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[Nightmare Bites] Kap.1: SCHÖNE AUSSICHTEN ODER STEILES KARRIEREENDE


Der Läuterer
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Ich laufe auch langsam, uns till.

Diese Niederlage brennt sich wieder in meiner Seele.

Cainnech ist noch im Gefaengnis, der Auftrag ist...mit der Marquard verstorben, wir werden staendig gejagt.

"Wir sollten uns ein wenig ausruhen, dann werde ich meinen Anwalt einschalten, um Cainnech da rauszuholen" sage ich zu Clive.

"Zumindest das, sollte uns gelingen" ich laechele schief.

"Angenommen, ich werde nicht in 2 Stunden einfach aus dem Nichts umgebracht, so wie laut...Ultimatum passieren sollte"

Ich schuettele den Kopf, und gebe die Pistole zu Clive zurueck.

 

"Ich brauche einen Bad. Bis spaeter" sage bitter, und verschwinde in mein Zimmer.

Ich behalte die Luger immer bene mir, waehrend ich bade.

Es macht keinen Sinn hier zu bleiben.

 

Dann rufe ich Kilmister an.

"Walter? Matilde hier. Ich habe viele Neuigkeiten. Unsere Auftrag hat sich leider erledigt, der, oder besser die Auftraggeberin ist heute in einem Brand verstorben. Wir haben es geschafft, zu ueberleben, aber es war kein Unfall, weisst du. Ausserdem musst du dich als Anwalt um eine Sache kuemmern."
Ich erzaehle ihm von Cainnech, und bitte ihn, uns dabei zu helfen, ihn rauszuholen.

"Wir brauchen auch die Stadt zu verlassen. Wir werden mindestens von zwei verschiedene Gruppen gejagt. Das geht auf die Dauer nicht gut"

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Clive

 

Ich nehme von Matilde meine Lightning entgegen. Die Rückgabe der Waffe erscheint mir wie eine Antwort auf meine letzten Gedanken. "Als wollten die Nornen zu Füßen des Weltenbaumes mich verhöhnen, fügen sie es beim Spinnen so, dass Matilde mir den Revolver in eben diesem Moment reicht." Ich betrachte die glänzende Waffe einen Augenblick und wiege sie in der Hand. Dann schüttle ich kurz den Kopf, wende mich im Gehen zu Mr. Ecklund um, der bereits seine Zimmertür öffnet, und nicke ihm noch einmal zu. Matildes Worte durchbrechen die Stille vor Cainnechs Tür, was die Situation für mich erträglicher macht. Aber das Schuldgefühl bleibt.

 

"So viele Tote und Schwerverletzt: Die verbrannten Diebe im Auktionshaus, der Taxifahrer, vermutlich mehrere Menschen in der Schneiderei, Kristine Grenn, Luni, Roy Dalgliesh, Cainnech, Elisa Marquard, der namenlose Feuerwehrmann, vielleicht weitere Opfer des Brandes ... und dann noch die Tode, über die die Zeitungen berichtet haben. ... Es ist eine Posse ... ich überstehe den Angriff in der Schneiderei, obwohl ich wehrlos war ... ich werde als einziger nicht unter Beschuss genommen, als ich die Leiter herabsteige ... dieses Phänomen nimmt irrwitzige Züge an."

 

Als ich die Tür meines Zimmers hinter mir geschlossen habe, lehne ich mich zunächst dagegen und verharre einen Moment so. Ich werfe einen kurzen Blick auf den unberührten Koffer unter meinem Bett, auf den Stock an der Garderobe und ich zwinge mich dazu, mit der Hand nach der Uhr und dem Schlüssel in der Tasche zu tasten. Dann schließe ich die brennenden Augen. Mein Atem geht noch immer rasselnd. Meine Lungen fühlen sich schwer an, als wären sie zum Bersten mit Asche gefüllt. Der Gedanke löst erneut einen Hustenreiz aus. Noch immer ist der Auswurf schwarz. Ich gehe hinüber zu dem kleinen Tisch und setze mich auf den Stuhl. Die Zeitung, die ich mir gekauft habe, liegt unverändert bereit.

 

"Was sollen wir jetzt tun?", frage ich mich ratlos. Ich ziehe die Taschenuhr hervor und lasse den vorderen Deckel aufschnappen. Ich zähle die Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums. Ich höre das leise Ticken des Uhrwerks ... rastlos ... ein rasend schneller Puls. Aber ich weiß, dass die Zeit nicht so unaufhaltsam ist, wie sie uns Menschen scheint. "Es gibt etwas außerhalb unseres Verständnisses von Raum und Zeit ... eine Macht, die mich nicht mehr ängstigt, sondern fasziniert ... Warum ist das so? ... Liegen dort die Antworten auf meine Fragen ... auf UNSERE Fragen?"

 

Ich bin zu erschöpft, um klar denken zu können.

 

Ich will rechtzeitig fertig und wieder bei Matilde sein, bevor das Ultimatum abläuft. "Ein Bad also ..." Ich streiche mir durch den Bart ... oder dem versengten etwas, das von ihm übrig ist.

 

"So bekommt Hartmut für eine Weile doch noch seinen Willen", denke ich und suche mein Rasiermesser und frische Kleidung zusammen.

 

Eine Weile später betrachte ich in dem Spiegel den fremden Mann ohne Bart und versuche, in seinen Gesichtszügen zu lesen.

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Müde schleppe ich mich hinter Doktor Savage und Matilde hinterher. Ich kann noch immer nicht realisieren, was heute alles passiert ist. Der Tag ist noch nicht vorbei und ich habe mehr Elend und Schrecken erlebt als in all den Jahren davor. Bevor wir in die Pension gefahren sind haben wir noch einen Zwischenhalt bei meiner Wohnung eingelegt. Ich habe mir schnell die Hände und das Gesicht gewaschen und den schlimmsten Dreck abgespült. Dann schnappte ich mir ein paar neue Klamotten und machte mich wieder auf den Weg nach unten zum Taxi in dem Clive und Matilde ungeduldig und erschöpft auf mich warteten. Als ich wieder einstieg merkte ich erst was für einen Eindruck wir auf unseren Fahrer machen mussten. Das Innere des Taxis stank wie eine Räucherei und die abgerissenen, geschundenen Gestalten, die dort auf der Rückbank hockten wirkten nicht als wären sie überhaupt in der Lage die Fahrt zu bezahlen. Clive gab dem Fahrer einen Vorschuss, damit er uns mitnahm. Doch man sieht ihm an, dass er uns lieber früher als später loswerden möchte.

 

Ich hatte sowohl das Bündel mit den Büchern der verstorbenen Frau Marquard als auch die Kameratasche im Taxi gelassen, während ich hoch in meine... unsere Wohnung eilte. Ich nahm noch eine von Kristines Einkaufstaschen mit, die über eine Stuhllehne gelegt war.

 

Mir schossen wieder die Bilder ihres gequälten Körpers durch meine Erinnerungen. Ich muss leise Aufstöhnen bevor ich hinab gehe.

 

 

Wieder im Taxi sitzend bedanke ich mich müde beim Fahrer fürs Warten. Er nickt nur, kurbelt das Fenster etwas weiter runter, damit er weniger unserem Gestank ausgesetzt ist und fährt weiter.

Clive gibt die Anschrift von Witwe Loocks Pension an. Und wir rattern über Londons straßen. Ich packe das Bücherbündel in die Einkaufstasche und lege meine frische Kleidung auf einen sauberen Bereich im Fond des Taxis.

 

Wir schweigen. Jeder hängt seiner Müdigkeit oder seinen Gedanken nach. Ich fühle mich ausgebrannt, müde und leer.

 

Bei der Pension angekommen zahlen wir dem Taxifahrer ein großzügiges Trinkgeld und gehen hinein. Ich trotte also hinter Matilde und Clive her und betrete mit einem sonderbaren Gefühl in der Magengrube das Zimmer, das eigentlich gar nichts meins ist. Doch alleine will ich nun auch nicht sein. Erst recht nicht mit diesem "Gepäck".

 

Ich sitze auf dem Bett im Zimmer und versuche mich zu entspannen. Doch statt Entspannung erfasst ein Zittern meinen Körper. Bald bebt mein Körper und meine Muskeln zucken in einem Stakkato mit unnatürlichem Rhytmus. Es ist kein heftiges Zucken, wie bei einer Epilepsie und ich brauche sicher einige Minuten bis ich begreife, dass ich nicht nur zitter und zucke, sondern dass ich schluchzend und weinend auf dem Bett sitze. Mir laufen die Tränen in Ströhmen über das Gesicht, waschen den Dreck tief aus den Poren. Doch ich weine leise. Und mein Körper zittert dabei, während auch mein Atem stockend geht.

 

Erst nach mehr als zehn Minuten habe ich mich beruhigt. Der Heulkrampf endet so schnell und plötzlich wie er kam. Ich wasche mir erneut das Gesicht. Dann nehme ich mein "Gepäck" und blättere zunächst in den Unterlagen von Frau Marquard und schaue mir einige der Fotos an. Als ich höre, dass Doktor Savage wieder auf seinem Zimmer ist, erhebe ich mich, gehe an seine Zimmertür und klopfe.

Nachdem er öffnet bitte ich ihn auf diese Dinge acht zu geben.

 

"Wir sollten dies niemals aus den Augen lassen!" Dann drücke ich ihm die Bücher und die Kameratasche mit der Hand in die Arme. 

 

"Ich muss mich nur eben schnell waschen. Haben Sie vielen Dank." und dann verschwinde ich ins Bad, bevor er weitere Fragen stellen kann.

Ich fühle mich außerstande mehr zu erklären. Ich muss erstmal diesen Schmutz und Gestank loswerden und dann  will ich nur noch schlafen.

Edited by Puklat
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Clive

 

Ich blicke Ove Ecklund noch eine Weile nach, als sich die Tür hinter ihm schon wieder geschlossen hat.

 

Es war nicht zu übersehen, dass er um Haltung bemüht war. Sein Gesicht war gewaschen, aber seine glasigen, geröteten Augen verrieten seine tatsächliche Verfassung. Sein kurz angebundenes Auftreten, die übereilte Art, in der er mein Zimmer wieder verlassen hat, zeigten deutlich sein Angst davor, in ein Gespräch verwickelt zu werden.

 

"Er sieht nicht nur jünger aus, als er ist. Er erwacht erst jetzt aus der vermeintlichen Realität, wie sie unsere Zivilisation zeichnet, in der Wirklichkeit. ... Das wird ihm zusetzen. ... Mancher zerbricht daran", denke ich. "Bei meinem Erwachen war ich jünger als er. Vielleicht ist es leichter zu akzeptieren, dass die Dinge nicht sind, wie sie scheinen, wenn man jünger ist?"

 

Ich höre durch die Wand Geräusche aus Matildes Badezimmer. Auch sie scheint die äußeren Zeichen unseres Misserfolges inzwischen beseitigt zu haben.

 

Mein Blick fällt auf die beiden Bücher und die Fototasche, die Ove Eklund auf meinen Tisch gelegt hat. Ich habe kein Bedürfnis, in die Bücher zu sehen. Nicht jetzt. Ich überlege, die Bücher in meinem Überseekoffer einzuschließen, sehe dann aber doch davon ab. Der Geruch nach Rauch, der ihnen anheftet ist impertinent. Ich ziehe mir stattdessen den Stuhl heran und lege die Bücher oben auf den Schrank. Die Fototasche wird Ove Eklund wohl wieder mitnehmen, wenn wir uns aufmachen ... wohin auch immer ...

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Kilmister: "Oh, grosser Gott... Matilde... Geht es Dir auch wirklich gut?"

 

"Ist Dir auch wirklich nichts passiert? Brauchst Du einen Arzt?"

 

"Vergiss den Auftrag... bitte... es gibt jetzt wichtigeres, als diesen verdammten Unglücksauftrag. Hugh hatte ihn angenommen. Die Sache erschien ihm wichtig zu sein. Leider weiss ich auch nichts genaues darüber..."

 

"Er ist ja jetzt fort... mit Eurem Sohn... ich bedauere das... Es tut mir von Herzen leid. Ihr Zwei seid so ein schönes Paar."

 

"Benötigst Du etwas? Geld? Ein Automobil? Oder frische Kleidung?"

 

"Um Deinen Bekannten aus Irland werde ich mich kümmern... Gib mir bitte seinen vollständigen Namen. Wo und wann wurde er verhaftet? Wie lautet die Anklage? Und in welche Polizeirevier wurde er gebracht?"

 

"Kann ich sonst noch etwas für Dich tun?" ...

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Ich atme leise aus, als ich es hoere.
Hartmut ist weg, Alex ist sicherer, sicherer als hier.

"Nein, es geht mir gut. Ich brauche schnellst dieser Junge aus dem Gefaengnis raus, wir verziehen uns aus London"

Ich sage ihm alles, Name, Nachname, wo sie ihn verhaftet haben, wieso, dass sie nichts in der Hand haben. Ich sage ihm auch, wo wir gerade sind.

 

"Ich weiss leider nicht, wo sie ihn gebracht haben, aber das findest du heraus, ich kenne dich. Ich werde spaeter zu dir kommen, und Luni abzuholen. Danke, Walter"

Meine Stimme ist muede.

"Viel Glueck, bis spaeter" sage ich, dann lege ich auf.

 

Danach ziehe ich etwas an, werfe mich aufs Bett, und nehme die Pistole auf den Nachtisch.

Ich fuehle mich so muede.

Ich starre die Decke an.

Wir kaempfen gegen Geister.

Wie kann man gewinnen?

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Clive

 

Leise höre ich durch die Wand den Klang von Matildes Stimme ... nur Matildes Stimme. Sie könnte mit sich selbst sprechen, aber etwas sagt mir, dass sie telefoniert. Mit Kilmister vermutlich.

 

Ich verstehe nicht, was sie sagt, es ist die Melodie ihrer Stimme der ich lausche.

 

"Ist es nicht erstaunlich, wie vertraut einem die Stimme eines anderen Menschen in kürzester Zeit werden kann? .... Mit ihrer Stimme begann es. Sie war das erste, was ich von Matilde wahrnahm ... in einem anderen Alptraum an einem anderen Ort. ... Damals, als ich gerade die ersten Worte mit Paul wechselte. ... Niemand musste Paul sagen, wer dort um Hilfe rief. Er kannte sie auch ... die Melodie von Matildes Stimme. ..."

 

Irgendwo schlägt eine Uhr die Zeit. Das Ultimatum nähert sich unaufhaltsam seinem Ende. Ich gehe zum Fenster und blicke hinab auf die Straße. Menschen gehen vorüber. Jeder von ihnen ist verdächtig oder niemand. Hier in London mehr denn je. Ein Mann wendet sich gerade ab, als ich in seine Richtung blicke. Er hat den Hut tief ins Gesicht gezogen. Für einen Moment halte ich den Atem an ... meine Paul zu erkennen. Möchte schon das Fenster öffnen und nach im rufen ... da wird mir bewusst, dass es nicht sein kann. Meine Hand löst sich wieder vom Riegel und sinkt herab.

 

"Es kann nicht gut um meine Verfassung stehen, wenn ich schon die Toten sehe", denke ich. Aber ich hasse mich für diesen Gedanken, denn etwas in mir weigert sich standhaft, Pauls Tod als Tatsache zu akzeptieren. "Wir haben keinen Beweis ... noch immer keinen Beweis ... und keine Spur. Wir tappen, was Paul angeht, genauso im Dunkeln wie mit allem anderen."

 

Und da ist es wieder, dieses Gefühl der Gemeinsamkeit mit Matilde. "Sie erleidet ihre eigenen Verluste, kann die nicht schützen, die ihr nahe stehen. Ähnlich wie ich." Ich besinne mich. "Paul ... Dr. Cooper ... Luni ... Alexander ... vielleicht auch ein wenig Cainnech? Wer weiß, wie viele noch?"

 

Als meine Gedanken sich Cainnech zuwenden, frage ich mich, ob das Band, das sich zwischen im und Matilde zu bilden schien, im Krankenhaus zerstört wurde. Als ich mir auszumalen beginne, was Cainnech im Gefängnis vermutlich erdulden musste, wird mir übel. Ich bilde mir ein, Cainnech in einer Zelle des Pentonville Prison zu sehen, höre die harten Schritte eines Wachmannes auf dem Gang, das Klopfen seines Schlagstocks gegen die Tür, das Geräusch eines aufschnappenden Riegels. Ich meine mich selbst durch Cainnechs Augen zu sehen ... mein Gesicht ohne Bart und mit leerem Blick. Mein Gesicht ist verschwommen, irgendwie wellig. Ich habe Angst, dass es jeden Moment zerfließen könnte. So wie der Mann in der Schneiderei. Als sei der Schädelknochen verschwunden ... verdampft ... wie der Schädel von Roy Dalgliesh ... nur dass meine Haut ohne Halt zurückgeblieben ist ... wie eine Maske, die man sich überstülpen kann. ... Eine Maske mit Augen, die in die Leere zu starren scheinen ... oder an einen Ort unter der Oberfläche ...

 

Plötzlich fällt ein Schatten auf mein Gesicht und gleich darauf höre ich einen dumpfen Schlag. Ich scheine aus einer Trance zu erwachen. Mir wird bewusst, dass ich mein Spiegelbild in der unebenen Scheibe anstarre. Wie lange wohl schon?

 

Ich ziehe meine Uhr aus der Tasche und lasse den Deckel aufschnappen. Eine Viertelstunde. Ich habe eine volle Viertelstunde vor dem Fenster gestanden und in die Leere gestarrt.

 

Ich höre ein leises Geräusch. Auf der Fensterbank hockt ein Rotkehlchen. Blut rinnt aus seinem Schnabel und es hält den Kopf merkwürdig schief. Jetzt sehe ich auch Blut an der Scheibe. Daran kleben ein paar kleine weiche Federn. "Kigeewitt" Das Auge des Vogels schimmert schwarz-rot, als er mich anblickt. Aber das Augenlied scheint ihm schwer zu werden. "Kigeewitt" Das Tier sitzt ganz ruhig im Schnee. Unter seinem Schnabel färben ein paar kleine Blutstropfen den Schnee rot. "Kigeewitt" Dann gibt es keinen Ton mehr von sich. Ich öffne das Fenster ....

 

Vorsichtig lege ich den warmen, toten Körper zurück in den Schnee.

 

Ich fühle mich, als würde ich einen unsichtbaren Pesthauch verströmen, der jeden zu töten droht, der sich mir nähert.

Edited by Joran
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Kein Geräusch mehr. Dann ein Schatten auf dem Schnee. Schwarz wie der Russ am Chelsea Hotel. Schwarz ... wie... wie eine schwarze Katze? Sie nimmt den kleinen Vogel behutsam auf... fast liebevoll hält sie ihn im Maul, während sie Dich anschaut... mit ebenso kohlrabenschwarzen Augen. Dann ist ein Knacken zu hören. Das Knacken von winzigen Knochen. Edited by Der Läuterer
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Clive

 

Eine Weile später haben wir uns in Matildes Zimmer eingefunden.

 

Es ist mir unangenehm, die anderen länger direkt anzusehen. Ich werfe ihnen nur flüchtige Blicke zu. Sie beide sind von den Strapazen und der Frustration gezeichnet und ich fürchte, sie könnten meine Gedanken zu offensichtlich in meinem Blick lesen. Matilde sieht aus, als hätte sie eben geschlafen ... kein Wunder, Ihr Körper braucht jetzt Ruhe. Ove ist bleich und wirkt benommen, völlig verunsichert.

 

Ich vermeide es auch, die Tasche und die Bücher, die nun auf dem Tisch liegen, anzusehen. Stattdessen betrachte ich mit großer Ausdauer unverfängliche Dinge, wie meine Tasse mit dampfendem Kaffee.

 

Niemand scheint recht zu wissen, wo er beginnen soll. Also ergreife ich wieder die Initiative. Meine Stimme hat sich noch nicht vollständig erholt, als ich beginne:

 

"Haben wir verloren?" Ich lasse die Frage auf die anderen und auch auf mich selbst wirken und werfe Matilde einen kurzen Blick zu.

 

"Zuviel möchte ich meinen: Kristine, Cainnech, Luni und Alexander. Und wir sind nur noch zu dritt: Dr. Baxter hat sich verständlicherweise zurückgezogen. Hartmut ist fort. Mrs. Marquard, die uns als weitere Informationsquelle hätte dienen können, ist tot."

 

In Gedanken setze ich hinzu: "Hartmut hat uns sowieso nie geholfen. Ich verachte ihn dafür, dass er Matilde in diese Situation gebracht hat. Wie konnte er sie alleine in dieses Desaster schicken?"

 

Aber laut fahre ich fort: "Was uns bei realistischer Betrachtung bleibt, sind ein alternder Arzt, ein Fotograph und eine schwangere Frau. Auf der anderen Seite stehen mindestens zwei Gruppen, die uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit attakieren. Wir wissen nicht mit wem wir es zu tun haben. Wir wissen nicht mit wievielen wir es zu tun haben. Wir wissen noch nicht einmal, was genau sie von uns in Wahrheit wollen.

 

Eine Weile hatte ich irgendwie gehofft, wir könnten Verbündete gewinnen. Vielleicht die Afrikanerin, die ihr im Auktionshaus gesehen habt ... oder den Mönch aus der Queen Street ... oder Lord Penhew. Vielleicht steht von ihnen jemand auf der gleichen Seite wie wir, kämpft gegen die gleichen Mächte. Aber ich habe die Hoffnung verloren.

 

Die Polizei wird uns auch nicht helfen. Im Gegenteil, das haben wir erlebt. Und weil Roy Dalgliesh einer von ihnen war, müssen wir als Möglichkeit in Betracht ziehen, dass unsere Angreifer noch mehr Männer beider Londoner Polizei eingeschleust haben. Wenn die Tcho-Tcho hier in London tatsächlich dauerhaft eine heimliche Enklave gegründet haben - dafür sprechen die Hinweise, die Hartmut gefunden hat -, dann erscheint es nur logisch, dass sie wissen und beinflussen können wollen, was die Polizei sich genauer ansieht und was nicht.

 

Bislang waren wir lediglich Spielbälle des Geschehens. Wir wissen nicht worum es hier wirklich geht. Wir wissen nicht wer warum was will.

 

Das einzige, was wir annehmen können, ist, dass die Tcho-Tcho die Hand haben wollen. Dieses Problem können wir vielleicht zu einem Abschluss bringen. Wir könnten den Tcho-Tcho die Hand überlassen, damit sie uns in Ruhe lassen. Oder wir vernichten die Hand und hoffen, dass damit ihr Interesse an uns erlischt und nicht ihr Rachedurst geweckt wird. Aber ich hoffe, dass die Tcho-Tcho vor allem darauf bedacht sind, unerkannt zu bleiben um hier ihre langfristigen Ziele weiterverfolgen zu können. Rache ist eine irrationale Emotion, die ihnen hierbei eher im Wege stünde. Andererseits sollen die Tcho-Tcho von Dämonen abstammen. ... Ich weiß, dass ist ein Volksglaube. Aber irgendetwas wird die Menschen zu dieser Vorstellung bewegt haben und das wird vermutlich nicht ein besonders ausgeglichenes Wesen der Tcho-Tcho gewesen sein. ... Trotzdem, wenn ihr mich fragt, ich wäre dafür, die Hand zu vernichten ... sie zu verbrennen und ihre Asche in die Themse zu werfen. ..."

 

In diesem Moment kommt mir ein aberwitziger Gedanke.

 

"Oder wir übergeben die Hand den Erpressern, die vermutlich zur Organisation 'La Main Droit' gehören. Dann könnten sich die Tcho-Tcho und die Organisation gegenseitig bekämpfen."

 

Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich mich einen Moment in dieser Vorstellung ergehe. Doch schnell nimmt mein Gesicht wieder einen ernsten Eindruck an.

 

"Aber wir hatten bisher nie viel Glück, wenn wir versucht haben, die Dinge in die Hand zu nehmen. Vermutlich würde das nur alles schlimmer machen."

 

"Und was den Rest angeht ..." Ich lege eine kurze Pause ein.

 

"Die Auktion bedeutet zunächst einmal Gefahr, weil es naheliegend erscheint, dass wir dort auf unsere Gegner treffen, ohne sie auch nur erkennen zu können.

 

Die Hand wird nicht mehr angeboten, wenn wir sie nicht zurückgeben ... und das scheint mir ausgeschlossen. Also können wir auch nicht sehen, wer auf sie bietet und so unsere Angreifer ausfindig machen. Aus diesem Grund müssen wir die Auktion also nicht besuchen."

 

Ich ziehe meinen zerknitterten Plan aus der Tasche, in dem ich die Orte markiert hatte, an denen Menschen zu Schaden gekommen sind, breite sie auf dem Tisch aus und streiche sie mit der flachen Hand glatt. Ich habe das Princess Grace Krankenhaus und das Chelsea Hotel bereits ergänzt.

 

"Ich habe euch bereits von meiner Theorie erzählt. ... Bloßer Unfug vielleicht ... Aber das einziges Motiv, die Auktion zu besuchen, könnte für mich die Identifizierung des Ursprungs dieser Gewalt sein. Es könnte sich um einen Auktionsgegenstände handeln, möglicherweise die Maske, möglicherweise auch die Hand. Vielleicht ist aber auch nicht ein Gegenstand der Auslöser der Gewalt, sondern möglicherweise eine Person, die sich dort aufhält. Oder die Kraft ist längst von einem Gegenstand auf eine Person übergegangen ... jemand der die Maske getragen hat ..." "...oder jemand, der die Hand berührt hat ..."

 

Ich werfe einen vorsichtigen Seitenblick auf Ove Eklund.

 

"Aber was könnten wir dann tun? Die Maske zu ersteigern, um ihn dann zu zerstören werden wir vermutlich nicht finanzieren können. Ich glaube kaum, dass die Orga oder sonstige Interessenten über weniger Mittel verfügt als wir. ... Nein, auch das scheidet als Grund für einen Besuch der Auktion aus. ... Wenn wir dieser Sache auf den Grund gehen wollten, müssten wir VOR der Auktion tätig werden. Nur müssen wir damit rechnen beobachtet zu werden. Und wir sind geschwächt ... leichte Ziele.

 

Und was könnten wir sonst unternehmen?

 

Glaubt ihr, dass Werefkin uns irgendwie weiterbringt? Wenn schon Penhew eine Enttäuschung war, dann erscheint mir Werefkin erst recht nicht besonders vielversprechend. Aber ich habe ihn nicht selbst kennengelernt.

 

Und die Visitenkarte? Bestenfalls eine grausamer Streich der Nornen, schlimmstenfalls ein boshafter Hinweis an mich, nämlich die Botschaft, mich zu kennen und zu wissen, womit man mich persönlich treffen kann. Ich glaube nicht, dass diese Spur uns weiter bringen wird, so gerne ich auch mehr darüber wüsste.

 

Wir haben die Bücher von Mrs. Marquard. Aber wir müssen nicht in London bleiben, um sie genauer zu untersuchen. Und es wird vermutlich schwer sein, ohne Mrs. Marquards Erklärungen alles richtig zu deuten.

 

Wir hatten noch überlegt, den Taxifahrer genauer unter die Lupe zu nehmen. Wurde er dafür bezahlt, uns an diese Kreuzung zu bringen? Oder zählte der Taxifahrer er sogar zu unseren Gegnern? War der Unfall in Wahrheit ein Anschlag? Warum sonst waren unsere Gegner in der Schneiderei direkt vor Ort? Aber würde uns eine Antwort auf diese Fragen tatsächlich weiter bringen?

 

Dann gibt es da noch die Reporter. Sensationsjournalisten oder Eingeweihte? ... Ebenfalls eine schwache Spur.

 

Und das bringt mich zu meiner Ausgangsfrage zurück: Haben wir verloren? ... Ich fürchte JA. Wir haben verloren, ohne überhaupt das Spiel erkannt zu haben, in dem wir mitspielen. Man kann nicht gewinnen, wenn man die Regeln und das Ziel nicht kennt."

 

Ich blicke einen Moment zu Boden, bevor ich weiter spreche:

 

"Um ganz ehrlich zu sein: Ich fühle mich dieser Stadt und ihren Bewohnern nicht verpflichtet. Ich bin ihnen NICHTS schuldig. London ist schon lange krank. Wie ein bösartiges Gewächs hat es sich in Europa eingenistet und begonnen, es aufzufressen. London hat über die ganze Welt schreckliches Leid gebracht und streckt noch immer seine Arme in alle Richtungen aus. Ohne jedes Mitleid. London hat MIR Leid gebracht. Ihr habt gesehen, wie sie mit Cainnech umgegangen sind. ... Wenn London morgen durch einen großen Brand völlig vernichtet würde, ginge es vielen Millionen Menschen besser als heute.

 

Ich habe in dieser Stadt nichts anderes gesucht als Deine Gesellschaft, Matilde." Ich denke an das Geburtstagsgeschenk in meinem Koffer. "Wenn Du mit mir nach Irland kommst, habe ich alles gewonnen, was ich in dieser Stadt finden könnte. ... Meine Zeit für Expeditionen und Kämpfe ist vorüber, denke ich. Ich bin zu alt dafür geworden. Ich glaube nicht, dass ich noch etwas bewirken kann."

 

Bilder aus vergangenen Tagen tauchen ohne eine sinnvolle Ordnung aus meinem Gedächtnis hervor: der gewaltige Amazonas, die sonnigen Wiesen auf der Farm meiner Großeltern in Maine und der Geruch der Zedern, Medīna an-Nabi, die erleuchtete Stadt, Lourenço Marques und viele mehr ... Stationen meines Lebens.

 

Nun wende ich mich direkt an Matilde.

 

"Ich weiß, wir sind von Herm geflohen ... und darum konnten wir mit diesem Kapitel nie so recht abschließen ... mit Pauls Verschwinden ... und allem anderen. Das nagt an uns. Aber manchmal muss man akzeptieren, dass Flucht die einzige Chance darstellt, um zu überleben. ... Und ich will überleben. Mehr als ich es früher wollte.

 

Wieviele Anschläge werden wir noch überleben, wenn wir in London bleiben? Das Taxi, das Krankenhaus, der Brand im Hotel, ... was wird als nächstes kommen? Und wen werden sie sich als nächstes vorknöpfen, um uns unter Druck zu setzen, nachdem Kristine und Alexander aus ihrer Reichweite sind? ... Kilmister? Oder Sie, Mr. Eklund?

 

Ich finde, wir sollten London verlassen. Möglichst noch vor Ablauf des Ultimatums ... sofort."

 

Ich blicke die beiden an.

 

"Sie wären mir sehr willkommen, Mr. Eklund. Sie und Kristine. Kommen Sie mit uns nach Irland. Lassen Sie uns Kristine und Cainnech nachholen, sobald es geht."

Edited by Joran
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Ich seufze, und bleibe auf dem Bett halbliegen.

"Ich habe gerade mit Kilmister gesprochen, er wird sich sofort um Cainnech kuemmern. So gegen Abend wuerde ich gerne zu ihm gehen. Dann wissen wir, wie es aussieht. Auch mit Kristine." fuege ich hinzu.

"Ehrlich gesagt, sehe ich auch keinen Grund hier zu bleiben. Absolut keinen Grund..Ich bin total verwirrt, wieder sind wir mitten im Gefecht, ohne zu wissen wieso. Wir stecken nur Pruegeln ein. Und ich habe es satt."

Ich bleibe einen Augenblick still.

"Ich bin auch dafuer, die Hand einfach abzufackeln, und in die Themse zu schmeissen. Und auch wenn ich neugierig bin zu wissen, wer bei der Auktion erscheinen wird, so waere es einen Suizid."

Ich schaue alle in den Augen.

"Also von mir us, Rueckzuck. Kristine und Cainnech holen, und nix wie weg hier. Wir haben verloren"

Schon wieder.

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"Ja", denke ich, als Doktor Savage die Frage nach der Niederlage stellt. "Ja", flüstere ich, ungewollt.

 

"Natürlich haben wir verloren. Was erwartet der alte Mann? Dass wir nun ein Fass aufmachen und uns neuen Mut antrinken? Mut wofür? Uns bleibt doch nur die Schadenbegrenzung.... besten falls... und wenigstens bleibt uns unser Leben... nur wie lange noch?"

 

Ich höre Doktor Savage weiter zu. Manchmal schaue ich zum Bücherbündel auf dem Tisch, auf den der Doktor Savage das Bücherbündel und die Tasche gelegt hat. Dann wieder schaue ich zur Kameratasche. Ich nehme sie geistesabwesend an mich und beginne möglichst unauffällig ihren Verschluss zu öffnen. Ich möchte Doktor Savage nicht ablenken, aber das Treffen, das er hier einberufen hat, begann bevor ich in die Tasche schauen konnte. Ich möchte wissen, was dort drin ist.

 

Der Doktor berichtet von irgendwelchen Informationen, die uns Hartmut, dieses blasierte Arschloch, uns gegeben haben soll.

Ich unterbreche den Doktor unhöflicher Weise: "Hartmut? Meinen sie Hugh?! Wann hat dieser ...", schaue entschuldigend zu Matilde - auch wenn sie getrennt leben, so ist sie doch noch immer mit ihm verheiratet und hat einen Sohn von ihm, "... wann hat uns Hugh jemals Hinweise gegeben, die verständlicher waren als die Sprüche des Orakels von Delphi?! Er hat sich doch einen Spaß daraus gemacht uns im Halbwissen zu lassen." Sogar für mich überraschende Verbitterung schwingt in unüberhörbar in meinen Worten mit. "Jetzt, da es für Matilde und auch für uns in London unsicher wird. Jetzt wo es um Leben und Tot geht... UNSER Leben... da verschwindet er. Nimmt seinen Sohn mit ... ja... das ist wohl das einzig gute. Aber es tut mir leid... er will doch nur seine Haut retten... wir sind ihm doch egal!". In diesem letzten Satz schwang meine Verbitterung in Resignation um. Ich schaue beschämt in die Gesichter von Matilde und Clive. Dann schaue ich zu Boden und wünschte ich könnte diesen Gefühlsausbruch der unfairen Art mit übermäßigem Alkoholkonsum erklären.

 

Ich höre dem Doktor weiter zu und nestel nur noch selten an der Kameratasche herum. Als die Sprache auf die Maske kommt, zucke ich kurz zusamen. Ein Schauer durchfährt meinen Körper.

'Diese Maske, die versteigert wird, ist doch sicher nicht das Original. Warum sollte es das Original sein? Wer ist so dumm eine Maske zu klauen um sie im Schrank zu verstecken?! Das ganze ist kein Kindergeburtstag. Menschen starben... aber doch nicht um die Maske in den Schrank zu legen. Die Maske wurde gestohlen oder hat sich nicht stehlen lassen wollen oder was auch immer... wir sollten aber froh sein, wenn diese Maske verschwindet.... oder ... gerade nicht. Was wenn sie wirkliche Macht hat und diese zu finsteren Zwecken genutzt wird? Wie sollten wir das aufhalten können? Wir können gerade mal unsere eigene Haut retten... und beim Schutz unbeteiligter haben wir alle... auch Hugh... gerade Hugh ... völlig versagt. Sonst wäre Cainnech hier und ich wäre mit Kristine zusammen und sie würde mir von ihrem Seminar berichten.'

 

Als auch Matilde gesprochen hat und ich das Gefühl habe, dass trotz meines Ausbruchs eben meine Meinung erwünscht ist, beginne ich zögerlich.

 

"Ihr habt wohl recht." Ich muss mich räuspern.

 

"Wir haben verloren. Wir kannten das Spiel nicht... kennen es noch immer nicht. Aber es ist kein Spiel. Es ist viel ernster. Viel schlimmer. Wir haben die erste Runde verloren, im Auktionshaus... vielleicht war es ein Unentschieden. Wir haben immer hin die Hand. Wir haben bei Kristine verloren, wir haben Cainnech verloren und Luni. Wir haben unsere Würde verloren und wir haben Frau Marquard nicht retten können... uns selbst nur knapp. Wir kennen die Regeln nicht... aber es ist mörderisch. Aber kann man diese Hand überhaupt verbrennen? Vernichten? Sprach Frau Marquard nicht, dass sie nicht brennt?"

 

Ich schaue mit Tränen der Trauer und der Verzweiflung in den Augen die beiden wieder nacheinander lange an.

 

"Ich glaube nicht, dass wir in Irland sicher sind. Und auf gar keinen Fall lasse ich Kristine alleine hier!"

 

Kristine wollte mich nicht heiraten... sie will ihre Freiheit genießen, kein Heimchen werden. So sagte sie es im Spaß, aber ich wusste, dass es ihr sehr ernst ist. Ich bin noch immer traurig, dass sie nicht verstanden zu haben scheint, dass ich sie auch nicht als Heimchen haben möchte. Aber sie hat zu viele konservative Männer kennengelernt... zu aller erst ihren Vater, der sie zwar finanziell unterstützt, ihr Studium aber eigentlich für sinnlos hält. Viele ihrer Lehrer und auch einige der Professoren. Sie will nicht auch noch von mir enttäuscht werden... von noch einem Mann, der anders zu sein scheint als all die anderen Männer, es dann aber doch nicht ist. Und ich bin mir manchmal selbst nicht sicher, ob ich wirklich der bin, für den ich selbst mich halte.

Aber auch wenn wir nie verheiratet oder verlobt sind, so bin ich ihr wenigstens schuldig bei ihr zu bleiben bis sie wieder gesund ist.

 

"Kristine ist wegen uns... wegen IRGENDETWAS, das mit uns zusammenhängt, in einem furchtbaren Zustand. Ich...", und eigentlich meine ich damit uns alle, "... bin es ihr schuldig. Wenn wir sie verlegen lassen können, dann können wir uns dort in der Nähe niederlassen und die Bücher untersuchen, die Hand vernichten und unsere Abreise planen."

 

Wieder mache ich eine Pause. Diesmal schaue ich aber zu Boden.

 

"Ich kann verstehen, wenn ihr nach Irland wollt. Ich will auch weg von hier. Aber nicht um jeden Preis. Nicht ohne zu wissen, dass es Kristine gut geht. Bitte helft mir zumindest Kristine auf's Land zu verlegen, nach Cambridge oder sonst wohin, wo sie sicher ist. Danach, reist nach Irland oder macht was ihr wollt. Mehr kann ich von euch nicht verlangen,... aber bitte helft Kristine."

 

Während ich diese letzten Sätze sprach, wurschtelten meine Finger an den Verschlüssen der Tasche herum, öffnete sie und nun halte ich die in Tücher eingeschlagene Hand auf meinem Schoß und das Tuch beginnt wie von alleine von der Hand zu rutschen.

Ich schaue verblüfft auf das Objekt in meiner Hand.

 

Kaum hörbar murmel ich "Hat sie sich wirklich verändert?!"

 

Bilde ich mir das nur ein, oder hat die Hand wirklich eine andere Haltung eingenommen?

Mit großen Augen schaue ich zu Clive und Matilde und versuche aus ihren Blicken abzulesen,  ob sie bei der Hand auch eine Veränderung wahrgenommen haben oder ob es meine Warhnehmung ist, die mir hier einen Streich spielt.

Edited by Puklat
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Clive

 

Ich widerspreche nicht, als Ove Eklund seiner Wut über Hartmut Luft macht. Aber sich schweige. Matilde kennt mich gut genug, um eine Vorstellung von meiner Meinung über Hartmut zu haben. Da braucht es keine Worte. Matilde wird Hartmut ohnehin keine Vorwürfe dafür machen, dass er ihrem Wunsch gefolgt ist und Alexander fortgebracht hat. Jedenfalls jetzt noch nicht.

 

Auch auf den Protest gegen mein Bild eines 'Spiels' gehe ich nicht ein. "Aber was sind wir schon mehr als Spielfiguren, die, ohne eigene vernünftige Entscheidungen treffen zu können, auf einem Brett hin- und hergeschoben werden? Wir wurden von einem Ort an den nächsten getrieben."

 

Den Ausspruch "Wir haben unsere Würde verloren..." quittiere ich beinahe mit einem Kopfschütteln, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Meine emotionale Reaktion auf diese Worte schwankt zwischen dem Drang, lauthals loslachen oder aber gerührt zu sein über so viel jungendliche Unbedarftheit. "Ich habe meine Würde bereits vor Jahrzehnten eingebüßt und es lange aufgegeben, nach ihr zu suchen. Würde ist der äußerer Schein, mit dem wir das Bild unserer Person in den Köpfen anderer Menschen formen wollen. Würde ist nichts weiter als eine Illusion. Was von uns allen bleibt ist letztendlich ein nakter Klumpen Fleisch, der an Würde mühelos von jeder Katze, von jeder Antilope, ja von einem ausgewachsenen Baum oder der Perfektion einer Blüte übertroffen werden kann."

 

Dann kommt Ove auf die Verantwortung gegenüber Kristine zu sprechen. "Er redet von seiner Verantwortung. Aber er meint wohl UNSERE Verantwortung. Denn die Männer, die ihr das angetan haben, waren kaum hinter dem Fotografen Ove Eklund aus irgendeiner Kleinstadt in Schweden her. Die Aktion richtete sich gegen Matilde und Hartmut, vielleicht auch gegen mich, was ich aber für unwahrscheinlich halte. Wenn jemand sich für Kristines missliche Situation verantwortlich fühlen müsste, dann Matilde und ich, kaum Ove. ... Es ist auch nicht so, dass mich das Schicksal dieser mir fremden Frau unberührt ließe. Aber ich kann ihr hier nicht helfen ... in Irland vielleicht, aber nicht in London.

 

Natürlich verstehe ich, warum Ove Eklund bei Kristine bleiben will. Ich würde auch bei Matilde bleiben. Wir wollen die Menschen schützen, die wir lieben. ... Und doch werde ich Cainnech zurücklassen, wenn er nicht folgen kann. Und ich werde Máirín gegenübertreten und ihren anklagenden Blick ertragen. Denn ich werde Matilde schützen ... und ihr ungeborenes Kind. Matilde ist wichtiger als Cainnech. Sie ist ... meine Tochter ... sie kann mich verstehen, wie sonst kein lebender Mensch. Ich bin nicht bereit, das aufs Spiel zu setzen. Und ich glaube, Cainnech selbst würde das verstehen. ... Es gab eine Zeit, in der ich wie Ove dachte. Das ist lange her. Spätestens im Krieg habe ich gelernt, Menschen aufzugeben, Menschen zurückzulassen, um zu überleben und um das Überleben anderer zu ermöglichen. ... Der Faden, den die Nornen einmal gesponnen haben, lässt sich nicht wieder neu spinnen. Versuchen wir es, so müssen wir scheitern. Das sollte gerade Ove wissen. ... Nun, er wird es früher oder später lernen."

 

Aber ich behalte diese Gedanken für mich. Stattdessen sage ich ruhig zu Ove:

 

"Ich verstehe Sie. Wir müssen davon ausgehen, dass Ihre Freundin nur unseretwegen angegriffen wurde. Und das verpflichtet uns, sie bestmöglich zu schützen, auch wenn wir nicht wissen wer ihr das angetan hat und warum genau. ... Aber gerade deshalb sollten wir unsere Entscheidung nicht davon abhängig machen, was wir uns wünschen oder wozu wir uns verpflichtet fühlen, sondern was für Kristine, Cainnech und auch für Luni tatsächlich am besten ist. ...

 

Glauben Sie nach all dem, was in den letzten Tagen geschehen ist noch ernsthaft, dass wir Kristine damit helfen, wenn wir in ihrer Nähe bleiben? Glauben Sie, dass wir sie schützen könnten? So wie Mrs. Marquard vielleicht? ... So wie wir Cainnech im Krankenhaus schützen konnten? ... Entschuldigen Sie, wenn meine Worte gefühllos wirken. Aber Gefühle sind ein Luxus, den wir uns hier und jetzt bei unseren Entscheidungen nicht leisten können. Wir sind hier in London kein Schutz für Kristine, sondern eine Gefahr!

 

Kristine wurde bereits in eine Privatklinik verlegt. Ob ein weiterer Transport unter medizinischen Gesichtspunkten überhaupt vertretbar ist, müssen wir dort erfragen. Wenn ja, wäre ein Flug nach Irland vermutlich nicht belastender für sie als eine Überlandfahrt mit dem Wagen. Wenn es möglich ist, nehmen wir Kristine mit. Lassen Sie uns erst einmal erfragen, wie es ihr geht.

 

Ich wüßte keinen Ort, an dem wir sicherer wären als auf meinem Landsitz in Irland." Bei dieser Aussage gebe ich meiner Stimme einen sicheren Klage, lasse mir keinen Zweifel anmerken.

 

"Sind wir in Irland sicher? Ich weiß es nicht. Nach den Geschehnissen im letzten Jahr bin ich mir nicht mehr so sicher. Aber das war etwas anderes. Etwas, das mit mir zu tun hatte. Nicht 'La Main Droit', nicht die Tcho-Tcho. Die Rückreise nach Irland ist für mich alternativlos."

 

Während wir unsere Situation erörtern, bemerke ich, wie Ove Eklund fast zwanghaft an der Tasche herumspielt und sie schließlich öffnet.

Edited by Joran
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Diese Hand... ist ein seltsames Ding. Was hatte die Marquard nicht alles über sie gesagt... Was genau? Man muss sie wollen... besitzen wollen... dann kommt der Fluch über einen. Waren das ihre Worte? Was macht der Fluch mit seinem Besitzer?

Die Farbe der Hand ist noch immer ein grau-Schwarz... sechs Finger... abgezehrt und dünn... dünner? Vielleicht.

Die Finger sollen versteinert sein... unbeweglich?

Die Hand erscheint noch klauenähnlicher zu sein als bislang... eine Täuschung? Vielleicht.

Nein! Die Finger sind weniger gestreckt... sie sind gebeugter... wie eine Krallen bewährte Hand.

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Clive

 

"Auf den Fotos von Mrs. Marquard sollen auch Veränderungen der Hand zu erkennen gewesen sein. ... Nun, wer weiß. ... Sie sollten vorsorglich den direkten Kontakt mit der Hand meiden. Je eher wir sie loswerden, umso besser. ...

 

Aber es kann durchaus auch ganz natürliche Gründe für eine Veränderung der Hand geben. Sie scheint zwar schon getrocknet und konserviert, aber wir wissen nicht wie. Die Anatomie einer Hand ist kompliziert. Knoche, Sehnen, Muskeln, Knorpel, Horn, Fett, mehrere Hautschichten, ... all diese Bestandteile reagieren unterschiedlich auf Umwelteinflüsse wie Feuchtigkeit, Druck oder auch Wärme. Die Hand war sehr großer Hitze ausgesetzt und die Luftfeuchtigkeit in der Hotelsuite war zuletzt schon tropisch. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich die Hand unter diesen Einflüssen geringfügig verkrümmt hat. Ich will das nicht verharmlosen. Wir wissen nicht, was es mit dieser Hand auf sich hat. Aber dies ist der falsche Zeitpunkt um in Panik zu verfallen. Es ist schlimm genug, was die Tcho-Tcho für diese Hand bereit sind zu tun. Angesichts dessen sollten wir eine geringfügige Verkrümmung der Hand nicht überbewerten.

 

Legen Sie die Hand besser zurück in die Tasche. Und darin sollte sie bis zum Schluss bleiben.

 

Ich denke, wir sind uns einig, dass wir die Hand vernichten wollen?"

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