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Politische Diskussionen sind hier nicht OT


Sir Doudelzaq
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Ich gehe davon aus, dass heute viele Leute nicht mehr nachvollziehen können, wie sehr sich die individuellen Möglichkeiten der Gegenwart zur Informationsbeschaffung von denen der 30er/40er Jahre unterscheiden.

Etwas "herausfinden" basierte damals auf dem, was man direkt um sich herum gesehen und gehört hat, dem, was man in der Presse gelesen hat (in totalitäten Systemen identisch mit dem, was man wissen soll), oder im Radio gehört hat ("Feindsender verbreiten Lügen", eigene Sender = eigene Presse).

Allgeimwissen war m. M. nach, dass Juden (aber nicht nur die, sondern auch weitere Personengruppen) verschwinden und sogar deren zurückgelassener Besitz billig zu haben war. Offiziell: "Umsiedlung der Juden nach weit weit weg".

"Unterbringung in Lagern" sollte auch mindestens weit verbreitet bekannt gewesen sein. Simple Erklärung: "in Weit weit weg ist noch der Russe und schießt auf uns. Wenn der besiegt ist, erfolgt der Umzug der Juden."

 

Die wichtige Hürde ist dann die Stelle, an der man entweder nie ein lager (und deren Gefangene) aus der Nähe gesehen hat oder eben doch. "Über die Lager spricht man nicht" ist zumindest aus dem, was ich von der generation erzählt bekommen habe, im Krieg ungeschriebenes Gesetz gewesen.

Damit reduziert sich die Zahl der Ahnenden und Wissenden auf (sehr viele) Umgebungen von Lagern. Denen würde ich auch nicht glauben "ich weiß von nichts". Andern schon, wobei ich je nach Einzelfall ein passives oder aktives "Weghören" oder ein fatalistisches "so ist es eben, ich kann nichts dazu machen" einräumen würde.

 

Das beziehe ich allerdings auf die Umstände in den Lagern im Reich selbst, nicht auf die Todeslager bzw. Massenerschießungen im Osten (systematisches Ermorden), dass davon die wenigsten gewusst haben (die nicht unmittel dort waren und es selbst sehen konnten). Da glaube ich grundsätzlich: "davon wusste ich nichts".

 

Was ich sagen will, ich gehe davon aus, dass es nicht "jedem möglich war, eine systematische Ermordung herauszufinden. Ich gehe davon aus, dass das in der Bevölkerung nicht gewusst oder für möglich gehalten wurde.

Das halte ich für übertrieben hart von Dir gegenüber den verfügbaren Kommunikationsmethoden der Zeit - und nicht nur deswegen auch für übertrieben gnädig gegenüber der Bevölkerung.

Man hätte vielen Menschen die Schuld auch juristisch nachweisen können, trotz unzähliger vernichteter Dokumente (zu eben diesem Zweck). Die Nürnberger Prozesse hatten als erklärtes Ziel, einem winzig kleinen, aber grundlegend auch repräsentativen, Ausschnitt der Bevölkerung den Prozess zu machen. Deswegen wurden da nicht nur prominente Haupttäter angeklagt, auch kleine Lichter mussten sich der Justiz stellen.

Du führst die Pressezensur in der Diktatur an, selbstverständlich wurden viele der schlimmsten Verbrechen mit Schweigen versehen oder nett umschrieben. Dass diese Sprache niemand durchschaute ist doch Quatsch, auch Heutzutage gibt es Lügen und Propaganda in Medien, einige glauben es, viele ignorieren es, einige wenige bekämpfen es aktiv. Das sind menschliche Verhaltensmuster, keine Gleichsetzung aktueller Zustände mit dem dritten Reich.

 

Die Progrome gegen das jüdische Leben fanden nicht im verborgenen statt, viele Menschen haben davon gut und gerne profitiert: Endlich eine Beförderung! Eine freie Villa! Ein günstiger Pelzmantel!

So wie auch jetzt Menschen von Diskriminierung profitieren, einfacher einen Job finden, einfacher eine Wohnung, weil es andere schwerer haben, auf Grund von Aussehen oder Namen abgelehnt werden.

 

Der Vernichtungskrieg im Osten war klar postuliert und wurde offen diskutiert. Die Wehrmachtsaustellung ist schon 25 Jahre her, vielleicht wäre es für Dich mal an der Zeit, Dich zumindest diesen Erkenntnissen anzunähern. Dass die Wehrmacht eine Armee war, in der sich ein Großteil der Soldaten Verbrechen schuldig gemacht hat. Wie viel der Einzelne jeweils dagegen hätte tun können? Nicht viel. Vielleicht ein wenig.

 

Die Entnazifizierung, ein schöner Ausdruck, danach war Deutschland offiziell nazifrei! Land der Opfer und Verführten, keiner konnte etwas wissen, zumindest nicht so, dass einem das zweifelsfrei juristisch nachgewiesen werden konnte - wer hätte denn auch Millionen von Gerichtsverfahren führen können, bei denen sich alle Angeklagten auf "darüber will ich lieber nicht reden" berufen?

 

Da noch einmal genauer hinzuschauen, diese Vergangenheit besser aufzuarbeiten, genau um diese Frage ging es in der Umfrage ja. Und da gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, der sagt: Abhaken! Wir wurden alle entnazifiziert, und außerdem waren die Juden schuld!

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Da noch einmal genauer hinzuschauen, diese Vergangenheit besser aufzuarbeiten, genau um diese Frage ging es in der Umfrage ja. Und da gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, der sagt: Abhaken! Wir wurden alle entnazifiziert, und außerdem waren die Juden schuld!

 

 

Ich finde die Frage bzw. das erhaltene Ergebnis nicht sehr aussagekräftig. Ich bin habe mir dazu die entsprechende Stelle in der Dokumentation rausgesucht (17:42), in der Hoffnung, dass dort genauer aufgeführt wird, was und wie gefragt wurde. Das war leider nicht der Fall.

Abgesehen von dem berechtigtem Einwand von Frau Gryglewski (sinngemäß: Die verbleibenden 72% beschäftigen sich nicht zwingend intensiv mit der NS-Vergangenheit) bietet mir die Frage zu viel Interpretationsspielraum. Rechte Positionen, wie die von dir im Zitat dargestellte und schlimmer, wären genau so ein Grund für ein Ja, wie die Position, dass einem die gefühlt alle 2 Tage ausgestrahlten Dokumentationen über die NS-Zeit zum Hals raushängen. Dabei sehe zumindest ich persönlich die zweite Position als weit weniger kritisch, weil nicht zwingend rechts. Eine konkretere Frage, eventuell auch mit verschiedenen Antwortmöglichkeiten, wäre aussagekräftiger gewesen. Zur Not hätte man daraus immer noch ein Ja/Nein/Neutral machen können. Aber eben besser nachvollziehbar, was unter Ja/Nein/Neutral fällt.

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... dass jedem einzelnen womöglich nicht das komplette Ausmaß bekannt war, es einem aber dennoch möglich war, herauszufinden, dass Deutschland systematisch Juden tötete.

 

Diese Meinung teile ich nicht.

Neben dem kleinen Teil der Wissenden (geheime Reichssache) und der direkt Beteiligten hatte der normale Bürger kaum Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden.

Letztendlich war die Frage, ob man der eigenen oder feindlichen Propaganda glaubt. Oder den Gerüchten.

 

Wir heute sind mit dem Wissen um die Gräueltaten und der industriellen Vernichtung der Juden aufgewachsen.

Für die Menschen damals waren diese Vorgänge unvorstellbar. Sich das ohne unserem heutigen Wissen vorzustellen fällt vielen schwer.

Insofern war die Aufklärung durch die Nürnberger Prozesse für viele Menschen sicherlich eine schreckliche Enthüllung bzw die Bestätigung von furchtbaren Gerüchten. Imho.

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... dass jedem einzelnen womöglich nicht das komplette Ausmaß bekannt war, es einem aber dennoch möglich war, herauszufinden, dass Deutschland systematisch Juden tötete.

Wir heute sind mit dem Wissen um die Gräueltaten und der industriellen Vernichtung der Juden aufgewachsen.

Für die Menschen damals waren diese Vorgänge unvorstellbar. Sich das ohne unserem heutigen Wissen vorzustellen fällt vielen schwer.

Insofern war die Aufklärung durch die Nürnberger Prozesse für viele Menschen sicherlich eine schreckliche Enthüllung bzw die Bestätigung von furchtbaren Gerüchten. Imho.

Das ist ja auch kein Widerspruch. Etwas nicht wissen wollen, oder nicht wahrhaben wollen, ist etwas anderes als es nicht wissen zu können, oder erfahren zu können.

Viele jüdische Bürger sind ja auch lange Zeit mit diesem festen Glauben in die Gaskammern gefahren, die Tagebücher von Überlebenden geben den Einblick, manche verzweifelten schon bei der Einpferchung in den Viehwaggon, andere bei der Trennung von ihren Eltern, Kindern und Geschwistern während der Selektion, und noch einmal andere konnten es auch nicht glauben, als sich die Türen zu den "Duschen" schlossen.

Es waren ja auch hochgeachtete Menschen, dekorierte Weltkriegsveteranen, angesehene Doktoren, Mitglieder der High Society.

 

Die Fähigkeit von Menschen, auch im Anbetracht überwältigender Fakten das komplette Gegenteil zu glauben, und diesen Glauben mit immer stärker werdendem Eifer gegen Gegenargumente zu verteidigen, ist zweifelsfrei und immer wieder belegt.

(Und auch gerade wieder sehr aktuell)

 

Die Nürnberger Prozesse waren, mit voller Absicht, so ausgelegt, dass sie diesen Schockeffekt auf die Bevölkerung hatten. Dazu gab es auch flankierende Presse und und und, das Leben hat sich schon ganz schön umgekrempelt, viele hatten da gar nicht mehr die Wahl, komplett wegschauen zu können.

Bis sich dann, recht schnell, die Erzählung des Wirtschaftswunders durchgesetzt hat, der Krieg war vorbei, nicht mehr drüber reden, ab jetzt geht es nur noch Aufwärts.

In der DDR wurde der Staat zum Antifaschistischen Staat deklariert, auch da wurden jede Menge Kriegsverbrecher, durch aufkleben eines neuen Etiketts, zu aufrechten sozialistischen Offizieren, Politikern usw, auch wenn der gesamtgesellschaftliche Entnazifizierungsprozess gründlicher war.

 

Als Beispiel immer noch andauernder Aufarbeitung:

 

Mehr als 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden Wehrmachtsdeserteure und homosexuelle Opfer der NS-Justiz gesetzlich rehabilitiert.

https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2012/39010668_kw20_kalender_17mai2002-208558

 

Darum, dass wir mit dem Wissen um die Gräueltaten aufgewachsen sind, geht es ja auch. Dass es, immer noch, und in zunehmendem Maße, Menschen gibt die dieses Wissen gerne wieder loswerden wollen.

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Das halte ich für übertrieben hart von Dir gegenüber den verfügbaren Kommunikationsmethoden der Zeit - und nicht nur deswegen auch für übertrieben gnädig gegenüber der Bevölkerung.

....

 

Die Progrome gegen das jüdische Leben fanden nicht im verborgenen statt, viele Menschen haben davon gut und gerne profitiert: Endlich eine Beförderung! Eine freie Villa! Ein günstiger Pelzmantel!

 

...

 

Da noch einmal genauer hinzuschauen, diese Vergangenheit besser aufzuarbeiten, genau um diese Frage ging es in der Umfrage ja. Und da gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, der sagt: Abhaken! Wir wurden alle entnazifiziert, und außerdem waren die Juden schuld!

 

 

1) das liegt vielleicht daran, dass ich aufgrund der historischen Hintergründe zu CTHULHU sehr genau weiß, wie es war, da es dort immer so geschichtkorrekt zugeht wie möglich.

Vielleicht erläuterst du am Beispiel deiner Großeltern, welche zusätzlichen Informationen die gehabt haben, die ich deiner Meinung nach weggelassen habe. [meine stammen alle aus ländlichen gebieten und dort war es exakt so, wie es die Recherchen im Zusammenhang mit CTHULU ohnehin bestätigten]

 

2) Das Verschwinden der Junden fand nicht im Verborgenen statt (da sind sich m. M. nach alle einig). Du setzt es gleich mit "systematische Ermordung" fand nicht im Verborgenen statt. Dem widerspreche ich aus voller Überzeugung.

 

3) Ich habe gar nichts zu irgendeiner Umfrage geschrieben, sondern nur auf den (jetzt oben angefügten) von mir zitierten satz eines Forenteilnehmers geantwortet.

Falls das in irgendeiner seriösen Umfrage so als ergebnis gewesen sein sollte, dass Leute meinen "entnatzifiziert und Juden selbst Schuld" dann würde mich das ziemlich entsetzen (ich könnte es inhaltlich nicht nachvollziehen, würde aber auch zuerste denken, dass das vielleicht eine Umfrage von und für neonazis gewesen sein müsste), ansonsten würde ich es als ausgesprochen geschmackliche Unterstellung deinerseits ansehen. Falls es darum gehen sollte: "ist ewig her, endlich abhaken" könnte ich es inhaltlich nachvollziehen (was auch immer man davon halten sollte oder wie auch immer man selbst dazu steht)

 

EDIT: habe den Link zu der Umfrage geklickt und dort gelesen:

Die Angaben sind Ergebnisse einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF, sie basieren auf 1.029 Interviews, die vom 20. bis 22. Juli 2020 telefonisch in Deutschland durchgeführt wurden. Die Umfrage ist repräsentativ für die deutschen Wahlberechtigten.

Ein nicht unerheblicher Teil der Befragten möchte mit der Vergangenheit am liebsten abschließen. Ganze 28 Prozent stimmen der Aussage zu, die Deutschen sollten einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ziehen.

Die 45 Min Doku schaffe ich heute nicht und hole das vielleicht noch nach.

Edited by Judge Gill
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Verharmlosung der Shoa durch den ewig gleichen Mythos vom unwissenden Tätervolk. Dass dieser Narrativ im Jahr 2020 nach wie vor Usus ist, ist erschreckend und doch wenig überraschend zugleich. Dass <User> vorne mit dabei ist sich für ihn zu ereifern, überrascht mich ebensowenig. Es passt in das Bild, was er in vorangegangenen Diskussionen geprägt hat.

 

Die Züge, die in die Vernichtungslager fuhren und entmenschlicht die Tore wieder verließen, wurden eben nicht von SS-Totenkopf-Divisionen gesteuert. Und nein, der systematische Massenmord fand eben nicht nur fernab der deutschen Heimat weit gen Osten statt.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitgen%C3%B6ssische_Kenntnis_vom_Holocaust

 

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2001/Holocaust-Die-Luege-von-ahnungslosen-Deutschen,erste7664.html

 

https://www.dw.com/de/die-wehrmacht-und-der-holocaust-auf-freiem-feld/a-53354087

 

https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%B6tungsanstalt_Hadamar

 

https://www.rnd.de/politik/sieben-lugen-rund-um-auschwitz-und-wie-man-sie-enttarnt-P4G3O5JH2RFZJBDSMZS2S3ZUZQ.html

 

https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/zweiter-weltkrieg-deutsche-wussten-viel-ueber-mord-an-juden-13822240.html

 

https://www.bpb.de/mediathek/190077/was-wussten-die-deutschen-vom-holocaust

 

https://www.deutschlandfunk.de/was-wussten-die-deutschen-vom-holocaust.691.de.html?dram:article_id=48241

Edited by Christian N. Hofmann
anonymisiert
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Das ist ja auch kein Widerspruch. Etwas nicht wissen wollen, oder nicht wahrhaben wollen, ist etwas anderes als es nicht wissen zu können, oder erfahren zu können.

Ich widerspreche der Aussage, jeder hätte damals die Möglichkeit gehabt, sich über die industrielle Vernichtung der Juden zu informieren.

Unter den damaligen Umständen in einem totalitären Staat hatten die Bürger nur Zugang zu Propaganda/Gegenpropaganda oder Gerüchten (ich spreche nicht von den Eingeweihten und direkt Betroffenen).

 

Lasse mich aber gern durch plausible Methoden für Otto Normalbürger überzeugen.

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... dass jedem einzelnen womöglich nicht das komplette Ausmaß bekannt war, es einem aber dennoch möglich war, herauszufinden, dass Deutschland systematisch Juden tötete.

Wir heute sind mit dem Wissen um die Gräueltaten und der industriellen Vernichtung der Juden aufgewachsen.

Für die Menschen damals waren diese Vorgänge unvorstellbar. Sich das ohne unserem heutigen Wissen vorzustellen fällt vielen schwer.

Ich weiß gar nicht, ob das heute oder damals schwerer vorstellbar war. Sascha schrieb ja lediglich von der systematischen Ermordung. Ich finde das noch immer unvorstellbar, obwohl ich weiß, dass es so war. Damals war es nicht weniger "unvorstellbar" - aber andererseits waren die Nazis sehr, sehr offen in ihren Zielen. Die Juden waren der Feind, jeder konnte sehen, dass sie entrechtet wurden und schließlich: einfach verschwanden. Wo sollen die wohl hin sein, wenn der versprochene Lebensraum im Osten halt auch nur für Arier vorgesehen war?

 

Dann fehlt nur noch der Schritt zur industriellen Vernichtung. Das ist ja an sich ein Kunstwort, das das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Morde beschreibt. Wenn aber erkennbar war, dass Juden systematisch "verschwinden" und gleichzeitig bekannt ist, dass es in den von den Nazis kontrollierten Gebieten soundso viele MILLIONEN Juden gab - soll doch jeder selbst überlegen, wie er das nennen möchte. Aber das industrielle Ausmaß stand doch genauso klar vor Augen! Man hat selbige halt nur gut verschlossen.

 

Oder kurz:

1. Der Staat entrechtet meine jüdischen Mitbürger vor meinen Augen, schikaniert sie und sagt, es seien Untermenschen, die keinen Wert hätten.

2. "Die" haben die Juden abgeholt (dass "die" im weitesten Sinne zum Staat gehörten, war klar). Sie sind verschwunden und man hört nie wieder was von ihnen.

3. Im Reich gibt es aktuell 5 Millionen Juden, inkl. der eroberten Gebiete im Osten.

ERGEBNIS: Es geschieht grade ein Massenmord in industriellem (oder: gigantischem / unvorstellbarem / nie dagewesenem) Ausmaß.

 

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Ich gehe davon aus, dass heute viele Leute nicht mehr nachvollziehen können, wie sehr sich die individuellen Möglichkeiten der Gegenwart zur Informationsbeschaffung von denen der 30er/40er Jahre unterscheiden.

Etwas "herausfinden" basierte damals auf dem, was man direkt um sich herum gesehen und gehört hat, dem, was man in der Presse gelesen hat (in totalitäten Systemen identisch mit dem, was man wissen soll), oder im Radio gehört hat ("Feindsender verbreiten Lügen", eigene Sender = eigene Presse).

Schon in der Antike galt, dass sich nichts schneller verbreitet als ein Gerücht. Und genau so war es trotz Zensur und drastischen Strafen für "Hinterlist" im Nationalsozialismus, ganz Deutschland wusste wer der "Bock von Babelsberg" war und kannte seine neuesten Affären, aber vom Holocaust hat natürlich niemand was mitbekommen.

 

Die wichtige Hürde ist dann die Stelle, an der man entweder nie ein lager (und deren Gefangene) aus der Nähe gesehen hat oder eben doch. "Über die Lager spricht man nicht" ist zumindest aus dem, was ich von der generation erzählt bekommen habe, im Krieg ungeschriebenes Gesetz gewesen.

Damit reduziert sich die Zahl der Ahnenden und Wissenden auf (sehr viele) Umgebungen von Lagern. Denen würde ich auch nicht glauben "ich weiß von nichts". Andern schon, wobei ich je nach Einzelfall ein passives oder aktives "Weghören" oder ein fatalistisches "so ist es eben, ich kann nichts dazu machen" einräumen würde.

 

Das beziehe ich allerdings auf die Umstände in den Lagern im Reich selbst, nicht auf die Todeslager bzw. Massenerschießungen im Osten (systematisches Ermorden), dass davon die wenigsten gewusst haben (die nicht unmittel dort waren und es selbst sehen konnten).

Die Todeslager und Massenerschießungen wurden nicht, wie nach dem Krieg behauptet, von "den Nazis" ganz allein betrieben und erst recht nicht ohne Wissen der Umgebung. Selbstverständlich haben es die Soldaten mitbekommen wenn direkt hinter der Front die Einsatzgruppen an die "Arbeit" gingen, sofern sie nicht selbst daran beteiligt waren. Und davon haben sie im Heimaturlaub erzählt, gerne auch mit Fotos -- ein Großteil der Bilder in der Wehrmachtsausstellung waren keine heimlichen Aufnahmen von Widerstandskämpfern, das sind die privaten "Trophäen" von Wehrmachtssoldaten. Ich habe mal ein Interview mit einem GI gesehen der die Fotos in den Brieftaschen von Kriegsgefangenen prägnant zusammengefasst hat: "Ein Drittel Familie, ein Drittel Pinups, ein Drittel Hinrichtungen".

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Aber fexes hat direkt über dir einen Haufen Links gepostet, die du ja erst mal durcharbeiten kannst.

Ach ne. Gleich der erste Link ist der, den ich schon auf der letzten Seite gepostet habe. Und aus dem ich zitiert habe.

Wäre dir vielleicht aufgefallen, wenn du mal auf den einen oder anderen Link klicken würdest, den andere Posten.

 

Ein Zitat aus fexes Link ... aus der 2. Posener Geheimrede von Himmler an die Gau- und Reichsleiter:

 

"Der Satz ‚Die Juden müssen ausgerottet werden‘ mit seinen wenigen Worten, meine Herren, ist leicht ausgesprochen. Für den, der durchführen muss, was er fordert, ist es das Allerhärteste und Schwerste, was es gibt. […] Sie wissen nun Bescheid, und Sie behalten es für sich. Man wird vielleicht in ganz später Zeit sich einmal überlegen können, ob man dem deutschen Volke etwas mehr darüber sagt. Ich glaube, es ist besser, wir – wir insgesamt – haben das für unser Volk getragen, haben die Verantwortung auf uns genommen (die Verantwortung für eine Tat, nicht nur für eine Idee) und nehmen dann das Geheimnis mit in unser Grab.“

Edited by Corpheus
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Ich habe mal ein Interview mit einem GI gesehen der die Fotos in den Brieftaschen von Kriegsgefangenen prägnant zusammengefasst hat: "Ein Drittel Familie, ein Drittel Pinups, ein Drittel Hinrichtungen".

Ersetze Brieftasche durch Smartphone und ersetze/ergänze Hinrichtung durch Folter und Wehrmachtssoldaten durch Soldaten. Ich bin mir sicher, dass gleiche könnte 2020 wieder passieren. Es gibt genug ethnische Konflikte auf der Welt.

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@Corpheus
Ich habe den Link gesehen, aber im Gegensatz zu dir habe ich auch auf die anderen geklickt. So etwa der Film vom NDR, oder der Ausschnitt aus einer Diskussionsrunde der bpb. Auch wenn Nazis versucht haben es geheim zu halten, hat das im Alltag halt nicht wirklich geklappt (was nicht zuletzt im NDR-Film aufgezeigt wird). Jeder hatte damals die Möglichkeit in Erfahrung zu bringen, dass Deutschland Juden umbringt. Sie haben es vorher schon getan (Reichs Pogromnacht), es vorher angekündigt (u.a. Hitler Rede), haben über die KZs informiert und sich dafür gefeiert, man konnte miterleben wie die Nachbarn auf einmal verschwanden und danach ihre Wohnungen und Besitztümer kaufen, und es wurde im Alltag darüber gesprochen (siehe etwa Denunziationen und daraus resultierende Gerichtsverhandlungen). Hinzu kamen die Gerüchte von Frontsoldaten, Berichte, Briefe und Gespräche von Tätern (etwa KZ-Wachen, oder Erschießungskommandos), Flugblätter der Alliierten und nicht zuletzt später als Juden, andere tote Juden durch die Straßen tragen mussten.

Man konnte es also wissen, dass Deutschland Juden systematisch ermordete. Ob jedem klar war, in was für einem Maßstab dies geschah, das kann man gerne diskutieren. Viele entschieden sich halt es nicht so genau wissen zu wollen (insb. wenn sie davon profitiert haben). Andere haben es gewusst und es war ihnen egal  Viel zu viele haben sich selbst bewusst oder unbewusst durch Denunzation zu Mittätern gemacht.

 

Nur weil du es nicht wahrhaben willst, ändert das nicht die Tatsache, dass es nicht genau so war.

Noch zwei generelle Tipps am Rande:
1. Glaub nicht alles was Heinrich Himmler dir sagt.
2. Wenn man anderen vorwirft selektiv zu zitieren, sollte man vielleicht nicht genau das selbe tun.

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Die Aussagen von Himmler sind auf andere Art erhellend, der Mythos, gleichzeitig Opfer und Starker Mann zu sein, ist eine der Grundlagen faschistischen Denkens.

Man mordet, aber nicht aus Lust (das wäre unmännlich, nicht rein usw), sondern um sich für das Große Ganze aufzuopfern, das Vaterland, den Schutz vor dem Juden, vor dem Bolschewismus (usw usf).

Ein Dokument, mit ich mich im Rahmen eines (angesehenen) Theaterstücks näher beschäftigt habe, war der Abschiedsbrief eines Stellvertretenden Reichsbauamtleiters. Er war für den Bau von KZ-Außenstellen zur Konstruktion der V2 und anderer Wunderwaffen zuständig, z.B. Mittelbau-Dora, Peenemünde und viele andere, wo zehntausende Zwangsarbeiter in unterirdischen Stolllenvortrieben zu Tode kamen.

Zum Kriegsende hat er seine Frau, seine drei Kinder und sich selbst umgebracht, nicht aus Schuldgefühl, sondern um sie vor den bolschewistischen Horden zu schützen - zumindest steht das so in seinem Brief.

Er wurde posthum entnazifiziert.

 

Das Schuldgefühl kam bei den Überlebenden später, und kurz darauf die kollektive Überzeugung, doch Opfer gewesen zu sein.

"Mein Vorgesetzter hat mir das befohlen" ist ja nicht zuletzt als "Nürnberg-Verteidigung" ins internationale Gedächtnis übergegangen.

 

Dieses kollektive Vergessen aufzuarbeiten wird natürlich immer schwieriger, wie man nicht zuletzt an den Prozessen gegen vergreiste KZ-Wächter sieht, auch die mit der Nürnberg-Verteidigung, auch die mit "ich habe nichts davon mitbekommen".

Und während viele um den Verlust der eindrucksvollen persönlichen Erinnerungen trauern - der Besuch eines KZ-Überlebenden an einer Schule wirkt deutlich nachhaltiger als das Anschauen von dem Bild eines Eisentors im Geschichtsbuch - sind andere erleichtert, diese letzten Zeitzeugen der Shoah loszuwerden.

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Ja, stimmt, die Opfer, die man bringen musste. "Meine Ehre heißt Treue" kommt genau daher. Die wussten ja, was sie tun und dass das mit dem Begriff der Ehre nichts zu tun hatte. Ein ehrenhafter Soldat tötet keine unbewaffneten Männer, Frauen und Kinder. Aber es "musste eben sein". Und daher hat man die traditionelle Ehre ausgemerzt und mit der Treue ersetzt. Wiki:

"Durch die Gleichsetzung der Begriffe „Treue“ und „Ehre“ wurde ein Treuebruch zu einem Ehrverlust. Der Begriff „Ehre“ verlor dadurch seinen traditionellen moralischen Inhalt. Denn die Ehre eines Soldaten etwa, der sich aus Ehrgefühl weigern könnte, an einem Kriegsverbrechen teilzunehmen, spielte im Ehrbegriff der SS keine Rolle mehr. Es zählte allein der blinde Gehorsam."

 

Das hat aber natürlich auch niemand gewusst, denn die SS war ja nur ein kleiner Haufen ohne dienstliche oder private Kontakte zu anderen Menschen.

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