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[Nightmare Files] Prolog - Der Dritte Mann


Der Läuterer
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Als Du am Abend nach Hause kommst, schaust Du in den Briefkasten.

 

Die Tageszeitung und ein Brief.

 

Die Nachricht stammt von Dr. Livingstone.

Die Kanal-Insel hat geantwortet. Endlich.

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Ich nehme die Zeitung und den Brief und steige hinauf in mein Mietquartier, das miese Loch, das ich "Zuhause" nenne, seit sie mich rausgelassen haben. Lege beides auf den Tisch und lasse mich auf den Stuhl fallen. Die Füße, die Beine, alles tut mir weh. Wieder den ganzen Tag rumgelatscht und Klinken geputzt, wieder nichts als zuschlagende Türen und abfällige Blicke. "Hau ab, Kerl, einen wie dich können wir hier nicht brauchen!" Hab die Stimme des Vorarbeiters immer noch im Ohr.

 

Und jetzt also das Schreiben von Dr. Livingstone. Mein Blick ruht auf dem Brief, der viel zu weiß, viel zu sauber und akkurat aussieht für diese Absteige.

 

Erst mal ein Bier. Die Flasche zischt beim Öffnen. Ein Schluck. Noch einen. Ich nehm den Brief in die Hand und betrachte ihn lange. Dumme, dumme Hoffnung.

 

Mach dir nichts vor. Was wird da schon drinstehen?

 

Ich zücke mein Springmesser, das ich immer bei mir trage, alte Gewohnheiten wird man eben nicht los. Meine Hand zittert. Reiß dich zusammen, Alter.

 

Die Klinge springt klickend hervor. Ich öffne den Brief.

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Böcklin Sanatorium

St. Margaret

Isle of Herm

 

 

 

Sehr geschätzter Herr Olsen,

 

mit grosser Freude haben wir von Ihrem

Interesse an unserem Haus gelesen.

 

Aufgrund Ihrer tadellosen Referenzen und

ihrer bisherige Arbeit im Holloway Sanatorium

und im Bethlem Royal Hospital, London,

befähigen Sie für die Stellung als Oberpfleger.

 

Daher sind wir erfreut, Ihnen die Arbeit in

unserer Einrichtung anbieten zu dürfen.

 

Kommen Sie, sobald es Ihre Zeit ermöglicht.

 

Einstellungstermin ab sofort.

Bringen Sie bitte ihre Unterlagen mit.

 

 

20. Mai 1927

 

Hochachtungsvoll

Dr. H. Livingstone

Leitung Böcklin Sanatorium

 

 

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Meine Hand mit dem Brief sinkt herab. Ein ungläubiges Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. Ich lese den Brief noch mal, für den Fall, dass mir meine Phantasie einen Streich gespielt hat.

 

Tatsächlich. Sie wollen dich.

 

Ich vergesse das angebrochene Bier und suche hastig meine Unterlagen zusammen, hole den Sonntagsanzug aus dem Schrank und beginne zu packen, ein fröhliches Lied pfeifend.

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Du erkundigst Dich und bist erfreut, wie schnell doch alles gehen kann.

 

Mit der Fähre geht es von Plymouth aus einmal täglich nach St. Peter Port auf Guernsey. Von dort aus muss man sich mit einem Fischerboot nach St. Margaret auf Herm übersetzen lassen. Das Postboot beliefert die Insel zweimal in der Woche.

 

Karte der Kanalinseln

http://www.lonelyplanet.com/maps/europe/channel-islands/map_of_channel-islands.jpg

Edited by Der Läuterer
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Es ist lange her, dass ich eine Nacht so gut geschlafen habe.

 

Nichts hält mich mehr in London. Hier lauern an jeder Ecke böse Erinnerungen, ich bin heilfroh, dass ich diesen stinkenden Moloch endlich hinter mir lassen kann. Ein Neuanfang auf Herm Island – solltest du am Ende doch Glück haben? Den Morgen verbringe ich damit, all meine Habseligkeiten und mein restliches Geld (viel ist es nicht mehr) in den abgewetzten Lederkoffer zu packen und mich von der Hauswirtin zu verabschieden. Ich glaube, sie hatte Angst vor mir und freut sich, mich los zu sein.

 

Dann geht's zum Bahnhof, wo ich mich nach einem Zug nach Plymouth erkundige.

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Als Du am Paddington Bahnhof ankommst, steht dort ein Zug Richtung Plymouth bereit.

Es ist 4:45 pm. In fünf Minuten fährt der Zug ab.

 

Der -- 4:50 ab Paddington -- nach Plymouth.

 

Wieso läuft auf einmal alles wie geschmiert.

Das Glück ist Dir hold und mit der Bezahlung stimmt es auch. Ein-einhalb-mal so viel wie bisher, dazu Kost und Logie gratis. Und einen Tag Urlaub im Monst.

 

Freudig steigst Du in den Wagen. Sechs Stunden Zugfahrt liegen vor Dir.

 

Das Wetter ist herrlich - die Welt gehört Dir.

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Ich blicke aus dem Fenster und betrachte die grünen Landschaften der Grafschaft Devon, die an mir vorbeiziehen, gelegentlich verhüllt von den Rauchschwaden der Dampflock. Was mich wohl auf Herm Island erwartet? Eins steht fest: Das wird ein Neuanfang. Keine windigen Geschäfte mehr. Diesmal will ich alles richtig machen. Endlich mit der Vergangenheit abschließen.

 

Plötzlich sehe ich meinen alten Herrn vor mir: Wie er drohend über mir aufragt, nach Gin stinkend, die Augen trüb und blutunterlaufen. Wie er mich "Versager" nennt, "einen gottverdammten Taugenichts". Wie er die Hand hebt ...

 

Ich schiebe den Gedanken weg, konzentriere mich ganz auf das Rattern des Zuges und die Wiesen draußen im Sonnenschein.

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Du sitzt im Zug und die Landschaft zieht an Dir vorbei. Mit der 'First Great Western' geht es über Newbury, Westbury und Taunton nach Exeter und dann weiter nach Plymouth.

 

Du geniesst die Fahrt der 385 km langen Strecke, die sich mit den vielen Haltestellen hier und dort auf fast 5,5 Stunden dehnt.

 

Die Wälder und Felder Südenglands.

Grün. Saftig. Satt. Getränkt vom Regen.

Das Vieh fett auf den Weiden.

Und die Menschen geniessen die Strahlen der wärmenden Sonne.

 

Es ist bereits dunkel, als um 20.18 der Zug in den Bahnhof von Plymouth einfährt.

 

Du benötigst ein Quartier für die Nacht.

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Der Bahnhof von Plymouth ist nur fünf Minuten Fussmarsch vom Hafen entfernt. Du schaust Dich um und fragst Dich durch. Ein älterer Mann weist Dir den Weg...

 

"Moinmoin men Jong. Een Kabüffken? Kiek mol in de 'Revenge' rin." [...]

 

"De 'Revenge'? Wo de Lüüd een büschen luud sünd. Det waa Drake's Mennowoar."

 

Er lächelt Dich an und klopft Dir auf den Rücken. "Det es blink un blank. Ooch goodkoop."

 

...zu einer bodenständigen Kneipe, mit ein paar Zimmern oberhalb des Schankraumes.

 

 

[ Hallo mein Junge. Ein Zimmer? Schau mal in die 'Revenge' rein.

Die 'Revenge'? Die ist dort, wo die Menschen etwas lauter sind. Das war Drake's Kriegsschiff.

Da ist es sauber. Und preiswert. ]

Edited by Der Läuterer
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Einen Dialekt haben die hier ... Ich danke dem Alten kurz angebunden, Smalltalk mit Fremden ist meine Sache nicht. Außerdem mag ich es nicht, wenn man mich anfasst, auch wenn es freundlich gemeint ist. Dann mache ich mich auf die Suche nach dem 'Revenue'. Unauffällig beobachte ich die dunklen Gassen, während ich den Hafen entlanggehe, in Gegenden wie dieser gab es schon zu oft Ärger, und das alte Misstrauen meldet sich zu Wort.

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Die 'Revenge' ist laut. So wie der Alte schon sagte, findet man die Kneipe, indem man einfach nur dem Lärm folgt.

 

Und je näher Du kommst, desto mehr Menschen sind auf dem Kai, durch die Du Dir Deinen Weg bahnen musst. Manch einer ist schon deutlich angetrunken.

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Wenn mir einer zu nahe kommt, werfe ich ihm einen finsteren Blick zu, der ihn hoffentlich dazu bringt, Abstand zu halten. Ich versuche, einen Bogen um die Betrunkenen zu machen, und betrete mit meinem Koffer in der Hand das 'Revenge'.

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Die Tür der 'Revenge' steht weit offen. Drinnen ist es brechend voll.

 

Ein Mann, leicht angetrunken, schaut Dich fragend an. "Nix schasken?"

 

Ein anderer, sturz betrunken, bietet Dir sein halbleeres Bierglas an. "Supen! Kumpantje?"

 

[ Nichts trinken?

Saufen! Kumpel? ]

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