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Götter und Gebete ausserhalb des Mythos


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Ich wei? aber nicht, wie du das meinst, es in Richtung lovecraftschen Horror zu verschieben...

Bis jetzt haben wir nur von Angst geredet. Aber was könnte es denn noch sein?

 

Versuchen wir's:

 

Du ziehst in die Parterre-Wohnung eines einstöckigen Hauses.

Du hast keine Ahnung, wer dieser Hr. Borgmann sein soll, welcher die Wohnung über dir angeblich bewohnt. Eine verstohlenen Bewegung der Gardine ist alles, was du als Lebenszeichen ausmachen kannst.

 

einige Monate später:

Du hast dich mittlerweile eingerichtet. Von oben hörst du weder laute Musik noch anderen Lärm, nur Nachts schleifen sich Schritte über die alten Dielen.

Da der Hausflur in den letzten Wochen aus irgendeinem Grund nach Fisch riecht, entschlie?t du dich zu einem Grossreinemachen mit viel Wasser und Seife. Kräftiges Lüften tut ein übriges.

Nur der feine Herr von oben hat es noch nicht einmal nötig, mit anzupacken.

 

Wochen darauf:

Der Fischgeruch ist wieder da. Da es anscheinend niemanden ausser dir zu stören scheint, beschlie?t du den Geruch zu ignorieren.

Du entdeckst in einem deiner Zimmer Schimmel an der Wand. Heutzutage gibt es zwar in jedem Baumarkt Schimmelentferner, aber du beschliest nach erfolgter Reinigung dein Zimmer demnächst häufiger zu lüften.

 

Eine Woche später:

Kein Wunder das die Wand schimmelte, jetzt ist sie ganz deutlich feucht.

Das Lüften hast du nach einigen Tagen eingestellt, weil deine Wohnung dann ebenso nach Fisch riecht wie der Flur: Anscheinend kommt der Gestank von oben.

 

vier Wochen darauf:

Das war nötig: Zwei Wochen Urlaub von diesem tristen Haus war genau das, was dir fehlte! Beschwingt betrittst du den Hausflur, hältst die Luft an, um den Fischgestank nicht einatmen zu müssen, schlie?t deine Wohnung auf und wirfst die Tür hinter dir ins Schloss.

Im Wohnzimmer setzt dein Herzschlag für eine Sekunde aus: Zentimeter hoch steht das Wasser, welches von der Decke tropft. Sofa, Bücher, Anlage und Teppiche sind ruiniert.

Wutentbrannt stürmst du die Treppe hinauf. Es geht dich wirklich nichts an, ob dieser alte Trottel in seiner Wohnung Fische züchtet oder trocknet oder andere Schweinereien macht. Aber sein Wasser in DEINEM Wohnzimmer schlägt dem Fass nun wirklich den Boden aus!

Die Klingel ist defekt. War ja klar! Dein heftiges Klopfen wird nur von einem Laut beantwortet, als hätte würde er mit einem Schluck Bier in der Kehle schimpfen.

Du gibst nicht auf. Wieder und wieder hämmerst du gegen die Tür, denn die Sache muss jetzt geklärt werden. Schlurfende Schritte nähern sich der Tür, und schon durch das Holz wird der Fischgeruch stärker. Quatsch, als wäre das möglich. Anscheinend hättest du einfach versuchen sollen, am Flughafen etwas zu schlafen.

Als die Tür sich öffnet, klappt dir die Kinnlade herunter: Das Wesen, wenn auch von Gestalt nicht menschenunähnlich, hat kein einziges Haar mehr, dafür aber Kiemen...

 

 

 

Nachtrag:

- Paranoia, Realitätsverlust, Blockadeverhalten (Nein, ich seh' es nicht) stellen zum einfachen Grauen (oder der Angst) eine nette Abwechslung dar, wenn es um die möglichen Wirkungen von Mythoswerken geht.

Schätze ich mal...

 

ptokremin

 

 

[Edit]

 

Vielleicht sollte ich erklären, wie obige Zeilen zu Stande kamen. Ich nahm an, ein Hybridwesen wohne in einer Wohnung über einer fiktiven Person. Dann habe ich mich Zeile für Zeile in diese Person hineinzusetzen versucht. Das Ganze nahm etwa 20-25 Minuten in Anspruch. Wenn du so willst habe ich einer an sich harmlosen Szene (Wasserrohrbruch) einen anderen, hoffentlich cthuloiden Anstrich zu verleihen versucht.

 

?hnliches würde ich für die Frage empfehlen, wie denn ein Mythosbuch wirken könne. Stell dir einen Mann / eine Frau vor, der ein solches Werk in die Hände fällt, und fang an aufzuschreiben, was ihr passiert. Stichpunkte oder kurze Sätze genügen. Wichtig ist eher, dass mit zunehmender Schreibdauer deinen eigenen Gefühle immer weiter hinter die der beschriebenen fiktiven Person zurücktreten. Das würde ich persönlich versuchen, wenn ich wirklich wissen wollte, wie es ist, ein Mythosbuch zu lesen.

 

Wahrscheinlich gibt es auch weniger verrückt anmutende und langweiligere Alternativen, wie beispielsweise einfach im "Necronomicon" oder ähnlichen Pegasus-Publikationen nachzulesen (welche in meinem Bücherregal noch fehlen).

 

Nach diesen vielen Zeilen fällt mir auf, dass ich echte Schwierigkeiten habe, die Antwort in präziser, kalter Sprache zu formulieren (die dafür nicht gedacht ist?). Ich hoffe daher auf Nachsicht für meine weitschweifigen Formulierungen.

 

 

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Original von anachronist
Original von Wrzlprmft

Aber mal so gefragt: Hat jemals etwas Deine Psyche ankratzen können, wenn auch nur minimal? Die Erkenntnis, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben; ?berforderung mit irgendeiner Situation; irgendein persönlicher Verlust; irgendein Misserfolg? Falls ja, dann versuche mal diese Situation zu intensivieren und langsam in Richtung lovecraftesken Horrors zu verschieben.

 

Ja natürlich habe ich schon Erlebnisse gehabt, die mich seelisch sehr herausgefordert oder überfordert haben. Ich wei? aber nicht, wie du das meinst, es in Richtung lovecraftschen Horror zu verschieben. Das würde mich schon interessieren.

 

Nehmen wir mal die falsche Entscheidung als Beispiel:

Du hast z. B. jemandem eine Empfehlung zum Lernen gegeben, derentwegen derjenige eine Prüfung vermasselt hat. Klar war es nur eine Empfehlung und jeder Mensch lernt anders, aber so etwas reflektiert man nicht instantan.

 

Intensivieren wir erstmal:

Du bist Priester und hast in Deinem Leben schon tausende von Menschen im Geiste Deiner Kirche erzogen bzw. überzeugt. Nun erkennst Du die Widersprüche in Deinem Glauben und dass der von Dir bisher propagierte Weg falsch ist, dass Du evtl. tausenden von Menschen das Leben versaut hast.

 

Und nun mit Mythos:

Wie oben, nur waren Deine bisherige ?berzeugung nicht einfach nur Zeitverschwendung, sondern nistete (mal ganz klischeehaft) unter Deiner Kirche auch noch ein gro?er Alter, der sich am Mana Deiner Gläubigen gelabt hat. Und was noch schlimmer ist: Das hast Du eigentlich schon immer gewusst û nicht übersehen oder verdrängt oder falsch eingeschätzt, sondern gewusst! Letzteres fiel Dir wie Schuppen von den Augen, als Du ein Mythosbuch gelesen hast.

 

 

 

Original von anachronist
Original von Wrzlprmft

Mal abgesehen davon, muss es nicht unbedingt Angst sein, die einen nach der Lektüre eines Mythos-Texts (oder der Begegnung mit einem Mythos-Wesen) wahnsinnig werden lässt.

 

Sehr interessant finde ich aber die Aussage, dass es nicht Angst sein muss. Das stimmt. Bis jetzt haben wir nur von Angst geredet. Aber was könnte es denn noch sein?

Schuldgefühle (s. o.), Minderwertigkeitskomplexe, ?berforderung, Verwirrung, Perspektivlosigkeit, Selbsterkenntnis (die Vernunft ist auch nur ein Schleier), Enttäuschung, Zorn und Wut, Faszination, Begeisterung, Neugier, Grö?enwahn, ?bermut.

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Original von Wrzlprmft

Nehmen wir mal die falsche Entscheidung als Beispiel:

Du hast z. B. jemandem eine Empfehlung zum Lernen gegeben, derentwegen derjenige eine Prüfung vermasselt hat. Klar war es nur eine Empfehlung und jeder Mensch lernt anders, aber so etwas reflektiert man nicht instantan.

 

Intensivieren wir erstmal:

Du bist Priester und hast in Deinem Leben schon tausende von Menschen im Geiste Deiner Kirche erzogen bzw. überzeugt. Nun erkennst Du die Widersprüche in Deinem Glauben und dass der von Dir bisher propagierte Weg falsch ist, dass Du evtl. tausenden von Menschen das Leben versaut hast.

 

Und nun mit Mythos:

Wie oben, nur waren Deine bisherige ?berzeugung nicht einfach nur Zeitverschwendung, sondern nistete (mal ganz klischeehaft) unter Deiner Kirche auch noch ein gro?er Alter, der sich am Mana Deiner Gläubigen gelabt hat. Und was noch schlimmer ist: Das hast Du eigentlich schon immer gewusst û nicht übersehen oder verdrängt oder falsch eingeschätzt, sondern gewusst! Letzteres fiel Dir wie Schuppen von den Augen, als Du ein Mythosbuch gelesen hast.

 

Sehr eindrücklich geschildert. Danke. Jetzt verstehe ich, was du meinst. Ja, ich denke, dass ich damit was anfangen kann. Dass die Lektüre eines Mythoswerkes auf diese Weise Entsetzen in einem Menschen hervorrufen kann.

 

Wahrscheinlich bin ich als Psychotherapeut einfach unzufrieden mit der zu einfach gehaltenen Systematik, psychische Störungen darzustellen. Das ist bei Lovecraft schon gelegentlich ungenau, wird aber mit dem CoC System noch verstärkt. Lovecraft kann ich das verzeihen, weil Psychologie und Psychopathologie noch in den Kinderschuhen steckten. Was schade ist, dass CoC genauso unpräzise ist. Man sollte meinen, dass ein Rollenspiel, das so auf Angst und Wahnsinn abhebt, eine fein justiertere Mechanik anbietet, den Prozess der emotionalen Destabilisierung abzubilden.

 

Original von Wrzlprmft

Schuldgefühle (s. o.), Minderwertigkeitskomplexe, ?berforderung, Verwirrung, Perspektivlosigkeit, Selbsterkenntnis (die Vernunft ist auch nur ein Schleier), Enttäuschung, Zorn und Wut, Faszination, Begeisterung, Neugier, Grö?enwahn, ?bermut.

 

Wie gesagt, die Reaktion, mit der ein Mensch kompensiert/ dekompensiert, erklärt sich aus ihm nicht aus der Art des Stresses. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die oben genannten Gemütszustände als krankhaft einzuschätzen sind.

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Original von anachronist
Original von Wrzlprmft

Schuldgefühle (s. o.), Minderwertigkeitskomplexe, ?berforderung, Verwirrung, Perspektivlosigkeit, Selbsterkenntnis (die Vernunft ist auch nur ein Schleier), Enttäuschung, Zorn und Wut, Faszination, Begeisterung, Neugier, Grö?enwahn, ?bermut.

 

Wie gesagt, die Reaktion, mit der ein Mensch kompensiert/ dekompensiert, erklärt sich aus ihm nicht aus der Art des Stresses. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die oben genannten Gemütszustände als krankhaft einzuschätzen sind.

 

Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, worauf Du Dich beziehst, aber die geschilderten Gefühle (in übertriebener, krankhafter Gestalt) waren jetzt äprimäreô Emotionen, die das Mythos-Werk statt Angst hervorrufen könnte und welche dann irgendwie in den Wahnsinn münden.

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  • 2 weeks later...

Hallo zusammen,

 

zur Frage, was ein Mythos-Buch mit dem Leser anstellen kann, au?er ihn/sie in Angst zu versetzen, haben Wrzlprmft und andere bereits vieles genannt.

 

Machen wir es eine Idee kleiner und dafür konkreter: Es gibt jede Menge Ratgeber (aus der Rubrik Lebenshilfe), die den Leser die Welt und seine psychische Einstellung zu ihr zuerst auf eine bestimmte Art erklären und dann diese Norm einpauken wollen. Letzteres gilt insbesondere, falls eine Art Sekte dahinter steckt (z.B. Sc...ology) bzw. wenn der Author des Buches mit irgendwelchen Seminaren seinen Lebensunterhalt bestreitet.

 

So ähnlich könnte auch die Lektüre eines Mythosbuches wirken: Nach und nach "gewinnt" der Leser den "Durchblick", wie diese Welt "wirklich" funktioniert und wie man sich in ihr bewegen sollte, um es zu etwas zu bringen

(die Anführungszeichen sollen verdeutlichen, dass es um die im Spiel reale Welt geht).

 

Wenn ihr so wollt eine Art Gehirnwäsche mit Nebenwirkungen... :))

 

Gru?

ptokremin

 

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