Jump to content

[Bühne in Weiß] Kapitel 4: "Am nächsten Morgen" (NP)


Blackdiablo
 Share

Recommended Posts

Er nickt, sieht aber nicht recht überzeugt aus. Seine Finger sind in seine verdreckte Hose gekrallt. Wenigstens ist er aber still.

 

Die Fahrt geht einige Zeit weiter, ohne dass jemand ein Wort spricht, dann fragt Ellie endlich, was alle sich bisher bereits gedacht haben: "Mr. Derby, sagen Sie, was machen Sie eigentlich hier ganz allein?"

 

Als diese kurze Frage ausgesprochen ist, wird er wieder fahriger und beginnt in einem hohen Falsett zu sprechen, als würde er aus einer Trance erwachen: "Dan? Wo ist Dan? Mein Gott - Ich war schon einmal hier! - Was ist nur passiert? - Das Grauen in den Wäldern! Auf der Lichtung und noch weiter hinab! ... Ich wollte es nicht zulassen, dass sie mich dorthin bringt, und dann war ich dort - Iä! Iä! - Sie plant es seit so vielen Jahren - Sehen Sie es nicht?! Die Gefahr für alles Weiß in diesem Bogen!“ Nun begann er so stark mit den Armen zu zittern, dass Ellie ihm Einhalt gebieten musste. Mit gebrochener Stimme sprach er weiter: "- Ich kenne Sie nicht aus Ihren Visionen! Was hat sie getan? Sie müssen umkehren! Das Grauen lässt sich aufhalten! Ohne Sie wird ihr das wichtigste Stück fehlen! Oh, Dan! Kurz zuvor saß ich noch in der Bibliothek, dann stand ich dort – die letzten Vorkehrungen - am Rand der Welt - Ich kann es nicht zulassen – kann es einfach nicht - ich bringe dieses Ding um, wenn es wirklich nötig ist – ich bringe es um! Ich bringe es mit eigenen Händen um!“ Dann heult er wieder. Ein unangenehm mitanzuhörender Laut, der allen in den Ohren schmerzt.

 

In weniger als 30 Minuten solltet ihr in Chesuncook ankommen.

Link to comment
Share on other sites

"Weiss der Geier und lecke er mich am Arsche! Ich habe ja so was von die Schnauze voll." Sage ich verhältnismässig leise und mehr zu mir selbst.
Link to comment
Share on other sites

"Zut alors. Ca fait mal."

 

Ich bin zuversichtlich, dass ich von jeder Schuld freigesprochen werde.

 

"On courut chercher un medecin. Putain de merde."

 

Ich habe das Gefühl, dass meine Probleme sich jetzt bald wieder lösen werden.

 

"Je me tordait de douleur."

Link to comment
Share on other sites

"Hören Sie auf zu fluchen" sage ich. "Sparen Sie die Energie, wir sind gleich da"

 

Ich erhöre langsam die Geschwindigkeit.

 

Ich hoffe, schnell aus diesem ferfluchten Wald rausfahren zu können.

Link to comment
Share on other sites

Hinter euch weicht der Wald, wird spärlicher und bald sind nur noch Büsche übrig, die die Seiten eures Weges pflastern. Vor euch liegt das verschlafene Chesuncook, träumt, hat vielleicht sogar um euch gebangt, hat gedacht, dass ihr im Wald verloren gegangen seid. Dem ist nicht so. Ihr seid wieder zurückgekehrt, und der Alptraum hat ein Ende. Die Hütte liegt im Wald; ihr seid in der Stadt.

 

Aus der Ferne hört ihr plötzlich ein kleines Orchester spielen. Es kommt aus dem Marktplatz mit kleiner Grünanlage, die ihr von eurem Hotel aus habt sehen können und an der auch das kleine Hospiz liegt, das ihr mit Sicherheit sucht. Vor euch ist eine große Menschenmasse, fast alle sind hier und kommen in großen und in kleinen Trauben zusammen. Ein Knirschen und Knacken und Rauschen ertönt, als würde ein Lautsprecher getestet werden.

 

An Weiterfahren ist angesichts der Masse Mensch nicht zu denken. Jetzt heißt es: Die letzten Kräfte zu sammeln und sich einen Weg durch die Leute bahnen.

 

"... aber das sollten wir hinbekommen, oder?", fragt Ellie, als würde sie einen Gedanken weiterführen. Sie fasst Derby am Arm und öffnet die Autotür. "Kommen Sie, Mr. Derby.", murmelt sie beruhigend. Währenddessen drängen weitere Einwohner der Stadt vor euch zusammen.

 

Es wohnen nicht allzu viele hier, aber trotzdem sind sie alle gekommen.

Link to comment
Share on other sites

Auf dem Pflaster zu euren Füßen befindet sich ein Teil eines Plakats, das von vielen Füßen bereits in den Schmutz gestampft wurde. Im oberen Teil enthält das Plakat die weitestgehend unversehrte Fotografie eines Mannes. Unten drunter, wo eine Hälfte fehlt, steht der Spruch: ES ANSEHENS wobei vor dem E wahrscheinlich einmal ein D gestanden haben muss.

 

Es gibt noch weitere Plakate, die euch nun auffallen. Sie hängen als Poster an den Wänden, liegen als Flugblätter auf dem Boden, ein charismatischer Mann, namens Hildred Castaigne, stiert euch von fast jedem davon entgegen und scheint euch die Parolen darunter beinahe entgegen zu brüllen:

 

STÄRKE AUS ÜBERZEUGUNG

 

DER GUTE SCHÄFER BEHÜTET

 

SEIN WORT VERSETZT BERGE

 

Dann sind da noch andere, beunruhigendere Parolen auf den Postern, doch ehe ihr sie alle erfassen könnt, kommt euch eine weitere Schar von Bürgern entgegen. Ein jeder von ihnen im feinsten Sonntagsanzug und - und mit einer schwarzen Brosche samt orientalisch anmutendem Symbol darauf.

 

"Hier stimmt etwas nicht ...", flüstert Ellie, als sie sich mit weit offen gerissenen Augen den knackenden Lautsprechern zuwendet.

 

"BÜRGER AUS CHESUNCOOK, MAINE!", intoniert eine charmante Stimme und ein frenetischer Applaus mit tosendem Beifall wütet durch die Menge. Die letzten Menschen rennen zum Platz, um etwas von dem Spektakel mitzubekommen. Als die Stimme unbeirrt fortfährt (es muss sich um eine Aufzeichnung oder etwas Ähnliches handeln), wird es wieder still. "HIER SPRICHT HILDRED CASTAIGNE, DER"

 

"Der Gelbe Imperator von Amerika?", liest Ellie ungläubig von einem Banner neben euch.

 

"GUTE HIRTE. DIES IST EINE ZEIT DES ERWACHENS. DIESER TAG IST DER TAG DES FORTSCHRITTS. TRETET ALLE NÄHER, IHR ALLE, EIN JEDER VON EUCH SOLL ES SEHEN." Die Stimme wartet einen Augenblick, sodass jeder Zeit hat, nach vorne zu treten, um es zu sehen. Währenddessen spielt das Orchester ein Lied zur Überbrückung.

 

Brüderlich wird jeder nach vorne gelassen, der den Wunsch dazu verspürt. Dies ist, wie ihr später feststellen sollt, Teil des Zaubers.

 

Ellie blickt fragend zu Faith, zu Solomon, sogar zu Jean-Louis.

Link to comment
Share on other sites

Ich habe während der Rückfahrt meine vier Mitreisenden beobachtet. Sie studiert und eingeschätzt. Ich schaue zur Seite. Und ich schüttele unmerklich den Kopf.

 

Dieser Edward Pickman Derby?!!!

Er ist labil. Völlig von Sinnen. Ein Opfer.

 

Ich lächele Ellie zu, die neben mir sitzt.

 

Ellie Wilde?!!!

Sie ist eine süsse Irrealität. Eine Schimäre.

 

Vor mir die deutsche Eiche. Reglos. Gefühlskalt.

 

Solomon Krantz?!!!

Er ist ein bornierter, dienstbeflissener Skeptiker. Ein Mann der Ehre.

 

Mein Blick wandert zur Fahrerin. Faith ist überaus angespannt. Fast starr vor Furcht. Die Furcht vor dem Unbekannten. Vor dem, was sie nicht kennt. Vor dem, was sie nicht kommen sieht. Vor dem, was sich lautlos von Hinten nähert. Die Muskeln an Faths Hals und Schultern treten sichtbar hervor.

 

Sie spürt meinen Blick.

Ich weiss es.

Es ist ihr sichtlich unangenehm.

Aber sie sagt kein Wort.

Und sie traut sich nicht, ihren Blick von der Strasse zu nehmen.

Ihre Hände umkrampfen das Lenkrad.

Die Knöchel treten weiss und blutleer hervor.

 

Und Faith Holmes?!!! Sie ist eine einzige phobische Verwirrung. Ein Opferlamm.

 

Ich bin von meinen Beobachtungen so sehr fasziniert, dass ich meine Schmerzen gar nicht mehr wahrnehme und auch die Ankunft in Chesuncook völlig ausblende.

 

Dann höre ich den Deutschen etwas sagen und antworte, noch immer wie in Trance. "Ja. Wirklich schlimm diese Jagdunfälle. In der Tat." Murmele ich zurück. "Das war wirklich tragisch. Da will man einer Hirschkuh den Todesstoss geben, und sticht sich dabei fast das Knie weg." Ich lache. Ein bitteres Lachen, irgendwo zwischen Würgen und Gurgeln.

Edited by Der Läuterer
Link to comment
Share on other sites

Faith ist ausgestiegen. Sie atmet tief durch. Ich lächele ihr ermutigend und freundlich zu. "Alles wird gut."

 

Ich humpele. Nein. Allein der Versuch ist ein einziges Scheitern. Diese Schmerzen sind phänomenal. Ich vermag mich nicht zu bewegen, ohne dass die Schmerzen Schockwellen durch meinen Körper jagen, die jederzeit eine Ohnmacht auslösen könnten.

 

Der Schmerz holt mich ins hier und jetzt zurück. Ich befinde mich in einer kleinen Stadt. Ich schaue mich um.

 

Chesuncook.

Ein Strudel der Umtriebigkeit.

Menschen.

Sprechchöre.

Fotos.

Handzettel.

Fahnen.

Transparente.

Jubel.

Plakate.

Geschrei.

Eine Menschenmenge.

Ein Konvolut der Besessenheit.

Irgendwo muss ein Rattenfänger sein.

Ich bin leicht verwirrt.

Link to comment
Share on other sites

 Share

×
×
  • Create New...