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[Cthulhus Ruf, Magazin] Ausgabe 5: "Ich, Nyarlathotep"


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Wie hier bereits angekündigt, empfinde ich es als angebracht, einen Thread zur Diskussion der vorgeschlagenen Variante zu dem Kriechenden Chaos zu öffnen.

 

Wie im Artikel zu lesen ist, bezieht sich die Inspiration des Artikels offenbar auf einen Post von mir:

 

Der Tod schrieb am 18 Mai 2013 - 14:00:http://www.foren.pegasus.de/foren/public/style_images/master/snapback.png

Ich würde das gerne behalten, grade diese Vielschichtigkeiten und Widersprüchlichkeiten macht Nyarli ja überhaupt erst interessant. Und wenn er wenigstens schonmal direkt in Verbindung gesetzt wird hat ist das schon mehr als bei einem Großteil der anderen Masken, die da so drinstehen ...

 

Problem an der Sache ist halt, dass Flagg für vieles gehalten wird innerhalb der Werke Kings. Mal für einen legendenumschleierten Magier aus altvorderster Zeit (der er definitiv nicht ist, wie er selber zugibt!) und mal für Nyarlathothep (was er aber auch niemals sagt, sondern bloß von einem Unwissenden unterstellt wird). Die Stelle, an der er mit dem kriechenden Chaos gleichgesetzt wird, ist auch eben die Stelle, an der er mit verschiedensten anderen Mythengestalten (des Bösen) in Verbindung gebracht wird. Das hat aber an der Stelle mMn weniger damit zu tun, eine Aussage zu treffen, was er alles ist, als vielmehr zu charakterisieren, dass er unfassbar böse ist. Glen Bateman (der Charakter aus "The Stand") versucht auf diese Weise bloß zu verdeutlichen, dass der Führer der "bösen" Überlebenden der Grippe einem sadistischen Teufel folgen, was aber natürlich kaum auf Gehör trifft und dabei bedient er sich der verschiedensten Kulturen und Legenden, wozu auch der fiktive Cthulhu-Mythos von Lovecraft gehört.

 

Da nun aber mittels des auktorialen Erzählers (!) im "DT"-Zyklus die Vorgeschichte Flaggs geklärt wird, ist seine Natur als Avatar des Nyarlathotheps ziemlich ausgeschlossen und auch Interpretationsspielräume sind umfassend eingeschränkt.

 

Grobe Grundüberlegung, wie ich sie verstanden habe:

Die Tatsache, dass die diversen Masken des Gottes allzu menschlichen Verhaltensmustern folgen, führt zu der Überlegung, eben dieses "Problem" mit einer ganz anderen Perspektive auf die Gottheit zu erklären: Die Masken haben ihren Ursprung in den verkommenen Subjekte der Gesellschaft.

 

Die Kritik:

 

1.) Relativierung

Damit erhält man meiner Meinung nach eine Totschlagantwort, die mal mehr, mal weniger gut funktioniert, um den Sachverhalt zu klären. Ja, man findet immer irgendetwas, um auf diese Weise die Herkunft einer Maske zu klären, aber bei Masken wie dem Gott der blutigen Zunge wird die Erklärung schon etwas abstrus. Wieviel Einfluss hat das Kriechende Chaos auf diesen Prozess? Und wenn es nicht in der Lage ist, "eigene fleischliche Körper auszubilden", wie kann dann überhaupt etwas Monströses aus einem Menschen werden?

Das Chaos nutzt den Körper und missgestaltet ihn. "Bösartige Karikaturen" wird es im Artikel ungefähr betitelt. Wenn aber die "bösartigen Karikaturen" in einigen Fällen aussehen wie echte Mythosmonster, liegt die Vermutung nahe, auch anzuzweifeln, ob Mythoskreaturen nicht auch auf ähnliche Weise aus Menschen entstanden sind. Auch wenn es von den Autoren sicherlich nicht so gedacht war, habe zumindest ich mich das unweigerlich gefragt und muss erkennen, dass es ab schnell unbefriedigend wird. Nicht, dass es nicht auch funktionieren würde. Shub-Niggurath könnte auch eine babylonische Hure gewesen sein und Cthulhu war ursprünglich Davy Jones.

Ich will damit sagen: Wenn das Denken, dass im Artikel suggeriert wird, vom Spielleiter und insbesondere den den Spielern aufgenommen wird (was eigentlich wünschenswert wäre, sonst hätte die Runde nicht viel von dem Artikel), fürchte ich, dass schnell relativiert wird und das mit den obigen Folgen, die zumindest ich unschön finde.

 

2.) Kohärenz

Auch bietet dies die Möglichkeit, den ohnehin schon inflationären Gott noch viel inflationärer zu gebrauchen als ohnehin schon. Alles und jeder kann und könnte eine Maske von Nyarli sein!

Im Anhang des Artikels sind einige Beispiele gegeben. Manche finde ich durchaus gelungen (z.B. der Schwarm, der schwarze Rauch), einige präsentieren genau das, was ich befürchte (z.B. das der Revolverheld, der Familienmensch).

 

Denn:

Was wollen diese Avatare sein? Wollen sie ...

A das Chaos in uns präsentieren und es lebendig werden lassen oder ...

B sind es Personen aus der Vergangenheit, die Übles getan haben und nun Opfer suchen?

 

Erstere Variante wäre für mich beispielweise der Schwarm und das finde ich auch völlig legitim. Dabei würde ich davon ausgehen, dass der Avatar eine Manifestation der Schuldgefühle ist und den Betroffenen deswegen plagt. Schon in der Entstehungsgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass es nicht besagter Mann selber ist, der nun der Avatar geworden ist.

Beim Revolverhelden funktioniert das jedoch nicht. Es handelt sich eindeutig um Kategorie B und macht damit eine nähere Einordnung schwer. Was also sind die Avatare in dieser Variante wirklich? Verkörpert ein rachsüchtiger Mensch den Revolverhelden oder beschwört er ihn?

 

In diesem Sachverhalt empfinde ich die Perspektive als zu inkohärent.

 

3.) Design

Das Ganze erinnert mich übrigens stark an das Silent Hill-Franchise (die Filme sind grottig und repräsentieren in keinster Weise das, was ich sagen will). Dort wird auch stark mit den Sünden, Fehlern und den Emotionen der Haupt- und Nebencharaktere gespielt, dieses Innere wird deformiert und pervertiert und nach Außen gekehrt, damit sie damit konfrontiert werden. Die starke Symbolik vermisse ich stark in den vorgeschlagenen Avataren des Artikels. Sie sind austauschbar und generisch - ich nehme den meisten nicht ab, dass da wirklich Chaos herrscht.

 

Ein paar Beispiele aus den Spielen stark vereinfacht und heruntergebrochen:

 

[spoilert selbstredend die Spiele]

 

 

 

Pyramid Head - der Wunsch, gerichtet und bestraft zu werden

Mannequin - Verkörperung der unterdrückten Sexualität des Protagonisten

Missionary - panische Angst vor Abtreibung

 

 

 

Man sieht wunderbar, wie Ängste und Wünsche der Menschen im Design und der Präsentation der Kreaturen verarbeitet werden und gleichzeitig vom Aussehen noch dem menschlichen Geist entspringen.

 

Das ist, wie ich mir das Prinzip eines Chaos-Gottes vorstelle. Er nimmt das Innere des Menschen, das bereits von Natur aus verkommen und verdorben ist, und kehrt es bei besonders widerwärtigen Individuen nach außen. Das funktioniert bei einigen der Beispielavatare im Artikel, andere wirken wie Lückenfüller. Das ist meiner Meinung nach ungenutztes Potenzial, denn ...

 

Lob:

... tatsächlich hat der Artikel doch geschaftt, was er erreichen wollte. Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt. Und das auf eine Weise, dass bis an diese Stelle wahrscheinlich kaum ein Leser wirklich kommen wird. Die Idee ist "frech", fast ketzerisch, und trotzdem ein mehr als bemerkenswertes Gedankenkonstrukt. Ich bin sehr glücklich, dass der Artikel in dieser Ausgabe ist und hoffentlich viele zum Nachdenken anregen wird.

Auch die Option, die SCs zu den Opfern zu machen, finde ich sehr reizvoll und kann mit Ausbesserung der oberen Kritik sehr stimmungsvoll eingesetzt werden.

 

Versteht mich nicht falsch: Die harte Kritik oben ist zwar für mich handfest, aber trotzdem habe ich es sehr genossen, den Artikel zu lesen und würde mich freuen, noch mehr aus der Sparte zu lesen (witzigerweise habe ich mich bei dem Format des Artikels an meinen König-in-Gelb-Artikel erinnert gefühlt, der es hoffentlich in die nächste Ausgabe schafft :P ). Ein Mythoskreatur-Spotlight war ja mal angedacht? Wie wäre es ...? Neue Rubrik? ^^

 

Nun bin ich aber gespannt, was andere Leute von dem Artikel halten. Eventuell entspinnt ja eine spannende Diskussion daraus! :)

 

Liebe Grüße

Blackdiablo

 

PS: Ich finde irgendwie heftig, dass die Autoren in einem öffentlichen Produkt einen zentralen Aspekt des "Dark Tower"-Zyklus (der in Band 7 erst enthüllt wird), ohne mit der Wimper zu zucken, spoilern. Ich hätte mich darüber geärgert, wenn ich es nicht schon gelesen hätte. :P

PPS (Ironie an): Da das King-Multiversum und Lovecrafts Universum nicht kanon sind, ist Flagg kein Avatar von Nyarli, egal wie ihr es dreht und wendet. Egal was ihr sagt. B):D (off)

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Vielen Dank für die ausführliche Rückmeldung! Es ist sehr schön wenn sich jemand die Mühe macht und seine Meinung mal niedertippt!

Ehe ich darauf aber nochmal meine Ansicht der Dinge vertrete, würde ich auch lieber auf das warten, was die anderen Leser dazu meinen bzw. wie sie das aufgefasst haben.

 

Nur dazu:

PS: Ich finde irgendwie heftig, dass die Autoren in einem öffentlichen Produkt einen zentralen Aspekt des "Dark Tower"-Zyklus (der in Band 7 erst enthüllt wird), ohne mit der Wimper zu zucken, spoilern. Ich hätte mich darüber geärgert, wenn ich es nicht schon gelesen hätte. :P

PPS (Ironie an): Da das King-Multiversum und Lovecrafts Universum nicht kanon sind, ist Flagg kein Avatar von Nyarli, egal wie ihr es dreht und wendet. Egal was ihr sagt. B):D (off)

Zum P.S.: Das Buch ist 10 Jahre alt, die Leute hatten ihre Chance nicht gespoilert zu werden. ;)

 

Zum P.P.S.: Zu Flagg und dass er SEHR wohl ein Avatar des KRIECHENDEN CHAOS ist, könnten wir uns sicher noch eine Weile unterhalten. Sowohl Dark Tower als auch The Stand widersprechen dem in keinster Weise, im Gegenteil! : B):D

Edited by Der Tod
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Einzige Kritik von mir zu dem Artikel: Die Menschheit wird darin  m. M. total überbewertet.

Ja, N. wird bereits sehr inflationär verwendet und irgendwie ist ohnhin jeder Hans und Franz ein Avatar von ihm (*gähn*).

 

Ich sehe es da etwas anders: Durch die Anbetung in verschiedenen Gestalten (insbesondere "In N. Schatten") ermöglicht diese dem Kriechenden Chaos, diese Gestalten tatsächlich anzunehmen (sich also damit zu maskieren).

Um es mal ganz knapp zu fassen.

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Ich sehe es da etwas anders: Durch die Anbetung in verschiedenen Gestalten (insbesondere "In N. Schatten") ermöglicht diese dem Kriechenden Chaos, diese Gestalten tatsächlich anzunehmen (sich also damit zu maskieren).

Um es mal ganz knapp zu fassen.

Bewertet das die Menschheit dann nicht genau so über, wenn das Chaos auf ihre Anbetung angewiesen ist, die Menschen also Nyarli "in die Welt hineinbeten" können? :P

 

Aber ja, das Thema der Ausgabe (und Noir) war es zu sagen: Menschen sind die interessanteren Protagonisten als Monster. Und dahinter stehe ich auch noch immer.

Edited by Der Tod
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Nur dazu:

PS: Ich finde irgendwie heftig, dass die Autoren in einem öffentlichen Produkt einen zentralen Aspekt des "Dark Tower"-Zyklus (der in Band 7 erst enthüllt wird), ohne mit der Wimper zu zucken, spoilern. Ich hätte mich darüber geärgert, wenn ich es nicht schon gelesen hätte. :P

Zum P.S.: Das Buch ist 10 Jahre alt, die Leute hatten ihre Chance nicht gespoilert zu werden. ;)

Das lasse ich nicht gelten. ^^ Aber mir gefällt deine kaltblütige Ader. >:)

 

 

 

Nur dazu:

PPS (Ironie an): Da das King-Multiversum und Lovecrafts Universum nicht kanon sind, ist Flagg kein Avatar von Nyarli, egal wie ihr es dreht und wendet. Egal was ihr sagt. B):D (off)

Zum P.P.S.: Zu Flagg und dass er SEHR wohl ein Avatar des KRIECHENDEN CHAOS ist, könnten wir uns sicher noch eine Weile unterhalten. Sowohl Dark Tower als auch The Stand widersprechen dem in keinster Weise, im Gegenteil! : B):D

Oha, ich fühle mich in meiner Ehre als Kingfanatiker angegriffen. :o Ich bin fast verleitet, dezidiert zu argumentieren, dass du falsch liegst, aber dann verschrecken wir noch die letzten potenziellen Leser/Mitdebattanten aus diesem Thread. ;) (Zudem bewege ich mich bei einem Multiversum auf sehr dünnem Eis ... :rolleyes: )

 

 

Ich sehe es da etwas anders: Durch die Anbetung in verschiedenen Gestalten (insbesondere "In N. Schatten") ermöglicht diese dem Kriechenden Chaos, diese Gestalten tatsächlich anzunehmen (sich also damit zu maskieren).

Um es mal ganz knapp zu fassen.

Bewertet das die Menschheit dann nicht genau so über, wenn das Chaos auf ihre Anbetung angewiesen ist, die Menschen also Nyarli "in die Welt hineinbeten" können? :P

Ja, tut es. Zumindest in der knappen Version.

Wenn man aber davon ausgeht, dass Nyarli das Prinzip des Chaos in allem und jedem verkörpert (im Gegensatz zu Azathoth, dem Chaos in einem konzentrierten Punkt), handelt es sich keineswegs um eine Abhängigkeit vom Menschen, sondern von Existenz im Allgmeinen. Das ist ein ganz anderer Fokus. Es braucht nicht den Menschen, es braucht etwas Fehlerhaftes und der Mensch ist da natürlich erstmal nur eine offensichtliche Quelle.

 

Aber ja, das Thema der Ausgabe (und Noir) war es zu sagen: Menschen sind die interessanteren Protagonisten als Monster. Und dahinter stehe ich auch noch immer.

Das kann ich auch wirklich unterstreichen, jedoch nicht in dem Kontext, in dem du es sagst. Ich meine, wir sprechen hier gerade von einem Artikel, in dem Menschen mit Monstern gleichgesetzt werden oder gar zu welchen werden. Widersprichst du dir damit nicht selbst? Oder habe ich dich falsch verstanden? :huh:

 

 

 

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Grundidee des Artikels:

Sehr gelungen, hat mich (wie schon im Ausgabe 5 Thread erwähnt), zum Nachdenken gebracht. Somit: Ziel erreicht. Auch sowas mal auf einen Charakter zu übertragen finde ich spannend. Gerade in einer Kampagne könnte man den moralischen und geistigen Verfall hier entsprechend in diese Richtung bringen.

 

Kritik von Blackdiablo zu den Avataren aus dem Artikel:

Stimmt, bei 2-3 Ideen war ich auch skeptisch, zumindest in der vorliegenden Form reicht es für mich auch nicht zu einem Avatar von N. Aber mit etwas Arbeit kann man auch diese Charaktere ausbauen, Blackdiablo liefert hier ja schon ein paar Gedanken dazu. Die Mehrzahl der vorgestellten Avatare finde ich aber sehr gelungen und im Kontext zum Artikel ergeben sich für den kreativen Spielleiter sehr viele spannende Ansätze.

 

Allgemein

Ich finde sowohl den neuen als auch den "klassischen" Ansatz gut. Wichtig ist nur, N. sollte unberechenbar bleiben und eben nicht der Gott für den Notfall sein, wenn dem Autor sonst nichts einfällt. Man nehme hier den Auftritt in "Sturm auf Innsmouth" (zumindest wenn das später nicht weiter aufgegriffen wird).

 

Flagg

Ich finde er ist ein guter Avatar von N. ;)

Leider habe ich die Details nicht mehr im Kopf, aber es gab einige Stellen die dies in meinen Augen klar belegen. Muss die Bücher mal wieder lesen, ein weiterer Erfolg des Artikels!

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Man nehme hier den Auftritt in "Sturm auf Innsmouth" (zumindest wenn das später nicht weiter aufgegriffen wird).

Absolut korrekt. Ich habe es gemacht, werde es allerdings später aufgreifen, insofern ist es wohl bei mir in Ordnung. :)

 

 

Flagg

Ich finde er ist ein guter Avatar von N. ;)

Hört auf mich zu reizen, sonst fang ich diese Diskussion wirklich an. :mellow:

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Man nehme hier den Auftritt in "Sturm auf Innsmouth" (zumindest wenn das später nicht weiter aufgegriffen wird).

Absolut korrekt. Ich habe es gemacht, werde es allerdings später aufgreifen, insofern ist es wohl bei mir in Ordnung. :)

 

 

>Flagg

Ich finde er ist ein guter Avatar von N. ;)

Hört auf mich zu reizen, sonst fang ich diese Diskussion wirklich an. :mellow:

 

Ich hätte nichts dagegen, bin allerdings eh auf deiner Seite. (Flagg ungleich N.)

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So, dann will ich Blackdiablos erfreulich ausführlichen Post mal zum Anlass nehmen um zu verdeutlichen, was ich mit dem Artikel sagen wollte.

 

Vorweg aber möchte ich noch eins loswerden: Meine Idee zu einer alternativen Interpretation von Nyarlathothep/dem Kriechenden Chaos soll genau das sein - eine alternative Interpretation. Ich weiß dass da draußen sehr viele sind, die mit dem Nyarli, wie er immer wieder auftaucht, sehr zufrieden sind, und das ist natürlich vollkommen okay. Allerdings braucht es, um das zu bestätigen, keinen Artikel mehr. Es gibt aber auch jene, die sich einen etwas anderen Ansatz wünschen (ist zumindest mein Eindruck), und das war eben meine unmaßgebliche Idee, wie mans auch machen könnte. Kein Allgemeingültigkeitsanspruch.

 

Jetzt ans Eingemachte:

 

Grobe Grundüberlegung, wie ich sie verstanden habe:

Die Tatsache, dass die diversen Masken des Gottes allzu menschlichen Verhaltensmustern folgen, führt zu der Überlegung, eben dieses "Problem" mit einer ganz anderen Perspektive auf die Gottheit zu erklären: Die Masken haben ihren Ursprung in den verkommenen Subjekte der Gesellschaft.

Grundsätzlich bis hierher: Ja.

In jedem Menschen (nicht nur da, aber eben auch, s.u.) schlummert eine (ganz individuelle) Maske, die Frage ist nur ob und wann sie erwacht.

 

Die Kritik:

 

1.) Relativierung

Damit erhält man meiner Meinung nach eine Totschlagantwort, die mal mehr, mal weniger gut funktioniert, um den Sachverhalt zu klären. Ja, man findet immer irgendetwas, um auf diese Weise die Herkunft einer Maske zu klären, aber bei Masken wie dem Gott der blutigen Zunge wird die Erklärung schon etwas abstrus. Wieviel Einfluss hat das Kriechende Chaos auf diesen Prozess? Und wenn es nicht in der Lage ist, "eigene fleischliche Körper auszubilden", wie kann dann überhaupt etwas Monströses aus einem Menschen werden?

Das Chaos nutzt den Körper und missgestaltet ihn. "Bösartige Karikaturen" wird es im Artikel ungefähr betitelt. Wenn aber die "bösartigen Karikaturen" in einigen Fällen aussehen wie echte Mythosmonster, liegt die Vermutung nahe, auch anzuzweifeln, ob Mythoskreaturen nicht auch auf ähnliche Weise aus Menschen entstanden sind. Auch wenn es von den Autoren sicherlich nicht so gedacht war, habe zumindest ich mich das unweigerlich gefragt und muss erkennen, dass es ab schnell unbefriedigend wird. Nicht, dass es nicht auch funktionieren würde. Shub-Niggurath könnte auch eine babylonische Hure gewesen sein und Cthulhu war ursprünglich Davy Jones.

Ich will damit sagen: Wenn das Denken, dass im Artikel suggeriert wird, vom Spielleiter und insbesondere den den Spielern aufgenommen wird (was eigentlich wünschenswert wäre, sonst hätte die Runde nicht viel von dem Artikel), fürchte ich, dass schnell relativiert wird und das mit den obigen Folgen, die zumindest ich unschön finde.

Hier würde ich einen Punkt betonen wollen, der im Artikel (glaube ich) nur angerissen wurde: Die aus Menschen entstehenden Masken und die Mythoswesen/-Götter sehen sich nicht deswegen ähnlich, weil sie alle aus Menschen entstanden wären. Stattdessen ähneln sie sich, weil sie alle derselben (oder zumindestens ähnlichen) Quelle entstammen. Das Kriechende Chaos ist in diesem Fall endlich mal das, was ohnehin ständig mantra-artig wiederholt wird, wenn es um Mythos-Götter geht: Eher ein kosmisches Prinzip als ein Individuum. Das Chaos durchsetzt ALLES (Menschen, Pflanzen, Sterne, Planeten, Zeit, etc.) und theoretisch kann dadurch aus ALLEM ein Avatar/Wesen/Monster werden.

Das Kriechende Chaos ist in meiner Interpretation eine Art "Naturgesetz/-gewalt", das ein Universum durchzieht, das vom Mythos beherrscht wird - wie genau es sich aber dann ausdrückt liegt eben doch in gewisser Weise am Wirt. Vielleicht gehts bei Menschen einfacher, vielleicht aber auch nicht, wer weiß. In diesem Fall standen nur die Menschen im Mittelpunkt, mit der Grundannahme, dass sie, wenn sie ihre Menschlichkeit (Sanity) verlieren, unter Umständen zu dem Ding werden, was in ihnen schlummert.

Was stimmt ist, dass die neuen Masken uneinheitlich "mutiert" sind, d.h. manche sehen noch aus wie Menschen, andere werden vollkommen abstrakt. Das ist inkonsistent - eben chaotisch - und deswegen so gewollt!

 

2.) Kohärenz

Auch bietet dies die Möglichkeit, den ohnehin schon inflationären Gott noch viel inflationärer zu gebrauchen als ohnehin schon. Alles und jeder kann und könnte eine Maske von Nyarli sein!

Im Anhang des Artikels sind einige Beispiele gegeben. Manche finde ich durchaus gelungen (z.B. der Schwarm, der schwarze Rauch), einige präsentieren genau das, was ich befürchte (z.B. das der Revolverheld, der Familienmensch).

 

Denn:

Was wollen diese Avatare sein? Wollen sie ...

A das Chaos in uns präsentieren und es lebendig werden lassen oder ...

B sind es Personen aus der Vergangenheit, die Übles getan haben und nun Opfer suchen?

 

Erstere Variante wäre für mich beispielweise der Schwarm und das finde ich auch völlig legitim. Dabei würde ich davon ausgehen, dass der Avatar eine Manifestation der Schuldgefühle ist und den Betroffenen deswegen plagt. Schon in der Entstehungsgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass es nicht besagter Mann selber ist, der nun der Avatar geworden ist.

Beim Revolverhelden funktioniert das jedoch nicht. Es handelt sich eindeutig um Kategorie B und macht damit eine nähere Einordnung schwer. Was also sind die Avatare in dieser Variante wirklich? Verkörpert ein rachsüchtiger Mensch den Revolverhelden oder beschwört er ihn?

 

In diesem Sachverhalt empfinde ich die Perspektive als zu inkohärent.

Zum letzten Satz: Ja, wie gesagt, Inkohärenz als Prinzip. Denn im Grunde treffen sowohl A als auch B zu. Es kann beides passieren. Warum sollten ein Avatar der Schuldgefühle und ein Avatar der ins mörderische übersteigerten Eifersucht nicht beide möglich sein? Weil der eine noch aussieht wie ein Mensch? Das hat bei den bisherigen Avataren des Nyarlathotep noch nie jemand gestört (der Schwarze Mann vs. die mathematische Gleichung z.B.).

Zur Inflation des Nyarli: Es gibt einen Grund, warum ich versucht habe, konsequent den Begriff des "Kriechenden Chaos" zu verwenden, anstatt "Nyarlathotep" (der nach meiner Interpretation nur ein Avatar des ersteren ist). Denn wenn man aufhört, die Masken als Facetten eines und desselben Wesens zu sehen, und anfängt, sie als Ausgeburten eines kosmischen "Bösen" anzusehen, relativiert sich mMn auch die Problematik, dass ein einziger Gott sich in alles einmischen würde.

Natürlich verschiebt ein solcher Ansatz den Fokus der Kampagne, weg von einer klaren Taxonomie der Gottheiten, denen wir nacheinander auf den Schlips treten, hin zu einem diffuseren, umfassenderen Begriff dessen, was der "Feind" ist. Muss man nicht mögen. Ich tus.

 

3.) Design

Das Ganze erinnert mich übrigens stark an das Silent Hill-Franchise (die Filme sind grottig und repräsentieren in keinster Weise das, was ich sagen will). Dort wird auch stark mit den Sünden, Fehlern und den Emotionen der Haupt- und Nebencharaktere gespielt, dieses Innere wird deformiert und pervertiert und nach Außen gekehrt, damit sie damit konfrontiert werden. Die starke Symbolik vermisse ich stark in den vorgeschlagenen Avataren des Artikels. Sie sind austauschbar und generisch - ich nehme den meisten nicht ab, dass da wirklich Chaos herrscht.

 

Ein paar Beispiele aus den Spielen stark vereinfacht und heruntergebrochen:

 

[spoilert selbstredend die Spiele]

 

 

 

Pyramid Head - der Wunsch, gerichtet und bestraft zu werden

Mannequin - Verkörperung der unterdrückten Sexualität des Protagonisten

Missionary - panische Angst vor Abtreibung

 

 

 

Man sieht wunderbar, wie Ängste und Wünsche der Menschen im Design und der Präsentation der Kreaturen verarbeitet werden und gleichzeitig vom Aussehen noch dem menschlichen Geist entspringen.

 

Das ist, wie ich mir das Prinzip eines Chaos-Gottes vorstelle. Er nimmt das Innere des Menschen, das bereits von Natur aus verkommen und verdorben ist, und kehrt es bei besonders widerwärtigen Individuen nach außen. Das funktioniert bei einigen der Beispielavatare im Artikel, andere wirken wie Lückenfüller. Das ist meiner Meinung nach ungenutztes Potenzial, denn ...

Vielleicht schon obig beantwortet worden, vielleicht eine Frage des Geschmacks, vielleicht auch einfach ein Versäumnis im Artikel. Urteil selbst.

Und natürlich: Es steht euch jederzeit frei, uns eure eigenen Masken des Chaos zu schicken! ;)

 

Lob:

... tatsächlich hat der Artikel doch geschaftt, was er erreichen wollte. Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt. Und das auf eine Weise, dass bis an diese Stelle wahrscheinlich kaum ein Leser wirklich kommen wird. Die Idee ist "frech", fast ketzerisch, und trotzdem ein mehr als bemerkenswertes Gedankenkonstrukt. Ich bin sehr glücklich, dass der Artikel in dieser Ausgabe ist und hoffentlich viele zum Nachdenken anregen wird.

Auch die Option, die SCs zu den Opfern zu machen, finde ich sehr reizvoll und kann mit Ausbesserung der oberen Kritik sehr stimmungsvoll eingesetzt werden.

Das freut mich doch. So lange man noch schocken kann ...

Und Vorsicht - ich kann noch weiter:

 

Das "Kriechende Chaos", wie ich es verstehe ist nicht Nyarlathotep, sondern Azatoth selbst! Er(?) ist schließlich das nukleare Urchaos "im Zentrum des Universums", was ich durchaus auch bereit bin symbolisch zu verstehen als: Das Chaos, dass der Schöpfung zu Grunde liegt, und daher überall enthalten ist.

In diesem Licht macht es auch Sinn, dass "Nyarlathotep" als sein Bote angesehen wird - denn seine Masken sind die befreiten Urkräfte des Azatoth.

Aber das nur als kleine Weiterführung des Gedankenspiels.

 

Und wenn mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung gestattet ist: Es wird sich (auch hier im Forum) viel beschwert, wie wenig Neues Cthulhu zu bieten habe, wie weit die amerikanischen Produkte uns vorraus seien, dass frische Ideen fehlen etc. etc. etc. Ich wage aber zu behaupten, dass ein Teil des Problems in der sehr rigiden und nerdig-bürokratischen Art liegt, in der der deutsche Gamer sein Spiel mag: Fein säuberlich sortiert und übersichtlich strukturiert (wer ist Äußerer Gott, wer Großer Alter? Wer ist wofür zuständig und sieht wie aus? Wer lebt/liegt/schwebt wo?) und bloß nichts verwirrendes oder neue Ansätze! Das mag jetzt stark zugespitzt sein (und geht nichtmal gegen die, die hier geschrieben haben), aber zumindest aus meiner Warte ist da was Wahres dran.Vielleicht ist das die dunkle Seite des (großartigen) Malleus Monstrorum ...

Denn wenn man nur einmal die Lovecraft-Stories (etwa über Nyarlathotep, aber auch andere Themen) nähme sähe die Sache schon ganz anders aus. Damit will ich NICHT sagen, dass wir jetzt nur noch Lovecraft spielen sollen, im Gegenteil (mehr S. King!), aber ich will sagen: Der Mythos wird langweilig, sobald man es sich in ihm behaglich gemacht hat.

 

So long,

Der Tod

 

 

P.S.:

 

Versteht mich nicht falsch: Die harte Kritik oben ist zwar für mich handfest, aber trotzdem habe ich es sehr genossen, den Artikel zu lesen und würde mich freuen, noch mehr aus der Sparte zu lesen (witzigerweise habe ich mich bei dem Format des Artikels an meinen König-in-Gelb-Artikel erinnert gefühlt, der es hoffentlich in die nächste Ausgabe schafft :P ). Ein Mythoskreatur-Spotlight war ja mal angedacht? Wie wäre es ...? Neue Rubrik? ^^

 

Dass es dich an deinen Artikel erinnert hat liegt vermutlich daran, dass "Ich, Nyarlathotep" geschrieben wurde als klar wurde, dass dein Artikel nicht rechtzeitig fertig wird. :P

 

P.P.S.: Die Flagg-Diskussion wäre sicher nicht uninteressant, kann aber sicher ein eigener Thread für aufgemacht werden.

Edited by Der Tod
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Dass es sich um eine Alternative zum Original handelt, ist klar. Aber es ist wohl nicht schlecht, das in aller Deutlichkeit nochmal festzuhalten. Wenn Allgmeingültigkeitsanspruch von dir gelten würde, stände ich längst mit Molotov-Cocktails vor der Bude. :P

 

 

Grobe Grundüberlegung, wie ich sie verstanden habe:

Die Tatsache, dass die diversen Masken des Gottes allzu menschlichen Verhaltensmustern folgen, führt zu der Überlegung, eben dieses "Problem" mit einer ganz anderen Perspektive auf die Gottheit zu erklären: Die Masken haben ihren Ursprung in den verkommenen Subjekte der Gesellschaft.

Grundsätzlich bis hierher: Ja.

In jedem Menschen (nicht nur da, aber eben auch, s.u.) schlummert eine (ganz individuelle) Maske, die Frage ist nur ob und wann sie erwacht.

Fettgedruckt die essentielle neue Information zum Verständnis. Eine ganz individuelle Maske für einen jeden Menschen bedeutet für mich, dass es vielleicht ähnliche Themen gibt (Gier, Neid, Zorn, Gewalt etc.), es sich aber bei jedem Individuum auf andere Arten bemerkbar macht. Um die Erklärung zu liefern, warum dann manche Menschen von sehr ähnlichen Wesen heimgesucht werden, kann man beispielsweise beim Schwarm festlegen, okay, bei dir ist es ein Krähenschwarm, bei dir sind es Sperlinge und bei dir sind es Ibisse oder so. Eben ganz einzigartig für jeden Menschen.

 

 

Die Kritik:

 

1.) Relativierung

Damit erhält man meiner Meinung nach eine Totschlagantwort, die mal mehr, mal weniger gut funktioniert, um den Sachverhalt zu klären. Ja, man findet immer irgendetwas, um auf diese Weise die Herkunft einer Maske zu klären, aber bei Masken wie dem Gott der blutigen Zunge wird die Erklärung schon etwas abstrus. Wieviel Einfluss hat das Kriechende Chaos auf diesen Prozess? Und wenn es nicht in der Lage ist, "eigene fleischliche Körper auszubilden", wie kann dann überhaupt etwas Monströses aus einem Menschen werden?

Das Chaos nutzt den Körper und missgestaltet ihn. "Bösartige Karikaturen" wird es im Artikel ungefähr betitelt. Wenn aber die "bösartigen Karikaturen" in einigen Fällen aussehen wie echte Mythosmonster, liegt die Vermutung nahe, auch anzuzweifeln, ob Mythoskreaturen nicht auch auf ähnliche Weise aus Menschen entstanden sind. Auch wenn es von den Autoren sicherlich nicht so gedacht war, habe zumindest ich mich das unweigerlich gefragt und muss erkennen, dass es ab schnell unbefriedigend wird. Nicht, dass es nicht auch funktionieren würde. Shub-Niggurath könnte auch eine babylonische Hure gewesen sein und Cthulhu war ursprünglich Davy Jones.

Ich will damit sagen: Wenn das Denken, dass im Artikel suggeriert wird, vom Spielleiter und insbesondere den den Spielern aufgenommen wird (was eigentlich wünschenswert wäre, sonst hätte die Runde nicht viel von dem Artikel), fürchte ich, dass schnell relativiert wird und das mit den obigen Folgen, die zumindest ich unschön finde.

Hier würde ich einen Punkt betonen wollen, der im Artikel (glaube ich) nur angerissen wurde: Die aus Menschen entstehenden Masken und die Mythoswesen/-Götter sehen sich nicht deswegen ähnlich, weil sie alle aus Menschen entstanden wären. Stattdessen ähneln sie sich, weil sie alle derselben (oder zumindestens ähnlichen) Quelle entstammen. Das Kriechende Chaos ist in diesem Fall endlich mal das, was ohnehin ständig mantra-artig wiederholt wird, wenn es um Mythos-Götter geht: Eher ein kosmisches Prinzip als ein Individuum. Das Chaos durchsetzt ALLES (Menschen, Pflanzen, Sterne, Planeten, Zeit, etc.) und theoretisch kann dadurch aus ALLEM ein Avatar/Wesen/Monster werden.

Das Kriechende Chaos ist in meiner Interpretation eine Art "Naturgesetz/-gewalt", das ein Universum durchzieht, das vom Mythos beherrscht wird - wie genau es sich aber dann ausdrückt liegt eben doch in gewisser Weise am Wirt. Vielleicht gehts bei Menschen einfacher, vielleicht aber auch nicht, wer weiß. In diesem Fall standen nur die Menschen im Mittelpunkt, mit der Grundannahme, dass sie, wenn sie ihre Menschlichkeit (Sanity) verlieren, unter Umständen zu dem Ding werden, was in ihnen schlummert.

Was stimmt ist, dass die neuen Masken uneinheitlich "mutiert" sind, d.h. manche sehen noch aus wie Menschen, andere werden vollkommen abstrakt. Das ist inkonsistent - eben chaotisch - und deswegen so gewollt!

Das ist alles in Ordnung, denke ich. Wichtige Infos wieder in fettgedruckt von mir hervorgehoben. Ich möchte hinzufügen, dass das voll meinem Bild der Äußeren Göttern entspricht. Es handelt sich bei ihnen, wenn man es sich vor Augen führt, tatsächlich in fast allen Fällen um "Prinzipien". Einfache Beispiele:

 

Abboth - Unreinheit, Missgeburt

Shub-Niggurath - Fruchtbarkeit

Yog-Sothoth - Zeit und Raum, Existenz

 

Und genau das ist übrigens der Grund, warum ich bei einer Neuauflage des Malleus (falls das Karteiensystem beibehalten wird), Quachil Uttaus ein Äußerer Gott sein sollte. Er würde sich perfekt in die anderen einreihen (mit Verfall als Thematik). Als gottgleiches Alien kann ich mir den einfach nicht vorstellen (und so definiere ich Große Alte).

 

Nichtdestotrotz wieder zu deinen Punkten: Die widersprechen also per se nicht unbedingt der Kritik, wenn ich das richtig sehe (auch wenn wichtige Punkte von deiner Seite genannt werden)?

 

 

2.) Kohärenz

Auch bietet dies die Möglichkeit, den ohnehin schon inflationären Gott noch viel inflationärer zu gebrauchen als ohnehin schon. Alles und jeder kann und könnte eine Maske von Nyarli sein!

Im Anhang des Artikels sind einige Beispiele gegeben. Manche finde ich durchaus gelungen (z.B. der Schwarm, der schwarze Rauch), einige präsentieren genau das, was ich befürchte (z.B. das der Revolverheld, der Familienmensch).

 

Denn:

Was wollen diese Avatare sein? Wollen sie ...

A das Chaos in uns präsentieren und es lebendig werden lassen oder ...

B sind es Personen aus der Vergangenheit, die Übles getan haben und nun Opfer suchen?

 

Erstere Variante wäre für mich beispielweise der Schwarm und das finde ich auch völlig legitim. Dabei würde ich davon ausgehen, dass der Avatar eine Manifestation der Schuldgefühle ist und den Betroffenen deswegen plagt. Schon in der Entstehungsgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass es nicht besagter Mann selber ist, der nun der Avatar geworden ist.

Beim Revolverhelden funktioniert das jedoch nicht. Es handelt sich eindeutig um Kategorie B und macht damit eine nähere Einordnung schwer. Was also sind die Avatare in dieser Variante wirklich? Verkörpert ein rachsüchtiger Mensch den Revolverhelden oder beschwört er ihn?

 

In diesem Sachverhalt empfinde ich die Perspektive als zu inkohärent.

Zum letzten Satz: Ja, wie gesagt, Inkohärenz als Prinzip. Denn im Grunde treffen sowohl A als auch B zu. Es kann beides passieren. Warum sollten ein Avatar der Schuldgefühle und ein Avatar der ins mörderische übersteigerten Eifersucht nicht beide möglich sein? Weil der eine noch aussieht wie ein Mensch? Das hat bei den bisherigen Avataren des Nyarlathotep noch nie jemand gestört (der Schwarze Mann vs. die mathematische Gleichung z.B.).

Es gibt meiner Ansicht nach zwei Arten von Inkohärenz in diesem Fall:

Die eine ist thematisch passend, so wie du es auslegst. Chaos ist in allem und jedem. Selbst in der Idee selber. Chaos - der Name ist Programm. Alles ist möglich, alles kann sein - es ist eben chaotisch. In diesem Fall greift jedoch Kritikpunkt 3.) Design für mich. Denn sobald alles möglich ist, kann es auch jedem egal sein, was da gerade vor sich geht.

Das ist auch das Problem des alten Nyarli (verzeihe mir, dass ich einfach diesen als den Namen der Entität heranziehe): Er wurde zum Lückenfüller, der für alles herhalten muss, da es irgendwo immer Chaos geben wird - und sei es nur im eigenen Zimmer. Es kann alles sein und er wird alles sein. Sind die anderen Mythoswesen nicht auch voll chaotisch und unerklärbar? Sind also alle Teil dieses gedanklichen Konstrukts "Chaos"? Wenn es ein Prinzip ist, wie du sagst, und man diesem Prinzip zumindest auf der Designebene (also über der Spielebene) gewisse Einschränkungen gibt, büßt das meiner Meinung nach die Intensität des Effekts deutlich ein.

 

Die Art von Inkohärenz, die ich meine, bezieht sich auf eben die genannte Designebene. Und diese Inkohärenz kann man so leicht umschiffen, indem man sich für das eine oder das andere entscheidet. Dann weiß man: Aha, er kann so gut wie alles sein, fast jede Form, so wie das Chaos eben ist, ABER es ist entweder A oder B. Es ist kinderleicht, dann die entsprechenden Wesen auf die eine oder die andere Variante zuzuschneidern. Man muss sich meiner Meinung nach eben nur entscheiden.

 

Zur Inflation des Nyarli: Es gibt einen Grund, warum ich versucht habe, konsequent den Begriff des "Kriechenden Chaos" zu verwenden, anstatt "Nyarlathotep" (der nach meiner Interpretation nur ein Avatar des ersteren ist). Denn wenn man aufhört, die Masken als Facetten eines und desselben Wesens zu sehen, und anfängt, sie als Ausgeburten eines kosmischen "Bösen" anzusehen, relativiert sich mMn auch die Problematik, dass ein einziger Gott sich in alles einmischen würde.

Natürlich verschiebt ein solcher Ansatz den Fokus der Kampagne, weg von einer klaren Taxonomie der Gottheiten, denen wir nacheinander auf den Schlips treten, hin zu einem diffuseren, umfassenderen Begriff dessen, was der "Feind" ist. Muss man nicht mögen. Ich tus.

Eben diese Problematik ist erst dadurch entstanden, als alle angefangen haben, den Gott so zu nutzen, wie sie es gut fanden. Vorher gab es hier und da Anspielungen, man konnte sich überlegen, ist das oder das Wesen nicht in Wirklichkeit eine Maske oder doch nicht (zumindest habe ich mich immer gefragt, ob die Ratten im Gemäuer Teil von Nyarlathotep sind). Mittlerweile ist der RPG-Markt geflutet mit mal hier, mal dort verwendeten Masken, von denen zumindest ich persönlich 3/4 als unnötig erachte. Das würde eigentlich straffer und - hier kommt's wieder - kohärenter klappen. Da hat sich die offizielle RPG-Schiene (und ein paar andere Verantwortliche) jedoch einiges "versaut".

Was du tust, ist zwar sicherlich eine Lösung, um die Problematik aufzuklären, aber du bekämpfst quasi Feuer mit Feuer. Generisches Design gegen generisches Design. Das hilft in der Erklärung, führt aber zu den Konsequenzen, die ich oben beschrieben habe: Es büßt den Effekt ein.

 

Wie man unschwer erkennen kann, bin ich Befürworter der Gegenpartei. Allerdings längst nicht auf die Weise, die du da andeutest: Es gibt bei uns kein Monster-of-the-Week, es gibt längst nicht für alles eine Erklärung, da es zum ursprünglichen Mythosdesign auch einfach nicht passen würde. Auch für mich sind die Äußeren Götter Prinzipien, aber diese Prinzipien sind (außer so manche fließenden Übergänge) voneinander gesondert. Sie sind eben die jeweiligen Prinzipien an sich.

 

Das "Kriechende Chaos", wie ich es verstehe ist nicht Nyarlathotep, sondern Azathoth selbst! Er(?) ist schließlich das nukleare Urchaos "im Zentrum des Universums", was ich durchaus auch bereit bin symbolisch zu verstehen als: Das Chaos, dass der Schöpfung zu Grunde liegt, und daher überall enthalten ist.

In diesem Licht macht es auch Sinn, dass "Nyarlathotep" als sein Bote angesehen wird - denn seine Masken sind die befreiten Urkräfte des Azathoth.

Aber das nur als kleine Weiterführung des Gedankenspiels.

DAS finde ich kohärent. Damit kann ich mich sehr anfreunden. Geschockt hat es aber leider nicht. :P

 

Und wenn mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung gestattet ist: Es wird sich (auch hier im Forum) viel beschwert, wie wenig Neues Cthulhu zu bieten habe, wie weit die amerikanischen Produkte uns vorraus seien, dass frische Ideen fehlen etc. etc. etc. Ich wage aber zu behaupten, dass ein Teil des Problems in der sehr rigiden und nerdig-bürokratischen Art liegt, in der der deutsche Gamer sein Spiel mag: Fein säuberlich sortiert und übersichtlich strukturiert (wer ist Äußerer Gott, wer Großer Alter? Wer ist wofür zuständig und sieht wie aus? Wer lebt/liegt/schwebt wo?) und bloß nichts verwirrendes oder neue Ansätze! Das mag jetzt stark zugespitzt sein (und geht nichtmal gegen die, die hier geschrieben haben), aber zumindest aus meiner Warte ist da was Wahres dran.Vielleicht ist das die dunkle Seite des (großartigen) Malleus Monstrorum ...

Denn wenn man nur einmal die Lovecraft-Stories (etwa über Nyarlathotep, aber auch andere Themen) nähme sähe die Sache schon ganz anders aus.

Ja ist so. Stimmt einfach. Ich will kein wahlloses Durcheinander von Göttern, Wesen und Welten. Und so ein totales Durcheinander war nicht durchweg Lovecrafts Ziel, wie ich es verstehe, sondern eher ein Kosmos, in dem sehr vieles unerklärbar bleibt. Das ist auch nicht schlimm, aber selbst Lovecraft hält sich (außer bei wenigen Ausnahmen) an gewisse Regelmäßigkeiten. Und wenn man anfängt, alles willkürlich zu machen, würde mir echt der ganze Spaß flöten gehen. Das Malleus ist dabei selbstredend nochmal ein Extremfall, ein sehr gewagter, wenn auch als Inspiration ganz fantastischer Band.

 

Man kann auch mit den Regelmäßigkeiten im Mythos allerdings neue Pfade betreten: Du willst doch nicht abstreiten, dass das geht, oder? Das Problem hier liegt meiner Ansicht nach ganz woanders begraben - und Thema für einen anderen Thread (Stichwort: Cthulhu-Matrix).


 

Liebe Grüße

Blackdiablo

 

(Flagg ungleich N.)

Das dürfte doch nun jedem klar sein. :lol:

 

zum PS: Ich bin in den letzten Zügen ... :unsure: Hoffentlich gefällt es dann.

Zum PPS: Ich werde die Arena (King-Joke intended) also bald öffnen ...

 

Edit: Und hier ist sie.

Edited by Blackdiablo
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Wir haben jetzt sehr viel geschrieben, und - da ich angenehm angetrunken bin - will ich es kurz machen: We agree to disagree.

Ich will das so einfach halten, denn ich habe stark den Gesamteindruck, dass es (auch wenn der Artikel keinsfalls perfekt ist) einfach eine andere Geschmacksrichtung des Mythos ist. Schon wieder ein Totschlagargument, habe aber den Eindruck, wir könnten hier noch Seitenweise schreiben, ohne jemals gleicher Meinung zu sein.

Zur Klärung vielleicht: Für mich ist Cthulhu ein One-Shot-Spiel, jeder Abend ist eine Neuinterpretation, in der nur dieser eine Aspekt wirklich existiert - und am nächsten Abend können wieder ganz andere Regeln gelten. Ich finde das so spannender, aber wenn man dauerhafte, aufeinander aufbauende Mythos-Logikkonstruktionen sucht, mag einen der Ansatz nicht ganz befriedigen.

d.H.: In dieser einen, speziellen Spielwelt existiert Nyarli nur als das Kriechende Chaos in uns allen, im nächsten ist er wieder der große Strippenzieher hinter allem. Was eben grad gefällt - who cares? So lange eine gute Geschichte dabei rauskommt, bin ich zufrieden.

(Und ich bin gespannt auf jeden Versuch, eine solche hinzubekommen, mit welchen Mitteln auch immer)

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Zur Klärung vielleicht: Für mich ist Cthulhu ein One-Shot-Spiel, jeder Abend ist eine Neuinterpretation, in der nur dieser eine Aspekt wirklich existiert - und am nächsten Abend können wieder ganz andere Regeln gelten.

 

Nun genau an der Stelle scheinen sich die Meinungen wohl zu unterscheiden:

 

Ich möchte, wie du auch ansprichst, eine (soweit es natürlich mit Paradoxien und Mysterien möglich ist) stimmige Welt haben, die über ganze Kampagnen funktioniert. Denn als nichts Anderes kenne ich Cthulhu. Mir ist das sehr wichtig, kann aber auch verstehen, wenn man weniger Wert darauf legt und in One-Shots einfach mal etwas Neues erleben möchte.

 

Was bleibt noch zu sagen? Mein Fazit zum Artikel steht oben und natürlich ist es jedem freigestellt, eigene Gedanken und Anregungen dazu zu posten. Es kann eigentlich nur bereichernd sein, noch andere Stimmen anzuhören.

 

Ansonsten nochmals vielen Dank für den anregenden Artikel!

 

Liebe Grüße

Blackdiablo

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