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Neoanarchismus - die Identitäre Bewegung der 2050er?


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Ich lese periodisch immer mal wieder Klassiker der SR-Romane. Gerade ist es Spielball der Nacht. Der Prolog beschreibt dabei ein Mitglied der Revenants, eines neoanarchistischen Policlubs, der insgeheim von Alamais kontrolliert wird, wie er durch das Inferno geht und über sich und die Bewegung sinniert (und dann stirbt). 

 

Interessant ist, was er sich an Ideologie der Revenants durch den Kopf gehen lässt. Leicht paraphrasiert: 

 

"Europas glänzende Vergangenheit ist heute vergessen. Die Technologie hat die Unterschiede zwischen den Nationen verwischt, Sprachchips haben die Grenzen geschwächt und die Eurokriege haben sie völlig zerstört. Die Restauration [der EU durch Lofwyr] mag die europäischen Länder und Völker materiell wiederaufbauen, aber sie vernichtet sie kulturell. Wenn alle nationalen Grenzen fallen, ist dies gleichbedeutend mit dem Wegfall aller Einfuhr- und Ausfuhrzölle. Es ist gleichbedeutend mit der Verfügbarkeit über ein riesiges Reservoir billiger Arbeitskräfte. Und es ist gleichbedeutend mit dem Ende der dreitausendjährigen Geschichte dynamischen sozialen Ausdrucks. Eine radikale Politik der Rückkehr zum Nationalstaat ist die einzige Hoffnung für die Rettung des Individualismus, der Einzigartigkeit der vielen Völker des Kontinents." 

 

Das ist ein Manifest der Identitären Bewegung. Und die ist weder neo noch anarchistisch. Das bringt für mich die Frage auf, wie braun der Neoanarchismus eigentlich war (ist), und mit was für Gruppen sich Alamais (der Putin von Shadowrun?) da umgeben hat. 

 

Discuss. ;)

Edited by Richter
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Alamais hat auf alles zurückgegriffen, was radikal war, und sich gegen Lofwyr instrumentalisieren ließ (Nationale Aktion in der ADL und die Black Sun-Elfen-Only-Terroristen im Post-revolutionären Tír Tairngire inklusive). - Dem waren Faschisten ebenso recht, wie Links-extreme. - Ihm ging es nur darum, seinen Gegnern Ärger zu machen, und sie gegeneinander zu hetzen.

 

Der von Dir zitierte Text ist übrigens von Tom Dowd, der unter den SR-Autoren der ersten Stunde war, und eigentlich einen guten Ruf genießt.

Edited by Karel
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Also der Prolog ist der Text von Rex Tremendae, offenbar war die Kurzgeschichte ein Auszug aus Night's Pawn (übrigens "Handlager der Nacht" anstatt "Spielball" ;)):

 

http://web.archive.org/web/20070107143909/http://shadowrunrpg.com/fiction/fiction2.shtml

 

But I knew that our magnificent past had all but vanished from mind, as though it had never been. Technology had blurred the differences between nations, and chipped languages had destroyed Europe.

 

The Restoration may have revived our lands and our people physically, but it had almost totally destroyed us culturally. Worshipping the grail of unrestricted growth, the Euro-corps were the driving force behind this so-called Restoration. Erasing the national boundaries meant no more import/export tariffs. It meant the availability of vast pools of cheap labor. It also meant death to 3,000 years of dynamic social expression. That was why I believed that radical politics and a return to nationalism and radical politics were our only hope for rescuing the individualism, the uniqueness of our many peoples. The Neo-Europe District of the Global Village must never come to pass.

Was mir auffällt, das ist im Gegensatz zum deutschen Text in der Vergangenheit geschrieben. Es ist eine Erinnerung an die Vergangenheit ("That was why I believed"), an den Zeitpunkt also die Restauration begann.

 

Dann wäre die Frage ist anarchistisch eine Fremdzuschreibung oder bezeichnen sich Revenants selbst so? Im ersten Fall könnte ich mir vorstellen, dass in der Sechsten Welt Anarchismus immer noch genauso falsch verstanden wird wie heute. Zumal vermutlich Berlin oder jedenfalls die Auswüchse dort das Bild geprägt haben werden. Hat wahrscheinlich nicht geholfen.

 

Oder vielleicht muss man eine Logik wie "man muss die Nation aufbauen, um sie zu zerschlagen" ähnlich sehen wie "das Dorf niederbrennen, um es zu retten". :P

 

Siehe auch die nächsten Zeilen:

 

The policlubs had been born from the urgency many felt for another kind of Restoration. We, too, wanted to rebuild Europe, even if it meant a return to more contentious times. Ours would not be a Europe homogenized for mass consumption. For better or worse, it would be a Europa Dividuus.

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Also der Prolog ist der Text von Rex Tremendae, offenbar war die Kurzgeschichte ein Auszug aus Night's Pawn (übrigens "Handlager der Nacht" anstatt "Spielball"  ;)):

Auf meiner 1993er Hayne-Erstausgabe steht ganz klar "Spielball der Nacht". Vielleicht wurde das nachträglich in einem anderen verlag (FanPro?) verändert?

 

Die Präsenzform habe ich paraphrasiert (das ist kein allzu sauberes Zitat), es bezieht sich aber nicht auf eine vergangene Restauration sondern ist der Erzählform geschuldet. Der revenant ist jedenfalls zum Zeitpunkt von dem erzählt wird aktiv im Kampf gegen die Restauration. Sie ist angesichts der Tatsache dass der (im Englischen sogar ein 1st Person-Erzähler) am Ende gegessen wird ein wenig seltsam platziert.

 

Dann wäre die Frage ist anarchistisch eine Fremdzuschreibung oder bezeichnen sich Revenants selbst so? Im ersten Fall könnte ich mir vorstellen, dass in der Sechsten Welt Anarchismus immer noch genauso falsch verstanden wird wie heute. Zumal vermutlich Berlin oder jedenfalls die Auswüchse dort das Bild geprägt haben werden. Hat wahrscheinlich nicht geholfen.

 

Nein, hat es bestimmt nicht. Und am Rand des politischen Spektrums sind die Ansichten ja auch weithin kompatibler als vorgeschoben wird, wie man durchaus an rezenten politischen Aktivisten und Parteien sehen kann. Ich finde es aber schon interessant wie hier Anfang der 90er ein Konflikt, der knapp 30 Jahre später tatsächlich stattfindet, vorweggenommen wurde.

 

Im London-Buch wird auch ein Anschlag pro-Europäischer Terroristen (auf die nie fertiggestellte Kuppel der City of London) namens Pan Europa postuliert - offenbar war ein Konflikt zwischen Pro-europäischen Internationalisten und Neonationalistischen Kräften von Rechts wie Links im frühen Shadowrun durchaus ein Thema. Und nachdem ein Bernie Bro gerade versucht hat ranghohe Republikaner zu erschießen, warte ich nur auf die ersten militanten Remoaners. 

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Ich habe den Text nicht mehr vor Augen, es ist sicherlich 10+ Jahre Her, dass ich Ihn gelesen habe, aber wenn der Hauptchar gegen die Restauration kämpft, dann ist das doch Anarchisch, oder?

 

So erstaunlich finde ich das nicht, dass die Anfang der 90er das Thematisiert haben, denn das ist DAS Thema, der Rechten Weltweit. Globalisierung als Verlust der kulturellen Identität. Das haben die schon im 3. Reich erzählt (mit den Juden als Sündenböcken), in den 90ern waren es die Geflüchteten aus Jugoslawien und heute die aus Syrien und Afghanistan. Man bemerkt einen roten Faden, oder?

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Auf meiner 1993er Hayne-Erstausgabe steht ganz klar "Spielball der Nacht". Vielleicht wurde das nachträglich in einem anderen verlag (FanPro?) verändert?

Der Titel ist richtig. Ich wollte nur sagen, in der Übersetzung haben sie die Bedeutung verändert.

 

Sie ist angesichts der Tatsache dass der (im Englischen sogar ein 1st Person-Erzähler) am Ende gegessen wird ein wenig seltsam platziert.

Hm, ja stimmt die Person des Erzählers ist auch anders. Komisch normalerweise nimmt sich bei Übersetzungen nicht soviel Freiheiten. Muss man vielleicht mal vergleichen, ob Rex Tremendae wirklich identisch mit dem Text in Night's Pawn ist. Die Zeile "The Neo-Europe District of the Global Village must never come to pass." scheint auch nicht in der deutschen Übersetzung zu sein oder hast du die weggelassen?

 

Europäische Restauration: Hier wurde später Retcon betrieben. Im Geschichtskapitel von Shadows of Europe gibt es den Abschnitt "European Restoration". Das war eine Bewegung noch vor den Eurokriegen und sie ist gescheitert. So wie es Tom Dowd hier meint, sollte es glaube ich der Wiederaufbau Europas nach den Eurokriegen sein.

 

Das ist übrigens der Abschnitt mit dem Brexit. ;)

 

Even half-hearted attempts to breathe some life into the EU ensued. This option was bolstered, strangely enough, by the UK abandoning the Union. A long-time naysayer of pan-European policy was suddenly gone, and the remaining members finally had the quorum to try to revitalize the organization.

Edited by Loki
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Die Zeile "The Neo-Europe District of the Global Village must never come to pass." scheint auch nicht in der deutschen Übersetzung zu sein oder hast du die weggelassen?

Weggelassen. Sie besagt: "Das neu-europäische Viertel der globalen Metropolis durfte nicht gebaut werden". Der Prolog ist allerdings recht ungeschickt in die 3rd Person überführt worden (Er statt Ich). 

 

Europäische Restauration: Hier wurde später Retcon betrieben. Im Geschichtskapitel von Shadows of Europe gibt es den Abschnitt "European Restoration". Das war eine Bewegung noch vor den Eurokriegen und sie ist gescheitert. So wie es Tom Dowd hier meint, sollte es glaube ich der Wiederaufbau Europas nach den Eurokriegen sein.

 

Naja, die Restauration als Wiederaufbau nach den Eurokriegen wurde ja effektiv schon mit dem DidS, das firm im Klein-Klein der Bonner Republik und ihrem miefigen Selbsthass verankert war, gestrichen. Schade eigentlich, zumal die deuten Autoren der Zeit andere Ideen (Emirat Kreuzberg, Türkensturm auf dem Balkan) ja durchaus aus Der Letzte Detektiv übernommen haben; eine VSE wäre durchaus interessanter als "wir tun so als würde das Spätmittelalter nochmal passieren und wissen von Ostdeutschland vor allem dass es das irgendwo im Osten gibt". 

 

Even half-hearted attempts to breathe some life into the EU ensued. This option was bolstered, strangely enough, by the UK abandoning the Union. A long-time naysayer of pan-European policy was suddenly gone, and the remaining members finally had the quorum to try to revitalize the organization.

Das ist aus London?

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Even half-hearted attempts to breathe some life into the EU ensued. This option was bolstered, strangely enough, by the UK abandoning the Union. A long-time naysayer of pan-European policy was suddenly gone, and the remaining members finally had the quorum to try to revitalize the organization.

Das ist aus London?

Nein, aus genau diesem SoE-Abschnitt "European Restoration". Die Wiederbelebung der EU war einer der Versuche der europäischen Nationalstaaten dem umfangreichere Restaurationsprojekt (das auf einen Europäischen Einheitsstaat hinausgelaufen wäre) das Wasser abzugraben.

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Im Neo-Anarchist's Guide to Real Life (oder wars to North America?) war eine Abhandlung zu den Prinzipien des Neo-Anarchismus, die es leider nicht in die deutsche Übersetzung geschafft hat. Ich hatte den Text mal für die Shadowhelix übersetzt und er befasst sich praktisch ausschließlich mit den ökonomischen Aspekten. Die stehen 2050 wie heute konträr zur oben beschriebenen Forderung nach der Erhaltung der Nationalstaatlichkeit. Wie im übrigen in den meisten, wenn nicht sogar fast allen anarchistischen Strömungen. Die sind grundsätzlich internationalistisch, oder zumindest antinationalistisch – da Nationalstaat nur eine Ausprägung der abgelehnten Herrschaftsstrukturen – ausgeprägt. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch nationalistisch geptägte Strömungen wie dem Anarcho-Nationalismus (oder Nationale Anarchisten), die sich allerdings lediglich am Begriff des Anarchismus bedienen zum Zwecke der Querfrontbildung gegen die parlamentarische Demokratien. Diese Strömungen erwachsen auch nicht aus linken Kreisen sondern aus rechten, zumeist sogar ursprünglich faschistisch geprägten Szenen (Stichwort: Autonome Nationalisten, Nationale Globalisierungsgegner). Die Identitären heute bedienen sich ähnlichen Mechanismen wie Autonome Nationalisten und Co. Sie vereinnahmen Codes des politischen Gegners oder anderer politischer Bewegungen (bspw. den Aktionismus von Greenpeace oder Sea Shepherd) sowie Stilelemente aus anderen Jugendkulturen um einen gesellschaftlichen Anschluss zu konstruieren und über eine vermeintliche Querfront eigene Inhalte salonfähig zu machen. Insofern kann es durchaus sein, dass es vergleichbare Gruppen in 2050+ gibt. Es kann aber genausogut eine nicht konsensfähige Erklärung einer einzelnen, sich selbst als neoanarchistisch bezeichnenden linken Gruppe sein oder gar nur eines einzelnen Autoren. Innerhalb des linken Spektrums gibt es ähnliche Ausfälle, bspw. im sozialistischen oder kommunistischen Lager (ganz aktuell in Form von Äußerungen von Wagenknecht und Lafontaine).

 

Andere Strömungen wie der Anarcho-Kapitalismus bedienen sich ebenfalls am Begriff Anarchismus um damit eigene Ziele zu verfolgen. Deren Fokus liegt ebenfalls auf wirtschaftliche Mechanismen, es wird im Gegensatz zum Neo-Anarchismus aber keine gleichmäßige Verteilung von (Produktions)gütern angestrebt sondern der Aspekt Anarchie, sprich Herrschaftslosigkeit, bezieht sich hier einzig auf das Nichteingreifen staatlicher Instutionen in den Markt. Also zügelloser, vermeintlich sich selbst lenkender Kapitalsmus. Daher eine liberale, keine libertäre Ideologie. Insofern muss nicht alles, was den Namen "Anarchismus" trägt auch tatsächlich auf den Grundwerten der herrschaftsfreien Gesellschaft fußen.

 

Regional bezogen gibt es allerdings anarchistische Strömungen, die zumindest bedingt nationalistisch auftreten, etwa in Form eines selbstverwalteten Autonomiegebietes in Abgrenzung zum restlichen Staatsgebiet. Je nachdem wie stark der Fokus hier auf die regionale bzw. lokale Abgrenzung liegt, käme das Endergebnis einem neuen Nationalstaat gleich und ist insoweit als nationalistisch geprägt, zu werten. Dazu wird in Teilen die baskische Seperationsbewegung gezählt. Ab hier muss man dann aber stark zwischen einzelnen Protagonisten differenzieren. Während einige die quasinationalen Gebietsanspruch als Ziel definieren, sehen viele andere die Formung eines Autonomiegebietes nur als Mittel zum Zweck um darin eine anarchistische Gesellschaftsordnung frei von staatlichen Zwängen praktizieren zu können (der Gebietsanspruch ist also lediglich der Tatsache geschuldet, dass dieser Freiraum von Nationalstaaten geografisch eingeschlossen ist und gegen jene verteidigt werden muss).

Edited by fexes
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ebenfalls ist der Komplex Propaganda aka gelogen wie gedruckt nicht zu unterschätzen.

 

jemand, der (noch) nicht im Besitz "der Macht"TM ist (ob reale Macht, Titel, Insignien etc.pp), diese "Macht" aber gerne hätte, muss zwangsläufig die alten Machtinhaber verdrängen.

In der Demokratie, indem er sich als bessere Alternative präsentiert und gewählt wird.

 

alle anderen, indem sie ihren Machiavelli lesen oder aber "moderner", sprich politischer, vorgehen.

Eine Variante ist nun mal:

Untergrabe die alten Machtinhaber samt ihrer Herrschaftsstrukturen und kleide dich ins "edel Gewand des hehren Freiheitskämpfers", nur um am Ende der "Lordwächter der Herrschaftslosigkeit" zu sein.

Dazu noch eine Prise AnarchismusTM als Propagandagedöns zur Verschleierung "der neuen Machtausübungsmechanismen", den je verschleierter die Machtausübungsmechanismen, desto schwieriger für den nächsten Machthungrigen, diese zu überwinden.

 

wenn es also auf den Gegensatz Anarchie zu etablierte Herrschaftsstruktur hinausläuft, dann ist es folgerichtig, dass die jeweiligen Säulen der etablierten Herrschaftsstruktur gespiegelt werden müssen.

Herrschen engstirnige Nationalstaaten, dann geht das Propagandagedöns in Richtung Internationalismus

Herrschen supranationale "Vielvölkergefängnisse", dann geht das Propagandagedöns in Richtung "nationale Selbstbestimmung"

Herrschen Klüngelrunden-Kommissare aka "Expertodiktatur", dann geht das Propagandagedöns in Richtung "wir sind das Volk"

 

ich halte es nicht für zielführend, Propagandagedöns solcher Gegenbewegungen für eine konsistente Ideologie nach messerscharf farb/richtungs-sortierenden Soziologieraster des ja auch selber ideologisch vorbelasteten (eigene Meinung hat ja jeder ;) ) Professor Elfenbeinturms zu behandeln.

Mir reicht die Größe "gut getarnter Machthunger von skrupellosen Einzelpersonen" und "Propaganda dient zum Anlocken der Massen".

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