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[Nightmare Bites] DER TAG ALS DER REGEN KAM


Der Läuterer
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Clive

 

Die Station wird mit großer Sorgfalt geführt. Keine Anzeichen für Nachlässigkeiten fallen mir ins Auge, auch dort nicht, wo meiner Erfahrung nach das Pflegepersonal am ehesten schon einmal "Fünfe gerade sein läßt".

 

Ich stelle mich der Krankenschwester höflich vor. Diskret treten wir ein paar Schritte zur Seite und gewähren Mr. Eklund einen Moment mit der Patientin. Ich bedanke mich bei der Schwester für ihre sorgfältige Arbeit:

 

"Ich weiß zu schätzen, was Sie hier leisten. Als Arzt weiß ich, was Ihnen Ihr Beruf abverlangt...

 

Wir alle sind sehr betroffen von den Ereignissen und versuchen uns ein Bild davon zu machen, was geschehen ist.

 

Können Sie mir sagen, wer uns mehr über diesen Unfall sagen kann? Wie wurde Frau Gren eingeliefert ... mit einem Krankenwagen? Könnte ich mit dem Team des Wagens sprechen?

 

Was meinen Sie? Ob der behandelnde Arzt ein wenig Zeit für mich erübrigen könnte? Mr. Eklund ist im Moment kaum in der Verfassung, diese Dinge angemessen aufzunehmen. Ich möchte ihm gerne bei den medizinischen Fragen zur Seite stehen und erklären, was es mit den Verletzungen und dem Behandlungsplan auf sich hat, wenn die Situation günstig ist."

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Ich schaue mir die ganze Szene an. Still. Wofür sollte diese Sache gut sein?
Um uns von Penhew abzulenken? Aber warum denn? Wir sollten doch etwas beschaffen, oder nicht?

Sonst bin ich tot, hallt in meinem Kopf. Es fühlt sich leer an. Ich glaube, das ist eben ein Bluff.
Wie gerne ich einfach diese Menschen vor Gesicht kriegen würde. Einfach fragen stellen.
“wenn dich interessiert mehr über die Orga zu erfahren, frag mal nächstes mal selber”

Ich koche wieder vor Wut.

Hartmut, du Bastard.

Nein, konzentriere dich Matilde.
Ich schaue Ove an.

“Ove, versuch bitte zu verstehen, ob das Kristine ist. Wo hätte sie sein sollen? Soll ich irgendwo anrufen?”

Edited by Nyre
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Die linke Gesichtshälfte der Frau auf dem Bett ist nicht bandagiert. Das Augenlid ist geschlossen. Die Farbe des Auges ist nicht zu erkennen. Das Auge ist dick geschwollen. Und blau-schwarz verfärbt.

 

Das IST nicht Kristine. DAS ist nicht Kristine. Das ist NICHT Kristine.

Du bist langsam wieder leicht beruhigt. Die innere Unruhe nimmt ab. Die Frau auf dem Krankenbett sieht so fremd aus. So schrecklich anders. Es ist nicht die Frau, die Du liebst. Sie kann es nicht sein. Wieso sollte sie es auch sein?

 

Die Augenbraue der linken Gesichtshälfte wird durch zwei dünne, weisse Linien geteilt... Kleine, feine Narben.

 

Sammet! [samt!]

Ein Name. Ein Haustier. Eine Katze.

Kristine's Katze. Sie hat es Dir einst einmal erzählt. Eine unbedeutende Geschichte. Völlig belanglos.

Kristine war damals in der zweiten Klasse, als Sammet vor dem Nachbarshund erschrak und an ihr hochsprang. Es fehlte nicht viel und das Auge wäre dem panischen Tier zum Opfer gefallen...

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FORD LINCOLN Model L

 

Das Vesper. Eingewickelt.

Das Päckchen von Inspektor Dalgliesh.

Eingehüllt in Zeitungspapier. Zwei Seiten der Sing Tao Daily Zeitung. Aus Hongkong. Vom 11. Dezember 1929.

Netzartig mit Bindfaden zugeschnürt. Schotstek-Knoten.

Ein längliches Stück Fleisch. Keine Salami.

Muskelgewebe hüllt zwei gegenüberliegende Röhrenknochen ein. Ulna und Radius. Elle und Speiche.

Antebrachium. Ein Unterarm.

Menschlich. Sehr wahrscheinlich von einem Mann.

Auf Höhe der Handwurzeln am Handgelenk abgetrennt. Durchgesägt.

Die gesamte Cutis fehlt. Abgezogen. Gehäutet.

Grosse Stücke der Musculi Flexor wurden herausgetrennt. Abgebissen.

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Ich trete wieder näher an die Frau auf dem Bett heran.

Lehne mich ganz nah an ihr zerschundenes Gesicht. Ich schaue genau hin.

 

Muss immer wieder blinzeln.

 

Etwas verhindert dass ich klar sehen kann, was ich doch eigentlich schon erkannt habe.

 

'Nein, das kann nicht sein!"

 

'Warum kann ich nicht klar gucken?!'

 

Ich blinzel weiter... es hilft kaum... ein Schleier ist vor meinen Augen. Ich wische mit dem Handrücken über meine Augen und reibe vorsichtig.

 

Flüssigkeit.

 

Tränen!

 

Tränen verschleierten meine Sicht - sie tun es noch.

 

Ich wische erneut und erneut, während die Ahnung zur Gewissheit wird.

 

Die Linien sind deutlicher sichtbar, als sonst. Die Schwellung des Auges lässt ihre zwei kleinen Narben breiter erscheinen, doch es ist unverwechselbar Kristines Narbenmuster.

 

Meine Sicht wird wieder trüb.

 

Ich bewege meinen Kopf noch näher an ihren Kopf. Ich küsse sie zart auf die Stirn und ich merke nicht, wie meine Tränen auf ihren Verband und ihre freie Wange tropfen.

Zaghaft und zärtlich lege ich meine Hände an ihren Körper, versuche sich so sehr vorsichtig in meine Arme zu schließen.

 

Ich verweile so eine ganze Zeit lang, vergesse schon fast was um mich herum ist, wo ich bin.

Dann löse ich mich eben so vorsichtig von ihr, schaue mir tränenverhangenen Augen über meine Schulter und weiß nicht was ich sagen soll.

 

"Sie ist hier..." murmel ich nur und vermutlich möchte ich Matilde damit sagen, dass sie niemanden anrufen braucht. Es wäre zwecklos.

 

"Matilde.... sie ist hier... Kristine... ", zu mehr Worten bin ich nicht im Stande. Ich wende mich wieder dem leblos wirkenden Körper von Kristine zu. Mein Blick wird noch verschwommener, als ich meinen Kopf neben ihren lege und ihr und mir zärtlich auf schwedisch Kraft und Mut zureden.

 

'Wir werden es schaffen! Wir müssen es schaffen! Was auch immer "es" ist.', denke ich.

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Ich nicke stumm, und schaue wieder Kristine an.

 

Und was, wenn es einfach einen Unfall war?

 

Naja, und jemand wird zu uns geschickt, der von Tcho-Tcho besessen ist?

Blödsinn.

 

"Ove...wenn ich etwas machen kann.." sage ich leise.

 

Mehr ist nicht hinzufügen.

 

Besser wäre, rausufinden wer es war, und zu verstehen wieso...sie gerade auf Kristine gezielt haben sollen.

Ove wäre genauso leicht zu überfallen gewesen.

Wollen sie vielleicht direkt die Hand?

Aber die hätten wir eher an Höllesang weitergegeben...

Sind es zwei Parteien, die uns jagen?

 

Wie immer nur Fragen, und keine Antworten.

Es war jahrelange so.

Ich habe langsam auch die Hoffnung aufgegeben, dass es anders aussehen wird.

 

Ich schaue Clive an.

"Ich rufe Lord Penhew an, und wir erzählen ihm alles per Telefon. Ok?"

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Die Krankenschwester denkt kurz nach. "Die Patientin wurde, soweit ich weiss, privat hier eingeliefert. Von einem Polizisten, einem Inspektor. Weshalb fragen Sie?" Sie schaut auf die Kladde. "Ein gewisser... Dalglish."

 

"Und wieso Unfall? Die arme Frau wurde aufs übelste misshandelt. Gebrochene Knochen. Blutergüsse... sowie Verbrennungen und Schnittwunden, Herr Doktor."

 

Sie senkt verschämt ihren Blick. "Ein weiterer Gewaltübergriff an einer Frau, Herr Doktor. Derartige Fälle kommen in der Ehe leider häufig vor. Und seit dem Krieg sind die Männer noch verrohter als zuvor. Ich hasse so etwas. Vermutlich hat dem Mann das Essen der jungen Frau nicht geschmeckt. Oder war die Wäsche noch nicht gemacht? Oder hat das Baby geschrien? Und dann ist er durchgedreht."

 

"Aber eine derartige Gewaltorgie? Das ist einzigartig. Ja, abartig. Sie wurde gefoltert, würde ich behaupten. Und ihr Mann hatte Spass daran."

 

"Der behandelnde Arzt befindet sich zur Zeit im OP. Vielleicht später. Telefonisch? Wir haben gerade viel zu tun. Die Witterung. Glatteis. Sie verstehen? Beinbrüche. Verstauchte Handgelenke, u.s.w."

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"Sie wurde gefoltert, würde ich behaupten. Und ihr Mann hatte Spass daran"

 

Ich blicke wieder hellwach zu der Krankenschwester.

Der Polizist hat uns gelogen, das war klar.

Er wusste, seine Lüge würde nicht lange halten, aber das war ihm egal. Er hat nur gesagt, was man wollte, dass er sagt.

Foltern.

Der Folter hatte daran Spass.

Ich atme schwer ein und aus, die Wut kommt wieder, schon wieder hoch.

Ich balle die Fäuste.

 

"Die arme Frau wurde aufs übelste misshandelt. Gebrochene Knochen. Blutergüsse... sowie Verbrennungen und Schnittwunden"

 

Ich zittere vor Wut.

 

Die Wasserflasche auf dem Tisch zerplatzt plötzlich.

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Clive

 

Bereits als der 'Inspektor' uns von dem 'Unfall' erzählte, konnte ich die Geschichte nicht glauben. Aber ich hoffte, das ganze sei eine Finte und es gäbe in Wahrheit keine Verletzte.

 

Dabei war immer klar, dass unsere Gegner keine Grenzen kennen ...

 

Die Wahrheit trifft mich wie ein Schlag. Geschockt wandert mein Blick von einem Gesicht zum nächsten. "Das arme Mädchen hat Deinen Preis bezahlt", durchfährt es mich.

 

Ich sehe Ove in seiner Verzweiflung.

 

Ich sehe Matilde, die von uns allen am besten weiß, welche Schrecken Kristine vermutlich durchlebt hat.

 

Die Gedanken beginnen sich in meinem Kopf zu drehen. Meine Phantasie gaukelt mir vermeintliche Erinnerungsfetzen aus der 'verlorenen Zeit' in der Schneiderei vor. Ich sehe den Sternenhimmel aus meinem Traum. Ich höre aus der Ferne meiner Erinnerungen das Rauschen des Meeres und das Echo IHRER Stimme, die über den Ozean hinweg zu mir dringt. Ich spüre, dass mein Verstand sich auf einen Abgrund zuzubewegen droht. Der irre Tanz der Gedanken nimmt an Geschwindigkeit zu und ich weiß, dass er wie ein Tornado alles mit sich reißen wird, wenn es mir nicht gelingt, auszubrechen ... immer mehr Erinnerungen gesellen sich hinzu ... ich sehe die rauschenden Bäume in der Nacht vor dem Böklin Haus ... der kalte Nachtwind zerrt wieder an meiner Kleidung und trägt vom Meer einen Geruch von Moder und Fäulnis heran, der den metallenen Geruch des Blutes überdeckt aber nicht vertreibt ... vor mir liegt ein brennendes Dorf in der Nacht und vor den Flammen die Schattenrisse tanzender Männer ... ich sehe einen hängenden Strick sich mit einem Ruck spannen, den ich nie im realen Leben sah ... ich höre die Schreie sterbender Soldaten ...

 

"HALT!!!", schreie ich stumm und konzentriere mich auf das Bild einer endlosen Klinkerwand mit lediglich einer kleinen Tür. Ein Monument, vor Jahren in meinem Geist errichtet für diese Augenblicke. Ich stelle mir jedes Detail dieser Tür vor, ihre Maserung, den Messingknauf ... Ich gehe auf die kleine Tür zu und öffne sie.

 

Dahinter liegt ein kleiner fensterloser Raum.

Die Wände sind karg.

Keine Bilder,

keine Gegenstände mit Erinnerungswert,...

nur ein Stuhl.

 

Ich trete in den Raum.

Ich schließe die Tür hinter mir.

Das Tosen des Chaos draußen, vor der Mauer, wird gedämpft.

Meine Gedanken leeren sich.

Das Gefühl der Beklemmung, das mein Herz zu lähmen scheint, lässt nach.

Ich setze mich auf den Stuhl.

Ich nehme meine Brille ab und schließe die Augen.

Ich spüre den Druck meiner Finger an der Nasenwurzel.

Ich verstärke den Druck.

Ich fühle nicht, ich denke.

Ich beginne zu analysieren.

 

Ich besinne mich auf das Elementare. Ich leite die Routine ein: "Wenn nichts mehr an seinem Platz zu sein scheint, muss man wieder Ordnung herstellen. Das ist der einzige Ausweg, der dem menschlichen Verstand bleibt: eine rationale Ordnung herzustellen und zu ignorieren, was sich nicht in diese Ordnung fügt. Besser eine Illusion, als der Untergang im Chaos. Solange ich bereit bin zu GLAUBEN, dass sich all diese Eindrücke in eine Ordnung bringen lassen, die ich nur noch nicht verstanden habe, kann ich weiter funktionieren." Es ist ohne Bedeutung, ob eine solche Ordnung letztendlich eine Illusion ist. Denn es ist die einzige Möglichkeit, weiterzumachen.

 

Ich beginne damit, mich auf kleine, scheinbar nebensächliche Details zu konzentrieren. Erste Verbindungen entstehen. Erste Fragen, die lösbar erscheinen, nehmen Gestalt an.

 

"Sie wird mit Sicherheit von Ihnen träumen, Herr Eklund", erinnere ich mich an die Worte der Schwester. "Sie muss also gewusst haben, dass Ove Eklund und Kristine Gren ein Paar sind. Warum jetzt diese Anspielung auf einen Mann?"

 

Im Krankenzimmer nehme ich die Hand von der Nasenwurzel, setzte die Brille wieder auf und blicke die Schwester an.

 

"Ich kann es mir lebhaft vorstellen wie viel hier los ist, ..." In Gedanken setze ich hinzu: " ... auch wenn ein großer Teil der Betten noch nicht belegt zu sein scheint."

 

"... dennoch wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir noch einen kleinen Augenblick Ihrer Zeit schenken könnten. Ich muss gestehen, etwas verwirrt zu sein. Uns hat dieser Mr. Dalgliesh eine völlig andere Version der Ereignisse zum Besten gegeben!"

 

Kurz wende ich mich an Matilde: "Vielleicht wäre es eine gute Idee, Dr. Baxter und Cainnech von diesen Informationen zu erzählen. Mir scheint dieser angebliche Inspektor Dalgliesh immer verdächtiger. Sie sollten besser vorsichtig sein, zumal Mr. Dalgliesh noch immer unten wartet. ... Vielleicht sollte man die Polizei verständigen?"

 

Wieder an die Schwester gewandt fahre ich fort: "Ich verstehe noch nicht ganz ... Was meinen Sie mit: 'Vermutlich hat dem Mann das Essen der jungen Frau nicht geschmeckt.'? Warum sprechen Sie von einem Gewaltübergriff in der Ehe? Wollen Sie etwa damit sagen, Frau Gren sei bei Ihnen als verheiratet geführt? ... Sie ist Mr. Eklunds ... Verlobte?"

 

"Analysieren ... Schritt für Schritt vorgehen ... einfache Fakten sammeln, wie die Teile eines gewaltigen Puzzles, das sich vielleicht einmal zusammenfügt ..." Ich habe das schon oft getan. Ich habe manche Teile zusammengefügt und kenne inzwischen einzelne Bildelemente, ohne eine Vorstellung zu besitzen, wie sie sich schließlich zusammenfügen lassen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals das gesamte Bild in der Totalen sehen will. Ich bin mir nicht sicher, ob es besser ist, als der Tornado. Ich bin mir nicht sicher, ob das Bild überhaupt etwas anderes zeigt, als den irrwitzigen Wirbel der Erinnerungen.

Edited by Joran
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FORD LINCOLN Model L

 

Cainnech

 

Während Dr. Baxter noch einmal zu dem Wagen geht, habe ein ungutes Gefühl. Ich will nicht wissen, was dort in Zeitungspapier gewickelt in dem Wagen liegt. Unruhig blicke ich immer wieder in Richtung des Krankenhauses zurück, ob uns mögicherweise Mr. Dalgliesh folgt. Ich halte Abstand von dem Wagen, den Rücken zur Hauswand, und sehe mich um, ob jemand Dr. Baxter beobachtet.

 

Mr. Dalgliesh und der Gedanke, wozu dieser Mann fähig sein mag, beunruhigen mich zutiefst.

 

Und der Wahrheit die Ehre zu geben: Dr. Baxter beunruhigt mich aus einem unerfindlichen Grund fast ebenso sehr. Seine Schweigsamkeit, sein emotionsloses Gesicht ... und vor allem der Umstand, in welchen Momenten diese Maske plötzlich von Leben erfüllt zu sein scheint ... sind mir fremd. Dieser Mann ist wie ein Aal im trüben Morast: Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu packen und an die Oberfläche zu ziehen, um einen Blick auf ihn werfen zu können.

 

Durch die Seitenscheibe des Ford sehe ich, wie Dr. Baxter drinnen das Fleisch enthüllt ... immer weiter enthüllt ... bis es keinen Zweifel mehr gibt ... Die Farbe weicht aus meinem Gesicht.

 

"Dieser verfluchter Bastard ... dieser Kanibale ... dafür sollte man ihn hängen!"

Edited by Joran
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Matilde kommt die breite Treppe hinunter. Schnellen Schrittes. Ihr Blick ist hektisch. Mal links. Mal rechts. Und wieder zurück.

Die Halle ist überlaufen mit Menschen. Patienten, Verletzte, Ärzte, Krankenschwestern, Besucher, Krankenpfleger, Taxifahrer. Eine Schwester am Empfangsschalter telefoniert. Andere machen sich Notizen oder hören denen zu, die sich Hilfe suchend an Sie wenden. Alte wie junge Menschen. Männer, Frauen, Kinder. Eine Frau mit Kinderwagen. Ein Verletzter auf einem Rollbett, einer humpelnd auf Krücken, ein Mann gestützt von einem, einer gestützt auf zwei Begleiter. Ein Mann hat einen Hund an der Leine bei sich.

Viele Gespräche. Stimmengewirre. Gemurmel. Unterhaltungen. Geschrei. Gestöhne.

 

WAHRNEHMUNG

Im hinteren Bereich der Eingangshalle, irgendwo hinter einer Tür oder im Treppenhaus beim Aufzug, heult Luni. Ein anklagendes Geheule.

 

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Intensivstation - Zimmer von Kristine

 

Ich bin alleine, mit mir, meiner Verzweiflung und der Hülle von dem was Kristine war ... oder ist.

 

Ich höre im Hintergrund die Stimme von Doktor Savage, zumindest glaube ich, dass es seine Stimme ist. Aber wer soll es sonst sein? Und ich höre eine Frauenstimme, vermutlich die Krankenschwester.

 

Sie wirkt überrascht.

 

Ich höre erstmal nicht hin... schnappe nur Bruchstücke der Sätze auf.

 

"misshandelt" , "Knochenbrüche" , "Blutergüsse" ... ich weiß nicht wovon sie redet.

Vermutlich redet sie von den anderen Patienten hier im Krankenhaus.

 

"Verbrennungen und Schnittwunden"

"Gewaltübergriff"

 

Das klingt mich mehr nur nach dem Tagesgeschäft an einem eiskalten Tag.

Wieso Verbrennungen? Wieso Schnittwunden?

 

 

 

Die Krankenschwester redet weiter, ohne Pause: "Und seit dem Krieg sind die Männer noch verrohter als zuvor. Ich hasse so etwas. Vermutlich hat dem Mann das Essen der jungen Frau nicht geschmeckt." 

Sie hat doch gar keinen Mann... das kann doch gar keine häusliche Gewalt gewesen sein!

 

"Und dann ist er durchgedreht.", fährt sie fort in einem Ton, der für mich nach einem lapidaren Plauderton klingt.

 

'WER? WER ist durchgedreht?!', frage ich mich, während ich mich langsam und vorsichtig und ohne es selbst zu merken von Kristine löse und in eine immer aufrechtere Position wechsel.

"Gewaltorgie ... einzigartig ... abartig." höre ich sie weiterhin sagen und meine Trauer wird verdrängt, die Hoffnungslosigkeit, die mich mit Haut und Haaren noch vor wenigen Augenblicken verschlungen hat, hat mich noch nicht besiegt. Sie hat mich nicht gekaut, sie hat mich im Ganzen verschluckt... noch kann ich etwas unternehmen  "Sie wurde gefoltert, würde ich behaupten. Und ihr Mann hatte Spass daran."

 

Nach diesem Satz bin ich vollständig aufgerichtet und sitze kerzengrade auf der Bettkante von Kristines Bett. Ich schaue mir ihr Gesicht, ihr Verbände und die sichtbaren Wunden.

 

WER war dieser MANN?!
WER foltert Kristine?!

WARUM tut man das!

 

 

Sagte die Krankenschwester nicht sogar, dass sie gar nicht mit einem Krankenwagen eingeliefert wurde, sondern von einem Inspektor?!

 

War es Inspektor Dalglish? Der widerliche Kerl, der uns aufgesucht hat? Der uns ausfindig gemacht hat und meine mit seinem Gestammel zum Einsturz gebracht hat? Ich dachte immer ich könnte den Beruf und das Private trennen. Ich zog mich doch immer weiter aus den Arbeiten für die Detektei heraus. Tat nur noch das Nötigste und das worum mich Matilde persönlich gebeten hat. Und das was Mr. Stratton befohlen hat.

Nie habe ich Kristine wirklich viel von meiner Arbeit erzählt... nur von dem Buch, an dem ich schreibe.

 

Warum hat man sie gefoltert und derart gequält? Wollten sie Informationen? Die hätten sie doch genausogut von MIR holen können. Ich war doch alleine unterwegs... zu Fuß... auf dem Weg. Ich habe sogar alles dabei gehabt, was wir mitgenommen hatten aus dem Auktionshaus. Wieso musste Sie dafür herhalten? Will man mich quälen? Ist das die Rache für etwas?!

Aber WOFÜR?!

 

Ich höre, wie Matilde aus dem Raum geht, zügig, entschlossen.

 

Meine Gedanken rotieren, drehen sich wie ein Karusell.

 

Ich stehe auf, spät... lange habe ich einfach steif dagesessen und vor mich hin gestarrt.

 

Ich schaue Doktor Savage an, ignoriere die Krankenschwester, die irritiert schaut:

"WER macht soetwas, Doktor?! WER?!

 

Und wieso Kristine?!"

 

Ich werde lauter, meine Gesichtszüge sind ungwohnt hart:

"WER tut ihr soetwas an?! Was für ein Schwein muss man sein, um ihr soetwas anzutun?! Wie kann ein Mensch, so abartig sein?!"

 

Ich schaue Doktor Savage mit einem Blick an, der sowohl Verzweiflung als auch Raserei beinhaltet.

Mein Körper ist bis in letzte angespannt.... stramm, vor Anspannung fast schon zitternd stehe ich vor dem Doktor und erwarte eine Antwort.

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Clive

 

"Das ist eine gute Frage ... vermutlich die gleichen Männer, die Matilde gestern bedroht haben.

 

Matilde wird versuchen diesen 'Inspektor' festzuhalten. Es war ja klar, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt.

 

Jetzt zählt vor allem Kristine. Sie sollten ihr nicht von der Seite weichen. Diese Kerle könnten wiederkommen, um zu beenden, was sie begonnen haben ... oder damit Kristine kein Zeugnis ablegen kann. Aber vor allem braucht sie jetzt Ihre Nähe.

 

Ich werde mit dem behandelnden Arzt sprechen, sobald er verfügbar ist.

 

Es tut mir so furchtbar leid für Sie und Ihre Freundin! Es ist so unsinnig, was man ihr angetan hat."

 

"Es hält uns davon ab, das zu tun, was diese Unholde von uns fordern. Das ist völlig irrational ... irrsinnig! Aber es ist wohl nutzlos, es verstehen zu wollen. Wer so etwas tut, MUSS einen kranken Geist besitzen.

 

Vielleicht hat Matilde Recht und wir sollten möglichst umgehend England verlassen ... sollten nicht mehr zögern und das Feuer hinter uns brennen lassen.

 

Würde ich in ein, zwei Wochen mehr wissen? Würde ich auch nur eine der Fragen, die sich mir stellen, beantworten können?" Resignation macht sich in mir breit.

 

Aber nach Irland zu fahren, würde bedeuten diese beiden Menschen hier ihrem Schicksal zu überlassen. ... Vielleicht wäre es besser für sie, nicht länger in unserer Nähe zu sein. ... So vielen wäre es schon besser ergangen, wäre ich nicht in ihrer Nähe gewesen.

 

Ich muss mich mit Matilde beraten. Wir sollten Ove erklären, dass der Angriff auf Kristine sich vermutlich gegen uns richtete. Dann mag er entscheiden, ob wir bleiben sollen oder ob er uns in die Hölle wünscht."

 

Traurig blicke ich zu der Krankenschwester und hoffe, dass sie meine Frage beantwortet und uns weitere Informationen gibt.

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