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[Bühne in Weiß] Kapitel 2: "Im hohen Gras" (NP)


Blackdiablo
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'An einem Morgen im Herbst, an dem raschelnde Häuflein bunten Laubes vor den Füßen der Passanten tollten, die Sonne ihr gedämpftes Licht durch die Wolken stieß und die Kälte die dumpfe Ankunft des Winters verkündete, da begann die Vergangenheit den Kreis zu schließen. Ein subtiler Hauch, mehr bedurfte es nicht, ein Hauch, der Erinnerungen in Fleisch festigte, ein Hauch, den Johnson kannte. Er sah sich um und versuchte herauszufinden, woher zum Teufel dieser Geruch kam. Waschlauge. Ja, es war eindeutig Waschlauge. Der Geruch drang von einem der archaischen Herrenhäuser, für die die Baker Street berüchtigt war. Er blieb stehen und rieb sich die klammen Hände. Waschlauge.'

 

- "Johnson"

 

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Arkham, Massachusetts, Vereinigte Staaten von Amerika

2.11.1928

 

[Faiths Eintritt aus dem Nebenplot: "Der Abend danach"]

 

Der Taxifahrer spricht nicht viel. Er ist müde, du bist ihm dankbar. Du hast über vieles nachzudenken. Du saßest mit dem Menschen zusammen, der deines zerstört hatte. Er hat dich nicht einmal erkannt. Du warst ihm eine Fremde - ob er bereut hätte, wenn er die Gelegenheit bekommen hätte? Wieder glaubst du, weinen zu müssen. Das Leben ist ungerecht. Vor allem zu denen, die ohnehin schon am Boden liegen.

 

Du bist so tief in deinen Gedanken versunken, dass du gar nicht merkst, wie der Wagen anhält. "Wir sind da, Ma'am. Hier fängt die Baker Street an. Wenn Sie eine Adresse hätten, könnte ich ..."

Du schüttelst den Kopf, gibst dem Mann sein Geld und steigst aus. Er kurbelt das Fenster herunter: "Ist eine üble Gegend hier! Sind Sie sicher, dass Sie alleine gehen wollen?"

"Ja", hauchst du und tust deine ersten Schritte. Bist du wirklich allein? Oder schaut Johnson auf dich herab? Mistkerl!, denkst du dir.

 

Rechts von dir befindet sich ein Meer aus nickenden Grashalmen, die vom Mond beschienen werden. Ansonsten ist es dunkel. Links von dir stehen verfallende Häuser, eher verbarrikadierte Ruinen. Da wirst du mit Sicherheit nichts finden. Es regnet nicht.

 

Nun erinnerst du dich an Alices Traum, von dem sie dir erzählt hat. Die Wiese, der Mann, die -

"Die Balken", murmelst du und erkennst tatsächlich einige hundert Meter entfernt die modrigen schwarzen Balken, die wie die Rippen eines erlegten Tieres aus dem Grasfeld herausragen.

 

Dort wird die Vergangenheit den Kreis geschlossen haben.

Edited by Blackdiablo
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Ich gehe dahin, wortlos. Ich schaue mich nur ab und zu um.

Ich hoffe zu verstehen, warum er das getan hat. Samuel hatte keinem was angetan.

Er war ein guter Mann.

Edited by Nyre
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Du betrittst das Grasfeld und es ist, als umwalle dich ein mysteriöser Hauch. Waschlauge. Das ist es, aber warum ...?

 

Die Halme streicheln deine Haut, du bist ihnen willkommen, sie wollen, dass du weißt ... Was weißt?

 

Sie wachsen höher, so fühlt es sich zumindest an und ragen schon bis an deine Schultern, als müsstest du bald ertrinken. Du bist das Mädchen (Trudy) in der Wanne, nein, du bist Alice, nein, du bist ... du bist jemand, der diesen penetranten Geruch nicht aus der Nase kriegt.

 

Das Bild eines von Schaum bedeckten Fliesenbodens blitzt in deinem Verstand auf. Zwei Hände mit einem trockenen Lappen, die erbarmungslos darüber schrubben und jeden Schmutz aus jeder Pore zu tilgen gesuchen. Platsch. Sie tauchen den Lappen in einem Blecheimer. Dann malträtieren sie wieder den Boden und eine Flut aus beißenden Gerüchen umspielt deine Nase.

 

Du bist wieder im Grasfeld. Zwanzig Meter vor dir die Balken. Du bist Faith.

 

Der Wind säuselt durch das Gras. Ein Seufzen, ein Klagen. Komm näher.

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Du näherst dich dem Kreis der Balken, als eine neuerliche Szene in deinen Verstand gespült wird.

 

Die Hände von eben sind im Waschbecken, pumpen Wasser mit einem Hebel, schrubben, wischen verziertes Porzellan. Deine Sicht wird größer, dreht sich, dann siehst du, dass es sich bei dem Raum um eine Küche handelt. Die Hände gehören einer Frau mit leicht ergrauten Haaren. Sie trägt eine geblümte Schürze. Du siehst ihren Rücken und folgst ihrem Blick. Da steht er. Johnson. Als Kind steht er dort, Blut im Gesicht und Blut an den Händen. Er stolpert, fängt sich, rennt zu ihr, zu seiner Mutter.

„Ma, … komm, komm ganz schnell mit …! Es ist Jackson, Ma, komm bitte! Es .. es ...“ Er wischt sich über das Gesicht und als er realisiert, dass sie voller Blut sind, kreischt er erstickt auf und beginnt seine Mutter mit sich zu ziehen.

„Robbie, bei Gott, was ist denn los?“, ruft sie etwas schroffer als angebracht. Er wendet sich zu ihr um.

„Sieh doch nur!“, kreischt er. „Sieh mich an! Ma, sieh mich an!“

Einen Moment herrscht Stille, dann bricht der Sturm los. Zack. Eine Ohrfeige. Zack, eine zweite, von der sein Kopf in den Nacken geworfen ist. Hysterisch und Rotz und Blut atmend kriecht er von ihr weg. "Was erlaubst du dir? Mich so zu erschrecken wegen Nichts! Wegen NICHTS! Fast dachte ich, du seiest verletzt, Robbie, willst du, dass ich mir Sorgen mache? Willst du das? Ja, ja? Wenn du das willst, bist du auf dem richtigen Weg." Während sie spricht, siehst du plötzlich, dass sich kein Blut auf dem Gesicht und auch nicht auf den Händen des Jungen befindet. Nichts. Eine Illusion. Ein Trugbild. Und trotzdem dieser Geruch als sie ihn hochzieht, nah an ihr Gesicht. Waschlauge, sie lässt seine Augen erst wirklich tränen, Waschlauge, sie brennt in seinen Nüstern, Waschlauge, sie ist der Hauch was war. "Jetzt geh auf dein Zimmer, Robbie. Meine Geduld ist am Ende." Sie streicht ihm groteskerweise einmal über den Kopf und gibt ihm dann einen Klaps auf den Rücken. Mit zitternden Beinen taumelt er aus der Szene.

 

Du bist wieder im hohen Gras. Vor dir die Balken. Waschlauge liegt in der Luft.

"Warum bist du hier?" Ein Junge, Robbie, vielleicht zwölf Jahre alt. Du siehst nur seinen Kopf über dem Gras. "Du solltest nicht hier sein."

Edited by Blackdiablo
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Ich erstarre.

 

Illusion? Träume ich? Wahrscheinlich. Und was macht man im Traum? Einfach weiter, bis man wach wird.

 

"Ich bin hier, um zu verstehen." sage ich ernst, doch nicht böse. Das ist doch ein Kind. Eine Erinnerung. Die Erinnerung eines Geistes?

 

"Ich will verstehen, warum" betone ich.

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"Ich auch.", sagt das Kind. "Das will ich auch."

 

Aus der Dunkelheit schält sich ein Schwarm von Vögeln, die aufgeregt im Kreis fliegen. Ein einzelner von ihnen löst sich und fliegt auf Robbie zu. Als er sich über ihm befindet, siehst du, dass sein Gefieder von Blut besudelt ist. Der Schwarm fliegt hinfort. Der einzelne bleibt. "Die Sperlinge fliegen wieder.", murmelt der Junge. Sein Gesicht färbt sich tropfenweise mit dem Blut, das von den Flügeln des Vogels spritzt. "Ich bin" Dann ist Robbie plötzlich der Mann, den du kennenglernt hast. Der er werden wird. Johnson "Ich bin allein." Er öffnet seine Hand und mit nicht wenig Überraschung siehst du, wie der Vogel auf der fahlen Handfläche landet. Die Knopfaugen des Tiers mustern dich neugierig.

Edited by Blackdiablo
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"Ich habe ihn nicht umgebracht. Ich bin nicht sein Mörder." Waschlauge. Überall. "Ich bin ihm nie begegnet. Nie."

 

Er zeigt dir eine Szene. Will er das oder muss er ...? Jedenfalls erlebst du die Szene an seiner statt. Wieder bist du dort. In der Küche. Zu einer anderen Zeit. Er ist erwachsen.

Die Ärmel ihrer Arbeitsklamotten sind hochgekrempelt, die Haare strähnenweise in ihr verhärmtes Gesicht fallend. Auf beiden Knien schrubbt sie den Küchenboden und niemals sind ihre Worte erbarmungsloser gewesen als an jenem fröhlichen Frühlingstag: „Robbie, geben und nehmen! Hörst du den Unterschied? Geben und nehmen! So schwer ist es doch nicht! Als ich in deinem Alter war, da habe ich das Dreifache deines Lohnes gehabt und trotzdem hatte ich noch genug Zeit für meine Familie! Immer habe ich gegeben und du hast immer brav genommen!“ Ihre Predigt verstummt einen Augenblick, als sie den Lappen in den Wascheimer taucht. Ein übelkeiterregender Gestank von Waschlauge steigt Johnson in die Nase, lässt seine Augen tränen und betäubt sein Denken. Es erinnert ihn an etwas aus seinem Unterbewusstsein. „Ja, du kannst uns ernähren, aber, Robbie, ist es wirklich zu viel verlangt, wenn ich mich einmal nicht mit dem Mindesten abfinden müsste? Ja, ist das zu viel, sag schon?“

Rob sieht zu Boden und ballt beide Fäuste. „Ma, ich gebe mein Bestes.“

„Dein Bestes?“, höhnt sie, „Sein Bestes, sagt er. Na das überrascht mich aber sehr! Du bist ein Versager! Ja, du bist ein Versager!“ Sie beginnt nun intensiver zu schrubben und mit ihren arthritisgekrümmten Fingern streicht sie sich eine einzelne grau blonde Strähne aus dem Gesicht, während sie einen besonders hartnäckigen Fleck am Boden fixiert.

„Sprich nicht so mit mir!“, stößt er hervor, was ihn überrascht, denn der beißende Gestank der Waschlauge vereinnahmt immer mehr seinen wachen Verstand. Klar denken wird unmöglich. Sie reckt ihre linke Hand drohend empor, selbstverständlich die Hand, die den schmutzigen Lappen fest umklammert.

„Ich habe alles Recht auf Gottes weiter Erde, so mit dir zu sprechen, wie ich will! Und ich verlange mehr Respekt, Robbie, oh ja, das tue ich!“ Der Schwall der widerwärtigen Ausdünstungen trifft ihn ebenso scheußlich, wie auch ihr Tonfall, der wie glühendes Eisen durch seinen gesunden Menschenverstand schneidet.

„Schließlich“, sie wendet sich wieder dem Küchenboden zu und setzt voller Hohn und ersichtlicher Schadenfreude zum finalen Schlag an, „ist dein Vater wegen dir abgehauen, Robbie, das vergiss mir mal nicht. Wegen dir, Robbie.“ Sein Sichtfeld verschwimmt, wird unscharf. Er hält es nicht mehr aus. So einen Gestank hält niemand aus!

Vielleicht hat sein Verstand für einige Zeit abgeschaltet, denn als er wieder zu sich kommt, da liegt sie in einem aufschäumenden Teich der Waschlauge, der sich zusehends blutrot verfärbt. Fast apathisch sieht er sich zum Telefon eilen. Die Glieder allesamt gefühllos. Stumpf berichtet er der Polizei, wie er seine gestürzte Mutter gefunden hat.

 

Wieder zurück im hohen Gras. "Hier.", murmelt er und hält dir etwas hin. Fleisch? Ein Blutklumpen? Nein, es handelt sich um eine Erdbeere. Eine duftende Erdbeere. Sehr verführerisch. Lieblich. "Iss sie, dann verstehst du. Liebe ist wie diese Erdbeere."

Edited by Blackdiablo
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Gerade als das Fruchtfleisch deinen Gaumen trifft, breitet sich gärende Fäulnis in deinem Rachen aus, übelkeitspeiender Ekel durchläuft deinen gesamten Körper. Die einst so perfekt aussehende Erdbeere, die verführerische, reizende, war längst verdorben.

 

"Irgendwann", flüstert Johnson, während du versuchst den Geschmack aus deinem Mund zu würgen. "War ich es leid, der Versuchung zu erliegen." Er hält dir eine zweite Frucht hin und als du voller Abscheu merkst, dass du der scheinbaren Perfektion ein weiteres Mal erliegst, als du nicht mehr widerstehen kannst und ein zweites Mal wider besseren Wissens zugreifen möchtest, da ballt er die Hand zur Faust und zerquetscht die Frucht. Das Fruchtfleisch quillt ihm zwischen den Fingern hervor und gemahnt nicht nur vage an Blut. "Verstehst du? Irgendwann war Schluss. Irgendwann musste der Kreislauf durchbrochen werden. Und als ich das tat, verfing ich mich in einem anderen. Das Leben ist voll davon. Du musst sie nur erkennen. Dann gibt es nur einen Weg." Er formt seine rotgefärbte Hand langsam zu einer Pistole. Er hält sie sich an die Schläfe und nimmt sie dann wieder herunter.

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"Ich kenne deinen Mann nicht! Faith, ich habe ihn nie getroffen! Nie! Versteh das doch! Sie war eine Sache, aber er? Warum sollte ich ihn töten? Ich kenne ihn nicht! Und ich wollte sie nicht töten, was hatte ich für eine Wahl? Ich habe keine gehabt. Sie hat mir keine gegeben. Jackson hat mir keine gegeben. Ich musste es" Einen kurzen Augenblick meinst du, weiße Fäden an Johnsons Erscheinung ausmachen zu können. Eine Puppe, an wessen Fäden? "beenden. Für mich. Es hörte dort auf, wo es anfing. Der Kreis war geschlossen und ich war draußen."

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"Er ist hier, hörst du, Benjamin Robi Jackson ist hier und er hat mir gesagt, dass ..."

Eine Hand legt sich auf deine Schulter. "Miss Holmes? Was machen Sie hier?" Es ist seine Stimme. Du schaust in seine Augen. Jackson. White. Bate. In seiner rechten Hand siehst du, dass er einen Stein hält. Einen Speckstein mit einer sternenförmigen Prägung. "Ich meine so ganz alleine. Ist eine üble Gegend hier. Haben Sie Ihren Auftrag etwa vergessen?" Du schaust nach vorne. Johnson ist verschwunden. Außer weißen Pünktchen in deinem Sichtfeld ist nichts mehr von ihm übrig. Jackson steckt derweil seinen Stein in eine Manteltasche.

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