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[Nightmare Bites] DER TAG ALS DER REGEN KAM


Der Läuterer
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Clive

 

Ich sehe die Luger und ein Messer auf dem Boden. An den Wänden fehlen Kacheln, dort wo sich Projektile in den Stein gegraben und die Keramik zerschlagen haben. Der Boden ist mit Trümmern und Splittern überzogen. Und mit Blut, viel Blut...

 

Ich registriere wie Cainnech verlegen seinen Arm von Matildes Schultern nimmt und sich erhebt:

 

"Ich konnte nicht ... als ich die ersten Schüsse gehört habe, bin ich gelaufen, so schnell ich konnte ... aber die Menschen am Eingang haben mich einfach nicht herein gelassen .... Alle sind rausgestürmt", stammelt Cainnech schuldbewusst. Dann setzt er mit einem etwas vorwurfsvollen Unterton in meine Richtung nach: "Verflucht, ich hätte von Anfang an bei Matilde bleiben sollen!"

 

Ich nicke stumm.

 

Erst als Matilde auf das offene Fenster weist, wird mir klar, dass das nicht nur der Mantel des Inspektors ist, der dort über das Sims hängt.

 

Ich schlucke die Übelkeit herunter. "Das wird uns niemand glauben ... niemand außer der Kleinen ...", entfährt es mir. Ich drehe mich um zu dem 'blonden Engel', der noch immer mit stumm aufgerissenem Mund und geweiteten Augen in einer goldenen Pfütze steht. Seit ein paar Jahren hat sich meine Sympathie für blonde Mädchen diesen Alters deutlich abgekühlt. Dieses Kind kann nichts dafür, das weiß ich. Und doch bereitet mir der Ausdruck des Schrecks für einen kurzen Augenblick eine gewisse Genugtuung. Weil sich das Gesicht in meiner Vorstellung verändert. Für einen Sekundenbruchteil sehe ich dem Mädchen Amanda, so wie ich sie gerne einmal gesehen hätte. Doch das vergeht schnell und mir tut das Mädchen leid:

 

"Egal was die Erwachsenen Dir künftig auch einzureden versuchen werden, Mädchen, zweifle nie an Dir selbst! Das hier ist wahr. Es ist tatsächlich geschehen. Aber es ist jetzt auch vorbei. Verstehst Du? Dieses Monstrum war sehr böse und gefährlich, aber es ist besiegt. Es ist tot. Es kann nie mehr wiederkommen und irgendjemandem etwas tun! Hast Du das verstanden? Jetzt bist Du in Sicherheit! Erzähle den Erwachsenen, was sie hören wollen, damit sie Dich nicht für verrückt halten. Aber glaube ihnen nicht, dass Du verrückt bist, nur weil Du das hier gesehen hast!"

 

Ich war nie ein Vater. Mit Kindern anders zu sprechen als mit Erwachsenen, habe ich nie gelernt. Darum bleibe ich schlicht bei der Wahrheit und hoffe, dass die Kleine damit besser wird leben können, als mit einer Lüge. Ich kann nicht mehr ändern, dass sie dies hier gesehen hat.

 

"Jetzt dreh Dich einfach um! Morgen ist ein neuer Tag."

 

Erst als das Mädchen meiner Anweisung Folge leistet, nähere ich mich den zerfallenden Überresten des Inspektors. 

 

"Was warst Du für eine Kreatur?", frage ich still.

 

Ich achte darauf, nicht mit den schwammigen Körperteilen oder dem ... Blut? ... auf dem Boden in Berührung zu kommen. Um den Gestank zu mildern, presse ich mir ein Taschentuch vor die Nase. Der Zerfall des Körpers ist noch immer nicht abgeschlossen. Die schwammigen Stücke auf dem Boden kann ich nicht einmal bestimmten Körperteilen zuordnen. Aber dazwischen liegen ... festere Gegenstände ... Knochen, die sich dem Zersetzungsprozess etwas standhafter widersetzen. Der Anblick ist ekelerregend ... aber in diesem Zustand haben Dalgliesh Überreste wenig menschliches an sich. Und wer im Krieg von Granaten zerfetzte Bäuche gesehen hat, wie ich, den kann dies hier nicht mehr berühren.

 

Meine Gedanken finden Zuflucht in abstrusen Vergleichen ... Vergleichen, die mir erlauben, einen - wenn auch absurden - Bezug zur Realität herzustellen, statt mich weiter mit der Natur dieses Wesens auseinanderzusetzen. "Dalgliesh erinnert mich an eine gewaltige schwammige Kröte, die geplatzt ist. Ich habe einmal davon gelesen: An einem Ort in Deutschland haben Dohlen gelernt, einer giftigen Krötenart mit ihren scharfen Schnäbeln gezielt alleine ein bestimmtes ungiftiges Organ aus dem Körper zu hacken ... war es die Leber? ... Gleichgültig, welches Organ es war, jedenfalls verheilt die Wunde. Die Kröten leben noch eine Weile weiter, bis der Körper sich infolge des beschädigten Organismus aufzublähen beginnt und schließlich platzt. Lange war das regional beschränkte Krötensterben unerklärlich, bis die räuberischen Dohlen beobachtet wurden..."

 

Dalglieshs beschleunigter Zerfall erzeugt Gase, wodurch die fleischigen Brocken blubbernd Blasen werfen. Der bestialische Gestank wird zum Glück mit der warmen Luft durch das offene Fenster in die Kälte herausgetragen.

 

Ich weiß, dass mich diese Bilder begleiten werden. Aber das ängstigt mich nicht. Es gibt schlimmere Bilder in meiner Erinnerung. Es ist gut und richtig, dass dieses Wesen hier möglichst schnell vom Antlitz der Erde getilgt wird.

 

"Was sollen wir tun? Auf die Polizei warten? Dann sollten wir hier nichts anfassen. Immerhin haben wir Dalglieshs Dienstmarke in seiner Kleidung. Dr. Baxter und die Krankenschwester können die Abläufe in Teilen bestätigen ..."

 

"... und die alte Frau", fügt Cainnech hinzu, "wenn der Mann mit der Krücke sie festgehalten hat."

 

"Wo ist Dr. Baxter eigentlich?" Ich blicke Cainnech fragend an und sehe, wie sich sein Gesicht verfärbt. Noch immer wendet er Dalgliesh den Rücken zu.

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Ich halte Luni fest.

dann streichele ihn, und lege seinen Kopf vorsichtig auf den Boden.

"Er musst versorgt werden" sage ich.

Dann schaue ich wieder den Inspektor angewiedert.

Ich stehe auf, und nehme die Pistole wieder in die Tasche.

"Verdammt" stöhne ich, und massiere mir die Hüfte.

"Er hat mich getreten, aber nicht den Bauch getroffen...gottseidank.."

Dann schaue Clive an.

"Jemand wird schon die Polizei gerufen haben. Wir müssen hier warten. Wegfliehen, das wäre noch schlimmer...aber Clive..du kannst schon Penhew anrufen, und ihn warnen! Und später können wir noch zu ihm. Nenn ihn meinen Namen, ok?"

Edited by Nyre
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Clive

 

Beruhigt nehme ich zur Kenntnis, dass Matilde keine ernsthaften Blessuren von dem Kampf davon getragen zu haben scheint.

 

Als Matilde den Tritt erwähnt und den Umstand hervorhebt, dass ihr Bauch nicht getroffen wurde, fällt mir ein Stein vom Herzen. Aber ich werfe einen verstohlenen Blick in Richtung Cainnech. Der ist jedoch vollauf beschäftigt damit, die Kontrolle über seine Magen zu behalten. Offenbar hat er nicht einmal wahrgenommen, was Matilde gesagt hat.

 

"Ich kümmere mich darum. Ich werde mich auch nach einem Tierarzt in der Nähe erkundigen." Bevor ich das Bad verlasse, gehe ich noch einmal vor Luni in die Hocke. Ich lasse den Wolf an meiner Hand schnuppern und überprüfe den Verband, den Matilde Luni angelegt hat.

 

"Sie sind engagiert, Schwester Matilde! Das hätte ich sicher nicht besser hinbekommen ...", lobe ich Matilde aufrichtig.

 

Dann mache ich mich auf den Weg zur Lobby in der Eingangshalle. Das Mädchen steht noch immer wie angewurzelt mit dem Rücken zu uns.

 

"Du kommst am besten mit mir, Kleine. Wir rufen jetzt die Polizei an. Das ist das Beste, was man in solchen Momenten tun kann."

Edited by Joran
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Die Gestalt des Inspektor Dalgliesh zerfliesst. Immer weiter und immer mehr. Das Fleisch schmilzt wie Butter in der Sonne zu einem dunklen Brei, der nach fauligem Fleisch stinkt. Wie ein schon lange verrottendes, moderiges Stück Fleisch. Widerlich süsslich, wie ein Monate alter Leichnam. Was sonst in Wochen, Monaten und Jahren bei der Zersetzung durch Bakterien stattfindet, geschieht hier in Augenblicken und Minuten.

Das Fleisch der Leiche hat sich schon fast völlig verflüssigt. Nun setzt der Verfall der Knochen ein. Auch der Schädel beginnt sich langsam zu verflüssigen... Die dunkle, schwärzliche Flüssigkeit nimmt einen grünlichen Farbton an und wirft zähe Blasen, die sich weiter und weiter ausdehnen, bis sie schliesslich mit einem dumpfen 'Blub' zerplatzen, und denen ein ungesund aussehender, grünlicher Dunst oder Rauch entstiegt.

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Cainnech

 

Als der Schädel platzt, kann ich meine Übelkeit kaum noch unterdrücken. Ich würge und halte mir den Arm vor Nase und Mund.

 

Dann berührt mich Matilde und ich blicke in ihre großen Augen. Ich beschließe mich hierauf zu beschränken. Ich will das Ende von Dalgliesh nicht mehr sehen. Ihre Augen schon.

 

Ich blicke nur in ihre Augen und flehe stumm, dass Sie den Blick nicht wieder abwendet.

 

Ich wünschte, wir könnten von hier verschwinden.

 

"Vielleicht ist es besser so ... ohne Leiche kann man Dir kaum etwas vorwerfen! Und wir haben immer noch seine Kleidung und seine Marke ... und sein Messer ... und dieses Sekret .... und Lunis Wunde ... und die alte Frau ... und den angefressenen Arm im Wagen."

 

Ich verfluche mich, dass ich den Arm jetzt erwähnt habe und mir kommt der irrwitzige Gedanken, der merkwürdige Dr. Baxter könnte mit dieser 'Beute' verschwunden sein.

 

"Das können die doch nicht alles ignorieren, oder? Sollen die Polizisten sich doch einen Reim darauf machen. ... Hauptsache wir kommen hier weg ... Du ... und ich ... und Luni. ... Und selbst wenn sie Dich für verrückt halten sollten, werden sie Dich unter Clives Obhut stellen, oder?"

 

"Sag mal, vertraust Du eigentlich diesem Dr. Baxter ... Ich finde ihn ... kalt ... und undurchsichtig."

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Clive

 

Vor der Tür gebe ich das Mädchen in die Obhut der alten Dame, die inzwischen auf einer Bank neben dem Mann mit der Krücke sitzt.

 

Dann gehe ich die paar Schritte zur Lobby, die ich verlassen vorfinde. Ich greife über die Theke und hebe den Hörer ab.

 

Als ich die Telefonistin höre, bitte ich darum, mit dem Yard verbunden zu werden.

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“jetzt hilf mir, Luni von hier wegzutragen bitte. Und nein ich werde nicht diese...Wahrheit erzählen. Sie sperren mich wieder ein..” zichte ich.

Man kann die Verzweiflung in meinen Augen sehen.

“Ich kann das nicht, nicht jetzt, nicht wieder, verstehst du? Dann..dann werde ich wieder...behandelt..misshandelt, und ich verliere es wieder..das Baby”

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Cainnech

 

Matildes Sätze treffen mich wie Hiebe, unter denen ich zusammenzucke. Ich begreife in diesem Augenblick kaum, worüber sie redet, aber ich verstehe sehr wohl, dass sie über mich verärgert ist.

 

"Das ist nicht der rechte Moment, um eine Diskussion zu beginnen. Und ich wüsste eigentlich auch nicht, worüber wir diskutieren." Instinktiv begebe ich mich auf den Rückzug.

 

Außerdem ist Matilde gleichzeitig verzweifelt ... und das ist das letzt, was ich erreichen wollte.

 

Ich beschränke mich daher auf ein mattes: "Es tut mir leid! ... Ich hätte bei Dir bleiben sollen ... ich wollte es auch ... hätte ich nur auf mein Gefühl gehört."

 

Dann gehe ich herüber zu einem weiteren Paravent, der noch unbeschädigt aufrecht steht. "Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an", denke ich und prüfe seine Stabilität. Das blickdichte Leinen ist fest und der Rahmen ist aus Metall. Nachdem ich zufrieden gestellt bin, funktioniere ich den Paravent kurzerhand in eine Trage um.

 

"Wir müssen Acht geben, dass das Leinen gespannt bleibt.", sage ich vorsichtig zu Matilde und lege den Paravent neben Luni. Gemeinsam betten wir Matildes verletzten Freund auf die Stoffbahn.

Edited by Joran
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Cainnech

 

Ich reiche Matilde die Luger vom Boden. Das Messer rühre ich nicht an.

 

Vorsichtig tragen wir Luni auf der improvisierten Trage durch den dunklen Flur vor die Tür des Waschraums. Ich gehe rückwärts voran.

 

Mein Blick springt immer wieder von dem verletzten Tier hoch zu Matildes Gesicht. Matildes Blick bleibt starr auf Luni gerichtet. Die Verzweiflung, die eben noch in ihrem Gesicht abzulesen war, scheint mir einer Maske aus mühsam aufrechterhaltener Selbstbeherrschung gewichen.

 

"Sie sperren mich wieder ein. ... Ich kann das nicht, nicht jetzt, nicht wieder, verstehst du? Dann..dann werde ich wieder...behandelt..misshandelt ...", rufe ich mir Matildes letzten Worte in Erinnerung.

 

Es scheint unfassbar, aber es ist erst wenige Stunden her, dass Matilde von ihren früheren Erfahrungen mit Ärzten und Kliniken berichtet hat. Ich muss schlucken. "Nein, das darf sich nicht wiederholen! ... Irgendwie muss ich das verhindern. ... Sie darf nicht wieder eingesperrt werden."

 

Ich erinnere Matildes Berichte von ihrer Jagdleidenschaft und wie ich darin mein Gefühl von Freiheit beim Fliegen wiedererkannt habe. "So ein Wesen darf nicht eingesperrt werden, es braucht die Freiheit wie die Luft zum Atmen. Es wäre grausam und wider die Natur, es einzusperren."

 

Ich kann nicht begreifen, Matilde erst wenige Stunden zu kennen. "Ich habe in so kurzer Zeit schon so viele Seiten von ihr gesehen: die fröhliche junge Frau beim gemeinsamen Lunch ... die verletzliche, traurigen Matilde bei unserem gemeinsamen Gespräch in der Pension und gleichzeitig die zu allem entschlossene Jägerin, die getötet hat ... die durch ihre reine Gedankenkraft Menschen verbrennen könnte ... die schlafende Frau in Seide, nur eine Armlänge von mir entfernt ... die Frau, die um ihre Wirkung auf Männer weiß und diese im Pub selbstbewusst einsetzt ... ich sehe sie die Stufen hinaufsteigen und möchte diesen Moment für immer einfangen ...

 

Ob ich mich jemals an Matilde sattsehen könnte? Ob die neuen Gesichter, die ich an ihr entdecke, jemals ausbleiben werden? ... Ich weiß es nicht, aber ich wünschte mir, ich könnte es herausfinden. ... Wieder denke ich, dass Matilde wie keines der Mädchen ist, die ich bislang kennengelernt habe. Die anderen verblassen alle neben Matilde. ...

 

Aber diese Mädchen waren meine Liga, aus einfachen Verhältnissen, wie ich", denke ich traurig. "Matilde kennengelernt zu haben, macht es mir unvorstellbar, mich jemals wieder mit einem von ihnen zufrieden geben zu können. Wie sagt man noch: Wer einmal vom reinen, süßen Honig gekostet hat, wird nie mehr davon lassen können...

 

Du bist verrückt, Cainnech!", scheint meine Mutter mich in meinem Kopf zu schelten. "Du kommst geradewegs aus der Hölle ... und es hat ohnehin keine Aussicht! Wer bist Du schon in ihren Augen? Schlicht, ungebildet, unerfahren, unfähig, auf sie aufzupassen. Im Pub ist sie dazwischen gegangen und hier im Krankenhaus hast Du sie auch alleine gelassen. Sie hat geschossen, wo Du hättest da sein sollen. Das war Deine EINZIGE Aufgabe: Auf Matilde Acht geben! Und jetzt muss SIE möglicherweise einen Preis dafür zahlen, den sie nicht mehr zahlen kann, einen Preis dafür, dass DU nicht da warst ..."

 

Ich schlucke erneut.

 

"Clive hatte recht: Sie ist es wert ...

 

Nein, Matilde darf nicht in eine Anstalt oder in ein Gefängnis gesperrt werden. Ich muss das verhindern. Ich weiß noch nicht wie, aber irgendwie muss ich einen Weg finden und ich werde alles tun, was nötig ist."

 

Wir tragen Luni in Richtung Lobby. Nachdem wir aus dem Halbdunkel ins Helle getreten sind, hefte ich meinen Blick auf Luni ... aus Sorge, Matilde könnte sonst in meinem Gesicht nur allzu leicht meine Gedanken lesen. "Oder kann sie das ohnehin? ... Was war das für eine merkwürdie Szene im Lincoln, als Matilde abgehackt merkwürdige Bilder beschrieb?"

 

Auch wenn mir solche Überlegungen ein wenig Angst machen, können sie meine Faszination für Matilde nicht mindern, im Gegenteil.

 

Eine Faszination, die alles andere verdrängt, die mir erlaubt, die anderen Bilder aus meinen Verstand zu bannen, in eine kleine verborgenen Kammer zu sperren ... bis ich sie dort vielleicht einmal wiederfinden werde.

 

Ich blicke unverwandt auf Luni herab. Kurz schießt mir die Frage durch den Kopf: "Warum war Luni eigentlich alleine ... war er nicht zuletzt bei Dr. Baxter? Irgendetwas stimmt mit diesem Mann überhaupt nicht. Warum war er so versessen darauf, das Fleisch im Wagen zu untersuchen?"

 

Ich merke, dass meine Gedanken im Moment Purzelbäume schlagen. Der heutige Tag war ... wie eine Kunstflugschau, die nie zu enden scheint. Immer wieder geht es herauf und herab, die Welt dreht sich und steht auf dem Kopf. "Ich muss dringend landen, mich erden, wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Offenbar kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Vor allen sollte ich jetzt nichts sagen. Sonst rede ich mich um Kopf und Kragen ..."

 

Und dann tue ich es doch: "Vielleicht sollte ich an Deiner Stelle gehen ...", sage ich leise, aber völlig ernst und halte dabei meine Blick gesenkt. "Eigentlich war das alles meine Schuld."

Edited by Joran
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Ich schaue ihn an.

"Wie? Auf gar keinen Fall!" sage ich empört.

"Es ist nur so...wer sollte mir bitte bei der Geschichte glauben? Es ist besser, ich sage, er wäre weggelaufen, oder er hat mich getreten, und ist geflohen.

Die alte Frau war im Klo eingesperrt. Sie ist also keine Zeugin..."

Ich seufze.

"Einfach die Wahrheit zu erzählen, das wäre...nicht klug, oder?"

Ich lächele ihn an.

"Es ist überhaupt nicht deine Schuld. Ich hoffe nur, Luni wird es schaffen."

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Cainnech

 

"Doch ist es!", sage ich traurig. "Der Doc hat mir gesagt, ich soll auf Dich Acht geben ... und ich war nicht da, als Du mich gebraucht hast. Er hat meinem Vater das Leben gerettet und ihn aus Flandern nachhause gebracht ... und ich kann nicht einmal eine Viertelstunde auf Dich aufpassen."

 

Ich schüttle den Kopf.

 

"Dalgliesh soll weggelaufen sein ... ohne seine Kleidung? Wie sollen wir das der Polizei erklären?", frage ich.

 

"Und das Mädchen hat GESEHEN, wie Dalgliesh ... ich meine ... Du weißt schon ...

 

und dann ist da überall noch diese ... breiige ... Flüssigkeit."

 

Erneut dreht sich mein Magen im Kreis und ich bilde mir ein, noch immer den Gestank zu riechen.

 

Ganz langsam, nachdem wir das Bad verlassen haben, beginne ich in Panik zu geraten. Mein Körper beginnt zu zittern. Ich will es nicht. Ich will vor Matilde stark wirken, aber meine Emotionen scheinen mir zu entgleiten.

 

"Und wenn dieser Roy Dalgliesh tatsächlich vom Yard war ... er hatte eine MARKE! Die werden dann nicht locker lassen, ganz egal ob der Kerl tot oder verschwunden ist."

 

Hilflos rede ich drauf los, alles was mir in den Sinn kommt:

 

"Wir können nur die Wahrheit sagen ... und hoffen ...

 

... oder wir sagen, ich hätte geschossen ... ich hätte geschossen, um Dich und Luni vor Dalgliesh zu schützen. Ein Mann, der eine bedrohte Frau beschützen will, das glaubt man nur zu gerne. Und dass ein Kerl Dich im Duschraum für Damen überfällt ... die brauchen nur einen Blick auf Dich zu werfen und sind überzeugt! Du wolltest duschen und er hat Dich heimlich durch das Fenster beobachtet, ist dann durch's Fenster eingestiegen ... Darum hat Dalgliesh auch seine Kleidung ausgezogen ...

 

... sie könnten die Einschusslöcher in der Kleidung finden, aber die könnten auch von einer verirrten Kugel stammen ... und bis dahin sind wir schon in Irland, nicht wahr? ... Wir sollten die Waffen tauschen!

 

Sonst weiß ich auch nicht, was wir machen sollen ... Vielleicht fällt Clive noch etwas ein ... ihm MUSS einfach irgendetwas einfallen."

Edited by Joran
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Vor dem PRINCESS GRACE KRANKENHAUS

 

Mittlerweile hat es angefangen zu regnen.

 

Es ist nicht länger so glatt auf den Strassen und der Regen lässt den Schnee überall verklumpen und schmelzen. Er verwandelt ihn in grauen Matsch. Irgendwie ein dalglieshisches Wetter. Festes Material verflüssigt sich langsam aber stetig.

 

Die fliehenden Massen sind stehen geblieben.

Menschen unterhalten sich. Ein Tuscheln.

Ein Austausch von Informationen. Fast nur Gerüchte. Hirngespinste. Vermutungen. Nur Wichtigtuerei.

 

Leute von draussen, getrieben von Neugier.

Zuerst vertrieben von den Schüssen und den Schreien.

Mitgelaufen mit den Verängstigten. Den Fliehenden.

Stehen geblieben. Verwundert. Überrascht.

Ausharrend.

Und erneut angelockt von der einsetzenden Stille.

Neugierde. Sensationsgier.

Eine verachtenswerte menschliche Eigenschaft. Geiern gleich.

Schmeissfliegen auf ein einem Haufen Mist.

Starre, grosse Augen.

Beredtes Schweigen. Laute Stille...

 

Vor dem Krankenhaus sammelt sich langsam aber sicher eine Menschenmenge, die bis an den geparkten Ford Lincoln Model L heranreicht.

 

Mensch an Mensch. Dicht gedrängt. Schirm an Schirm.

Edited by Der Läuterer
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Dalgliesh ist im Krankenhaus. Er ist weg - Zeit, mit der Untersuchung zu beginnen. Ich schaue mich um, ob mich jemand bemerkt, dann greife ich in meine Manteltasch und ziehe meine Handschuhe wieder an. Sie sind aus schwarzem Leder und eng, sehr eng. Ich mag das Geräusch und auch das Gefühl an den Händen, wenn ich sie stramm ziehe - so stramm bis ich spüre, wie sich meine Fingernägel oben fast in das Leder bohren.

 

Der Wagen ist nicht abgeschlossen. Ich öffne die Beifahrertür, setze ich auf den Sitz und atme die Luft in dem Ford ein. Sie ist abgestanden und verbraucht, allerdings riecht es nicht nach Staub und Zigarettenqualm, wie man das vielleicht vermuten könnte, sondern eher nach...Moder. Ja, jetzt wo ich ein wenig sitze und die Eindrücke des Wagens auf mich wirken lasse, bin ich mir sicher. Der Geruch wird stärker! Es riecht so, als hätte der Wagen eine ganze Nacht in Sumpf und Brackwasser verbracht. Liegt es daran, dass Dalgliesh nicht mehr da ist?

 

Irgendetwas stimmt hier nicht...

 

Ich öffne das Handschuhfach. Sein Revolver, geladen. Ich nehme ihn in die Hände und begutachte ihn von allen Seiten. Dann halte ich einen Moment inne und rieche am Lauf.

Moder, Brackwasser, erdiger nasser Geruch - widerlich.

Ich öffne das Magazin, nehme die Kugeln raus und stecke sie ihn meine Manteltasche.

Draußen rumort es irgendwo ein der Ferne. Ein Gewitter zieht auf.

 

Zeit mit der Durchsuchung zu beginnen!

 

 

 

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Wenn ich mich konzentriere, etwas zu durchsuchen, oder einen Körper nach etwas abzusuchen, was ja den Hauptteil meines Berufes ausmacht, gehe ich ganz darin auf. Unten, in meinen Kellerräumen, zeigt mir oftmals nur ein Blick auf die Uhr, wie viel Zeit vergangen ist. Hier ist das etwas anders. Ich ziehe meinen Arm unter dem Sitz der Rückbank hervor und schaue nach oben. Der Himmel hat sich mittlerweile merklich verfinstert und Regen beginnt leise, dann etwas stärker auf das Autodach zu prasseln.

Ich nehme den Gegenstand und nehme ihn mit nach draußen, als ich aussteige.

 

Himmelherrgott, Wentworth, du stehst mitten auf einem öffentlichen Platz!

 

Ich kann nicht anders. Fasziniert hebe ich den Gegenstand nach oben und sehe ihn mir genauer an. Ein Arm - der gottverdammte abgerissene Arm eines Menschen! Die Unterseite, kurz über dem Ellbogengelenk hängt in Fetzen nach unten. Ich schaue etwas genauer hin. Selbst der Knochen hat Spuren an sich, die auf ein Raubtier schließen lassen würden. Nagespuren, Bissspuren. Für einen kurzen Moment wird selbst mir übel - ich habe das ziemlich ungute Gefühl, dass dies Dalgliesh höchstpersönlich war.

Ich räuspere mich, mehr um die Übelkeit wegzubekommen, als um zu sprechen und lege den Arm dann auf die Rückbank.

Der Regen wird stärker.

Wo habe ich meinen Schirm gelassen?

Ich habe keine Ahnung.

 

Eine Stelle fehlt noch. Mit einem unguten Gefühl gehe ich nach hinten zum Kofferraum und öffne ihn. Mit einem leisen Klicken öffnet sich die Klappe und kommt mir ein paar Zentimeter entgegen. Ich schiebe meine Finger darunter und öffne sie langsam.

Verwesungsgeruch.

Ich bereue es, nicht meine Salben und Nasenklammern dabei zu haben.

 

Der Regen wird stärker. Im Hintergrund höre ich Tuscheln und Wispern. Aus den Augenwinkeln sehe ich Leute, sie sich unterhalten und....um das Auto herum versammeln? Ist etwas passiert? Mit Dalgliesh? Was wollen diese Leute?

 

Die Klappe ist offen. Neben allerlei Plunder und Werkzeug, dass man eher bei einem Totengräber, als bei einem Polizisten vermuten würde, stehen dort drei kleine Käfige, nebeneinander aufgestellt. Der Gestank raubt mir den Atem. Selbst ich muss nun würgen.

Der Regen ist nun zu einem Sturzregen geworden. Mein Haar ist völlig durchnässt und klebt strähnig an meinem Kopf. Der Regen läuft in Rinnsalen an meinen scharfen Wangenknochen nach unten und tropft von meinem Kinn nach unten.

 

In den Käfigen sind dutzende von Fleischbrocken, Knochenteile und teilweise auch Fellreste zu sehen. Maden wimmeln in dem schon angegrauten Fleisch und verleihen dem ganzen eine dermaßen widerwärtige Note, dass ich nun aufpassen muss, mich nicht zu übergeben.

 

Ich nehme einen der Käfige und stelle ihn auf den Boden.

Ein Raunen geht durch die Menschenmenge.

Als ich den Käfig öffne und hineinschaue sehe ich nicht nur unförmiges Fleisch, sondern Leichen.

Nahezu ein Dutzend Katzenleichen, viele davon vielleicht nur Wochen alt.

 

Dalgliesh, du mieser Bastard!

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Ein paar Minuten verstreichen. Sirenen sind zu hören. Die Polizei ist auf dem Anmarsch.

 

Eine Polizei-Limousine kommt um die Ecke und bremst scharf. Die Sirene verstummt und zwei Polizisten springen heraus.

 

Danach folgt ein Mannschaftswagen mit zwölf Polizisten, die sofort ebenfalls ihren Wagen verlassen, als die ersten beiden bereits im Krankenhausgebäude verschwunden sind.

 

Zwei Männer vom Mannschaftswagen sperren den Eingang zur Strasse ab. Zwei beginnen mit den Befragungen der Passanten. Die restlichen folgen ihren Kollegen in das Gebäude.

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