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[Nightmare Files] Kapitel 2 - Das Böcklin Haus


Der Läuterer
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23:58 Uhr

 

Das Böcklin Haus ist gross und liegt jetzt, in der Nacht, in völliger Dunkelheit.

 

Aber das Haus macht einen heimeligen Eindruck.

 

Die Zimmer sind gemütlich eingerichtet. Nichts erinnert an karge Kammern oder kalte Zellen. Nichts erinnert an eine Klinik.

 

Alles macht vielmehr den Eindruck eines Zimmers in einem hübschen Feriendomizil.

Die Zimmer sind durchweg gut ausgestattet: ein gemütliches, weiches Bett; ein Kleiderschrank; ein Tisch und zwei Sessel; ein Sofa; ein Waschtisch; ein Kamin und...

 

http://www.whitehousemuseum.org/floor2/living-room/living-room-c1914.jpg

 

... Fenster, die nicht vergittert sind!

Edited by Der Läuterer
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Ich schlage die Augen auf, und drehe meinen Kopf langsam nach rechts und links.

Das Zimmer ist so schön. Ist das wirklich so, oder träume ich etwa?

Automatisch berühre ich meine Schulterblatt leicht, wo ich verletzt worden bin.

Ich spüre Watte. Und eine Bandage.

Jemand hat mich medizinisch versorgt, und ich habe es nicht bemerkt.

Meine Ohmacht war recht tief. Besser so.

Ich stehe langsam auf, und gehe am Waschbecken.

Da wasche ich mich gründlich das gesicht, und den Oberkörper, sogut ich kann.

Ich sollte mich umziehen. Das wird mir helfen, nicht daran zu denken. Nicht an Marc, der hoffentlich noch lebt, oder an den Irrer, der sich Wolf nannte, und jetzt nicht mehr ist.

Ich schaue mich im Spiegel an.

Ich bin so dürr geworden. Gar nicht mehr schön. Das einzige, was noch mich an meine Schönheit erinnert, sind die Haare, die mittleweiler lange geworden sind.

Ich kamme sie lange.

Ich ziehe mich aus, und bleibe im Nachthemd.

Luni.

Luni geniesst bestimmt seine Freiheit, das verstehe ich sehr gut. Aber ich vermisse ihn. Ich möchte nicht allein in einem Bett einschlafen. Das schaffe ich nicht, und weisst nicht mal wieso.

Paul spricht nicht mehr mit mir, und die andere sind alle fremde. Noch.

Ich gehe am Fenster, und mache es auf.

Die Luft ist so klar, frisch, lässt mich kurz erschaudern.

Ich schaue in den Himmel.

Ich lebe noch.

Dann fange ich an leise zu flüstern.

"komm zu mir Luni, komm..."

 

"Komm Luni..."

                          

                                       "Komm zu mir..."

 

                                                

                                                                                "Ich brauche dich..."

 

Ich ziehe mich komplett aus, und bleibe so am Fenster stehen.

 

 

                                    "Komm zu mir Luni..."

 

 

                                                                             "Du und ich, wie in den Wald, wie in den Traum, in Norwegien."

 

 

"wenn du bei mir bist, bin ich unsterblich..."

 

So wie Hans.

So wie Hans, weil ich noch lebe.

 

Ich warte noch lange am Fenster, bevor ich realiziere, dass er nicht kommen wird.

Ich lasse das Fenster halb auf, und lege mich ins Bett.

Ich rolle mich unter der Decke zusammen, und weine ich sehr leise, bin ich schliesslich einschlafe.

Edited by Nyre
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  • 2 weeks later...

Meine Augen öffnen sich, sanft und ungezwungen. Ungewohnt ist mir meine Umgebung, wunderbar ungewohnt, neu, eine neue Haut, die sich meiner anschmiegt. Wie eine Lust, welche von meinem Gedankenkleid gehoben wurde, denke ich nicht an das Fläschchen, denke nicht an meine geflicktes Inneres, denke nicht an meine Erscheinung und wie sie anderen behagt. Wie sie andere verletzt.

Keine Stimmen singen tote Reime, keine Stimmen klagen meiner Aktionen, beinahe scheint es, als habe ich meine Verwandlung wieder in Balance gebracht. Für einen Augenblick der Harmonie atme ich die Luft ein, die durch eines der Fenster in mein Gesicht weht. Das Salz ist nicht starr, es sprießt vor Leben. Die Insel ist nicht so tot wie die Szenerie der Nacht vorgetäuscht hat. Eigentlich ist es nett hier und eigentlich kann ich meine Zeit hier genießen, oder nicht?

 

In Ruhe esse ich mein Frühstück und merke mit zufriedener Ruhe, dass ich mich auf den Tag freue. Fest nehme ich mir vor, nicht Matilde zu sehen, nicht an ihr Haar zu denken, das wie geschmolzenes Onyx über ihre Schultern gleitet, ihre anmutige Stimme zu hören, ihre Augen zu streifen, die töten, wenn sie es nur wollte, die mich jedoch immer wieder fangen und freilassen, fangen und freilassen, wie es schon von Anfang an war, und was sie in jeder einzelnen Sekunde genießt, wie mir scheint, wie sie genießt der physischen Marter eine psychische Komponente hinzuzufügen, wie auch ich es tue, wenn sie es gestattet. Wenn sie es nur gestattet.

 

Nein, heute denke ich nur an Freya. Ich kleide mich an und beginne, gut gelaunt nach ihr zu suchen.

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Auf Deinem Weg durch das Haus begegnet Dir eine Anzahl von Pflegern und Patienten.

 

Dann endlich... Freya...

 

Sie kommt Dir leichtfüssig entgegen gehüpft, nimmt Dich in Ihre Arme und drückt Dir einen Kuss auf die Wange. "Es ist toll hier!"

 

Freya ist aufgeregt. "Sag selbst. Ist es nicht toll hier?"

 

Dann läuft Sie wieder weg. "Tut mir leid, Paul. Ich muss weiter. Aber wir sehen und bald. Versprochen. ICH muss ja arbeiten."

 

Dann hält Sie an und dreht sich noch einmal zu Dir um. "Der Doktor... Doktor Livingstone möchte Dich sehen. Du sollst Dich unten in seinem Büro melden... Bis bald, Paul!"

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Ich streiche ihr über die Wange, ihr Kinn. "Ich habe geschlafen, wie seit langem nicht mehr. Ich habe nur an dich gedacht." Ich lächle. "Ich hoffe, wir werden uns heute noch sehen ... Ich würde so gerne mit dir über die Insel spazieren. Die hübschen Plätze dieser Abgeschiedenheit nutzen. Aber lass dich nicht aufhalten. Wir haben alle Zeit der Welt, Freya." Ich küsse sie auf die Stirn und mache mich dann leichtbeschwingt auf den Weg in die unteren Büros.

Auf dem Weg frage ich einen Pfleger unbestimmter Herkunft nach der genauen Richtung, dann stehe ich vor der Tür. Kurz frage ich mich, was er von mir will, dann merke ich, dass es mir egal ist. Mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht öffne ich die Tür.

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Livingstone's Büro ist sehr ausladend. Der Raum hat den Charme eines Trödelladens oder eines Antiquariats und ist mit Büchern und Krimskrams völlig überladenen. Hier könnte man vermutlich alles finden oder nichts. Überall liegt etwas herum. Und die Wände scheinen nur aus Büchern zu bestehen. Der Doktor steht auf einer Leiter und sucht ein Buch heraus. "Anklopfen gehört wohl nicht zu den von Ihnen gepflegten Tugenden, Herr Anderson, oder? Sei es drum. Sie sind hier. Also herzlich willkommen auf Herm."

 

Der Mann steigt die Leiter hinab und geht zum Schreibtisch. Dort schlägt er das Buch auf, setzt sich und geht kurz das Inhaltsverzeichnis durch.

Auf dem Schreibtisch liegt Deine Krankenakte.

 

http://www.leabooks.com/LEA-Spanish%20Pages/Hispanic%20Studies/Hispanic%20Society/Treasu1.jpg

 

Der Mann ist recht alt. Er macht aber keinen gebrechlichen Eindruck; er wirkt vielmehr dynamisch und energetisch.

 

http://www.kviff.com/cache/10407-default-2008-06-30_121747_lee.jpg

 

"Nehmen Sie bitte Platz, Herr Anderson. Ich bin der Leiter dieses Sanatoriums. Mein Name ist Dr. Livingstone."

 

Der Mann blättert Deine Akte durch.

 

Es dauert eine ganze Weile.

 

Der Herr Doktor lässt sich damit viel Zeit.

 

Anspannung liegt in der Luft.

 

Noch immer hält er die geöffnete Akte vor sich. Blättert um. Dann wieder zurück. Und abermals vor.

 

Er legt die Akte zur Seite und reibt sich die Augen. "Herr Anderson, ich frage mich, was die Kollegen in Norwegen mit ihnen angestellt haben... Ich werde aus den Unterlagen nämlich leider nicht ganz schlau."

 

"Ich möchte Ihnen gegenüber ehrlich sein. Nach dem Studium Ihrer 18-monatigen Therapie-Unterlagen bin ich mir unsicher, ob Sie ein Narzist oder ein Psychopath sind. Was meinen Sie?"

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Ich setze mich, wie mir geboten. Mit im Schoß gefalteten Händen beobachte ich sein Tun und ich warte und ziehe das Schweigen unangenehm in die Länge. Dann grinse ich. "Was sagt Ihnen Ihr Gefühl?" Ich lege meinen Kopf schief. Diese Gespräche - das ist die größte Freude. Ein jedes Mal. Ich denke an Freya und schaue erwartungsvoll in das Gesicht des Herrn.

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Der Doktor schaut weiterhin in seine Unterlagen. "Beantworten Sie meine Fragen bitte nicht mit Gegenfragen, sonst kommen wir nämlich nicht voran. Oder gefällt es Ihnen hier so gut, dass Sie abermals Monate und Jahre in einer Anstalt wie dieser verbringen wollen?"
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Er hat Angst vor mir, Angst vor dem, was er nicht verstehen kann, nie verstehen wird.

 

"Ich hoffe, vor Ihnen, Dr. Livingstone, ehrlich sprechen zu können." Ich bin komplett ernst. "Ich wäre äußerst froh, eine Einrichtung wie die Ihrige nie mehr von Innen zu Gesicht zu bekommen. Es ist durchaus unschön, auf diese Art betrachtet zu werden - durch das Papier, verstehen Sie?" Ich lege eine Hand an die Kante des Tisches und schlucke. "Kalte, schwarze, tote Buchstaben, die Ihr Leben ausloten sollen und doch nichts weiter tun, als es einzugrenzen. Sie können mir glauben, dass ich mir nichts weiter wünsche, als mir in Frieden wieder das aufzubauen, was mir die erbarmungslosen Fänge des Schicksals zu entrissen versucht haben ..." Ich reibe mir die Schläfen, ein bisschen müde und schließe die Augen. "Aber auf Ihre Frage hin, Dr. Livingstone, ich betrachte mich selber als Mensch. Ich hoffe, es zu sein und ich hoffe, dass Sie das ebenso sehen ... Vor nicht allzu langer Zeit, sei es auch schon zwei Jahre her, da war ich mir sicher, Narzist und Psychopath zugleich gewesen zu sein, aber jetzt?" Ich bin ZERRISSEN! Es war so einfach, damals ...! "Es gibt Erinnerungen, selten und sorglos, die lassen mich an meine früheren Sünden denken, doch wäge ich mich nun stärker, Sie wirkungsvoll und endgültig aus meinem Verstand zu verdrängen. Dies gelingt mir und das hilft mir, Fortschritt zu erkennen. Einen Fortschritt, den man, wie ich denke, in sich fühlen muss, statt ihn auf dem bleichen Papier gestempelt zu kriegen. Jedoch" Betrübt blicke ich zur Seite. "Es lässt sich nicht leugnen, dass es für mein zukünftiges Leben von Nöten sein wird, ihn gedruckt in den Händen zu halten."

Edited by Blackdiablo
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Die Stimme von Dr. Livingstone klingt entspannt. Gelassen. Gleichmütig. "Versuchen Sie nicht mich einzuwickeln. Und unterlassen Sie bitte auch das Schwafeln. Seien Sie bitte kurz und prägnant. Antworten Sie ohne Umschweife."

 

Der Doktor faltet seine Hände und legt sie auf die Unterlagen. "Als Narzisst haben Sie, trotz Ihrer grossen Selbstbezogenheit, kein eigentliches Ich-Gefühl, denn Ihr ICH ist brüchig und basiert nur darauf, sich ständig aufs Neue Ihre eigene Grossartigkeit zu vergegenwärtigen. Es kann also gar nicht zu normalen und realen zwischenmenschlichen Begegnung kommen, da Sie sich gegenüber anderen Menschen manisch überlegen fühlen. Verstehen Sie?"

 

Livingstone beugt sich leicht nach vorne. "Vieles ist kompensatorischer Natur. Sie sind begierig nach Erfolg und süchtig nach Bewunderung. Sie tragen ein grandioses Selbstbild zur Schau, dem jedoch massive Selbstzweifel, Minderwertigkeits- und Schamgefühle zugrunde liegen."

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Ein Bruch durchzuckt meine Gelassenheit, fast rieselt meine Selbstzufriedenheit wie trockener Mörtel in meinen Schoß. Meine Augen verengen sich. Ich schweige. Und weiß nicht, was ich sagen soll. ICH weiß nicht, was ich sagen soll!

 

Nach einer Weile: "Warum bin ich hier, Doktor? Was wünschen Sie? Was wollen Sie von mir hören? Egal, was Sie von mir wollen, ich werde es tun. Wünschen Sie es sich! Ich habe meine Würde verkauft. Ich habe meine sehnlichst aufgebaute Achtung vor Ihnen dargelegt und Sie sehen nur in meine Vergangenheit - Sie zwingen mich! Ja Sie zwingen mich! zu werden, was ich damals war! Was für ein Sinn kann das haben?" Ich betone jedes Wort und reibe nachdenklich mein Kinn. Ich seufze. "Meine Überlegungen betreffend, die akribische Bedachtheit meines Konstrukts, welches wie Scherben um mich wirbelt, zu urteilen bin ich wohl beides, Doktor. Ich fröne meiner Erhabenheit, und ich irre nicht in der Richtigkeit meiner Wahnvorstellungen. Was mir geschehen ist, ist geschehen." Die Lodge, Wittiko, Matilde! Oh Matilde! Es bleibt brutale Wirklichkeit, der ich mich nicht zu entziehen vermag! "Reicht Ihnen das als Antwort?" Trotz meiner Wut empfinde ich Respekt vor diesem Mann. Bewunderung für seine pure Beobachtungsgabe.

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"Das war es fürs Erste, Herr Anderson. Ich werde Sie zur Tür begleiten."

 

Der Doktor steht auf und geht zur Bürotür vor. "Machen Sie sich einen schönen Tag auf der Insel. Schauen Sie sich hier alles in Ruhe an und gewöhnen Sie sich erst einmal ein."

 

Er öffnet die Tür und hält sie Dir auf. "Noch eine Frage, Herr Anderson."

 

"Haben Sie noch das Fläschen, das Sie aus dem Giftschrank der norwegischen Klinik entwendet haben?"

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Meine Hände zittern. Ich wage es nicht, ihn anzuschauen. Er ist anders. Er ist anders. Das sage ich mir immer wieder, wenn mir in den Sinn kommt, ihn anzulügen. Er wird es wissen. Und wenn er es nicht weiß, dann prüft er es nach. Dies ist seine Insel.

Wie früher suche ich eine Möglichkeit, ihn moralisch herunterzuziehen, seine Existenz irgendwie zu degradieren, doch, liegt es nun an meiner Verwirrung oder nicht, mir will nichts einfallen. Es ist unmöglich. Binnen kürzester Zeit hat er mich entwaffnet, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu glauben, dass er anders ist.

"Es liegt unter meinem Bett." ER WEIß ALLES. "Unter meinem Kissen liegt es." NEIN, DAS KANN NICHT SEIN! "Da wartet es darauf, dass ich wieder kreise." In die alten Bahnen - NEIN! DIESMAL NICHT!

Ganz nüchtern stelle ich die Frage, fast beiläufig: "Werden Sie es mir abnehmen, Dr. Livingstone?"

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Zum ersten Mal zeigt der Doktor eine kleine Reaktion - seine linke Augenbraue zuckt. "Was glauben Sie, Herr Anderson?"

 

Noch bevor Du antworten kannst, spricht er weiter. "Nein. Ich werde Ihnen doch nicht das Zentrum Ihres kleinen Universums nehmen. Wir werden genau bei diesem Fläschchen mit Ihrer Behandlung beginnen."

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Ein Lächeln, das nicht genau weiß, was es sein will. Wie ich, der klammheimlich aus der Tür entweicht, die sich hinter mir langsam schließt. Meine Behandlung fängt hier gerade erst an. Es wird hart. "Doch ich tue es für Freya", flüstere ich, wenn ich mich unbeobachtet weiß. Aber vielleicht sollte ich es für mich tun.

 

Ziellos irre ich durch die Gänge, bis ich nach draußen gehe. An die frische Luft. Ich weiß nicht, was ich denke. Ich weiß nicht, was ich tue. Vielleicht zu den Gräbern? An den Hafen? Unentschlossen frage ich einige Pfleger nach der besten Route zum Friedhof, von dem Cole erzählt hat. Dann mache ich mich auf den Weg. Eine Made auf dem Weg zum Leichenschmaus.

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