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[Nightmare Bites] Kap.1: SCHÖNE AUSSICHTEN ODER STEILES KARRIEREENDE


Der Läuterer
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Clive

 

"... den armen Jungen ..." Ich zweifle daran, dass Cainnech gerne so von Matilde genannt würde. Aber sie hat natürlich recht. Er ist nicht viel mehr als ein Junge, hat kaum etwas gesehen von der Welt.

 

"Nein, die haben wir wohl nicht ...", sage ich, um das Beste aus dieser ausweglosen Lage zu machen. Ich spüre das Gewicht meiner Lightning in der Tasche. Aber ich glaube nicht, dass sie mir hier viel nützen wird. Ich wünschte, ich hätte meine Falcata bei mir. Ich leuchtender Schimmer würde mir wenigstens ein wenig Hoffnung machen ... und irgendwie erschiene diese Waffe angemessener für die Konfrontation, die ich jetzt erwarte. Eine alte Klinge gegen alte Kräfte ... aber mit der Falcata durch London laufen?

 

Dann höre ich Schritte hinter der Tür und meine Anspannung steigt.

Edited by Joran
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Eine männliche Stimme hinter der Tür. "Tut mir leid. Die Stiftung ist geschlossen. Versuchen Sie es bitte Montag noch einmal."
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Die Expeditionstagebücher

 

Wo auch immer man hinsieht nur behauener Stein, alte, überwucherte Gebäude. Dazwischen verlandete Kanäle und überflutete Ebenen. Oft waten wir durch fast knietiefen Sumpf. Doch der Bodengrund ist immer fest. Wir fragen uns, wie alt diese Bauwerke hier wohl sind? Unsere Schätzungen reichen von 500 bis 2500 Jahren. Die etwas höher gelegenen Bereiche des Areals sind trocken. Das Gebiet ist riesig, die Tempel weitläufig und stets sind da diese steinernen Tore... wie offene Schlünde; einige davon führen über lange Treppen hinab in unbekannten Tiefe. Nach dem Durchschreiten empfängt einen eine angenehme Kühle und eine beunruhigende, absolute Schwärze, die jedes Licht zu verschlucken scheint. Seltsame Geräusche und Gerüche dringen von dort nach oben. Es ist genauso, wie es der französische Missionar in Cochinchina, Charles Émile Bouillevaux, berichtet hatte.

Edited by Der Läuterer
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Clive

 

"Sergeant Burns?", frage ich laut. Als die Person nicht sofort reagiert, fahre ich fort: "Sie kennen uns, die Contessa Matilde Visconti und mich, Dr. Clive Savage. Lord Penhew hat uns gestern Abend empfangen. Sie haben uns zu ihm geführt.

 

Wir haben wichtige Informationen für Lord Penhew und würden ihn daher gerne nochmals sprechen!"

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"Ja, mein Herr. Ich weiss... ich erkenne Ihre Stimme wieder... aber wir haben unsere klaren Anweisungen. Herr Gavigan hat uns deutlich zu verstehen gegeben, niemandem zu öffnen. Es tut mir wirklich leid... ich kann Sie lediglich vertrösten." Edited by Der Läuterer
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Clive

 

"Wir können hier nicht einfach die Tür aufbrechen. Wir sollten versuchen mit Lord Penhew persönlich zu telefonieren", flüstere ich leise zu Matilde und ziehe sie vom Eingang weg in Richtung des benachbarten Bürgogebäudes.

 

"Wenn das nichts bringt, können wir immer noch andere Wege suchen ..." "... oder aufgeben und abreisen!"

 

"Sie können mit Cainnech überhaupt nichts anfangen! Er ist ihnen nur als Geisel von Wert. Wenn Gavigan etwas von uns will, wird er vermutlich sogar selbst mit uns Kontakt aufnehmen.

 

Wir sollten jetzt hier von der Straße verschwinden. Hier sind wir nichts weiter als Zielscheiben."

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Clive

 

Etwas widerstrebend folgt mir Matilde. Als ich uns vor dem Hintergrund des abgelaufenen Ultimatums als Zielscheibe beschreibe, lässt sie ihren Blick aber doch einmal über die Straße schweifen.

 

Wir steigen die Stufen zum Büro von 'Kilmister und Stratton' herauf und finden den Eingang des Büros verschlossen vor. Das ganze Gebäude wirkt ruhig und verlassen. "An einem Donnerstagnachmittag ist das in einem Bürogebäude zwar verwunderlich, mir aber durchaus recht. Möglicherweise sind alle in der Mittagspause. Und vielleicht ist es sogar gut so, je nachdem, was uns erwartet und was wir weiter planen", denke ich. Nachdem Matilde uns mit ihrem Schlüssel einlässt, hören wir bereits Luni aus einem der Nachbarzimmer.

Edited by Joran
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Als Ihr das Büro betretet, kommt Euch Luni entgegen gehumpelt, den Ihr bereits auf Eurem Weg durch das Treppenhaus habt fiepen und knurren hören. Er wedelt und sein Schwanz peitscht die Luft so schnell, dass er einen leichten Luftzug erzeugt.
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Clive

 

Die Bekundung von Lunis bedingungslose Zuneigung zu Matilde ist eine angenehme Abwechslung von den Geschehnissen dieser Tage. Es ist erstaunlich, wie gut sich Luni bereits erholt zu haben scheint.

 

Wir sorgen dafür, dass der Wolf sich so wenig bewegt wie möglich, damit die Wunden nicht wieder aufreißen.

 

Dann setzt sich Matilde neben Luni an seinem Lager auf den Boden und bittet mich, bei Lord Penhew anzurufen. Ich nicke kurz.

 

Zuerst trete ich an ein Fenster und versuche mir einen Überblick zu verschaffen: Gibt es Balkone? Liegt das Büro oberhalb der Wohnung von Lord Penhew oder darunter? Gibt es eine Möglichkeite von diesem Gebäude zur Penhew-Stiftung zu gelangen ... oder später von dort zurück hierhin, falls wir flüchten müssen?

 

Ich nehme mir vor, nach dem Telefonat durch das Treppenhaus bis in den obersten Stock zu gehen, dort nach einem Zugang zum Dach zu suchen und ihn ggf. zu entriegeln.

 

In Gedanken plane ich bereits verschiedene Möglichkeiten, um in die Penhew Stiftung zu gelangen oder auch später aus ihr zu fliehen. Und doch rät mir mein Gefühl weiterhin, nicht länger zu zögern, sondern London zu verlassen.

 

"Warum hat Gavigan keine Forderungen gestellt? Warum hat er uns gegenüber verheimlicht, dass er Cainnech in seiner Gewalt hat? ... Cainnech gefangen zu nehmen, macht nur Sinn, wenn man Matilde und mich unter Druck setzen will. Warum bleibt der Druck aus? Weil man davon ausgeht, wir verstehen die Botschaft auch ohne Worte? Das wäre eine Fehleinschätzung, denn wir wissen noch immer nicht, was welche Fraktion genau von uns will ... Oder geht es gar nicht darum, uns zu unterdrücken, sondern darum, uns für irgendetwas zu bestrafen ... uns Schmerz zuzufügen?

 

Warum hat Gavigan der Polizei seine wahre Identität offengelegt? Er hätte auch eine falsche Identität benutzen können. Weil er mit den Anthropophagen im Bunde steht und neben Dalgliesh weitere von ihnen zur Polizei gehören? Das könnte immerhin erklären, warum die Polizisten Cainnech überhaupt an Gavigan ausgehändigt haben. ... Aber musste sich Gavigan gegenüber den Polizisten erst ausweisen ... ihnen seinen Namen nennen? Dieser Sergeant ... Edmund. Er schien den Namen Gavigan von Cainnechs Übergabe zu kennen, aber sonst nicht viel damit anfangen zu können. Ebenso dieser andere Sergeant ... Serge ... auch er schien nicht auf den Namen Gavigan anzusprechen.

 

Hat Edmund den Namen Gavigan aufgeschnappt, als sein Vorgesetzter Gavigan so angesprochen hat, weil der Gavigan schon kannte? Oder musste Gavigan erst seinen Namen nennen? War er keinem der Polizisten von Angesicht bekannt?

 

Edmund beschrieb den Wagen der Penhew Stiftung. Die ganze Übergabe schien ihm merkwürdig vorgekommen zu sein. Darum war er aufmerksam. Er hätte den Wagen der Penhew Stiftung vermutlich nicht erwähnt, wenn das für ihn selbstverständlich gewesen wäre oder er etwas hätte verdecken wollen. Wer immer bei Cainnechs Transport der ranghöchste Polizist war, muss das Treffen mit Gavigan arrangiert haben, Berichte in der Polizeiwache frisiert, unterschlagen oder sonstwie verhindert haben. Vermutlich gehören noch mehr Polizisten dazu. Aber dieser Edmond vermutlich nicht."

 

Nachdem ich mir ein Überblick über den Bereich hinter den beiden Häusern und die baulichen Verhältnisse gemacht habe, gehe ich zum Telefon.

 

Ich bitte die Vermittlung, mich mit Lord Penhew im Hause der Penhew Stiftung, Tottenham Court Road 35, zu verbinden.

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Die Stimme des Fräuleins vom Amt "Hallo? Sir? Es tut mir leid, aber bei der gewünschten Nummer geht niemand an den Apparat."
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Clive erreicht das obere Stockwerk. Im Dachgeschoss stehst Du unter der Dachbodenluke. Du öffnest die alte Luke - Staub und Mörtel rieseln Dir entgegen. Du ziehst die Klappleiter zu Dir herab und steigst nach oben. Bei jedem Deiner Schritte quietscht die Leiter und biegt sich leicht durch. Der Dachboden ist schrecklich kalt, schrecklich dreckig, schrecklich dunkel und einfach nur schrecklich schrecklich. Vier Dachluken, zwei rechts, zwei links, sind schwer verschmutzt und lassen nur milchiges Licht hindurch. Du öffnest eine der zwei in Richtung Stiftung...

Geschlossene Bebauung. Nur eine schmale Gasse zwischen den Gebäuden. Das der Detektei ist etwas höher. Vielleicht einen Meter. Auf dem Dach der Penhew-Stiftung sind drei ähnliche Fenster wie dieses hier...

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Clive

 

Ich beobachte das Haus der Penhew Stiftung eine Weile.

 

Ich bin erneut froh, mich Penhews Wunsch, in den Spiegel zu schauen, widersetzt zu haben.

 

Sehr gut erinnere ich mich an die Worte von Lord Penhew, mit denen er Matilde einlud, ihm doch seine Unterlagen zu stehlen. Falls Lord Penhew Initiator der Angriffe auf uns gewesen sein sollte, falls er Cainnech in seine Gewalt gebracht hat, erhielte diese scheinbar beiläufige Bemerkung einen ganz anderen Unterton. Der oberflächliche Eindruck von Sorglosigkeit würde bitterem Sarkasmus weichen.

 

Aber wir sind keine Einbrecher, keine Fassadenkletterer, keine Menschen, die sich nachts in Museumshallen abseilen. Erneut gehen mir Bilder des Besuchs im 'Coronet' in Cardiff mit Cainnech durch den Kopf und dann auch von unserem Weg durch die Ausstellung nebenan bei Nacht. Ich weigere mich zu glauben, dass der Besuch des Films 'Blackmail' irgendein Vorbote des Schicksals und nicht lediglich eine zufällige Parallele war. Der menschliche Verstand versucht nur zu gerne Zusammenhänge zwischen Ereignissen herzustellen, auch wenn es in Wahrheit keine Verbindung gibt.

 

Lord Penhew wird das Stiftungsgebäude gesichert haben. Schon wegen der wertvollen Kunstschätze, die er dort gesammelt hat. Aber auch wegen der anderen Relikte ... Und seit unserer Warnung vor den Erpressern wird die Aufmerksamkeit sicher nicht nachgelassen haben. Sergeant Burns ist sicher nicht sein einziger Wächter.

 

"Wir wissen noch nicht einmal, ob Cainnech im Gebäude der Penhew Stiftung festgehalten wird. Genausogut könnte er ..." Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken als ich an Matildes Beschreibung der Fleischerei denke, die sie in Dalgliesh Gedanken gesehen hat. Ich dränge den Gedanken und die Konsequenzen, die er mit sich bringt, rasch beiseite.

 

"Was hatte Matilde sonst noch gesehen? Hat sie etwas von Polizisten erzählt?", frage ich mich.

 

"Die Polizei hinzuzuziehen macht jedenfalls keinen Sinn ... das haben wir schon versucht. Es war ja gerade die Polizei, die Cainnech an Gavigan übergeben hat."

 

Ich denke einen Augenblick über unserer Situation nach. Dann fasse ich einen Entschluss: "Sie muss es einsehen! Es muss sein, wenn wir nicht alle sterben wollen."

 

Ich kehre ins Treppenhaus zurück und versetze die Klappleiter und die Dachbodenluke wieder in ihren ursprünglichen Zustand. Dann gehe ich herab zum Büro.

 

Matilde kümmert sich noch um Luni. Ich gehe neben ihr in die Hocke und nehme ihre Hand. Es fällt mir schwer, meine Gedanken vor Matilde auszusprechen. Ich weiß, dass sie sie missbilligen wird, selbst wenn sie sich fügen sollte:

 

"Matilde, Lord Penhew geht auch nicht ans Telefon. Niemand geht dort ans Telefon ... Entweder Gavigan hat ihn ausgeschaltet oder Penhew ist selbst verantwortlich für die Angriffe auf uns.

 

Wir haben tatsächlich keine Ahnung, wo Cainnech festgehalten wird. Es wäre nicht klug von Gavigan, ihn gerade in der Penhew Stiftung unterzubringen.

 

Wir wissen nicht einmal, ob Cainnech noch lebt ... Gavigan hat sehr enge Kontakte zu Polizisten, sonst hätten die ihm Cainnech nicht ausgehändigt. Wir dürfen annehmen, dass noch mehr Polizisten der gleichen Gruppe angehörten wie Dalgliesh. ... Es liegt auf der Hand, dass auch Gavigan zu ihnen gehört. Er hat für Höllsang gearbeitet, der sich wiederum auf Anthropophagie spezialisiert hatte. ... Du weißt, was DIE mit Menschen machen. ... Du hast es mit eigenen Augen gesehen ..."

 

Ich halte kurz inne und seufze, bevor ich weiterspreche:

 

"Wir können nichts für Cainnech tun. Wir haben es versucht. Aber alles, was wir jetzt noch unternehmen würden, käme einem Amoklauf gleich. Wir würden ins offene Messer rennen.

 

Und wofür? Um einen Blick auf Cainnechs ausgeweideten und zerlegten Körper zu werfen? Soll das das Bild sein, das wir von Cainnech künftig in Erinnerung behalten?

 

Matilde ... BITTE ... Man muss einsehen, wenn man eine Schlacht verloren hat! Dann muss man seine Kräfte schonen, so schwer es einem auch fällt. Nur so kann man sich neu formieren ... nur so kann es weiter gehen! Nur so kann man weiterleben ... und vielleicht irgendwann einmal Vergeltung üben.

 

Jetzt müssen wir loslassen. Sonst werden wir ALLE sterben: Dein Kind mit Dir, Ove, Luni, Kristine, vielleicht sogar Walter Kilmister. Willst Du das riskieren?

 

Mir wird Cainnech sehr fehlen und sein Schicksal wird eine weitere Last sein, die mich für den Rest meines Lebens verfolgt. Es wird schrecklich für mich sein, seiner Mutter die Nachricht zu überbringen. Aber ich will der Reihe der Toten nicht auch noch Dich und Dein Kind hinzufügen. Das würde ich nicht ertragen. Kannst Du das verstehen?"

 

Ich blicke Matilde in die Augen. Und ich spüre, wie sich meine mit Tränen füllen. Ich bin zu erschöpft, um mich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich empfinde vor Matilde auch keine Scham. Tränen sind das einzige, was wir Cainnech noch geben können.

Edited by Joran
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Nach dem Telefonat mit Matilde widme ich mich wieder den Büchern. Der Brandgeruch macht mich unruhig. Er erweckt keine guten Erinnerung.

 

Mir drohen immer wieder die Augen zuzufallen, doch einige Bilder reißen mich wieder etwas aus der Müdigkeit. Ich schaue sie mir besonders genau an. Dann hole ich mit fahrigen Händen, ohne dass ich meinen Blick von den Bildern lassen kann, mein Notizbuch und einen Stift hervor und fange an zu schreiben. Ich mache mir Notizen in mein Buch.

Aus einem mir selbst unklaren Grund heraus, schreibe ich diese Notizen nicht mit der feinsäuberlichen Handschrift eines gelernten Journalisten, sondern mit der krakeligen Handschrift eines Wissenschaftlers in Eile, eines Mediziners, der schnell einige Symptome aufschreiben muss, bevor er zum nächsten Patienten muss. Und ich schreibe auf Schwedisch, meiner Muttersprache.

 

Ich blättere weiter durch die Bücher und finde weitere Bilder, die mich innehalten lassen. Einige Textpassagen schaue ich mir ebenfalls genauer an.

Das Bild von Edith, welches Gavigan aufgenommen hat, trenne ich vorsichtig aus dem Album heraus und lege es in mein Notizbuch.

 

'Vielleicht sollten wir diese Edith aufsuchen, oder rausfinden, ob sie noch lebt und was sie zu sagen hat.', denke ich

 

Diesem Gedanken folgend suche ich nach weiteren Namen von Expeditionsteilnehmern und schreibe diese ebenfalls heraus.

 

Ich bin sehr beeindruckt von den Bildern der Ruinen in Ankor. Und die Beschreibung der Portale und was das Durchschreiten bewirkt, macht mich noch unruhiger, aber dafür noch wacher.

 

Die absolute Dunkelheit...

 

...das, was in den Augen dieser furchtbaren Maske zu sehen war...

 

... BÖSE Mächte!

 

 

Nach dem ich mit schneller Hand die letzten Notizen gemacht habe, erhebe ich mich schnell vom Stuhl, ich verpacke die Bücher wieder. Schnell und sorgsam.

Ich lege sie wieder in ihr "Versteck" und gehe aus dem Zimmer. Die Pistole wieder in meiner Jackentasche. Ebenso das Notizbuch, das wieder in der Innentasche meines Jackets ruht und dieses Mal nehme ich auch meine Kameratasche mit der Hand wieder mit. Wie ein verwunschener Talisman.

 

Mit zittrigen Fingern verschlisse ich die Tür von außen, nicht ohne mich immer wieder umzusehen, ob mich jemand beobachtet.

 

'Ich muss mich beeilen! Darf keine Zeit verlieren!'

 

Schnell stecke ich den Schlüssel zum Zimmer von Doktor Savage wieder ein. Mit schwitzigen Fingern, eile ich wieder hinab zum Fernsprecher.

 

Ich muss kurz überlegen, bis mir die Kennung des Anschlusses der Detektei wieder einfällt - so geht es schneller.

 

Meine Gedanken überschlagen sich, während ich das Freizeichen höre.

Ich bemühe mich möglichst ruhig zu wirken, aber mein wachsamer Blick verleiht diesem Versuch vermutlich etwas Lächerliches.

 

'Ich muss Mr. Kilmister erreichen!

 

Er muss Matilde und Doktor Savage etwas ausrichten!

 

Hoffentlich ist jemand da!

 

 

Nimm ab! Nimm ab, verdammt!'

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Die Expeditionstagebücher

 

Eine absonderliche Begegnung mit einem der kleinen Männer hat uns gezeigt, dass es im Bereich der Naturwissenschaften noch sehr, sehr viel zu erforschen und zu lernen gibt.

Dieser Mann, wohl ein Schamane oder Augure, lebte in einer Art Symbiose mit einem Ameisenstaat. Zuerst glaubten wir, dass wir unseren Übersetzer falsch verstanden hatten. Wir konnten uns nicht vorstellen, was gemeint sein könnte. Wir dachten, dass es sich bei ihm vielleicht um so etwas wie einem Imker handeln würde. Was uns dann aber begegnete, spottete allem, was ich jemals in Lehrbüchern gelesen hatte. So etwas hatte weder in der Biologie, noch in der Medizin jemals Erwähnung gefunden. Und es hatte sicher niemand zuvor jemals gesehen. Es war erschreckend. Schockierend. Unglaublich. Faszinierend. Phantastisch. Denn dem Mann, dem wir nun begegneten, hockte im, wie es die Inder nennen, Lotussitz in einem Ameisenhaufen. So glaubten wir, doch die Ameisen trugen den Mann herum, was so wirkte, als würde er knapp über dem Boden schweben. Unzählige Ameisen krabbelten auf ihm herum. Sie kamen aus seinem Lendenschurz heraus, und als ich sah, dass der Mann in seinen Handflächen haselnussgrosse Löcher hatte, aus denen die Ameisen heraus und dann wieder hinein krochen, wie in einer langen Prozession oder Strasse, erlebten wir fast eine Katastrophe, die uns den Kopf hätte kosten können. Doch unsere verschreckten und angeekelten Gesichter beleidigten die kleinen Männer nicht, wie ich zuerst befürchtet hatte. Sie waren vielmehr äusserst amüsiert über unsere Reaktionen. Und das war für mich das aller verstörendste.

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