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Ein Ruck ist durch Deutschland gegangen


Corn

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Und eigentlich meine ich, dass man entsprechende Hintergrundinfos mehr oder weniger bekommen müsste, weil es ja keine geheimen Verfahren waren, sondern "ganz normale Justiz".

Sollte da nicht zumindest die presse entsprechende Infos stressfrei erlangen können und dann publik machen können? Vielleicht ist das ja auch passiert.

Ich bin verblüfft, was hier für ein Justizverständnis offenbart wird. Wir sind hier schon noch im deutschen Rechtssystem unterwegs, oder?

Was sind denn bitte "geheime Verfahren"? Die Aussage impliziert irgendwie, dass sowas in Deutschland existiert.

Schlichtungsverfahren zwischen einem EU Staat und einem internationalen Unternehmen (aus Kanada oder Japan) können in so etwas wie geheimen Verfahren verhandelt werden. ;)

Und Gerichtsbeschlüsse für weitergehende Überwachungsmaßnahmen im Fall von Gefährdung der Staatssicherheit können in geheimen Gerichtsverfahren verhandelt werden.

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Wobei wir dann natürlich wieder beim Problem sind, dass Mord immer lebenslang ist - Strafmaß okay finden, aber "Mord" fordern funktioniert halt nicht im deutschen Rechtssystem (an anderer Stelle habe ich ja schon darauf verwiesen, dass die §211-212 Problematik ein tiefsitzendes Problem des deutschen Strafrechts ist, und dringend überarbeitet gehört ...).

 

 

 

Vor zwei Wochen habe ich etwas zu einem Fall gehört, in dem genau diese Problematik eine Rolle spielte. Vorher habe ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht. Es ging um eine Frau, die nach Jahren der physischen und psychischen Misshandlung ihren Mann erschossen hat. Das Gericht wollte die Umstände der Tat berücksichtigen, sie sagte, sie habe in Notwehr gehandelt. Aufgrund von gerichtsmedizinischen Erkenntnissen stand jedoch im Raum, dass sie ihren Mann wahrscheinlich im Schlaf erschossen hat. Dies hätte das Mordmerkmal Heimtücke erfüllt und somit wäre sie nicht unter einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt worden.

Also, kurz gesagt: Volle Zustimmung. Die entsprechenden Paragraphen sollten überarbeitet werden. 

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Wie ist der Fall denn letztlich ausgegangen? (Notwehr klingt nach Freispruch, Umstände beurteilen nach mildernden Fakten, Heimtücke nach "Mord")

Sie wurde wegen heimtückischen Mordes verurteilt. Allerdings mit einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren. 

Dementsprechend hat dieser Fall halt eine Debatte darüber angestoßen, dass der Mordparagraph so, wie er jetzt ist, problematisch ist. 

 

Hier nachzulesen:

https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/02/1-483-02.php3?referer=db

 

Edit: Ich höre gerade, dass da in Berufung gegangen wurde. Interessierte sollten also am besten noch mal im Detail recherchieren, dass schaff ich gerade nicht. 

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Stichwortartig nicht. Aber zum Thema Mord, Lebenslang usw. gibt's diese beiden Kolumnen von Fischer, die direkt aufeinander folgen und somit eigentlich als ein Text zu lesen sind:

 

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/abschaffung-lebenslange-freiheitsstrafe-todesstrafe

 

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/lebenslange-freiheitsstrafe-schuld

 

auch der sogenannte "Haustyrannenmord" wird da erwähnt, in dem Kontext, dass die Heimtücke (zB hinterrücks oder im Schlaf getötet) als Mordmerkmal mit automatischer Höchststrafe eben oft das Mittel der Wahl der Schwachen und Unterdrückten ist.

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Klingt auch etwas abstrus. Wer würde sein Opfer schon vorher wecken, damit man nicht für Mord ran genommen wird (Oder wäre dass dann vertuschung und somit doch wieder Mord?)

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Klingt auch etwas abstrus. Wer würde sein Opfer schon vorher wecken, damit man nicht für Mord ran genommen wird (Oder wäre dass dann vertuschung und somit doch wieder Mord?)

Ja, es ist abstrus. Bruder Loras letzter Satz ist da mehr als wahr. 

Vor allem da die betroffene Frau gesagt hat, ihr Gedankengang war ungefähr "wenn er aufwacht, dann erschießt er mich", weil der Revolver ihres Mannes auf dessen Nachttisch lag. 

 

Ein Beitrag vom SWR, in dem sie selbst zu Wort kommt und sowohl die Tat als auch die Hintergründe beleuchtet werden.

Vorsichtshalber noch mal in aller Deutlichkeit: Das Programm schildert krasse Grausamkeiten.

https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/tandem/swr2-tandem-tod-eines-haustyrannen-mord-oder-notwehr/-/id=8986864/did=16006222/nid=8986864/1qwr0b7/index.html

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Was genau die Crux ist, auf die Fischer in den beiden Kolumnen abhebt: die automatische lebenslange Freiheitsstrafe ohne Ermessensspielraum bei Erfüllung des Mordtatbestandes steht dem Rest des Strafrechts entgegen, kann zu Ungerechtigkeiten führen und ist ein archaisches Überbleibsel. Was zudem laut ständiger Rechtsprechung des BVerfG verfassungswidrig ist, weswegen die lebenslange Freiheitsstrafe eben keine lebenslange, sondern eine auf 25 Jahre beschränkte ist. An dem aber aus Angst vor "Volkes Stimme" nicht gerüttelt wird. Kein Politiker will sein Konterfei in der Bildzeitung mit der Überschrift "X will lebenslänglich für Mörder abschaffen!" wiederfinden.

 

Sehr schön fand ich auch das Beispiel, dass selbst das Herbeiführen einer Atomexplosion oder die Vorbereitung eines Angriffskrieges einen minderschweren Fall kennt. Nur der Mord nicht.

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Wobei wir dann natürlich wieder beim Problem sind, dass Mord immer lebenslang ist - Strafmaß okay finden, aber "Mord" fordern funktioniert halt nicht im deutschen Rechtssystem (an anderer Stelle habe ich ja schon darauf verwiesen, dass die §211-212 Problematik ein tiefsitzendes Problem des deutschen Strafrechts ist, und dringend überarbeitet gehört ...).

 

 

Klingt sinnvoll (was du da schreibst).

Hast du evtl. stichwortartig Ideen dazu?

 

Schamlos selbst verlinkt: https://foren.pegasus.de/foren/topic/29386-politische-diskussionen-sind-hier-nicht-ot/page-32#entry565973

 

 

 

Wobei wir dann natürlich wieder beim Problem sind, dass Mord immer lebenslang ist - Strafmaß okay finden, aber "Mord" fordern funktioniert halt nicht im deutschen Rechtssystem (an anderer Stelle habe ich ja schon darauf verwiesen, dass die §211-212 Problematik ein tiefsitzendes Problem des deutschen Strafrechts ist, und dringend überarbeitet gehört ...).

 

 

 

Vor zwei Wochen habe ich etwas zu einem Fall gehört, in dem genau diese Problematik eine Rolle spielte. Vorher habe ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht. Es ging um eine Frau, die nach Jahren der physischen und psychischen Misshandlung ihren Mann erschossen hat. Das Gericht wollte die Umstände der Tat berücksichtigen, sie sagte, sie habe in Notwehr gehandelt. Aufgrund von gerichtsmedizinischen Erkenntnissen stand jedoch im Raum, dass sie ihren Mann wahrscheinlich im Schlaf erschossen hat. Dies hätte das Mordmerkmal Heimtücke erfüllt und somit wäre sie nicht unter einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt worden.

Also, kurz gesagt: Volle Zustimmung. Die entsprechenden Paragraphen sollten überarbeitet werden. 

 

Der gute alte Haustyrannenfall ... Etwa 2./3. Semester. Hat damals (90er iirc) zu einer richterrechtlichen Erfindung (streng genommen illegal, aber bislang meckert niemand) namens "minderschwerer Fall des Mordes" in (im Strafrecht verbotener!!!) Analogie zu §213 "Minderschwerer Fall des Totschlags" geführt. Damit ist rechtswissenschaftlich niemanden gedient, und zufrieden ist auch keiner, aber mehr Reform (als eine illegale Rechtsfortbildung durch so Richter) kriegen wir seit '49 irgendwie nicht hin ...

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Wie ist der Fall denn letztlich ausgegangen? (Notwehr klingt nach Freispruch, Umstände beurteilen nach mildernden Fakten, Heimtücke nach "Mord")

heimtückischen Mordes

Also wegen Mordes (Merkmal: Heimtücke). Die Qualifikation in der Form ist nicht zielführend und missverständlich.

 

Entschuldigt, wenn das pedantisch erscheint, aber genaue Begrifflichkeiten helfen dabei, dass sowas auch in der Laiensphäre (auf die es ja letztlich ankommt, wenn wir 'ne Reform wollen, denn Gesetze macht hier immer noch das Volk) richtig ankommt.

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Vor zwei Wochen habe ich etwas zu einem Fall gehört, in dem genau diese Problematik eine Rolle spielte. Vorher habe ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht. Es ging um eine Frau, die nach Jahren der physischen und psychischen Misshandlung ihren Mann erschossen hat. Das Gericht wollte die Umstände der Tat berücksichtigen, sie sagte, sie habe in Notwehr gehandelt. Aufgrund von gerichtsmedizinischen Erkenntnissen stand jedoch im Raum, dass sie ihren Mann wahrscheinlich im Schlaf erschossen hat. Dies hätte das Mordmerkmal Heimtücke erfüllt und somit wäre sie nicht unter einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt worden.

Also, kurz gesagt: Volle Zustimmung. Die entsprechenden Paragraphen sollten überarbeitet werden.

 

Winzige Korrektur: verurteilt würde sie zu lebenslänglich, und diese Strafe könnte fühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Sie würde also nicht unter 15 Jahren rauskommen, nicht zu 15 Jahren verurteilt werden. Wichtiger Unterschied.

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Vor zwei Wochen habe ich etwas zu einem Fall gehört, in dem genau diese Problematik eine Rolle spielte. Vorher habe ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht. Es ging um eine Frau, die nach Jahren der physischen und psychischen Misshandlung ihren Mann erschossen hat. Das Gericht wollte die Umstände der Tat berücksichtigen, sie sagte, sie habe in Notwehr gehandelt. Aufgrund von gerichtsmedizinischen Erkenntnissen stand jedoch im Raum, dass sie ihren Mann wahrscheinlich im Schlaf erschossen hat. Dies hätte das Mordmerkmal Heimtücke erfüllt und somit wäre sie nicht unter einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt worden.

Also, kurz gesagt: Volle Zustimmung. Die entsprechenden Paragraphen sollten überarbeitet werden.

 

Winzige Korrektur: verurteilt würde sie zu lebenslänglich, und diese Strafe könnte fühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Sie würde also nicht unter 15 Jahren rauskommen, nicht zu 15 Jahren verurteilt werden. Wichtiger Unterschied.

 

Was einem beim Klugscheißen so alles entgeht ... Sehr richtig!

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