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[Nightmare Bites] Kap.1: SCHÖNE AUSSICHTEN ODER STEILES KARRIEREENDE


Der Läuterer
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Clive

 

Von oben höre ich unter all den anderen Geräuschen um mich herum Matildes Stimme. Auch wenn ich die Worte nicht verstehe, begreife ich anhand des Tons ihren Sinn.

 

Offenbar muss ich ein so armseliges Bild abgeben, wie ich mich fühle. Und offenbar habe ich erst ein kleines Stück des Weges hinab geschafft ... sonst könnte ich Matilde wohl nicht mehr hören. Oder ist sie bereits über mir auf der Leiter? Halte ich mit meinem langsamen Fortkommen ihre Flucht auf? Ich versuche schneller zu klettern, rutsche dabei aber mehrmals mit einem Fuss von einer Sprosse ab. Meine Hände schließen sich krampfhaft um die Holme.

 

Der Hustenreiz wird übermächtig. Als sich meine Lunge krampfhaft zusammenzieht, ist der Auswurf schwarz.

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Die unwirkliche Gestalt des Feuerwehrmannes, der durch den Rauch in der Suite gelaufen ist, fesselt meinen Blick.

Ich merke erst jetzt wie viel träger und langsamer ich inzwischen bei allem bin. In meiner Wahrnehmung, in meinen Bewegungen, im Denken. Während er durch den Rauch läuft höre ich ein rhytmisches Klopfen, das in mein Gehör dringt wie das Geräusch eines ständig tropfenden Wasserhahns, den man erst bemerkt, nachdem der Schaden schon entstanden ist.

 

"klopf" ..... "klopf"

Dann gibt es eine Pause. Das Geräusch setzt aus.

 

Ich schaue weiter dem Feuerwehrmann zu . "klopf" ...... "klopf". Wie in einem Brei aus Sinneseindrücken rühre ich förmlich in dem mich umgebenden Lärm, dem Rauch, dem Tosen der Flammen, den Sirenen, den Stimmen versuche ich herauszufinden, woher das Klopfen kommt. Außer mir scheint es niemand zu hören.

Gebannt, wie sonst nur ein betrunkener Dorfsäufer voller nicht nachvollziehbarer Faszination einer einzelnen Schneeflocke nachschaut, schaue ich den gekräuselten Rauchfahnen des Feuerwehrmanns nach. Ich konzentriere mich ganz auf ihn, auf seine Bewegungen und will seine - "KLOPF" - Worte hören. Er muss doch etwas - "Klopf" - sagen.

 

Macht er etwa das Geräusch? Sind es seine Schritte?

 

Langsam werde ich nervös. Dieses Geräusch, das ich nur langsam wirklich zu begreifen scheine, macht mich nervös.

 

.... es muss doch irgendetwas in diesem Raum sein.

 

Doch ich sehe seine Quelle nicht. Ich höre es nicht mal mehr. Doch tief in mir regt sich eine animalische Furcht... dieses Geräusch hat sie geweckt.

 

 Wilde Gedanken springen durch mein Hirn: "Bilde ich mir das Geräusch ein? Seine Quelle muss doch so nah sein. Ich höre doch etwas... immer mal wieder zumindest. Neben dem Tosen des Feuers unter und neben uns."

 

Ich horche genau hin ... "klopf"

Plötzlich droht mein Kopf zu platzen ... "MEINE MEDIZIN..." schneidet die schreiend, keifende Stimme von Mrs. Marquard durch meine Konzentration. Mein Fokus auf das Klopfgeräusch ist vollständig verloren. Sie schreit mich an.

"Sie brüllt, sie muss wild geworden sein. Ich habe doch immer wieder versucht mit ihr zu reden. Habe sie nach wichtigen Dingen gefragt und nun dreht sie völlig durch! Die Frau muss doch völlig von Sinnen sein."

 

Ich fahre sie an: "Hören Sie auf!" Doch schnell merke ich, dass diese Wortwahl unangebracht ist.

"Alles wird gut! Wir kümmern uns um ihre Unterlagen!"  Ich winke idiotisch und unbehofen mit dem Bündel herum, als könne das meine Aussage unterstreichen.

"Die Unterlagen sind in Sicherheit!", ich kann mich nur mühsam beherrschen. Ich will sie am liebsten weiter anbrüllen... ihr zubrüllen, dass wir verdammt nochmal alle Angst haben und sie dabei keine Ausnahme ist. Uns brennt schließlich der verdammte Boden unter den Füßen weg. Aber ich komme nicht dazu ihr das zu sagen. Schon der Anfang meiner Schimpftirade geht in einem Hustenanfall meinerseits unter. "KLOPF"

 

Ein Feuerwehrmann führt oder trägt Mrs. Marquard nun zum Balkon und zur Leiter. Er wird sie sicher hinabbringen. Da bin ich mir sicher.

 

"KLOPF!"

 

Das Geräusch ist wieder da... und es ist lauter denn je. Ich schaue mich um, sehe Matilde, die das Klopfen nicht zu hören scheint.

 

Jetzt erkenne ich es... das Geräusch, es kommt aus meiner Fototasche. Wie kann das sein?! Ist das die Hand? Wird sie gerufen? Ist ihr Meister nah? Sagte die Marquard nicht etwas in der Art?

 

Verdammt... ich muss hier weg! Ist der erste Feuerwehrmann, der im Rauch verschwand vielleicht einer der Schergen des Priesters?

 

Ich nehme alle meine Kraft zusammen und eile auf Matilde zu:

"Sie müssen ganz nah sein!", brülle ich sie an. "Sie sind vielleicht schon hier drin!"

Am liebsten würde ich Matilde schütteln und wachrütteln, aufrütteln. Sie scheint mich nicht zu verstehen.

 

"Wir müssen hier weg! ICH muss hier weg... es ist ganz nah! Wir müssen raus!"

Als mir klar wird, dass Matilde mich für verrückt halten muss, da sie noch immer nichr reagiert, rufe ich: "DIE HAND!"

 

Das zumindest MUSS sie doch verstehen. Mir ist klar, dass ich diese Hand dringend aus dem Haus bringen muss. Jemand will sie haben, mit aller Macht. Dafür ist keine Sache zu teuer, kein Menschenleben, keine Dinge, nichts. Ich kann die Hand aber nicht hier lassen. Was ist, wenn sie nicht verbrennt? Wenn sie durch Zufall gefunden wird, von einem arglosen Feuerwehrmann, der dann schlimm endet? Das darf nicht sein. Nicht noch mehr Leute dürfen wegen der Hand zu Schaden kommen. Doch garantiert dieses Feuer ja auch nicht, dass die Hand entgültig zerstört wird. Das müssen wir wohl schon selbst übernehmen. Vielleicht ist ja einer der Feuerwehrmänner einer unserer Gegenspieler?!  Sucht er vielleicht gerade unter Gefahr seines Lebens nach diesen Unterlagen? Während wir meinen gerettet zu werden, plündert er einfach nur die Suite?

 

Meine Gedanken schweifen kurz ab, zu der Rauch-umströmten Silouette des Feuerwehrmanns.

 

Man kann hier niemandem trauen, so traurig und vereinsamend das auch ist. Wir müssen uns selber helfen!

 

Ich presse das Bündel mit den Unterlagen von Frau Marquard an mich. Ich denke kurz an Kristine, die ebenso unverschuldet, wie viele der Hotelgäste in Gefahr geraten ist und Schaden erlitten hat... die gefoltert wurde.

"KLOPF KLOPF"

 

Ich muss wieder an die Unterlagen und diese furchtbare Hand denken und an die Worte die Mrs. Marquard mir entgegen gekeift hat.

 

Sie hat mir die Bürde auferlegt! Ich kann es auch niemand anderem zumuten! Ich wende mich mit der lebendig-toten Hand in der umgehängten Fototasche und dem Bündel Büchern und Fotos, das ich mir vor die Brust presse, abrupt um und eile zur Leiter. Der Feuerwehrmann ist noch damit beschäftigt Mrs. Marquard sicher zu greifen und so zu postieren, dass sie gemeinsam die Leiter hinabsteigen können, da dränge ich mich an ihm vorbei.

 

"Mrs. Marquard... Ich werde nur schnell nachsehen, was mit ihren Unterlagen ist. Nichts für ungut!". Ich merke gar nicht wie unmöglich das klingt, wie verrückt ich mich verhalte. Aber ich kann nicht länger in einem brennenden Raum mit einer lebenden, abgehackten, vertrockneten, längst toten Hand sein. Das kann nicht richtig sein. Was soll ich noch hier oben?!

 

Ich muss mich und die Unterlagen in Sicherheit bringen und diese Hand von hier wegbringen. Sie wird aktiver! Ihr Meister muss nah sein.

 

Ich schwinge mich auf die Leiter und beginne hinabzuklettern. Der Feuerwehrmann ruft mir noch einige Verwünschungen hinterher. Und in diesem Moment weiß ich, dass ich sie verdient habe. Dass ich mich wie ein irrsinniger verhalten muss... in seinen Augen - "KLOPF" - aber er hat doch keine Ahnung. Er weiß doch nicht halb so viel wie ich.

 

"Matilde! LOS! Wir müssen hier weg!", rufe ich noch während ich voll Adrenalin die Sprossen der Leiter hinunter klettere ohne mitzubekommen, wie die Flammen neben und vor mir aus dem Hotel schlagen. Mit einer ungeahnten, schlafwandlerischen Sicherheit greife ich wie in Trance die richtigen Sprossen, trete nur sehr selten ins Leere und ich merke nicht, wie der Rauch immer wieder sich kräuselnd auch um mich schmiegt, mich einhüllt. Das Bündel presse ich noch immer wie einen Säugling, den ich vor den Flammen retten will an meine Brust und hangel mich mit nur einer Hand die Leiter hinab. Ich bin auf der Flucht... vor mir, vor dem Feuer, vor dem, dem man nie entfliehen können wird ... vor dem Tod und vor noch viel schlimmerem.

Edited by Puklat
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Ich verstehe erst gar nicht, was mit Ove ist.

Der Junge ist bei solche Sachen überfordert, vielleicht sollten wir künftig auf ihn verzichten...immerhin liegt die arme Kristine meinetwegen im Krankenhaus.

"DIE HAND!" schreit er dann, und zeigt kurz auf seine Tasche.

 

Er hat panische Angst.

Ich begreife jetzt, was er damit meint.

"Ja, ich komme sofort nach!" rufe ich ihm entgegend, aber da hat er sich schon an Miss Marquard vorbeigedrängelt.

Dann schaue mich nochmal um.

Es ist immer aussichtloser.

Ich bin in einem brennenden Haus, mit einem Scharfschützer, und eine lebendige Hand, die gerne Leute erwürgt.

 

Ich huste ein paar mal heftig, und spucke auf den Boden. Schwarz. Ruß und Staub.

 

Scheiss drauf. Lieber erschossen, als erwürgt.

Erwürgt ist sowas von...naja so werden Frauen von eifersüchtigen Männer in Italien umgebracht.

 

Ich schaue mal noch einmal nach draussen.

Clive ist unten.

Komm komm komm, du schaffst es noch Matilde.

So endest du noch nicht.

Nicht so.

Wie spät ist es?

Ich schaue mal kurz auf die Uhr.

Edited by Nyre
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Als Du nach der oberen Sprosse greifst und Anstalten machst, hinunterklettern zu wollen, packt Dich eine Hand an der Schulter. Die Hand ist grob, kräftig und sie packt Dich hart an; sie reisst Dich rüde und unsanft herum.

 

Deine Augen tränen vom Rauch. Das Atmen fällt Dir schwer...

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Unten starren die Schaulustigen auf die Szenerie im 6ten Stock. Dort findet gerade ein echtes Drama statt.

 

Der Feuerwehrmann, der gerade noch in der Suite war, klettert auf der Drehleiter aus dem Rauch heraus. Er hat sich die junge Frau Marquard vorne um Brust und Bauch gebunden. Die Frau klammert sich wie panisch um ihren Retter, doch kann sie ihn zum Glück nicht würgen. Der Feuerwehrmann klettert langsam Sprosse für Sprosse nach unten. Die Marquard wimmert und schreit. Ihr Retter, auf Höhe der 5ten Etage, strauchelt. Sein rechter Fuss rutscht von der Sprosse. Er klammert sich an der Leiter fest. Dann rutscht auch noch der andere Fuss ab. Er strampelt und versucht wieder Halt zu finden. Ein Feuerwehrmann erfasst die Situation als erster und reagiert am schnellsten. Er verlässt seinem Platz an der Pumpe und klettert seinem Kollegen entgegen. Die Zeit ist knapp.

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Weit war ich nicht gekommen, da packt mich der Feuerwehrmann und zerrt mich wieder hinauf.

Wäre dies ein Theaterstück würde er "So nicht, Freundchen!" sagen, doch er zerrt mich nur wortlos hinauf.

Er zerrt mich unsanft auf den Balkon und schwingt sich selbst, zusammen mit Mrs. Marquard auf die Leiter. Schon nach wenigen Metern beginnt er zu straucheln. Ich halte den Atem an, was ich aber nicht lange aushalte. Meine Lungen brennen und schreien nach frischer Luft. Luft ohne Rauch und Abgase.

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Clive

 

Erst als mein Fuß keine Sprosse mehr findet, sondern auf eine flache Ebene trifft, wird mir bewusst, dass ich den Abstieg bewältigt habe. Ein kollektiver Ausruf der Meute auf der Straße reißt mich aus meiner Lethargie. Ich blicke die Leiter herauf. Aber von hier aus ist niemand zu sehen. Die Spitze der Leiter wird gerade in eine Wolke aus dichtem Rauch gehüllt. "Warum ist mir noch niemand gefolgt?" Dann zerren mich irgendwelche Hände zur Seite. Irgendjemand herrscht mich an, aber Worte gleiten an meinem Bewusstsein vorbei.

 

Ich taumle durch die Menschen um mich herum und versuche, den Feuerwehrleuten nicht im Weg zu stehen. Immer wieder stolpere ich über Gegenstände ... Schläuche ... herabgestürzte Trümmer. Und immer wieder pralle ich gegen andere Personen, die mich fluchend wegschupsen.

 

Dann sehe ich Gesichter um mich ... neugierige Gesichert ... betroffene Gesichter ... belustigte Gesichter ... enttäuschte Gesichter. Aber ich fühle auch ab und zu ein Schulterklopfen und vernehme beruhigende Stimmen, ohne die Worte wirklich zu erfassen. Die Luft ist besser. Trotzden dreht sich noch alles. Eine Frau hält mir ein Glas vor das Gesicht. Misstrauen beschleicht mich und ich schlüttle den Kopf, wende mich rasch ab. Ich greife nach meiner Uhr und dem Schlüssel in meiner Tasche, lasse sie nicht mehr los.

 

Nach unendlich erscheindenen Minuten erreiche ich einen Hauseingang. Eine Nische, in der ich niemandem im Weg stehe. Die Haustür liegt ein Stück zurück, davor ist eine Treppe mit einem halben Dutzend Stufen. Ich lasse mich an der Wand herabsinken und setze mich auf den eiskalten Stein. Die Kühle ist wohltuend.

 

"Ich müsste irgendetwas unternehmen ... der Schütze ... der Feuerwehrmann ... was war mit mir als ich auf dem Balkon stand? Wo bleibt Matilde?"

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Die Menschenmenge stöhnt auf... eine Frau kreisch laut... schreit nach Leibeskräften... dann ein schwerer Schlag auf Metall... ein dumpfes Geräusch... ein Knacken und ein Platschen, als etwas in eine grosse Pfütze fällt... und der Schrei der Frau erstirbt.
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Clive

 

Ich fahre besorgt aus meinen Gedanken auf, als ich den Schrei höre. "Nein, das war nicht Matildes Stimme. ... War es Mrs. Marquard? Oder jemand ganz anderes. ... Aber im Moment ist kein Verlass auf meine Sinne ..."

 

Ich ziehe mich an dem Treppengeländer hoch und steige bis zum Treppenabsatz, um eine bessere Sicht zu haben. Immerhin haben der Schwindel und das Augenbrennen ein wenig nachgelassen.

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Am Boden, in einer grossen Wasserpfütze, in welcher die Schlieren von Benzin unwirklich schillern und in der einige Eisbrocken hin und her treiben, liegt reglos der zerschmetterte Körper eines Feuerwehrmannes. Sein Helm ist geborsten und liegt einige Meter abseits des Körpers auf dem Asphalt. Der Kopf des Mannes ist zerschlagen, wie ein rohes Ei. Der schmutzige Schneematsch drumherum saugt das Blut gierig auf unf färbt sich immer roter. Ohne grosse Mühe kann man im Schädel das Gehirn des Mannes sehen. Seine Lippen bewegen sich, wie bei einem Fisch an Land. Auf, zu, auf, zu, auuuf, dann läuft noch ein Zucken und Zittern durch seine verdrehten Arme und der Körper liegt schliesslich still.

Erst jetzt fällt Dir auf, dass der Mann ein Neger ist. Er hat Dir auf dem Balkon keine Schokolade geschenkt... Er hat Dir die Hand gereicht.

 

Die Menge stöhnt und verneint die Situation. Vergeblich... Dann rufen sie ihren Gott an, doch der ist zur Zeit hier nicht anwesend.

 

Unter dem dicken Ledermantel des Mannes ragt der schlanke Arm einer Frau hervor. Die Finger ihrer Hand deuten ins Nichts. Ihre rot-lackierten Fingernägel leuchten im Schnee und sind absolut makellos. Völlig unbeschadet...

 

Etwas weiter vom Körper des Mannes entfernt liegt ein einsamer, beiger Wildlederschuh der Marquard, wie der gläserne Schuh von Aschenputtel. Doch kein Prinz wird kommen. Ein Albtraum ohne glückliches Ende.

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Clive

 

Der Anblick trifft mich.

 

Im Gegensatz zu den umstehenden Gaffern, die sich angesichts des Bildes von Blut und Zerstörung ihrer Neugier, morbiden Lust und Entsetzen hingeben, vermag mich das Bild der Toten nicht mehr zu treffen. Ich habe weißgott schlimmeres gesehen ... im Krieg ... auf meinen Reisen. Diese Menschen sind schnell gestorben. Mrs. Marquard litt an einer Krankheit, deren weiterer Verlauf sie möglicherweise in schlimmere Gefielde als nur den Tod geführt hätte. Der Feuerwehrmann hat vermutlich schon oft sein Leben für andere Menschen riskiert.

 

Es ist mehr die Trauer darüber, dass hier zwei Leben enden mussten. Die Trauer und die Wut über das rücksichtslose Vorgehen der Brandstifter. "Wer weiß, ob nicht noch mehr Menschen im Hotel sterben ... qualvoll verbrennen oder ersticken ... Man müsste dem ein Ende setzen. Aber wie sollten wir? Wir kennen unsere Gegner nicht einmal. Und niemand glaubt uns hier. Wir können nicht einfach mitten in London Menschen - oder Wesen, die als Menschen erscheinen - umbrigen."

 

Es ist meine tiefer Widerwille gegen diese ganze, an ihren Wurzeln erkrankte, stinkende Metropole voller Gewalt, Ungerechtigkeit und Dekadenz, die wie ein gewaltiger Kranken ihre Tentaklen über den ganzen Globus streckt und andere Völker auspresst, der durch diesen Vorfall geweckt wird.

 

"Es ist diese verfluchte Stadt mit ihren kranken Menschen. Wir können sie nicht heilen, sie nicht befreien. Wir können ihr nur entfliehen. ... Und jeder Mensch täte gut daran, unserem Beispiel zu folgen!"

 

Ich habe mich wieder auf die Stufen sinken lassen. Hier, in meiner Nische, entziehe ich mich der Aufmerksamkeit der Menschen und habe doch freie Sicht auf das weitere Geschehen. Ich blicke die Leiter herauf. "Matilde, komm endlich!"

 

Ich will diesem Ort entfliehen, will mich über Cainnechs Schicksal vergewissern und dann nur noch fort von hier. Ich bin müde. Mein Körper ist von dem Rauch vergiftet. "Der Auftrag von Mrs. Marquard hat sich gerade erledigt. Die Forderungen der Erpresser können wir nicht erfüllen. Wir haben nicht das geringste von dem Verstanden, was um uns herum geschehen ist. Hier sind wir nur Schießbudenfiguren. Mit jeder Stunde, die wir länger hier bleiben, werden wir mehr verlieren. Ich habe Matilde ... und wenn sie mir bleibt, hat es sich gelohnt, einen Fuß auf diesen verseuchten Boden zu setzen. Aber der Preis war hoch. Und mehr gibt es hier nicht zu gewinnen." Ich denke kurz an die Visitenkarte, verwerfe den Gedanken jedoch wieder. "Erst kommen die Lebenden ... die Toten tragen wir in unseren Herzen!"

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Unten auf der Strasse stehen noch immer viele Feuerwehrleute an den Schläuchen, um zu löschen. Doch das Feuer erweist sich als äusserst borniert und beharrlich. Es ist resistent und weigert sich zu sterben.

 

Das Feuer ist eine wütende, unbeherrschte Kreatur mit einem ureigenem Willen. Sie züngelt von Raum zu Raum. Durch Türen hindurch und Stockwerke hinauf wie hinab. Sie windet sich um das Mobiliar und um Balken, kriecht über Parkett und Teppiche, zerschlägt Fenster und saugt die kalte Luft tief ein, nur um einem wütenden Drachen gleich zu fauchen und Rauch und Feuer zu speien. Die Kreatur tanzt, zuckt und springt. Sie leckt an allem, was für sie brennbar erscheint, und lässt nur Asche und verkohlte Überreste zurück.

Dann entdeckt das Feuer seine Liebe zur Literatur und verschlingt gierig einen Klassiker nach dem anderen in der Bibliothek vierten Stockwerk und macht sich in den Regalen breit. Die Flammen schlagen lüstern aus den Fenstern und verkünden ihre Lebensfreude, so dass die Menschen auf der Strasse unwillkürlich zusammenzucken und zurückweichen. Wo der Strahl des Wassers es erreicht, weicht es kurz zurück und zischt wie eine giftige Schlange, nur um dann noch wilder und unbarmherziger, aus dem Dampf heraus, zurück zu schlagen.

 

Sanitäter kümmern sich um den abgestürzten Feuerwehrmann und decken dann beide Körper mit einer Decke ab.

 

Das Dach des Leiterwagens weist auf Höhe der linken A-Säule eine tiefe Delle auf. Das weisse Dach, des sonst roten Wagens, zeigt rote Rinnsale, die der Schwerkraft folgen und auf dem roten Lack unsichtbar werden, als sei nichts von alledem je geschehen.

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Ich keuche, und spucke wieder schwarz.

"Verdammt, Ove, jetzt geh doch!" zichte ich.

"Wir verbrennen hier gleich!"

Ich schaue mich um, Panik macht sich in mir breit.

Ich kann auch Feuer schaffen, aber nicht es löschen. Wie nutzlos.

Und wenn ich auf die Leiter steige? Was denn dann?

Ist Frau Marquard runtergestürtz? Hat sich so angehört.

Ist sie gerutsch, oder ist der Feuerwehrmann angeschossen worden?

 

Ich wische mir den Schweiss weg.

Starre das Fenster an.

Vielleicht ist das wirklich das Ende.

Ich stecke einer der Waffe weg.

Die andere sinkt zum Boden.

Edited by Nyre
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Die Situation im Chelsea Hotel verschlechtert sich von Minute zu Minute immer mehr. Der Boden zittert und wackelt. Zuerst fast unmerklich, dann wahrnehmbarer und schliesslich deutlich spürbar. Das Gebäude ächzt und stöhnt. Einem angeschlagenem Ungetüm gleich. An einigen Stellen bricht der Boden auf. Risse und Spalten entstehen. Leuchtend lecken die Flammen heiss durch die neu entstandenen Öffnungen.

 

Die Hitze im sechsten Stockwerk ist fast unerträglich geworden. Die Luft ist zum Schneiden dicht. Nur noch knapp über dem Boden hat man noch Luft zum Atmen. Doch auch diese Luft ist heiss, ätzend und schwefelig.

 

Ein Gemälde fällt von der Wand und landest unweit von Matilde krachend auf dem Boden.

 

Von irgendwoher in der Suite ist ein langgezogenes Quietschen zu hören. Ein nerviges, tiefes Kreischen. Ein Gänsehaut verursachendes Geräusch wie ein gequälter Schrei. Wie eine Kampfansage. Wie eine Herausforderung. Wie eine prophetische Ankündigung des Todes.

Holz splittert und kracht, als würde eine enorme Kreatur mit ihren Krallen durch das Gebäude pflügen...

 

Die Geräusche in die Suite nehmen zu. Ein Fauchen. Ein Brüllen. Und ein Zischen.

 

Die Fassade im fünften Stock wackelt, bröckelt und stürzt dann unter dem Geräusch einer donnernd abgehenden Lawine und unter den Schreien und dem Gekreische der Schaulustigen vor dem Hotel auf die Strasse.

 

Staub steigt auf, als das Hotel, wie eine geile Dirne, ihre Hüllen fallen lässt. Und die Freier auf der Strasse antworten stumm und starr mit offenen Mündern, während sie mit glotzenden, weit aufgerissenen Glubschaugen ungläubig auf die klaffende Wunde des Hotels starren.

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'Was war das für ein Geräusch? Warum wackelte die Leiter so? Ist Frau Marquard etwa herabgestürzt?!"

 

Ich habe keine Zeit mir darüber lange Gedanken zu machen. Es wird Zeit! Auch Matilde verliert langsam die Fassung, und das habe ich sehr sehr selten erlebt. Als die Leiter nicht mehr so stark zittert, schwinge ich mich erneut auf die Leiter und beginne zügig mit dem Abstieg.

Ich rufe Matilde zu: "Beeil dich! Warte nicht bis ich auf der zweiten Leiterhälfte bin! KLETTER!"

 

Wie zuvor, nur noch vielleicht etwas schneller, kletter ich die immer noch wippende und immer wieder auf das Balkongeländer schwingende Leiter hinab. Das Bündel mit Büchern wieder wie ein Kleinkind in meinem Arm, mit der anderen Hand nach Halt suchend. Ich konzentriere mich auf meine Schritte an der Leiter als plötzlich die Erde zu beben scheint.

Ein Teil des Gebäudes stürzt direkt vor meinen Augen ein und die Flammen stoßen noch erbarmungsloser und wilder aus dem großen Loch, das nun im Stockwerk direkt unter der Suite von Mrs. Marquard prangt. Ein Schwall noch heißerer Luft strömt mir entgegen.

Gerne würde ich meine Hände zum Schutz vor mein Gesicht halten, doch dafür habe ich keine Zeit, keine Möglichkeit.... das wäre mein sicherer Absturz.

 

Ich klettere tiefer hinab und diesmal scheint die dicke Pranke eines Feuerwehrmanns, der mich zurückziehen will auszubleiben.

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