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[Bühne in Weiß] Kapitel 2: "Der Abend danach" (NP)


Blackdiablo
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Ich mache die Tür auf.

 

"Hey" sage ich leise. Ich streichele ihr die Haare.

"Was ist passiert? Bitte erklär es mir. Howard sah auch..verwirrt aus"

 

"War das wieder er? Ich habe eine Liste kurz gesehen. Wer sind die Personen auf die Liste? Hat du vor etwas Angst?"

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Zuerst will sie protestieren, als du hereinkommst, das erkennst du, doch schließlich sieht sie ein, dass sie nicht allein sein möchte. "Es ist egal, wer das geschrieben hat ...", haucht sie. "Völlig egal." Sie schaut nach unten, unsicher, ob sie sich dir mitteilen soll. Sie hadert mit sich. Es geht um etwas Intimes. Sie kämpft mit sich. Es ist nicht leicht für sie.

 

Neben ihr auf dem Bett liegt die gefaltete Notiz, auf der du folgendes lesen kannst:

 

Teil 1 der Kuriositätenshow:

Karen Ivanicki – Das dumme Schaf

Sully McCorrey – Das gefräßige Schwein

Lauren Sundale – Die lasterhafte Motte

Howard Phillips Wilde – Die kranke Made

Hal Thomson - Die träge Schnecke

Gordon Thorne – Der nervtötende Specht

 

"Er kennt mich, Faith. Alles, er weiß alles. Auch über Howard." Ihre Augen sind stechend. "Mein Vater ... und Howard und - und - sein gottverdammter Roman!" Sie schlägt die Hände vor das Gesicht. "Howard hat mein Vertrauen ausgenutzt! Mein Leben für seine Arbeit missbraucht, es in sein Buch eingeflochten und damit darauf gespuckt!" Sie lässt die Hände sinken. Sieht dich an. Dann offenbart sie sich dir. Sie ist ganz ruhig und du kannst die Bitternis in ihrer Stimme beinahe schmecken. "Hal Thomson war mein Vater. Er war mein Vater und ich habe ihn erschossen."

Sie mustert dich, wartet auf deine Reaktion. Sie will sich jemandem anvertrauen. Alles erzählen. Das spürst du in deiner fachlichen Kompetenz. Nichtsdestotrotz ist ihr Geständnis wie ein Kloß im Hals beider Anwesenden.

Edited by Blackdiablo
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Ich schlucke ein paar Mal.

"was hat er dir angetan, daß du so was gemacht hast, Ellie?" Ich starre sie an, aber mein Blick ist klar und ruhig.

"Ich höre" sage dann, und nehme ihre Hand.

 

Die Hölle ist echt überall. Auch in so einem hübschen Haus.

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Sie beginnt zu erzählen und die Vergangenheit zu leben. Vor deinem inneren Auge spielt sich die Szene ab wie ein Theaterstück, dessen Ausgang bereits klar ist. Irgendwann laufen Ellie Tränen die Wangen hinab, doch sie bleibt ruhig und du verstehst jedes einzelne Wort. Jedes Wort dieser grauenhaften Ereignisse ...

 

„Ellie, Kleines? Hilfst du deinem Dad kurz?“

Ein kleines Mädchen mit zwei Rattenschwänzen sieht von ihrem Marmeladenbrot auf und und wischt sich Erdbeerkonfitüre von den Lippen. „Klar.“, quäkt sie gelassen und schiebt den Stuhl nach hinten.

Ihre Mutter ist in der großen Schneiderei arbeiten, deren Name das kleine Mädchen nicht aussprechen kann, und ihr Bruder befindet auf seinem Zimmer. Er hat Kopfweh gehabt. Ihr Bruder hat häufig Kopfweh und deswegen sind ihre Eltern schon häufig mit ihm beim Arzt gewesen. Ellie fehlt nichts. Sie ist fast nie krank und hat die Praxis von Mr. Steinmann erst einmal besuchen müssen!

„Ellie! Komm schon, du freches Gör, wo bleibst du denn nur?“ Das kommt aus dem Wohnzimmer und Ellie hüpft in Richtung der Stimme ihres Vaters.

Hal Thomson ist ein Mann, der für sein Leben gern zockt. Ellies Ma hat deswegen schon ein paar Mal geweint und hat dem kleinen Mädchen schluchzend berichtet, wo ihr Vater sich heute wieder herumgetrieben hat. Ellie versteht nicht viel von diesen Erwachsenenproblemen, außer dass ihr Vater das Geld, das ihre Mutter in der Schneiderei verdient, „zum Fenster raus wirft“ oder manchmal „im Ofen verfeuert“.

 

Dad, so hat ihre Ma es ihr erklärt, will eigentlich gar nichts gewinnen, nein, er will sehen, wie sie das Gleichgewicht wieder herstellt. Er scheint Ma arbeiten sehen zu wollen und reizt diese Gelegenheit schamlos aus. Ellie hasst es, wenn ihre Mutter den ganzen Tag arbeiten musst, aber „so ist das Leben“, wie Ma ihr allzu häufig vorhält.

„Er will erproben, wie lange ich uns halten und seinen Mist ausbügeln kann. Ist das zu glauben?“ Ellie konnte es nicht glauben, schließlich verstand sie es nicht einmal. Aber ihre Ma sah traurig aus und so drückte sie sie besonders fest, um sie zu trösten.

Und weil Ellie nichts versteht von dem, was mit ihrem Vater falsch läuft, geht sie ins Wohnzimmer. Und weil sie ihn liebt, geht sie trotz des unheimlichen Grinsens ihres Vaters und des strengen Geruchs zu ihm an die Couch. Er gibt ihr etwas in die Hand - eine Waffe! Ellie hatte davon gehört! Aber nur Gauner tragen Waffen! - und sagt ihr, was sie tun soll.

 

Vor einigen Tagen war Hal Thomson aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ma sagte, er hätte sich zu oft mit den falschen Leuten angelegt. Er konnte kaum laufen und schlief eigentlich die ganze Zeit auf der Couch im Wohnzimmer, weil Ellies Mutter bei seinem Schnarchen nicht schlafen konnte. Das hätte Ellie auch nicht gekonnt, sie wusste, dass ihr Vater sehr laut schnarchte!

Am Tag seiner Rückkehr hatten ihre Eltern sich heftig gestritten. Ma verbot Dad, je wieder zu zocken und er protestierte lautstark. Später hörten Ellie und ihr Bruder ein Klatschen und nach einer Periode der Stille dann das Kreischen ihrer Mutter. Ellie hatte sich die Ohren zugehalten und geweint und irgendwann war sie eingeschlafen. Da es danach so wurde wie immer, dachte sie bald, dass es doch nur ein böser Alptraum gewesen war. Weder ihre Ma, noch ihr Dad brachten den Vorfall je zur Sprache.

 

„So, Liebes. Nimm jetzt den Hebel und lege ihn zurück. Dann drückst du, so fest du kannst! Wenn es klickt, habe ich gewonnen, sonst gewinnst du. Alles klar?“ Ellie nickt. Sie ist nicht dumm und sie genießt es, dass sie von ihrem Vater gerufen worden ist. Irgendwie ahnt sie, dass sie etwas Verbotenes tun. Sie kichert leise und verstummt dann voller Erwartung.

„Bereit? Los!“ Sie drückt: Klick. Nichts. Heiße Luft. Ihr Vater schwitzt, aber sein Grinsen ist immer noch da. Diese gelben Zähne. Seine Augen funkeln. „Gewonnen, Liebes. Versuch es doch noch einmal.“ Sie tut es genauso wie letztes Mal und drückt ab. Klick. Ihr Vater wiehert vor Lachen und tätschelt mit einer schwitzigen Hand ihren Kopf. „Viel Glück beim nächsten Mal, Kleines!“

Sie kneift das linke Auge zu und wiederholte den Vorgang. Unbewusst beißt sie sich auf die Zunge und drückte den Abzug. Klick. „Wieder verloren, kleine Ellie, der Punkt geht an mich. Nun gib her.“ Er will ihr die Waffe aus der Hand nehmen, aber sie weicht zurück.

„Noch einmal, Daddy, in Ordnung? Ich will auch einmal gewinnen!“
Seine Augen weiten sich vor Ekstase und er beißt sich auf die Unterlippe, dass etwas Blut sein Kinn hinabfließt. „Meinst du … Du meinst noch ein viertes Mal?“

„Ja ein letztes Mal noch, bitte!“

„Nun gut, Schatz. Leg los. Bereit, wenn du es bist.“ Sein Mund ist vor Verzückung leicht geöffnet und seine Augen sind geschlossen. Mit den Händen greift er ihre Schultern und Ellie setzt zum letzten Mal an. Die Tür wird aufgeschlossen und da kommt ihre Muter herein und sieht zu spät, was im Wohnzimmer vor sich geht. Ellie spannt den Hahn und drückt den Abzug.

Von der Wucht des Schusses wurde sie nach hinten geschleudert. Das Geräusch war ohrenbetäubend, die Wirkung beinahe spektakulär. Das ungefähr ein Meter dreißig große Mädchen wird vom Gesicht bis zu den Knien mit dem Blut ihres Vaters besudelt, der vor inbrünstiger Überraschung schreit, wie auch seine Tochter schreit und sie beide gemeinsam ein grauenhaftes Duett des Schreckens abgeben. Dazu gesellt sich noch ihre Mutter, die kreischt und dem am Boden liegenden Mädchen die Waffe entreißt. Achtlos wirft sie diese beiseite und kümmert sich dann gar nicht mehr um Ellie.

„Hal … gütiger Himmel! Hal, sprich mit mir! Soviel Blut, mein Gott! Was ist nur passiert?“ Für Ellie wird die Welt langsam schwarz. Sie hört die Stimme ihrer Mutter nun wie durch Watte und ihre Lider flattern, als sie den kupfrigen Geruch des Blutes vermengt mit dem Rauch aus der Waffe, mit dem die Luft noch immer geschwängert ist, endlich zu realisieren beginnt. Sie fällt in Ohnmacht und es dauerte lange, bis sie wieder aufwacht. Und noch länger sollte es dauern, bis sie versteht, was vor ihren Augen geschehen ist ...

 

Ellie schlägt die Augen auf. Nicht mehr das kleine Mädchen, aber eine gebrochene Frau, ihre Worte nun ein Säuseln. "Howard hat ihn benutzt. Howard hat meinen Vater als Inspiration für seine Untiere verwendet. Meine Vergangenheit war für ihn eine Bestätigung seiner menschenverachtenden Ideologie. Und ich, ich habe mich ihm anvertraut ..." Sie sinkt in sich zusammen und bebt unter neuerlichem stummen Schluchzen. Wellen der Trauer, Wellen der Angst, Wellen der Enttäuschung.

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Ich umarme sie fest.

 

"Wein Ellie. Das wird dir gut tun. Es tut mir so leid, für was du erleben solltest."

 

Ich seufze leicht.

 

"Howard..ich habe sein Buch nicht gelesen..aber was du mir gesagt hast kannst du auch anders lesen..er hasst was dein Vater dir angetan hat. Er hasst ihn, und deswegen hat er ihn als Inspiration benutz..er wollte dich bestimmt damit nicht ausnutzen" Ich drücke sie.

"Es war seine einzige Möglichkeit, dich zu rechen...sein Hass auf ihn loszuwerden. Man sagt, die Schriftsteller schreiben um ihre Dämonen zu befreien. Ich glaube, sie schreiben, um sie auf dem Papier zu bannen. Um sie gefangen zu halten. verstehest du was ich meine?"

 

"Howard liebt dich, Ellie"

 

"Und dein Vater, ist jetzt eine Buchfigur, und kann dir nichts mehr antun..."

Edited by Nyre
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"Er hat sich über ihn lustig gemacht in seinem Roman, Faith. Ist das in Ordnung? Ich meine, kann ich das vor mir verantworten, dass er meinen eigenen Vater verspottet? Und wie er Menschen anguckt: Kann ich das tolerieren? Für ihn sind wir alle fehlerhaft, er eingeschlossen. Kann so jemand wirklich lieben?"

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..als würde ich was davon verstehen...

 

"Liebe hat mit Perfektion nichts, überhaupt nichts zu tun, Ellie. Du kennst ihn, du liebst ihn so wie er ist...Ich habe es in seinen Augen gelesen. Wenn Howard jemand je liebt, oder geliebt hat, das bist du."

 

Ich stehe auf, und gebe ihr ein Taschentuch.

 

"Ich finde, du solltest nach unten gehen, und allein mit ihm reden" ich lächele ermutigend.

"Reden ist der Schlüssel"

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Sie wischt sich die letzte Träne von der Wange und - ist das ein Lächeln? - wirkt nun zuversichtlicher. "Du bist eine gute Freundin, Faith. Ich wünschte, du wärest immer da gewesen, wenn ich Kummer hatte." Sie steht auf und geht zur Tür. Dort dreht sie sich noch einmal um. "Danke.", flüstert sie und begibt sich nach unten.

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Ich gehe in meinem Zimmer, und packe meine Sache aus. Dann setze ich mich aufs Bett, und schaue mich um. Ich warte da, ohne etwas zu machen.

 

Warum hat er Erikson Namen gerufen, als den Brief kam?

 

Hektor springt aufs Bett. Ich lächele ihn an.

 

Hoffentlich ist Dr. Cypher mit Alice fertig. Ich stelle sie mir gerade vor, als schläfe sie.

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Eine Weile geschieht nichts. Du richtest dich ein wenig ein und lauschst dem rhythmischen Prasseln des aufgekommenen Regens. Schließlich vernimmst du das Knarren von Stufen. Es klopft zweimal, dann öffnet sich deine Tür. Es ist Howard, der in der Hand eine dampfende Tasse hält.

"Hören Sie", beginnt er und weiß nicht recht, ob er lächeln soll oder nicht. Seine Augen sind jedoch fest auf dich gerichtet. "Sie haben Ellie sehr geholfen, haben mir geholfen. Sie müssen denken, ich sei abstoßend. Jedenfalls tut es mir leid, ehrlich, es kommt von Herzen. Wissen Sie, ich konnte sie nicht einfach ziehen lassen. Diese Sache, alles, gefällt mir gar nicht. Wenn dann noch die Vorahnung kommt, dass Männer wie Johnson mit Ihnen ziehen könnten, packt mich der Abscheu. Naja, hier ist jedenfalls ihre Tasse Kakao. Sie ist kalt geworden, da habe ich Sie Ihnen wieder warmgemacht." Nun lächelt er, flüchtig. Er ist geschafft. Zu viel ist für einen Abend passiert. "Passen Sie auf Ellie auf.", sagt er traurig. "Wenn ihr etwas geschieht, könnte ich mir das nie verzeihen." Er senkt den Blick und macht Anstalten, die Tür zu schließen.

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"Ellie ist eine starke Frau. Aber selbstverständlich werde ich auf sie aufpassen, Mr. Wilde" ich lächele auch milde.

 

"Ich finde Sie nicht abstossend. Ich kenne Sie kaum." Ich nicke leicht, und hebe die Tasse.

 

"Es schmeckt gut, danke."

 

"Machen Sie sich nicht zu fertig Howard. Sie können nicht das ganze Elend der Welt auf ihre Schulter tragen"

 

Dann schüttele ich leicht den Kopf, und lache kurz.

 

"Ach was, Sie werden es sowieso versuchen".

 

Das mache ich schliesslich auch.

 

"Ignorieren Sie mich, und geniessen Sie den Abend mit ihr. Ich bleibe hier, und lege mich bald hin.."

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"Es ist mein Schicksal, krank zu sein und krank zu machen. Es tut weh, aber wenigstens sehe ich dafür das Unheil." Er dreht sich um. "Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Sie haben ein gutes Herz, Faith, lassen Sie sich das nicht nehmen." Dann schließt er die Tür.

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Ich mache mich langsam Bettfertig, auch wenn es noch so früh ist. Bevor ich schlafen gehe, gehe ich kurz zum Telefon, und rufe im Krankenhaus an.

 

Ich nehe mir eine Woche Urlaub. Sie sagen mir, es sei dann unbezahlt.

 

Ich sage es sei in Ordnung.

 

Man hat nie eine Wahl.

 

Man hat immer eine Wahl. Die Wahl, keine zu haben, ist auch eine.

 

Ich lege mich aufs Bett, und schlage das Buch auf, das ich mitgenommen habe.

 

Die Abenteuer von Sherlock Holmes. Ich lese es ein letzes Mal.

 

Denn bald, werde ich es ihr verschenken. Damit ihre Reise schöner wird.

Edited by Nyre
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Ich schliesse das Buch. Meine Augen brennen etwas. Draussen regnet noch. Es ist still, und ich höre, und spüre Hektor. Er schnurrt.

 

Ich schaue die Uhrzeit.

 

23.59 Eine Minute vor Mitternacht. Ich seufze, und mache die Lampe aus.

 

Gutenacht, Hektor.

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Schnurren so sanft und weich. Er legt sich auf deine Brust, schläft, genießt deine Präsenz, solange sie noch weilt.

 

Dann: "Pssst. Faith." Was, wer? Alices Stimme? Ein Traum, es muss ein Traum sein. "Riechst du das ...?" Scharf, stechend, blumig? Was ist das? Du kennst diesen Geruch! "Riecht wie ... wie ... was ist das?" Eine Hand, bleich wie die einer Toten, legt sich auf deine eigene. Weilt. "Es ist ein Geheimnis und wir müssen es herausfinden. Gemeinsam. Vergiss die verdammte Neunzehn. So ein Unfug. Was zählt, bist du. Du bist ein Mensch. Und ein Mensch ist keine Zahl. Ich bin auch keine Zahl. Ich bin tot. Und das tut mir wahnsinnig leid, Faith." Ein Kuss, ein Hauch, auf deiner Stirn. Ach könntest du sie sehen. Dich regen. Doch wenn du dich bewegst, wird Hektor wach und der Traum endet.

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