten. Glücklicherweise entdeckten wir nach kurzer Suche eine kleine Schubkarre. Pater Benedict und ich luden vier Kanister auf, dann machten wir uns auf den Weg zurück zum Sanatorium, um die Damen abzuholen.

 

Lady Gordon wartete bereits vor der Tür auf uns und teilte uns mit, dass Mrs. Stevens-McCormmick nur noch etwa eine Stunde benötigen würde, bis sie das Castro-Manuskript durchgearbeitet hätte - vielleicht wäre in dem Buch ja noch irgendein hilfreicher Hinweis für uns enthalten. "Am besten gehen Sie mit dem Benzin vor und Mrs. Stevens-McCormmick und ich kommen dann später nach", schlug Lady Gordon vor, "in der Zwischenzeit sammle ich hier schon mal Holz und verhänge die Fenster von Darlene und Colonel Billings von au?en wie besprochen."

 

Gesagt, getan. Bis zum Leuchtturm benötigten Pater Benedict und ich ebenfalls etwa eine Stunde, wobei wir uns dabei abwechselten, die schwere Schubkarre über den unebenen Trampelpfad zu wuchten. Der Turm stand noch genau so da, wie die anderen ihn tags zuvor verlassen hatten - inklusive des Spatenstiels, der noch immer unter der Klinke der stählernen Tür klemmte. Bedeutete dies, dass dort oben doch niemand war? Oder konnte das, was immer dort oben lauerte, den Turm verlassen, ohne dabei auf die Tür angewiesen zu sein? Wie auch immer, wir entschlossen uns, unseren Plan fortzusetzen. Wir stellten die Kanister neben der Tür ab und begannen, im nahe gelegenen Wäldchen trockene ?ste und Reisig sowie am Strand trockenes Treibholz zu sammeln.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/leuchtturm.jpg

 

Eine Dreiviertelstunde später näherten sich die beiden Damen. Sie hatten zwei lange Holzlatten zu einer behelfsmä?igen Trage umfunktioniert, auf der sie einen ansehnlichen Holzstapel transportierten. Lady Gordon hatte sich sogar aus einem Bettlaken eine Trageschlaufe angefertigt, um ihren verletzten Arm nicht belasten zu müssen. Sie teilte uns mit, dass sie Dr. Tiller zwar geweckt hatte, dieser es aber wie erwartet vorzog, im Sanatorium zu bleiben. Er hätte immer noch keinerlei Verständnis für unseren Plan und wolle einfach nur in Ruhe gelassen werden. Mrs. Stevens-McCormmick hatte das Castro-Manuskript durchgelesen, meinte jedoch, dass darin nichts enthalten wäre, was uns in der momentan Situation nutzen würde.

 

Vorsichtig öffneten wir die Tür des Leuchtturms und vergewisserten uns, dass keine unmittelbare Gefahr drohte, dann warf ich zum ersten Mal einen Blick ins Innere. Wie von den anderen beschrieben war es staubig und düster. Eine metallene Wendeltreppe füllte den Innenraum bis auf wenige Zentimeter zur Wand hin aus, so dass man nicht weit nach oben schauen konnte. Wir beeilten uns, das gesammelte Holz am Fu? der Wendeltreppe aufzuschichten.

 

"Sollen wir noch mehr Benzin holen?", fragte Lady Gordon, als wir unsere Arbeit beendet hatten. "Also, um das Holz anzuzünden, reichen zwanzig Gallonen mit Sicherheit", antwortete Pater Benedict nicht ohne eine Spur Ironie. Ich erinnerte mich schmerzhaft an die Explosion der fünf Gallonen, die wir über die Leichen geschüttet hatten, und konnte dem Pater nur zustimmen: Noch mehr war mit Sicherheit nicht nötig.

 

Wir waren uns allerdings einig, dass es nicht sonderlich effektiv wäre, das ganze Benzin nur auf dem Boden des Turms zu verteilen. Sicherlich gäbe es eine gro?e Verpuffung, aber dann würde nur noch das Holz brennen, und das Feuer wäre wahrscheinlich nicht stark genug, um auch die Turmspitze zu erreichen. Mrs. Stevens-McCormmick schlug vor, einen Benzinkanister als eine Art Sprengfalle direkt unter der Luke zu platzieren, wir waren uns jedoch nicht sicher, ob die Hitze des Feuers unten im Turm ausreichen würde, um den oberen Kanister zur Explosion zu bringen.

 

Lady Gordon wollte eine Feuerschneise zum Meer hin legen, damit das, was auch immer aus dem Turm kommen sollte, sich nur noch in Richtung Wasser bewegen konnte. Ich merkte jedoch an, dass sich der- oder dasjenige kaum freiwillig ins Wasser begeben würde, wenn er oder es wei?, dass es dort vernichtet wird - so dass wir auch diesen Plan wieder verwarfen.

 

Wenn wir auf Nummer sicher gehen wollten, dann blieb uns nichts anderes übrig, als so viel Benzin im Turm zu verteilen wie möglich, und zu hoffen, dass das entstehende Feuer ausreichen würde, um das Problem endgültig zu lösen. Da wir uns aufgrund der dabei entstehenden Dämpfe beeilen mussten, beschlossen wir, dass sich Pater Benedict und ich jeweils mit einem Kanister in den Turm begeben und das Benzin die Wände herunter laufen lassen sollten. Dann würden wir uns möglichst schnell nach unten begeben und den Inhalt des dritten Kanisters über das Holz verteilen, während Mrs. Stevens-McCormmick mit dem vierten Kanister eine möglichst lange Lunte vom Eingang weg legen sollte. Lady Gordon würde am Ende dieser Lunte stehen und diese entzünden, sobald sich alle ausreichend weit vom Turm entfernt hätten.

 

Letztere hielt das Ganze jedoch für ein Himmelfahrtskommando: "Wenn Sie unter der Luke mit Benzin hantieren, dann wird der- oder dasjenige auf dem Turm doch sofort angreifen", argwöhnte sie. Pater Benedict und ich erklärten uns jedoch dazu bereit, dieses Risiko einzugehen. Der Pater wickelte ein Taschentuch um einen kurzen Stock und schüttete etwas Benzin darüber. Mrs. Stevens-McCormmick entzündete das Tuch mit ihrem Feuerzeug, dann drückten wir Lady Gordon die provisorische Fackel in die Hand. Sie stellte sich in etwa zehn Metern Entfernung zum Eingang des Turms auf und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

 

Zwei der Kanister stellten wir neben dem Eingang zum Turm ab, Mrs. Stevens-McCormmick postierte sich daneben. Dann griffen sich Pater Benedict und ich jeweils einen der beiden anderen Kanister und stiegen die Wendeltreppe hinauf. Etwa auf halber Höhe blieb der Pater stehen, ich setzte den Weg bis ganz nach oben unter die Luke fort. Dort horchte ich erst mal, ob sich irgendetwas weiter oben regte. Alles war ruhig. Ich öffnete den Deckel des Kanisters und begann, das Benzin gegen die Turmwand zu spritzen, wobei ich langsam die Treppe wieder hinabstieg. Von weiter unten vernahm ich, dass es mir der Pater gleichtat.

 

Ich war gerade drei oder vier Stufen weit gekommen, als ein mächtiger Schlag durch den Turm dröhnte, der das ganze Gebäude erzittern lie?. Ich zuckte vor Schreck zusammen und blickte nach oben, von wo der Lärm gekommen war. Mitten auf der Luke prangte eine etwa kopfgro?e Delle, die sich fünf Zoll nach unten wölbte! Panik stieg in mir auf. Kurz entschlossen legte ich den Benzinkanister auf die Stufen, so dass er weiter auslaufen konnte, dann nahm ich die Beine in die Hand. Hinter mir donnerten zwei weitere Hiebe auf das Metall des Turms, dann hörte ich, wie ein schweres Metallteil - offenbar die Luke - hinter mir die Treppe heruntergepoltert kam.

 

Ich stürmte weiter, ohne mich umzudrehen. Auf halber Höhe traf ich auf Pater Benedict, der offenbar die selbe Idee gehabt hatte wie ich - er hatte seinen Kanister ebenfalls auf eine Stufe gelegt und war gerade im Begriff, die Flucht anzutreten. "Unten auf dem Holz ist noch kein Benzin!", rief ich ihm zu, während wir so schnell wie möglich die Treppe hinabstürzten.

 

Wir waren gerade unten angelangt, als ich hörte, wie noch etwas die Stufen hinabpolterte - dem Geräusch nach zu urteilen der obere Benzinkanister. Mrs. Stevens-McCormmick war glücklicherweise so geistesgegenwärtig gewesen, sofort die Lunte zu legen, als sie gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Sie stand bereits neben Lady Gordon, die mit der brennenden Fackel auf unser Signal wartete. Pater Benedict schnappte sich den letzten Kanister, der noch unten neben der Tür stand, riss ihn auf und begann, Benzin auf das Holz zu spritzen. Ich half ihm dabei, so gut ich konnte. Wenige Sekunden später hörten wir, wie auch der mittlere Kanister die Stufen hinabkam.

 

Wir mussten schnellstens von hier weg. Pater Benedict warf den Benzinkanister auf das Holz, in der Hoffnung, dass noch möglichst viel davon auslaufen würde, dann rannten wir so schnell wir konnten in Richtung der Damen und riefen ihnen zu, sie sollten die Lunte anzünden.

 

Lady Gordon senkte die Fackel auf den Boden und die Lunte fing Feuer. Die Flamme raste zwischen mir und Pater Benedict hindurch, während wir weiter auf die Damen zuliefen. Wir hatten sie fast erreicht, als hinter uns mit einem dumpfen Knall der Turm explodierte. Die Druck- und Hitzewelle warf uns fast zu Boden.

 

Wir hatten zwar nicht so viel Benzin verteilen können, wie uns lieb gewesen wäre, nichtsdestotrotz hatte sich das Innere des Turms in eine einzige Flammenhölle verwandelt, wie wir durch die offen stehende Tür erkennen konnten. Oben quoll schwarzer Rauch hervor, vermutlich aus der Íffnung, in der sich die Luke befunden hatte.

 

Einige Sekunden lang betrachteten wir dieses spektakuläre Schauspiel, dann meldete sich Mrs. Stevens-McCormmick zu Wort. "Was war denn da oben los?", fragte sie. "Es ist gekommen", antwortete ich. "Habe ich doch gleich gesagt", warf uns Lady Gordon vor. "Nun, um so besser", erwiderte ich, "jetzt steckt es mitten im Feuer."

 

"Was meinen Sie denn mit es, haben Sie irgendetwas gesehen?", wollte Mrs. Stevens-McCormmick wissen. Pater Benedict und ich mussten verneinen. Ich teilte Mrs. Stevens-McCormmick jedoch noch mit, was "es" mit der Luke angerichtet hatte.

 

Dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich im Turm etwas bewegte. Ich drehte den Kopf. Aus der Tür quoll etwas hervor...

 

...und ich verlor den Verstand.

 

Fortsetzung in Teil 21: Das Ding, das nicht sein darf

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So, da ich endlich mal on bin, möchte ich die Gelegenheit nutzen und sagen, dass ich diesen Bericht wirklich wunderbar finde und ich mich schon an einigen Stellen sehr gegruselt habe.

 

Gro?es Lob an dich Halvar :)) !

 

Kleine Zwischenfrage hätte ich da aber doch: Kommt jetzt der Schluss oder rückt dieser noch etwas in weite Ferne?

 

Ansonsten immer weiter, kann das Ende kaum abwarten ;) .

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Dramatis personae: Prof. Dr. rer. cult. Rebecca Helen Stevens-McCormmick

 

Rebecca wurde am 13.05.1892 (Freitag) in London als Tochter des Royal Navy-Commanders George Stevens und der Hausfrau Helen Stevens (geb. Bakers) als Einzelkind geboren. Schon früh musste sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, denn ihr Vater war im Namen der Krone viel unterwegs. Daher wurde sie im Alter von 3 Jahren auf das Kent College in Pembury geschickt. Dort wurde sie als vorbildliche Schülerin geschätzt und durfte nach ihrem Abschluss im Jahre 1910 in Oxford studieren. Sie studierte dort Kulturwissenschaften und Sprachen. Sie studierte Spanisch, Französisch und Portugiesisch, wobei ihr Spanisch am besten von der Hand ging. Im Rahmen ihrer Studien erlangte sie zunächst einen Doktortitel (Dr. rer. cult.) der Kulturwissenschaften, Fachrichtung Anthropologie. In diesem Gebiet erlangte sie nach ihrer Habilitation sogar das Recht zu Lehren und kehrte an das Kent College zurück. Da dort der Lehrplan aber keine Anthropologie vorsah, begann sie, Geschichte und Spanisch zu unterrichten. In Oxford entdeckte sie ihre Vorliebe für das Fechten und merkte schnell, dass sie ein gro?es Talent hatte. Sie trat der Fechtmannschaft in Oxford bei und wurde schnell der Captain der Damenmannschaft. Dazu gehörte es allerdings auch, zu lernen wie man erste Hilfe leistet, daher musste sie einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren. Dieser Kurs wurde von einem jungen Arzt namens Johnson McCormmick geleitet und Rebecca verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Er verliebte sich ebenfalls in sie und im Jahre 1912 gaben sie sich das Ja-Wort und lebten in seiner kleinen Wohnung im Norden Londons.

 

Im Jahre 1915 wurde Johnson McCormmick zur Armee einberufen und nach Deutschland verschifft. Nur 4 Monate später erlangte Rebecca die Nachricht des Todes ihres Gatten. Ein Kamerad von Johnson überbrachte diese Nachricht und weitere 2 Wochen später erfuhr Rebecca, dass dieser Kamerad sich in seiner Wohnung das Leben genommen hatte. Im Jahr 1917, als sich Rebecca grade mit dem Tod ihres geliebten Gatten abgefunden hatte, bekam sie die Nachricht, dass ihr Vater von einer deutschen Granate zerfetzt worden war. Diese Nachricht lie? sie in ein tiefes Loch fallen und ein unbändiger Hass gegen die Deutschen keimte ihn ihr auf, der bis heute nicht schwächer geworden ist.

 

Ihre Mutter musste sich nun selbst um ihren Unterhalt kümmern und nahm einen Job als Bibliothekarin in der königlichen Bibliothek in London an.

 

Rebecca war nie sonderlich gläubig, aber nach dem Tod der beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben verlor sie auch das letzte bisschen Glauben an Gott und die Kirche. Von nun an konzentrierte sie sich voll und ganz auf ihren Lehrstuhl und versuchte, den jungen Frauen ihrer Klasse nahe zu bringen, wie wichtig es ist, selbstständig zu sein.

 

Rebecca neigt zur Sturheit, wenn sie sich eine Meinung zu etwas gebildet hat, dann ist diese Meinung für sie 100%ig Fakt, es sei denn, man kann unumstö?liche Beweise erbringen, die die Falschheit ihrer Meinung belegen. Des Weiteren neigt sie dazu, hysterisch zu werden, wenn mal etwas vollkommen Unvorhergesehenes geschieht. Diese Eigenschaft hat sich aber erst nach dem Tode ihrer beiden Männer eingestellt. Auch seit dieser Zeit hat Rebecca immer wiederkehrende Albträume, die den Tod ihres Mannes zum Inhalt haben.

 

Sie hat zwar im Laufe der Zeit gelernt, mit dem Tod ihres Mannes umzugehen, aber dennoch hegt sie den innigen Wunsch, dass er eines Tages wieder in der Tür steht und das alles nur ein böser Albtraum war und sie endlich erwacht, um mit Johnson wieder ein glückliches Leben zu führen.

 

Ihre Gro?mutter vermachte ihr nach ihrem Tod ein sehr wertvolles Amulett, das Rebecca immer bei sich trägt, in diesem Amulett befindet sich ein Foto ihres Mannes. Dieses Foto macht das Amulett für sie erst wirklich wertvoll, denn dieses Foto ist das letzte, was ihr von Johnson geblieben ist.

 

Rebecca hatte in ihrer Jugend einen sehr gro?en Freundeskreis, aber mittlerweile sind nur noch zwei wirklich enge Freunde übrig geblieben, zum einen Amy Peters, eine ehemalige Klassenkameradin aus der Zeit auf dem Kent College und Franklin Lambert, den sie in Oxford kennen lernte. Franklin hegte immer Gefühle für Rebecca, heiratete aber, nachdem sie und Johnson ein Paar wurden, seine Cousine und hat mit ihr mittlerweile zwei Kinder. Beide leben in London.

 

Wenn Rebecca bei ihren Nachforschungen Hilfe benötigt, besucht sie entweder ihre Mutter in der Bibliothek in London oder befragt den Rektor von Kent College, der ein für sie überaus beeindruckendes Wissen besitzt und ihr immer wieder Zugang zur College-Bibliothek verschafft.

 

Zum ?u?eren von Rebecca Helen Stevens-McCormmick ist zu sagen, dass sie von durchschnittlichem Wuchs ist, schlank und überaus attraktiv. Sie bewegt sich sehr geschmeidig, was wohl auf ihre Fechtausbildung zurückzuführen ist. Ihre Augenfarbe ist blau und ihre Haare sind blond und stets zu einer strengen Hochsteckfrisur "frisiert". Sie trägt eine Brille und zumeist modische Kleider, wie knielange Röcke und weite Blusen.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/rebeccahelenstevensmccormick.jpg

 

Anmerkung: Der Hintergrund wurde auf jene Dinge gekürzt, die den anderen Spielern bekannt sein dürfen.

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Teil 21a: Das Ding, das nicht sein darf

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

Aus dem Eingang des Leuchtturms quoll ein riesiger Haufen aus Seifenblasen. Nicht die Art von Seifenblasen, die man gelegentlich auf Jahrmärkten zur Belustigung sieht - diese Blasen hatten eine schleimige Konsistenz und wirkten fremdartig und monströs. Au?erdem bewegten sie sich nicht so, wie man es von toten Gegenständen erwarten würde, sondern so, als würden sie bewusst gesteuert oder wären von einem eigenen Willen beseelt. Zunächst breiteten sie sich auf dem Gras vor dem Leuchtturm aus, doch dann rollten sie aufeinander zu und verschmolzen zu einer einzigen, gewaltigen Blase.

 

Nach allem, was ich zu wissen glaubte, konnte das nicht sein. Nein - es durfte nicht sein. In diesem Moment legte sich in meinem Kopf ein Schalter um. Ich nahm zwar noch bewusst wahr, was um mich herum geschah, aber was ich tat, war wider jegliche Vernunft: Pater Benedict erschien mir plötzlich als der Mann, der alles richtig machte. Wenn ich einfach alles genau so machen würde wie er, dann würde auch ich alles richtig machen. Also ahmte ich alles nach, was er tat.

 

Unglücklicherweise schien es Pater Benedict ähnlich ergangen zu sein wie mir: Er brabbelte nur noch Unsinn! Er fragte nach seiner Schwester, die in Amerika studiert, und sagte, er wolle nach Mailand in die Bücherei. Und ich hielt das für absolut vernünftig und brabbelte ihm alles nach. Dabei sah ich, wie die gro?e Blase begann, sich langsam auf uns zu zu wälzen. Mrs. Stevens-McCormmick holte das Blatt Papier mit dem Symbol, das Darlene gezeichnet hatte, hervor und hielt es der Blase entgegen. Lady Gordon sprach kurz mit Pater Benedict und dieser ging ein paar Meter zurück, wobei er verkündete, dass er noch ein Schachspiel beenden und dann segeln gehen wolle. Ich folgte ihm und sagte das Gleiche.

 

Lady Gordon stellte sich ebenfalls der Blase in den Weg, wobei sie in der einen Hand die noch immer brennende Fackel hielt und mit der anderen einen kleinen Gegenstand aus ihrer Tasche zog und beides dem Ding entgegenstreckte. "Wir müssen uns weiter voneinander entfernen - auf dieser Muschel befindet sich das Zeichen ebenfalls!", rief sie Mrs. Stevens-McCormmick zu. Wo hatte sie denn diese Muschel her? Wie auch immer, jedenfalls schien sie zu wirken: Die Blase wälzte sich von den Damen weg nach links auf einige Büsche und ein kleines Wäldchen zu.

 

http://www.trollscave.de/rpg/shcthulhusanatorium/zeichen.gif

 

Mrs. Stevens-McCormmick eilte nach links und postierte sich zwischen dem Wäldchen und der Blase. "Verschwinde, Du Mistding!", schrie sie dabei. Dann jedoch zuckte sie kurz, knüllte das Blatt Papier mit dem Symbol zusammen und warf es achtlos beiseite.

 

"Heben Sie das sofort wieder auf!", befahl Lady Gordon und rannte auf sie zu. Kurz vor Mrs. Stevens-McCormmick hielt sie jedoch inne und starrte ihr in die Augen. Was sie sah, schien ihr nicht zu gefallen. Plötzlich versuchte Mrs. Stevens-McCormmick, sich äu?erst undamenhaft auf Lady Gordon zu werfen, bekam sie jedoch nicht zu packen. Die Blase nutzte die Gelegenheit, um die Richtung zu wechseln: Nun wälzte sie sich direkt auf Pater Benedict, mich und den Wald hinter uns zu!

 

Als Lady Gordon dies bemerkte, hastete sie auf ihre alte Position zwischen uns und der Blase zurück und versuchte, das Ding mit ihrer Fackel und der Muschel zurückzutreiben. Mrs. Stevens-McCormmick rannte ihr hinterher und wollte ihr einen Fausthieb versetzen, traf jedoch nicht. Abermals wechselte die Blase die Richtung und bewegte sich nun nach schräg links auf den Wald hinter uns zu.

 

Pater Benedict schreckte auf einmal hoch, als wäre er aus einem bösen Traum erwacht. Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, sprang er auf Mrs. Stevens-McCormmick zu und versuchte, sie zu packen. Es wäre ihm auch gelungen, wenn sie ihn nicht durch einen schmerzhaften Rippensto? hätte abwehren können. Ich folgte ihm auf dem Fu? und wurde ebenfalls durch einen Hieb von Mrs. Stevens-McCormmick zurückgeschlagen.

 

"Sie hat das Papier fallenlassen! Falls Sie es sehen, heben Sie es auf!", rief Lady Gordon Pater Benedict zu, während sie weiterhin versuchte, das Ding auf Distanz zu halten und sogar einige Schritte drohend auf es zu ging. Nichtsdestotrotz gelang es der Blase, sich weiter dem Wald zu nähern, wobei sie jedoch einen gewissen Abstand zu Lady Gordon einhielt. Erneut versuchte Mrs. Stevens-McCormmick, Lady Gordon ihre Faust ins Gesicht zu schlagen, diese konnte sich jedoch geschickt unter dem Hieb wegducken. Pater Benedict gelang es schlie?lich, sich auf Mrs. Stevens-McCormmick zu stürzen und sie festzuhalten. Als er jedoch sah, dass ich das Gleiche vorhatte, lie? er sie los und schubste sie mir direkt in die Arme. Während ich sie fest umklammerte, lief er in die Richtung, die Lady Gordon ihm gewiesen hatte, und suchte nach dem zerknüllten Blatt mit dem Symbol. Lady Gordon hatte es jedoch offenbar vor ihm gesehen: Sie eilte zu der Stelle und hob das Papier auf. Mrs. Stevens-McCormmick versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte genau den gleichen kalten, leeren Blick in ihren Augen wie Charles Johnson.

 

Die Blase hatte den Waldrand fast erreicht. In diesem Moment lie? ich Mrs. Stevens-McCormmick los, lief zu Pater Benedict und tat so, als ob ich irgendetwas suchen würde. Darauf hatte die Festgehaltene natürlich nur gewartet: Sofort rannte sie zu Lady Gordon und versuchte zum wiederholten Male, ihr einen Faustschlag zu verpassen. Glücklicherweise konnte Letztere jedoch ebenfalls zum wiederholten Male dem Hieb ausweichen.

 

Pater Benedict sprang zu Lady Gordon und nahm ihr das Blatt Papier mit dem Zeichen aus der Hand, doch es war zu spät: Die Blase hatte den Waldrand bereits erreicht. Lady Gordon machte ein paar Schritte in den Wald hinein und stellte sich dem Ding erneut in den Weg. Ich folgte ihr und versuchte, ihr die Muschel aus der Hand zu nehmen. Sie fluchte, konnte jedoch ihre Hand glücklicherweise rechtzeitig wegziehen.

 

Die Seifenblase hatte sich inzwischen ein Stück in den Wald hinein geschoben. Mit schmatzenden Plopplauten löste sich die gro?e Blase in einen Teppich aus einer Unzahl vieler, kleiner Blasen auf, die gleich darauf im Unterholz verschwanden. Sofort rannte Pater Benedict zu der Stelle, an der wir die Lunte angezündet hatten, und griff nach dem Benzinkanister, der immer noch dort stand. Der Rest von uns beobachtete staunend das Schauspiel, das uns die Seifenblase bot, und bemerkte so zu spät, dass sich Mrs. Stevens-McCormmick inzwischen wieder genähert hatte. Sie stand in drei Metern Entfernung und hatte den Arm in Richtung Lady Gordon ausgestreckt. In ihrer Hand hielt sie den .38er Revolver aus Brewers Schreibtisch.

 

Wie in Zeitlupe sah ich, wie sie kaltblütig Lady Gordon anvisierte, den Abzug drückte und der Hahn auf den Schlagbolzen hämmerte. Krachend löste sich der Schuss - und schlug in einen Baum direkt neben Lady Gordons Kopf ein, so dass uns die Holzsplitter um die Ohren flogen.

 

"Jetzt reicht's mir aber", kommentierte Lady Gordon diesen Anschlag auf ihr Leben, machte einen Satz nach vorne und versetzte Mrs. Stevens-McCormmick im Sprung einen derart heftigen Tritt an die Schläfe, dass diese zu Boden sackte und reglos liegen blieb.

 

Der Schuss hatte auch mich endlich wieder zur Besinnung gebracht. Ich legte meine Elefantenbüchse an, doch es bot sich mir kein Ziel. Ich wusste noch, an welcher Stelle die kleinen Blasen im Unterholz verschwunden waren, also zielte ich einfach dorthin. Schnell wurde mir jedoch klar, dass es keinen Sinn mehr hatte: Die gro?e Blase hätte ich vielleicht mit einem Schuss zum Platzen bringen können, aber ich konnte unmöglich jede einzelne von den kleinen Blasen abschie?en - selbst wenn sie sich mir gezeigt hätten. Meine Chance war vertan. Zorn wallte in mir auf. Ich war in dieser Situation nicht nur keine Hilfe gewesen, sondern sogar ein Handicap für die anderen. Frustriert und wütend über mich selbst drückte ich ab und jagte zwei Kugeln in den Waldboden.

 

"Das hier wird eher etwas bringen", ertönte die Stimme von Pater Benedict. Er war gerade im Begriff, das restliche Benzin aus dem Kanister, mit dem Mrs. Stevens-McCormmick die Lunte gelegt hatte, am Waldrand auszuschütten. Allzu viel war jedoch nicht mehr übrig. Ich bezweifelte, dass es ausreichen würde, um einen Waldbrand zu entfachen, aber eine bessere Idee hatte ich auch nicht parat. Lady Gordon begab sich zu Pater Benedict und ich hob den Revolver auf, zog Mrs. Stevens-McCormmick aus dem Wald heraus, legte sie vorsichtig rücklings ins Gras und untersuchte sie kurz. An ihrem Kopf prangte eine gewaltige Beule, die mir jedoch nicht lebensbedrohlich erschien. Wahrscheinlich würde sie innerhalb der nächsten Minuten ihr Bewusstsein wiedererlangen.

 

"Meinetwegen können Sie sie auch im Wald liegenlassen", merkte Lady Gordon an, als sie meine Hilfsma?nahmen beobachtete, und warf ihre Fackel in das Benzin. Es gab eine Stichflamme und tatsächlich fingen das Unterholz und die untersten ?ste der ersten Baumreihe Feuer, auch wenn es mehr qualmte als brannte. "Ich wei? nicht, was in sie gefahren ist, aber ich glaube nicht, dass sie mit Absicht auf Sie losgegangen ist", versuchte ich Lady Gordon zu beschwichtigen. "Sie hat auf mich geschossen! Dafür sollte sie besser eine verdammt gute Erklärung haben", erwiderte sie. "Haben Sie ihren Blick gesehen?", entgegnete ich, "wie der von Johnson."

 

"Wir haben momentan drängendere Probleme", warf Pater Benedict ein, "wir brauchen mehr Benzin." Die Bäume brannten zwar an der Stelle, an der er den Kanister ausgeleert hatte, aber so recht schien sich das Feuer nicht ausbreiten zu wollen - der Wald war einfach zu feucht. Wir berieten kurz, wie wir weiter vorgehen sollten. Das Ding hatte sich in das kleine Wäldchen im nordwestlichen Teil der Insel zurückgezogen. Wenn es uns gelingen würde, dieses Wäldchen niederzubrennen, dann könnten wir es vielleicht noch erwischen. Auch wenn die Chance gering war, versuchen mussten wir es auf jeden Fall - eine solche Nacht wie die letzte wollten wir nicht noch einmal erleben. Pater Benedict erklärte sich bereit, mit der Schubkarre zum Sanatorium zurückzukehren, um weitere Benzinkanister zu holen. Lady Gordon und ich wollten in der Zwischenzeit sicherstellen, dass das Ding das Wäldchen nicht verlie? und vor allen Dingen nicht in den gro?en, zentralen Wald der Insel überwechselte.

 

Wir entschieden uns, die immer noch bewusstlose Mrs. Stevens-McCormmick sicherheitshalber zu fesseln und in die Schubkarre zu legen, damit Pater Benedict sie zum Sanatorium mitnehmen konnte. Vielleicht war Dr. Tiller ja in der Lage, ihr irgendwie zu helfen. Lady Gordon zog ein Seil aus ihrer Tasche und verknotete nicht ohne eine gewisse Genugtuung die Hände und Fü?e der angriffslustigen Geschichtslehrerin, dann hoben wir sie in die Schubkarre und Pater Benedict machte sich auf den Weg.

 

Fortsetzung in Teil 21b

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Teil 21b: Das Ding, das nicht sein darf (Fortsetzung)

 

Fortsetzung Session 02.02.2008

 

Lady Gordon drückte mir das Blatt Papier mit dem Symbol in die Hand. Mir fiel ein, dass sie ja noch immer diese Muschel hatte, deren Herkunft mir unbekannt war. Ich entschied mich jedoch, sie später dazu zu befragen. Wenn meine Vermutung stimmte, dann barg die Antwort einiges an Konfliktpotenzial, und ein Streit war das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten. Zu ändern war es ohnehin nicht mehr. Glücklicherweise war das kleine Wäldchen genau so gro?, dass wir uns in Sichtweite voneinander aufstellen und dabei gleichzeitig die gesamte Freifläche zwischen dem kleinen und dem gro?en Wald im Auge behalten konnten.

 

Es würde etwa zwei Stunden dauern, bis Pater Benedict wieder zurückkehren würde - Zeit genug, um meine Gedanken etwas zu ordnen und über das soeben Erlebte nachzugrübeln. Zunächst einmal war da natürlich die Frage, was wir da gerade gesehen hatten. Es erschien mir nur schwer vorstellbar, dass es sich um ein Lebewesen gehandelt hatte. Aber was hätte es sonst sein sollen? Eine Art natürliches Phänomen, eine chemische Reaktion, ausgelöst durch das Feuer? Dazu hatte es sich zu planmä?ig bewegt. Hatten wir das Ding vielleicht nur halluziniert, unsere Gehirne weich geklopft durch die Ereignisse der letzten Tage und die Geschichten, die uns die Patienten erzählt hatten? Möglich wäre das. Im Grunde erschien mir das sogar noch am Plausibelsten, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, warum wir dann alle zur gleichen Zeit das gleiche Ding halluziniert hatten. Oder handelte es sich tatsächlich um ein Monster aus der altägyptischen Mythologie? Fragen, die mir niemand würde beantworten können.

 

Tatsächlich tauchte Pater Benedict nach zwei Stunden wieder auf. In der ganzen Zeit war mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen und auch Lady Gordon hatte nichts dergleichen signalisiert. Als sich der Pater näherte, sah ich, dass er zwei Benzinkanister dabei hatte. Seiner finsteren Miene entnahm ich jedoch, dass irgendetwas anderes nicht stimmen konnte. "Mrs. Stevens-McCormmick", grunzte er zur Begrü?ung. "Sie ist abgehauen."

 

Pater Benedict berichtete, dass sie etwa nach zwei Dritteln der Strecke aufgewacht wäre. Irgendwie hätte sie es geschafft, sich aus den Fesseln zu befreien und wäre dann einfach in Richtung des gro?en Waldes gerannt. Es wäre alles so schnell gegangen, dass er nichts mehr hätte unternehmen können. Er hätte dann nur noch das Benzin geholt und sei so schnell wie möglich wieder hierher zurückgekommen.

 

Lady Gordon hatte wohl Pater Benedict gesehen und näherte sich uns nun. Als sie eingetroffen war, wiederholte der Pater seinen Bericht. "Haben Sie denn Dr. Tiller nicht gewarnt?", fragte Lady Gordon, "was ist, wenn sie zum Sanatorium rennt und ihm oder den Patienten etwas antut?" Pater Benedict blickte uns betroffen an und sagte nichts. Offenbar war ihm diese Möglichkeit nicht in den Sinn gekommen.

 

Wie dem auch sei, nun war es eh zu spät, um Dr. Tiller zu warnen. Wir verteilten den Inhalt der beiden Benzinkanister auf einer möglichst gro?en Fläche am Rand des kleinen Wäldchens, dann warfen wir ein Streichholz hinein. Fauchend loderte eine Feuerwand auf, die sogleich begann, sich in den Wald hineinzufressen. Schnell stellte sich jedoch auch hier heraus, dass das Spektakel rasch vorbei sein würde. Sobald das Benzin verbrannt war, verlor das Feuer merklich an Kraft. Um das feuchte Holz zu entzünden, hätte es zuvor wesentlich länger grö?erer Hitze ausgesetzt werden müssen, als es mit dem heftig, aber nur kurz brennenden Benzin möglich war. Auch weitere Kanister würden an dieser Tatsache nichts ändern.

 

Hilflos standen wir vor dem Wäldchen und mussten mit ansehen, wie sich unsere letzte Hoffnung, dieses Mistding heute doch noch zu erwischen, buchstäblich in Rauch auflöste. "Lassen Sie uns gehen", meinte Lady Gordon schlie?lich, "und nachsehen, was im Sanatorium los ist."

 

Wir luden die drei verbliebenen leeren Benzinkanister auf die Schubkarre und machten uns auf den Rückweg.

 

Ende Session 02.02.2008

 

Fortsetzung in Teil 22: Die verlorene Tochter

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Vielen Dank für das positive Feedback! :)

 

Leider bin ich momentan mal wieder zeitlich etwas knapp, so dass ich an Teil 22 (dessen Titel sich übrigens geändert hat - s.o.) nur häppchenweise arbeiten kann. Ich hoffe, dass ich ihn am Wochenende fertig bekomme. Aber versprechen kann ich nix. ;)

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  • 3 weeks later...

Teil 22a: Die verlorene Tochter

 

Session: 05.04.2008

 

Niedergeschlagen trotteten wir über den Trampelpfad zurück zum Sanatorium und befürchteten das ?rgste. Wenn Mrs. Stevens-McCormmick sich in ihrem Wahn tatsächlich dorthin zurück begeben und Dr. Tiller überrumpelt hatte, dann waren auch Darlene und Colonel Billings verloren.

 

"Vielleicht ist sie ja in der Zwischenzeit wieder zu sich gekommen", versuchte Lady Gordon, uns Mut zu machen. "Darauf würde ich nicht wetten", musste ich ihr jedoch widersprechen, "bedenken Sie, wie lange dieser Zustand bei Charles Johnson angedauert hat." Ich wollte den anderen sicher nicht die Hoffnung nehmen, aber wir mussten den Tatsachen ins Auge blicken. Besser, wir gingen vom Schlimmsten aus und wurden dann positiv überrascht, als umgekehrt. "Nun, wenn sie mich noch einmal angreift, bringe ich sie jedenfalls um", kommentierte Lady Gordon meinen Einwand.

 

Die ?hnlichkeit zwischen Mrs. Stevens-McCormmicks Tollwut und jener von Charles Johnson schien mir jedenfalls kein Zufall zu sein. Beide hatten diesen kalten, leeren Blick in ihren Augen gehabt und die gleiche, gnadenlose Gewalttätigkeit an den Tag gelegt. Als wären sie Marionetten eines fremden und äu?erst grausamen Willens gewesen. Vielleicht desjenigen dieses Blasen-Dings? Es erschien mir zwar kaum vorstellbar, geschweige denn rational erklärbar, aber es würde einen Sinn ergeben: Charles Johnson hatte dem Ding offenbar Opfer besorgt. Erst, als wir ihn beseitigt hatten, war es selber aus dem Leuchtturm gekommen, um uns anzugreifen. Mrs. Stevens-McCormmick hatte eines der Symbole getragen und dann ausschlie?lich jene Person angegriffen, die das andere Symbol in der Hand gehalten hatte. Beide hätten dem Ding kaum besser dienen können, zumindest von dessen Warte aus gesehen.

 

Wenn sich dies als wahr herausstellen sollte, dann hatten wir verdammtes Glück gehabt. Wären Lady Gordon oder ich von dem Ding übernommen worden, dann hätten jetzt einige Leute zertrümmerte Schädel oder gro?e Löcher im Bauch. Wie es schien, waren wir nur haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Die Vorstellung, dass wir beim nächsten Mal weniger Glück haben könnten, verursachte mir Magenschmerzen.

 

Des Weiteren bedeutete dies auch, dass Mrs. Stevens-McCormmick wahrscheinlich nicht mehr zu retten war. Johnsons Mordorgie hatte mehrere Tage gedauert und wir mussten ihn umbringen, um sie zu beenden. Wir konnten nur hoffen, dass es uns gelingen würde, Mrs. Stevens-McCormmick auf andere Weise aufzuhalten, sollte sie uns erneut angreifen. Die Chancen dafür standen gar nicht mal so schlecht - immerhin hatte Lady Gordon sie ja schon einmal au?er Gefecht gesetzt und Mrs. Stevens-McCormmick war ja nicht ansatzweise so gefährlich wie Charles Johnson - die Frage war nur, wie es dann weitergehen sollte, denn an ihrem Zustand würde das ja nichts ändern. Vielleicht würde sie wieder zu sich kommen, wenn es uns gelänge, dieses Ding zu vernichten, aber sicher sein konnten wir uns auch da nicht. Und wie wir dies bewerkstelligen sollten, stand ohnehin noch auf einem ganz anderen Blatt.

 

"Hier war es", verkündete Pater Benedict und riss mich aus meinen Gedankengängen. Ich hatte ihn gebeten, mir die Stelle zu zeigen, an der Mrs. Stevens-McCormmick geflohen war. Vielleicht würde es uns gelingen, ihren Spuren zu folgen und sie so aufzuspüren oder zumindest sagen zu können, wohin sie gerannt war. Ich suchte den Boden ab, konnte ihre Spur jedoch beim besten Willen nicht ausmachen. Heute gelang mir aber auch gar nichts. Verzagt setzten wir unseren Weg fort.

 

Als das Sanatorium in Sicht kam, bot Lady Gordon an, sich zunächst einmal alleine an das Gebäude heranzupirschen, um die Lage zu sondieren. Sie versicherte uns, dass sie äu?erst talentiert darin sei, sich unbemerkt zu bewegen. Pater Benedict und ich waren einverstanden, und so trennte sie sich von uns und näherte sich dem Gebäude, während wir uns etwas abseits des Weges ins Gestrüpp schlugen, um nicht gesehen zu werden. Wir achteten jedoch darauf, dass wir den Haupteingang des Sanatoriums noch im Auge behalten konnten. Lady Gordon bewegte sich rechts um das Gebäude herum, wobei sie geschickt jede Deckung ausnutzte, die sich ihr bot. Nachdem sie auf der Ostseite des Hauses angelangt war, verschwand sie hinter einer Ecke aus unserem Blickfeld.

 

Nun hie? es warten. Zehn Minuten lang geschah nichts. Allmählich wurde ich schon unruhig, dann jedoch öffnete sich der Haupteingang. Lady Gordon erschien im Türrahmen und signalisierte uns durch einen Wink, dass wir kommen sollten. Offenbar bestand also zumindest keine unmittelbare Gefahr. Ich atmete etwas auf und wir begaben uns schnellen Schrittes zum Sanatorium.

 

Als wir uns der Tür näherten, sahen wir, dass ein paar Meter hinter Lady Gordon Dr. Tiller im Foyer wartete - etwas blass um die Nase und mit einem reichlich verdatterten Ausdruck auf seinem Gesicht. "Mrs. Stevens-McCormmick ist hier", verkündete Lady Gordon, "Dr. Tiller hat sie ruhiggestellt. Sie schläft in der Bibliothek."

 

"Nun erzählen Sie mir doch bitte endlich, was passiert ist", bat Dr. Tiller in leicht gereiztem Ton, während er sich zu uns gesellte, "von Mrs. Stevens-McCormmick habe ich nur wirres Zeug gehört." - "Ich fürchte, von uns werden Sie noch mehr wirres Zeug zu hören bekommen", versuchte ich ihn vorzuwarnen. "Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich darüber lachen", entgegnete er. Lady Gordon kam seiner Bitte nach und berichtete ihm von unserem Angriff auf den Turm, der Begegnung mit dem Seifenblasen-Ding und der "Besessenheit" von Mrs. Stevens-McCormmick. Wie zu erwarten glaubte uns Dr. Tiller kein Wort. Er war der Auffassung, dass wir einer Massenhysterie erlegen wären und dass Mrs. Stevens-McCormmick wahrscheinlich unter Schizophrenie leiden würde - diese würde häufig mit Besessenheit verwechselt. Ich versuchte, ihm zumindest glaubhaft zu machen, dass die Gefahr noch nicht vorüber wäre, und bat ihn, uns genau zu berichten, wie Mrs. Stevens-McCormmick hier angekommen sei. Er sagte, sie sei völlig aufgewühlt gewesen und hätte etwas von Besessenheit und einem Angriff gefaselt, dass sie sich hätte lösen können, und so weiter. Er hätte zunächst versucht, beruhigend auf sie einzureden, ihr aber dann mit ihrem Einverständnis ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt. Aggressiv hätte sie sich nicht verhalten.

 

Die Tatsache, dass sie offenbar mit Dr. Tiller gesprochen und ihn nicht angegriffen hatte, lie? mich hoffen, dass sie tatsächlich von selbst wieder zu sich gekommen war. Sollte sich dies bewahrheiten, war dies die erste gute Nachricht des Tages. Lady Gordon bestand jedoch darauf, Mrs. Stevens-McCormmick trotzdem vorerst in eines der Patientenzimmer zu sperren - sicherheitshalber. Dafür hatten wir zwar Verständnis, sahen aber keine Eile geboten, da sie ja momentan noch unter der Wirkung des Beruhigungsmittels stand. Viel drängender war da die Frage, was wir im Hinblick auf die kommende Nacht unternehmen sollten.

 

Ich ging die drei Stufen des Haupteingangs hinab und begann, die Grasfläche zu untersuchen. Ich konnte mich noch ziemlich genau daran erinnern, in welcher Entfernung sich der Leuchtkreis in der letzten Nacht befunden hatte, und so nahm ich diesen Streifen genauer unter die Lupe. Natürlich fand ich nichts. Ich ging zu den anderen zurück und bat sie, mir zu helfen. Pater Benedict folgte mir und ich zeigte ihm, wo der Kreis entlang gelaufen war. Wir gingen ein paar Schritte, dann kniete er sich plötzlich hin. "Hier", sagte er und deutete auf einen toten Käfer, der auf dem Rücken lag. Als er ihn mit seinem Zeigefinger berührte, zerfiel das Insekt in seine Bestandteile. Ich untersuchte an der Stelle noch einmal das Gras etwas genauer. Mir fiel auf, dass die Spitzen der Grashalme ganz leicht angesengt waren - ähnlich wie der Teppich in Hardings Zimmer. Pater Benedict und ich folgten der Spur des Lichtkreises noch einige Meter, fanden au?er weiteren vertrockneten Insekten jedoch nichts.

 

"Was halten Sie davon, wenn wir so viel Benzin wie möglich in diesen Kreis schütten und anzünden, sobald sich das Ding zeigt?", fragte ich den Pater. "Hat keinen Zweck", erwiderte er lapidar, "was von dem Benzin nicht verdunstet, wird im Boden versickern." Ich hatte das eigentlich für eine ganz gute Idee gehalten, sah aber ein, dass der Pater wohl recht hatte. Da wir nicht genau wussten, wann das Licht auftauchen würde, würden wir das Benzin entsprechend frühzeitig ausgie?en müssen. Wenn wir Pech hatten, würde viel Zeit bis zum Anzünden verstreichen, wodurch sich dann schon ein Gro?teil davon verflüchtigt hätte. Au?erdem konnten wir ja nicht wissen, ob der Leuchtkreis tatsächlich wieder haargenau an derselben Stelle erscheinen würde. Aber selbst wenn: Sollte das Feuer nicht stark genug sein, um das Ding sofort zu vernichten, dann würde es einfach den Flammen ausweichen wie es das ja bereits am Leuchtturm getan hatte. Kurzum: Wir verwarfen diese Idee wieder.

 

Pater Benedicts Einfall war allerdings auch nicht besser: Er schlug allen Ernstes vor, mittels einer Handpumpe eine Art Flammenwerfer zu bauen. Selbst wenn wir eine solche Pumpe zur Verfügung gehabt hätten: Weder besa? irgendjemand von uns Erfahrung im Umgang mit einer solchen Waffe - am wenigsten wohl der Pater selbst, wie ich nur hoffen konnte - noch verfügten wir über das nötige handwerkliche Geschick, um ein solches Gerät überhaupt montieren zu können. Dass dieser Vorschlag ausgerechnet von Pater Benedict gekommen war, erschien mir äu?erst befremdlich. Ich konnte es mir nur so erklären, dass auch er inzwischen der Verzweiflung nahe sein musste.

 

Inzwischen waren wir wieder am Haupteingang angekommen. Lady Gordon hatte eine noch wahnwitzigere Idee: Sie wollte das Ding ins Sanatorium locken und dann das gesamte Gebäude in Brand stecken! Die Frage war nur, ob das Ding überhaupt versuchen würde, ins Sanatorium einzudringen - letzte Nacht hatte es das ja nicht getan. Allerdings war dies auch gar nicht nötig gewesen - es hatte auch so mehr als genug Opfer gefunden. Pater Benedict merkte jedoch an, dass selbst wenn es ins Sanatorium eindringen würde, es uns wahrscheinlich nicht gelänge, es lange genug darin festzusetzen. Die Luke im Leuchtturm hatte es mit nur wenigen Hieben aus der Verankerung gerissen - und diese Luke hatte im Gegensatz zu den Holzwänden des Sanatoriums aus Metall bestanden. Wir mussten also wohl davon ausgehen, dass es im Zweifelsfall ganz schnell wieder drau?en sein würde.

 

Als Alternative schlug Lady Gordon vor, eine Feuerschneise zu legen, so dass sich das Ding nur noch in Richtung Meer bewegen könne. An einer entsprechenden Engstelle wie beispielsweise unten am Steg hätten wir vielleicht eine Chance, das Ding mit den beiden Symbolen ins Meer zu treiben. "Wie wäre es denn, wenn wir es direkt auf den Steg hinauslocken und diesen dann anzünden würden?", fragte Pater Benedict, "dann hätte es nur noch die Wahl zwischen Feuer und Wasser." Lady Gordon warf jedoch die Frage auf, wer es denn auf den Steg locken und dann noch wieder heil von dort entkommen können solle.

 

Fortsetzung in Teil 22b

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