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[Nightmare Files] Kapitel 4 - Pauls Sitzungen


Der Läuterer
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"Ich werde Ihren Ausführungen morgen zuhören, Herr Anderson."

 

Die Stimme des Doktors ist ein Flüstern. "Die Sitzung ist beendet, Herr Anderson."

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  • 2 months later...

Sonntag 29.05. - 2. Sitzung -

Eine Woche nach der ersten Sitzung.

 

"Herr Anderson..." Unwillkürlich zuckst Du leicht zusammen, als sich eine Hand auf Deine Schulter legt.

 

Es ist Dr. Livingstone.

 

"Und ich hatte extra das Bridge-Spiel mit den Herren Physikern abgesagt, um mich Ihnen mehr widmen zu können..."

 

"Ich suche Sie schon im ganzen Haus."

 

"Kommen Sie. Kommen Sie. Wir müssen uns unterhalten."

 

Der Doktor geht schnellen Schrittes vor zu seinem Büro. Unterwegs hält er kurz inne und spricht mit einem Pfleger... Aber in einer, Dir gänzlich unbekannten, Sprache.

 

In seinem Büro setzt er sich an seinen Schreibtisch. "So, Herr Anderson, erzählen Sie kurz, wie Ihre Zeit seit unserem letzten Gespräch so für Sie hier verlief. Ich bin gespannt.

Edited by Der Läuterer
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"Sie können sich denken", beginne ich gedankenverloren. "Dass die Zeit schwer war, nachdem Matilde und ich verloren gegangen sind. Ich habe viel nachgedacht und noch mehr gewartet. Ohne Freya. Für mich. Für mich allein. Ich habe sie gemieden und abseits von einer unbedeutenden Begegnung ist mir dies auch gelungen." Ich stocke kurz, doch dann schaue ich ihn direkt an. Fest. Entschlossen. Diesmal werde ich ihm widerstehen! "Doch erst müssen wir etwas klarstellen: Ich möchte wissen, was sie veranlasst hat, mir die Anweisung zu geben, mich von ihr fernzuhalten. Matilde und ich sind nicht wie die anderen Verrückten hier. Sie können Sie vollpumpen mit Drogen und kleinen Therapien: Was aber offenliegt ist die Tatsache, dass Matilde und ich gesund sind. Wir sind gesund und diese Prozedur, dies alles hier, ist nur eine letzte kleine Probe, bevor wir auf die Bühne losgelassen werden. Eine Machtdemonstration des gesunden Menschenverstands vor etwas, was Sie selber nicht verstehen! Also bitte, Dr. Livingstone, arbeiten Sie mit uns, arbeiten Sie mit mir zusammen, damit das Ganze hier schnell vorbei sein kann. Wir sind aufrechte Männer und nur Ihr Dienstgrad und meine temporäre Einstufung als Wahnsinniger befähigt Sie lange nicht dazu, mich wie einen Idioten zu behandeln. In Ordnung? Ich kooperiere. Ich erzähle Ihnen alles. Ich erzähle Ihnen, was immer der Wahrheit entspricht oder was auch immer Sie hören wollen. Ohne Tricks. Ohne Schmeicheleien. Ein fairer Deal, finde ich. Ihre Offenheit für meine Offenheit." Ich lehne mich zurück und erwarte die Antwort.

 

Wahrhaftig, viel ist geschehen seit dem letzten Gespräch. Habe ich bloß vergessen, wie es letztes Mal um mich stand?

Edited by Blackdiablo
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"Wir? ...müssen etwas klar stellen? Müssen wir das? Ja?" Dr. Livingstone hebt die Augenbrauen.

 

"Ich glaube, Sie verkennen etwas Ihre Stellung hier im Sanatorium, Herr Anderson." Er macht eine sehr lange, nachdrückliche Pause.

 

"Wir sind hier mehr ein Erholungsheim als eine Irrenanstalt. Aber lassen Sie sich nicht von den bunten Tapeten und der Freundlichkeit hier täuschen. Sie sind der Patient! Und kein Verwandter, der mal kurz zu Besuch kommt..."

 

"Sie haben eine Akten-Nummer, wie in einem Gefängnis, Herr Anderson. Aber Sie dürfen sich hier frei bewegen. Und die Tatsache, dass sie mit Ihrem Nachnamen angesprochen werden, soll die Distanz minimieren und die Verbundenheit stärken. Aber dies alles ist ein Privileg. Ein sehr grosses sogar. Keine Selbstverständlichkeit."

 

Er faltet die Hände und lehnt sich in seinem Sessel zurück. "Elektroschocks und Kaltwasser-Behandlungen oder Insulin-Schock-Therapien wurden hier früher verabreicht. Die Apparaturen dazu befinden sich noch immer in den unteren Gewölben. Vielleicht hätten Sie gerne mal eine Führung?"

 

Der Doktor schüttelt den Kopf. "Es würde Ihnen sicher nicht gefallen. Nicht einem so feinsinnigen und kultivierten Mann wie Ihnen."

 

"Halten Sie sich also besser an die Anweisungen von Ärzten und Pflegern. Das Ganze ist nicht verhandelbar."

 

"Was soll das heissen? 'Eine Machtdemonstration des gesunden Menschenverstands vor etwas, was Sie selber nicht verstehen?' Sie faseln, Herr Anderson."

 

"Ich sage es noch einmal klar und deutlich. Ich möchte hier kein Techtelmechtel - dazu ist mir die Arbeit zu wichtig."

 

"Und ja, ich glaube auch, dass Sie kooperieren werden. Nicht weil Sie Angst haben. Weder vor der Strafe einer Einzelzelle, einer altmodischen Behandlung, noch davor, ein Langzeitinsasse zu werden, oder in eine Irrenanstalt auf dem Festland verlegt zu werden... Nein, Sie werden kooperieren, weil Sie ein kluger Mann sind. Ein intelligenter junger Mann, der mir beweisen will, dass er gesund ist."

 

"Ich habe in Ihrer Akte gelesen, dass Sie vor? ... oder während? ... der Behandlung Verletzungen davon trugen. Sie sollen sogar angeschossen worden sein? Stimmt das?"

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Es ist wahr, dass ich ein kluger Mann bin, Dr. Livingstone. Ich hatte bloß gehofft, dass Sie auch einer wären!

 

ERZÜRNE IHN NICHT!

 

Hast du geglaubt, etwas in der Hand zu haben?

 

Hast du gedacht, etwas könne sich ändern?

 

Er wittert seine Chance.

 

Du würdest genauso handeln.

 

Wärest du wie er.

 

Wärest du wie ...

 

"Das Schlimmste, an das ich mich erinnern kann, war die Elektroschocktherapie, Doktor - von dieser trug ich wahrlich Narben davon. Da bin ich ja gleich froh, dass Ihre Einrichtung neue Standards gesetzt hat." Eine gewisse Gereiztheit schwingt in meiner Stimme mit.

"Dennoch: Ich bin nicht zufrieden mit Ihren Aussagen, mit Ihrer Art - ich hoffe sehr, DAS können wir aus dem Weg räumen, bevor die Therapie fortfahren kann. Was ist Ihr Ziel, Doktor? Sind Sie hier, um mir zu helfen? Sind Sie hier, um mir das Leben schwer zu machen? Sind Sie ein Beobachter meiner Psychosen? Sind Sie gar von der Polizei eingesetzt worden, um die Vorfälle auf der Lodge zu untersuchen? Sind Sie das letzte Hindernis, das zu bewältigen ich mich bemühe, ehe ich mich erneut in die Gesellschaft einreihe?" Eine bedächtige Pause. "Oder sind Sie alles gleichzeitig?"

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"Sie sind ein sehr gewiefter und äusserst ausgebuffter Gesprächspartner."

 

Der Doktor beugt sich vor. "Ich frage Sie nach Schusswunden und Sie erzählen mir von den Narben einer Elektroschocktherapie."

 

"Bevor Sie mir hier Geschichten erzählen, sollten Sie wissen, dass bei diesen Praktiken keine Verletzungen entstehen. Es ist ja kein elektrischer Stuhl."

 

Er macht sich Notizen und steckt den Zettel in seinen Arztkittel. "Die Kollegen werden sich die Narben später auf der Krankenstation einmal näher ansehen, Herr Anderson. Sie werden die zuvorkommende Behandlung des Böcklin Hauses schon noch schätzen lernen... Wir haben sicherlich noch etwas Zeit."

 

"Ach ja." Des Doktors Augen verengen sich. "Weichem Sie mir und meinen Fragen nicht fortwährend aus. Seien Sie offen und ehrlich. Desto schneller können Sie wieder entlassen werden."

 

"Die Therapie wurde bei Ihnen übrigens nie angewandt." Der Doktor blättert in Deiner Akte. "Keine Unterlagen. Keine Eintragungen. Nichts. Also auch keine diesbezügliche Therapie... Können Sie sich das erklären?"

 

"Wobei..." Livingstone stutzt. "... gerade diese Elektroschocktherapie hätte bei Ihnen zu Erfolgen führen können. Wäre die Therapie in Norwegen durchgeführt worden, wären Sie womöglich gar nicht hier und längst geheilt. Wer weiss."

Edited by Der Läuterer
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Ein schiefes Lächeln durchfährt mein Gesicht wie ein spontaner Blitz vom Himmel. "Ich war mir sicher, dass ich elektrisch behandelt worden bin, aber wenn es nicht in den Akten steht, dann werde ich mich wohl geirrt haben. Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich kann mich nicht erinnern, angeschossen worden zu sein. Ich kann mich kaum erinnern, überhaupt nennenswerte Verletzungen davongetragen zu haben. Sollte derartiges festgestellt worden sein, dann bitte ich um präzisere Fragen, Doktor. Und ich denke langsam, es ist tatsächlich besser, Sie stellen die Fragen." Meine Stimme ist ernst. "Denn ich WIll Ihnen beweisen, dass ich gesund bin." Ich will Ihnen gar beweisen, dass ich nie verrückt war, hätte ich beinahe beigefügt, doch das schlucke ich lieber herunter.

 

Das spare ich mir besser für Matilde auf ...

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Der Doktor öffnet eine Tür am Schreibtisch und stellt eine braune Flasche auf den Tisch. "Malt." Er lächelt leicht. Geniesserisch. Voller Vorfreude.

 

Dann ein Klappern. Er stellt zwei Gläser auf den Tisch. "Besser einen Teufel, den man kennt, als einen, den man nicht kennt, nicht wahr, Herr Anderson?"

 

Er schenkt in beide Gläser zwei-Finger-hoch ein. "Aus dem Jahr 1901, dem Todesjahr von Königin Victoria."

 

Dann stellt er die Flasche wieder zurück. "Nur für medizinischen Zwecke." Und schiebt ein Glas zu Dir herüber. "Ich habe gelesen, dass Sie ein Mann sein sollen, der sich nimmt, was er braucht. Und Sie brauchen einen Schluck, nicht wahr?"

 

Livingstone nippt an seinem Glas. "1901; ein trauriges Jahr - ein vollmundiger Whisky."

 

Dann deutet er mit dem Finger auf Dich. "Sie! Herr Anderson. Sie inszenieren sich mit betontem Understatement. Nach aussen ruhig, gelassen und abgeklärt - doch in Ihnen brodelt, schäumt und gärt es. Es sind diese Zwischentöne, die Ihr wahres Ich verraten, denn was Sie sagen, ist oftmals so frech wie eine kalte Hundeschnauze."

 

Des Doktors Stimme ist ruhig und gelassen. "In den Unterlagen steht, dass Sie... was steht hier?" Er blättert die Seiten vor und zurück. "Ein Doktor... Nordgren... schreibt hier 'Patient AP/91-25/m', das sind Sie, 'wartet stets auf einen Handlungsimpuls von aussen, um sich präsentieren zu können'. Der norwegische Kollege benutzt bei der Beschreibung Ihres Tuns häufig die Redensarten 'sich in Pose setzen' oder auch 'sich in die Brust werfen'."

 

"Herr Anderson, wir wollen Ihnen helfen."

 

Er bewegt sich in seinem Drehstuhl vor und zurück. Der Stuhl knarrt. "Lassen Sie sich von uns helfen, oder wollen Sie gar keine Hilfe?"

 

In aller Seelenruhe stopft sich Livingstone eine Pfeife.

 

Erneut wendet er sich dann Deiner Akte zu. "Ein Dr. Warner schreibt hier wenig fachbezogen '...konzentriert sich ganz auf seine Eigen-Inszenierung.' Und dann beschreibt er Ihren Zustand sogar als 'eine konsequente episch-existenzialistische Apokalypse permanenter Selbstüberschätzung'. Eine überaus blumige, wenn auch unpassende, Umschreibung."

 

Doktor Livingstone schaut Dich gleichmütig an. Mit einem Streichholz entzündet er den Tabak... und bläst den Rauch ruhig und gelassen in die Luft.

 

Die Lunte brennt...

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Meine Hand fährt wie in Zeitlupe zu dem Glas und nimmt es hoch. Die Oberfläche ist ein wenig glitschig, der Doktor hat vielleicht einen Tropfen veschüttet - oder meine Hände haben dies beim Hochheben provoziert. Ich schaue auf das Glas, dann zu Livingstone. Mein Mund ist vor Erstaunen leicht geöffnet. "Äußerst präzise, Doktor. Was ich erschuf, war mein Selbst. Ich kreierte aus fremden Bausteinen wie 'The Day's End', 'Also sprach Zarathustra' und anderen Werken meine ganz eigenen Richtlinien, denen ich selbst nicht genügte und die Welt noch lange nicht. Ich zwängte mich freiwillig in ein Korsett, um meine Fehlbarkeit geringfügiger erscheinen zu lassen und mich über andere zu stellen - wenigstens in dieser einen Hinsicht. Ich inszenierte mein Wesen so, dass es liebevoll, hasserfüllt und melancholisch zugleich sein konnte. Die Welt um mich riss ich, so gut wie es ging mit in den Abgrund, egal wie sehr sie sich wehrte. Was ich tat, wirkt krankhaft und unberechenbar. Innerlich blieb jedoch kein Platz für Krankheit." Mit einem Schluck gieße ich das Glas meine Kehle hinunter. "Weswegen ich nun bedenkenlos trinken kann. Ich war nie verrückt, Doktor, nie war ich verrückt und das ist vielleicht noch furchtbarer, als alles dem Wahn zuschreiben zu können. Gerne bekäme ich Hilfe, gerne würde ich sehen, ob Sie mir helfen können, ein besserer Mensch zu werden. Doch dafür, so fürchte ich, wiegt meine Schuld zu schwer. Ich fürchte nämlich, dass alles, was im Zug und in der Lodge passiert ist, wirklich geschehen ist."

 

Ich stelle das Glas auf den Tisch. "Dies bedeutet mir nichts mehr. Und demjenigen, dem es etwas bedeutet hätte, ist lange tot. All diese Stimme, die ich mir eingebildet habe, das war ich. Immer ich. Ich bin in der Lage, Herr über sie zu werden." Eindringlich mustere ich ihn über seinen Schreibtisch hinweg. Ich zittere nicht. Und mein Atem ist ruhig.

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Genüsslich zieht Livingstone an seiner Pfeife.

Er macht ein zufriedenes Gesicht.

Geniesst er die Situation?

Oder nur Tabak und Whisky?

Geniesst er Deine Reaktion?

Zumindest scheint er nicht unzufrieden.

 

"Noch einen Schluck, Herr Anderson? Der erste dient der Gesundheit. Der zweite ist purer Genuss."

 

Er schaut Dich fragend an. "Sagt man nicht so?"

 

Dann... "Ich möchte Sie aber nicht verleiten."

Ein Test?

Spielt der Doktor mit der Versuchung?

Er macht eine längere Pause.

 

Schliesslich setzt er unvermittelt fort, als hätte er die Frage gar nicht gestellt. "Wenn ich Sie richtig verstehe und auch die Ausführungen meiner Kollegen richtig interpretiere, haben Sie ein Abbild von sich selbst erschaffen..."

 

"Kein Spiegelbild, wie ich nach unserer ersten Sitzung vermutet hatte... Stimmen Sie mir zu?"

 

"Ich muss gestehen, dass ich das von Ihnen genannte Werk 'The Day's End' nicht kenne und auch bei Leibe kein Nietzschianer bin."

 

"Ich widerspreche seinen Thesen in mancher Hinsicht ganz eindeutig und nicht nur, weil es mir ansonsten die Grundlagen meiner gesamten Arbeit entziehen würde."

 

Er schaut Dich vielsagend an und macht erneut eine längere Pause, während er seine erloschene Pfeife neu entzündet. "Wenn ich nur den Starken das Recht zubilligen würde, sich zu nehmen, was sie wollen... gäbe es dann nicht Anarchie? Mit Raub, Mord und Vergewaltigung. Ginge die Moral, dann nicht völlig vor die Hunde?"

 

Er zieht geniesserisch wieder an seiner Pfeife. "Anders gesprochen: würden die Moralischen dann nicht nur zur Beute und zum Opfer der Amoralischen werden? Wäre dann nicht das Chaos die unabdingbare Folge dessen? Denn was bliebe den moralischen Menschen anders übrig, als entweder ebenfalls amoralisch zu werden, oder unterzugehen?"

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"Chaos entsteht nur, wenn sich jemand dagegen auflehnt, wenn Sie mich fragen: Erst wenn einer glaubt, Chaos zu sehen,, ist das Chaos wahrhaftig. Die Harmonie von Aufstieg und Niedergang richtet die Welt ins rechte Lot. Daher ist mir unbegreiflich, wie Sie sagen können, dass Nietzsche Raub, Mord und Vergewaltigung verherrlicht. Wir sollen nicht zügellos sein, wir sollen erkennen, was es heißt, das Leben zu bejahen, dem Willen zur Macht zu leben. Das ist, worauf er hinaus will. Und der Weg zu einem erfüllten Leben muss nicht zwangsläufig mit derart untriebigen Dingen gepflastert sein, wenn Sie mich fragen. Er kann sehr sanft sein, er kann still sein. All die Schwachen aber jammern um ihr künstlich erhaltenes Leben, sodass der Welt nicht in den Sinn kommt, mehr als pure Anarchie in seiner Philosophie zu sehen. Amoralisch ist außerdem ein hässlich konnotiertes Wort. Tatsächlich trifft es zu, doch verleitet es zu schnell zu einem Urteil, wie das, was Sie getroffen haben."

 

"Bezüglich Ihrer Anmerkung des Spiegels: Keineswegs bin ich heute bloß ein" SIMULACRUM! "gespiegelter Mensch einer einst fehlbaren Persönlichkeit. Nur habe ich es geschafft, meine Ängste und Dränge beieinander zu halten. Wodurch? Erkenntnis, Doktor. Selbstkenntnis. All die Charaktere, die ich erschuf, als ich der Schriftsteller Rick Fairwell war, waren nie real. Nur hat es mir Freude bereitet, Ordnung in meinem Inneren zu wahren. Ich habe es mir, vielleicht aus Spaß, vorgestellt, war aber nie geistig verwirrt. Das hier" Ich hebe das leere Glas hoch. "War mein Brennstoff. Aber nur, wenn ich es zuließ. Und das tue ich nicht mehr. Genug von Rick Fairwell, Hasan, genug von Alice oder D-" Ich verstumme. Ruhig schließe ich. "Genug davon."

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"Sie führen provokante Thesen aufs Schlachtfeld der Diskussion, Herr Anderson. Sie reden hier über Darwinistische Theorien, nicht wahr? Doch der gute Charles bezog sich dabei auf die Umweltanpassungen von TIEREN, wenn ich nicht irre, oder?"

 

Er nippt erneut an seinem Glas und stellt enttäuscht fest, das es leer ist. "Aber DAS, die Herrschaft der Starken über die Schwachen - die Fabrikanten über die Arbeiter - die Ausmerzung der Schwachen und der Überflüssigen und Unwichtigen, ist genau eines von Nietsche's Themen."

 

Livingstone holt die Flasche heraus und giesst sich nach. Auch Dir bietet er einen weiteren Schluck an. "Ähm... wenn, wie Darwin schreibt, 'nur der Starke überlebt', dann bricht die menschliche Gesellschaft mit ihren Normen und Regeln. Das würde die Welt aus den Angeln heben... Denn die wirklich entscheidende Frage ist doch: WER entscheidet darüber? Und was geschieht mit den anderen?"

 

"Dann hätte man alle Kranken und Schwachen, also auch die nutzlosen Verrückten, oder jene, die man dafür gehalten hätte, von Anfang an ausgemerzt. Oder ausmerzen sollen?"

 

"Es sei denn, die Verrückten wären es gewesen, die die Herrschaft an sich gerissen hätten..."

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"Es ist doch so, dass vieles in dieser Welt bereits nach dem 'Überleben des Stärkern' funktioniert, ohne dass Sie sich dessen vielleicht bewusst sind. Sie selber frönen mit Sicherheit ebenso dem Kapitalismus wie jeder andere, wenn Ihnen nicht unbedingt das asketische Ideal näher liegt. Niemand erhebt die Stimme, wenn sich ein menschliches Produkt als das bessere erweist! Alle Menschen nehmen das günstigere, das qualitativ hochwertigere, das edelste Produkt, sofern die Finanzen es zulassen. Fortschritt, Doktor Livingstone. Und die Starken regieren bereits über die breite Masse. Schauen Sie sich doch um, Beispiele gibt es genug. Und die Menschen wollen es auch nicht anders.

Es geht hier auch nicht um Rassenidiolgien oder so einen Blödsinn: Jemand muss schon zynisch und dumm genug sein, Nietzsches Philosophie in eine Rassenlehre zu zwängen. Es geht darum, mit seinem Schicksal klarzukommen, falls man zu schwach ist - das Positive aus einem Untergang zu ziehen. Oder für seinen Erfolg zu arbeiten, über sich hinaus zu wachsen. Die Armen und Schwachen und Kranken werden künstlich in dieser Welt erhalten, obgleich ihnen damit der 'Wille zur Macht', also dem Willen zum Leben abhanden kommt. Ihnen wird die Verantwortung eines Sinns von den Schultern gehoben, als hätten sie den Hauptgewinn gezogen. Nietzsche plädiert, so wie ich ihn verstehe, für das Erstarken der Menschen. Wer dazu nicht in der Lage ist, der soll nicht ausgemerzt werden, der wird durch den natürlichen Lauf der Dinge untergehen - und sich dessen erfreuen.

Sie scheinen ein aufgeklärter Mensch zu sein, Doktor Livingstone. Es ist eine Schande, dass Sie sich zumindest bezüglich Nietzsche einen Bären haben aufbinden lassen." Ich grinse fröhlich. "Oder vielleicht liegt Ihnen H.P. Wilde auch mehr. Sie sollten seinen Roman lesen."

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