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[Nightmare Bites] Kap.1: BÜHNE AUF EIS


Der Läuterer
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Als Clive zu sich kommt, ist es bereits dunkel draussen.

 

Du liegst auf dem Boden.

Ein weicher Boden.

An einigen Stellen durchtränkt mit einer unbekannten Flüssigkeit.

Du spürst es an den Händen und an der Hose auf Höhe Deiner Knie.

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Ich versuche zu verstehen, was geschehen ist.

 

Ich beginne mich zu erinnern.

 

Ich fühle mich betrogen.

 

Ich spüre Tränen meine Augen füllen und an meinen Schläfen herabrinnen.

 

Ich höre das triumphierende Rauschen des Meeres. ... Es hat mich wieder. Ich habe es nicht überwunden.

 

Ich spüre, dass sich etwas verändert hat ... Ich fühle mich beschmutzt von einer kalten Gleichgültigkeit ... abgestumpft in meinen Gefühlen.

 

Ich beginne zu begreifen, dass nur ein Teil von mir getötet wurde, ein wichtiger Teil von mir, ein Teil der mir früher wichtig erschien. Ich ahne, dass dies nur ein letzter Nachhall der Schwäche ist und das Gefühl des Verlustes vergehen wird.

 

Ich ahne, dass da mehr ist ... Dinge an die ich mich erinnern sollte ... Momente, die mit diesen Schmerz in meinem Arm zusammenzuhängen scheinen ... verloren in der Dunkelheit ...

 

Welchen Grund gibt es für mich, aufzustehen? Ich bin nutzlos. Ich konnte das, was da am Boden lag, nicht retten. Ich konnte mich selbst nicht schützen. Ich weiß nicht, wieviel ich preisgegeben habe. Nein, es gibt keinen Grund, aufzustehen.

 

Ich hasse das Rauschen des Meeres. Ich hasse das frohlockende Lachen der glucksenden Wellen. Ich hasse die Düsternis, die nun jenseits des Meeres lauert und die nicht mehr fortgehen wird. Ich hasse das Leben, das mich verspottet.

 

Ich will nicht länger Schwäche zeigen. Ich will dem Leben zurückgeben, was es mir gegeben hat: Tod und Zerstörung. ... Ja, ich will töten. Ich weiß nicht, aus welchem Grund, ich erinnere mich nicht ... aber ich werde Blut vergießen, bis dies hier ein Ende hat. Ich empfinde nicht mehr Verzweiflung und Schwermut, ich erwache in Bitternis und Hass zu einem neuen Leben.

 

Nun endlich ... nach so vielen Jahren ... werde ich das Spiel des Lebens spielen ... mich in den Reigen aus Vernichtung und Verfall einreihen ... ich werde beginnen, meine Spielfiguren zu setzen. Lieber will ich das Spiel verlieren, als es nicht gespielt zu haben.

 

Ich will meine Lightning, will das Schnarren ihrer Trommel hören. Jetzt endlich verstehe ich, warum mein Vater mir die Waffe geschenkt hat: Weil das Leben so spielt! Friss oder Du wirst gefressen werden! Ich werde nicht länger ein Herdentier sein ...

 

Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit, meine Karten auszuspielen!

Edited by Joran
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Ich zweifle, ob ich jemals wieder in der Lage sein werde, Tränen zu vergießen. Mit dem Ärmel reibe ich mir die letzten Tränen fort.

 

Dann greife ich neben mich in die Dunkelheit. Tastend gleiten meine Finger langsam über den Boden. Ich suche nach dem vermutlichen inzwischen toten Leib, den ich herauszerren wollte.

 

Der Teppich hat sich vollgesogen. Er ist satt und kalt wie ein Schwamm. Jede Bewegung von mir verursacht schmatzende Geräusche. Ich taste weiter, berühre etwas anderes, etwas, das auf dem Teppich liegt. Es ist ebenfalls kalt. Ich erkenne seine Form.

 

"Das Leben antwortet mir! Es heißt mich willkommen!", ich lächle grimmig und meine Finger schließen sich um den Griff einer kleinen Pistole. Jemand scheint sie achtlos fallengelassen zu haben.

 

Ich fühle mit meinen Beinen, bis ich an etwas großes stoße. Das muss der Körper des Anrufers sein ... oder des Schneiders? Ich wälze mich herum und durchsuche die Taschen der leblosen Gestalt. Eine Brieftasche, ein Taschenmesser, in paar Papiere. Ich stecke alles unbesehen ein ... es ist zu dunkel hier.

 

Dann drehe ich mich herum. Ich will zur Eingangstür kriechen. Wenige Spannen nur und ich treffen unvermittelt auf einen weiteren Körper. Zu weich für eine der Büsten. Ich fühle einen weichen Stoff, zu leicht für Männerkleidung. Ich beuge mich vor ... ich rieche ihren Duft. Ich erkenne ihren Duft und inhaliere ihn tief. Einen Augenblick erstarre ich.

 

"Wie kommt sie hier her? ... Wann ist sie gekommen? ... Was ist ihr geschehen?"

 

Mein Hand gleitet an ihr herab, findet ihre Hand, fühlt ihren schwachen Puls.

 

"Sie ist wieder allein ... Hans hat sie wieder alleine gelassen, dieser Bastard!" Wut brandet in mir auf. Nicht dieser lächerliche Zorn, den ich früher verspürt habe. Rote Wut, Blutdurst, Hass! "Nicht wir haben Matilde in Gefahr gebracht, Du warst es, Du egoistischer Bastard! Du musstest sie besitzen und mit in Deinen Abgrund ziehen! Du konntest sie nicht frei geben, so dass sie ein normales Leben hätte führen können. Du hast ihr das hier angetan ... nicht mit Deinen Händen ... mit Deiner schlichten Anwesenheit ... Es wäre besser, Du wärest tot, Hans!"

 

Die Berührung von Matildes Hand ruft bei mir ein Echo von Vertrautheit hervor. Es fühlt sich noch immer wohlig an, auch wenn es nun mehr eine Erinnerung an ein früheres Gefühl ist.

 

"Du hättest meine Tochter sein sollen, Matilde! Ich hätte Dich nicht verstoßen. Ich hätte Dich nicht im Stich gelassen.

 

Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Vater und Tochter im Geiste."

 

Ich beuge mich herab und flüstere in Matildes Ohr:

 

"Wir beiden werden es ihnen blutig heimzahlen, bis unser Weg gemeinsam endet. Es ist genug! Jetzt sind wir an der Reihe!"

Edited by Joran
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Ich stecke die Pistole in die Tasche und lege Matildes Arme um meinen Hals. Ich schiebe meine Arme unter Matildes Körper. Lange vergessene Kräfte erwachen in meinem Körper. Sie ist so leicht ... so warm. Ich hebe Matildes Körper an und stehe auf ... stehe endlich wieder aufrecht.

 

Selbstbewusst gehe ich zur Eingangstür.

 

"Er wird sie nicht länger quälen. Er hat seinen Anspruch auf sie verwirkt ... sie wissen es nur noch nicht!"

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Die kopflosen Puppen werfen lange Schatte. Eine Strassenlaterne wirft ihr Licht in den Laden.

Doch die Schatten scheinen zu verschmelzen, Materie zu bilden und sich zu verfestigen.

Der andere Mann, im dunklen Anzug steht Dir im Weg. "Wohin?"

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Ich schlafe die Augen auf. Langsam.

"was..ist passiert?" sage ich, in dem Moment wo ich merke wo ich bin.

Clive hält mich auf den Armen.

"Clive? geht es dir gut? bist du es?"

 

dann höre ich

 

"Wohin?" und wieder drehe ich mich um, verwirrt.

Ich schaue den Mann an, fragend.

 

Verdammt, wo ist meine Pistole?

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Ich missachte den Mann.

 

"Mir geht es gut, Liebes. Dir wird es auch bald besser gehen. ... Ich bringe Dich weg von hier ... weg von all dem. Wir holen Alexander und lassen das dann hinter uns. Ich werde jetzt auf Dich aufpassen."

 

Ich mache eine kurze Pause. Matilde ist noch zu verwirrt, um all dies zu verstehen.

 

"Kannst Du stehen?", frage ich sie sanft. Ich möchte sie nicht absetzten. Ich genieße ihre Umarmung, wie ich seit meiner Kindheit keine Umarmung mehr genossen habe. Ich genieße ihre Nähe. Aber ich muss sie absetzen.

 

Seufzend setze ich vorsichtig ihre Füße auf den Boden, während ich meinen linken Arm um ihr Taille gelegt lasse. "Ich lasse Dich nicht fallen ... ich nicht ... vertraue mir!"

 

Dann wende ich mich dem Mann zu ... dem Stück Fleisch ... Nahrung nur.

 

"Komm nur ... ich werde Dich in Deine Schranken verweisen. Komm, gib mir einen Grund. Ich bin zum Reden gekommen ... in einer anderen Zeit. Jetzt ist es hierfür zu spät. Jetzt gibt es nichts mehr zu bereden. Die Zeit für Verhandlungen ist vorüber."

 

"Lassen Sie uns jetzt gehen! Es gibt nichts mehr zu sagen!"

 

Langsam gleitet meine rechte Hand in die Hosentasche und umschließt den Griff der Pistole.

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"Nein!"

 

"Ich werde sie benutzen."

 

"Sie wird mich zu dem Mann und dem Sohn bringen."

 

"Und jetzt. Willst Du mich aufhalten?"

 

"Gib sie MIR!"

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"Nicht in diesem Leben! Du wirst sie nicht bekommen! Ihr alle werdet sie nicht bekommen. Sie gehört Euch nicht! ... Du bist nur ein Sklave ... Sie nicht ... Sie ist jetzt frei!"

 

Während ich spreche, ziehe ich die kleine Pistole aus der Tasche und schieße auf die Brust des Mannes.

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Pazifisten und Waffen... Du hättest schwören können, dass die Kugeln ihr Ziel nicht verfehlt haben. Nicht verfehlen konnten. Nicht aus dieser Entfernung. Und doch... Es ist geschehen.

"Du musst noch viel lernen." Dann greift der Mann nach unten, um Matilde am Haarschopf zu packen.

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"Diese Kreatur ist nur noch eine Marionette, eine leere Hülle. Wo setzen die unsichtbaren Fäden an? Wollen sehen, ob die Puppe noch ohne Augen, ohne ein Nervenzentrum funktioniert."

 

Ich leere das Magazin. Diesmal strecke ich den Arm und richte ich den Lauf unmittelbar auf den Kopf des Mannes.

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Obwohl Du am Boden liegst, schaffst Du es irgendwie den Mann an der empfindlichen Stelle zu treffen. Du trittst hart zu und Dir kommt es vor, als hättest Du in Gelee getreten. Kaum Widerstand. Wie eine weiche Masse. Und der Mann lacht. "Du wirst noch viel lernen."
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Du leerst das Magazin. Doch nichts. Alle Kugeln scheinen ihn verfehlt zu haben. Das ist doch unmöglich.
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"Ja, ich muss lernen ... und mit Dir will ich anfangen!"

 

Ich rufe mir in Erinnerung, was ich in meinen langen Jahren gelernt habe. Ich denke an die unheiligen Texte, die ich besitze und die ich studiert habe, ohne das so erlangte Wissen jemals zu nutzen. Ich denke an die dünnen Folianten, wie das Heft aus dem Böcklin-Haus, an die Papyri aus Ägypten, die Ton- und Steintafeln aus dem Orient, den Quipu aus Südamerika, meine Abschriften von Streininschriften der Khmer, an die verschlüsselten Botschaften irischer Mönche in jahrhundertealten Handschriften. Es muss etwas geben, das mir hier hilft.

 

"Es muss etwas geben, das UNS hier hilft. Ich bin nicht länger einsam. Und ich werde nicht länger zögern, es anzuwenden! Nein, ich werde nicht länger zögern ... auf Herm habe ich bereits die Tore von Zeit und Raum durchschritten ... nun verstehe ich, dass dies meine eigentliche Bestimmung ist. Ja, ich muss noch viel lernen ... und Du stehst mir dabei im Weg!"

Edited by Joran
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