Jump to content

[Bühne in Weiß] Kapitel 1: "Die Offenbarungen für Jean-Louis" (NP)


Blackdiablo
 Share

Recommended Posts

Meine Gedanken sind ein wirr kreisendes Schwindelgefühl von Ahnungen und Vermutungen.

 

Ein grollend-gurgelnder Strudel an unguten, unheilschwangeren, üblen Befürchtungen.

 

 

Erneut denke ich an meinen Vater.

Wieder schleicht sich seine Stimme in meinen Kopf.

 

Junge. Du hättest vorsichtiger sein müssen!

 

"Urteile nicht über mich, Vater!"

 

Denk doch auch mal an Deine militärische Ausbildung.

 

"Wenn ich nicht auf Sie gehört hätte, Herr Oberst, Sir, dann wäre ich erst gar nicht in der Situation."

 

 

Meine Meinung ist nach wie vor unerschüttert.

 

"Strafen?"

 

Weshalb strafen? Für offene Ehrlichkeit?

 

"Ich bin der Herr meines Verstandes."

 

Jetzt bekomme ich, was ich verdiene, Vater. Dein Wille geschehe!

Edited by Der Läuterer
Link to comment
Share on other sites

Die Gestalt wankt dir entgegen, trunken, verloren, verdammt. Eine Seele auf den Weg zum Schafott. Tote Augen, aus denen Tränen laufen, gewöhnliche Tränen, aber verzweifelte. Ein Blitz kreischt durch den Himmel, ohne Geräusch, aber mit glühendheißer Wirkung auf deine Augen.

Die Waffe hebt sich, zielt in deine Richtung. Es ist Johnson. Robert Johnson richtet seine Waffe in deine Richtung. Sein Mund formt Worte, sie sterben, ehe sie zu dir getragen werden, du merkst bloß, dass er aufgebracht ist, wütend, verzweifelt, mit sich ringend. Wieder ein Blitz und über die Gestalt des Mannes legt sich ein anderes Bild, das Bild eines vielleicht zwölfjährigen Jungen, tränenverquollen, schreiend. Er schließt die Augen. Sein Arm zittert. Er blickt zu dir. Diese Augen. Augen eines Mörders. Ein Blitzen. Es ist ernst.

 

"Entscheide." Dieses letzte Wort von der Entität. In deinem Kopf.

 

Der Hahn von Johnsons Waffe spannt sich.

Link to comment
Share on other sites

Die flandrischen Felder.

 

"Johnson!"

 

Das unablässige Geschützfeuer.

 

"ROBERT!"

 

Endloser, andauernder Regen.

 

"ROBERT JOHNSON!"

 

Überall Schlamm.

 

"Ich will Ihnen nichts antun."

 

Schmerz, Entsetzen und Verzweiflung.

 

"Ich bin Ihnen gefolgt, um mit Ihnen zu reden!"

 

Überall lauert der Tod.

 

"Ich will Ihnen nur helfen!"

 

Dunkelheit der Seelen.

 

"Sie müssen DAS nicht tun!"

 

Ich muss das nicht tun.

 

"Lassen Sie die Waffe sinken."

 

Hört man den Schuss, der einen tötet?

 

"ICH LASSE MICH NICHT ZWINGEN."

 

Dann blicke ich in die schwärzeste aller Öffnungen hinein.

  • Like 1
Link to comment
Share on other sites

Johnson, der kleine Junge, Robbie? schüttelt den Kopf, dass die Regentropfen in alle Richtungen spritzen. Es kostet ihn einiges an Anstrengung, den Arm oben zu halten. Er ruft dir etwas zu, zeigt auf dich. Seine Lippen verziehen sich, aber du verstehst ihn nicht, du verstehst in einfach nicht! Schließlich beginnt er zu schluchzen, hebt den Arm, nun entschlossen und willig, und schießt.

Edited by Blackdiablo
Link to comment
Share on other sites

Der Schuss geht an dir vorbei, es war Absicht! Der Schuss war nie für dich bestimmt, das realisierst du nun! Die Kugel geht hinter dich, wo sich - wo sich was befindet? Die Hand. Die Hand von wem?

 

Die Waffe in Robbies Hand raucht, er greift sich an den Kopf, über ihm noch immer der Vogel. Er kommt näher, einen Schritt, zwei. Er bäumt sich auf, wehrt sich, es steckt viel Stärke hinter der Fassade eines gebrochenen Menschen. Noch ein Schritt, dann noch einer. Die weißen Punkte in der grauen Gestalt vermehren sich (noch ein Schritt), nun quellen seine Augen hervor (noch ein Schritt), dann steht er vor dir. Er scheint zu verstehen, dass du nicht hörst, was er sagt. Übertrieben deutlich betont er die Wörter, als er deine Schulter greift. Die Hand zittert, als läge eine gewaltige Macht dahinter, sie dort liegen zu lassen.

Tun Sie es, bilden seine Lippen, dann wird die Hand auf deiner Schulter schlaff und der Revolver in der Rechten nach oben gerissen. Sofort explodiert der Blitz des Mündungsfeuers in deinen schmerzverzehrten Augen, dann spritzen blutige Gehirn- und Knochenfragmente in alle erdenkliche Richtungen. Der Vogel, der Sperling, verendet kläglich auf dem Leichnam von Rob Johnson.

 

"Deine Beweggründe sind edel, Jan-Louis Cypher. Dein freier Wille ist deine größte Stärke. Den will ich dir doch nicht nehmen.

Schau dir an, was aus Robbie geworden ist. Ein Nichts. Verglüht, während seine Vergangenheit ihn eingeholt hat. Der Junge von einst ist seinem Schicksal würdelos entgegengeeifert. Und weißt du, wer der verantwortliche ist? Den Mann, den du als Eric Robertsson White kennengelernt hast. Den Mann, der sich Norman Alexander Bate nennt. Der Mann, der mordet und giert nach Leid und Elend. Ich will doch nur, dass du die liebe Faith begleitest. Ich will, dass du Alice unterstützt. Ich will, dass du jenen Kerl beseitigst, der meine Schöpfung verspottet. Das ist alles. Ich serviere ihn dir auf dem Silbertablett, wenn die Zeit reif ist, und du brauchst ihn bloß zu ernten.

Ansonsten wird er dich finden. Er wird dich ernten, denn er hat keine Skrupel. Ich werde nicht da sein, wenn er dich trifft. Er hat seine Methoden. Dann vergehst auch du, wirst ein Teil von ihm. Und er lacht. Er lacht immer, wenn er einen erwischt."

 

Nun verstummt das Dröhnen. Erwartungsvoll und noch interessiert.

Edited by Blackdiablo
Link to comment
Share on other sites

Ich kann mich noch immer nicht rühren.

Noch immer bin ich wie gelähmt.

Ich kann mich so sehr anstrengen wie ich will, aber ich kann nicht einen Finger bewegen.

Faszinierend.

 

Johnson hat mich nicht erschossen! Er hat SICH erschossen! Weshalb? Wovor hatte er solche Angst?

 

"White ist Norman Alexander Bate?!?

Er mordet? und giert nach Leid und Elend?"

 

Johnson hat sich sein Gesicht weggeschossen. Kein schöner Anblick. Aber ich hab schon viel Schlimmeres gesehen.

 

"Ich habe den Schuss nicht gehört. Und ich lebe noch."

 

Der ohrenbetäubende Donner hat mein Gehör betäubt. Das ist alles völlig normal. Kein Grund zur Besorgnis.

 

"Alle Farben sind immer nur noch Schlieren in Grau."

 

Nachts sind alle Katzen Grau. Das ist alles völlig normal. Kein Grund zur Besorgnis.

 

Das Wasser der Pfütze, in der Johnson liegt, ändert seine Farbe? Nein. Es ändert seine Grau-Schattierung. Das Wasser wird dunkler. Blut! Das ist sein Blut. Johnson's Blut.

 

Ich werde mich um Mrs. Holmes kümmern und dafür sorgen, dass sie nie zu meinem Kunden wird.

 

"Ich werde mich um Mrs. Holmes kümmern. Das ist Ehrensache."

Edited by Der Läuterer
Link to comment
Share on other sites

Der Druck löst sich von deinem Hinterkopf und Donner kracht über deinen Kopf hinweg. Die Farben kehren zurück. Du stehst allein auf weiter Flur vor der grausamen Realität. Johnson in seinem Blut liegend, einen Vogel gab es nie. Du bist allein, nur du. Du bist wie einer der Balken, aufgeschwemmt, verloren und du hast keine Ahnung, warum du wirklich hier bist. Aber du weißt, dass du morgen eine Aufgabe anzutreten hast.

 

Noch immer leicht paralysiert und wackelig auf den Beinen stehst du dort.

 

Und kannst es einfach nicht fassen.

Link to comment
Share on other sites

"Was war das denn gerade?"

 

Ich schaue mich um. Ich bin allein. Allein mit einer Leiche.

 

"Eine Sinnestäuschung?"

 

Ist denn mein ganzes Sein verwirrt,

Dass alles ich jetzt anders schau';

Erscheint mir doch die ganze Welt

Ein schmutzig Bild nur, Grau in Grau.

 

"Ich bin überarbeitet."

 

Life's A Funny Proposition After All.

 

"Ich leide eindeutig unter Schlafmangel."

 

Ich beuge mich zu Johnson herab und untersuche ihn. "Armer Kerl."

 

Ich werde mich um Mrs. Holmes kümmern und dafür sorgen, dass sie nie zu meinem Kunden wird.

 

Ich öffne die alte, verschlissene Arzttasche, greife die 300 ml Flasche braunen Glases und schraube den Deckel ab.

Dann nehme ich einem grossen Schluck von der Natriumbromid-Lösung, und merke langsam, wie mein Körper wieder zur Ruhe kommt und sich ganz allmählich entspannt.

 

Erst jetzt merke ich, dass ich in einer Pfütze sitze. Ich bin durchnässt bis auf die Haut.

 

"Elender Mist. Das gibt bestimmt eine Erkältung."

Link to comment
Share on other sites

Du machst dich auf deinen Nachhause weg und versinkst dort, nachdem du dich vom Blut und den nassen Klamotten entledigt hast, in merkwürdige Träume. Dein Verstand versucht sich vezweifelt, ein Bild von dem Ganzen zu machen, doch will es nicht ganz gelingen. Vielleicht wird der nächste Tag Aufschluss bringen über das, was auf dich zu kommt. Die Neunzehn will dir nicht aus dem Kopf gehen. Und Faith. Und Johnson. Johnson, der schoss. Nicht auf dich, sondern auf etwas Anderes.

 

Du bist erschöpft und die Natriumbromid-Lösung tut ihr Übriges. Du beginnst zu schlafen.

 

Die Bühne ist damit bereitet und jeder hat seine Rolle.

 

Nun ist Zeit für die Probe.

 

[Weiter in Kapitel 2]

Edited by Blackdiablo
Link to comment
Share on other sites

 Share

×
×
  • Create New...