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[Nightmare Bites] Kap.1: SCHÖNE AUSSICHTEN ODER STEILES KARRIEREENDE


Der Läuterer
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Frau Marquard rollt vom Tisch zurück, dann einige Meter durch den Raum, zum Haustelefon. In aller Seelenruhe bestellt sie sich ein Frühstück. "Wollen Sie wirklich nichts essen?"

 

Nachdem Sie bestellt hat, kommt sie zu Euch an den Tisch zurück gerollt. "Wussten Sie, dass der 1886 in Indien verschollene Anthropologe Joseph Lomac Beaton, die Meinung vertrat, dass die Tcho zu dem werden könnten, was sie essen würden? Wenn sie menschenähnlich bleiben oder werden wollen, dann müssten sie sich von 'weissem Schwein' ernähren."

Edited by Der Läuterer
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Clive

 

"Warum auch immer, diese gelassene, fast schon herablassende Frau ist nicht mehr die selbe Person, mit der ich eben telefoniert habe.

 

Wenn das wahr ist, was sie uns jetzt erzählt, könnte sie ebensogut durch einen Tcho-Tcho ersetzt worden sein. Aber warum sollte er so offen über sein Volk mit uns sprechen? Verständlich wäre, dass ein Tcho-Tcho uns Mrs. Marquard vorspielt, damit wir ihm die Hand überlassen, aber dafür müsste er uns nicht über Fähigkeiten der Tcho-Tcho in Kenntnis setzen, die ihn in dieser Situation verraten könnten und uns misstrauisch machen."

 

Ich bleibe weiterhin vorsichtig. Den Kaffee rühre ich nicht an. Ich versuche unverändert unauffällig, in dem Raum Spuren eines Kampfes, Anzeichen für Medikamente und dergleichen wahrzunehmen. Einen Menschen zu töten ... und zu zerfleischen ... hinterlässt Spuren. Eine solche Tat auszuführen und ihre Spuren zu beseitigen, dürfte in der Kürze der Zeit zwischen unseren Anrufen und dem Besuch schwierig sein. Ich male mir schon aus, wie die echte Mrs. Marquard in der Badewanne oder im Bett in ihrem Blute liegt und wir trinken hier mit ihrem Mörder Kaffee.

 

Gerne würde ich einen Blick in die anderen Zimmer der Suite werfen. Aber es wäre wohl unhöflich, um die Erlaubnis zu bitten, das Bad und das Schlafzimmer einer Dame betreten zu dürfen... "Wir brauchten irgendeine plausible Ausrede hierfür."

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“Ich muss schon sagen..ich bin verdutzt. Noch vor einer halbe Stunde waren Sie am Telefon fast verzweifelt..und nun stehen Sie hier ziemlich lässig, und erzählen Sie uns von Kannibalismus als wäre das ein ganz gewönliches Thema..”

Ich starre sie an. Ich möchte ihre Reaktion abschätzen

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Auch ich verneine das Angebot mit Frau Marquard zu frühstücken. Es erscheint mir zwar geboten, allerdings ist mein Appetit gering. Meine Sorge um Kristine überstimmt meinen Appetit. Und noch dazu haben mir die Gespräche über Menschenfleisch nicht gerade mehr Appetit gemacht.

 

Dann schaue auch ich erwartungsvoll in Richtung von Frau Marquard, und hoffe darauf, dass sie Matilde eine echte Erklärung bietet.

 

"Wir haben nicht viel Zeit und jetzt zu warten bis diese Frau ihr Mahl verspeist hat, birgt noch mehr Verzögerung. Will Sie uns hinhalten? Aber warum? Damit der Pfeiferaucher in sicherer Entfernung ist, bevor hier etwas auffliegt? Ist dies gar nicht Frau Marquard? Dieser Gedanke kam mir bisher gar nicht, aber Clive und Matilde scheinen sich diesbezüglich recht sicher zu sein."

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"Wir kamen mit dem Schiff über Kalkutta nach Indien und dann ging es weiter mit dem Zug nach Norden. Hier sind Karten von dem Gebiet." Elisa öffnet zwei alte, vergilbte Landkarten.

 

"Schauen Sie hier. Da sind wir schon in Bhutan oder Druk Yul wie es die Einheimischen nennen und besorgen uns Proviant und Bauholz. Ausserdem warben wir überall noch Träger und Führer an. Mit 108 Trägern, 5 Führern, 3 Übersetzern, 40 Yaks und 12 Maultieren zogen wir weiter. Unsere Karawane machte sich auf den beschwerlichen Weg in Richtung Norden.

 

"Dieses Foto entstand nach dem zwölften Tag, als wir unser Lager am Paro Chhu Fluss aufgeschlagen hatten. Hier werden am nächsten Tag die Tiere wieder beladen. Je weiter wir voran kamen desto wilder wurde die Landschaft. Irgendwann gab es keine Brücken mehr und die Bäche und Flüsse mussten unter grossen Anstrengungen und Gefahren überquert werden.

 

"Dies ist eine wunderschöne, alte Burg. Sie heisst Drugyal dzong. Ein massiver Steinbau mit vorgelagerten Rundtürmen. Ein Schloss in den Wolken."

 

"Das hier ist ein Foto eines Scherpa mit Yaks und hier ein Teilnehmer der Expedition und hier sind wir nach einem steilen Aufstieg kurz vor dem Tiger Nest Kloster, das von den Einheimischen Taktsang genannt wird. Wir verbrachten eine Nacht dort, beteten in dem dortigen heiligen Tempel und zogen dann weiter. Dies ist ein Foto vom Innenhof des Klosters am Abend. Danach kamen wir nur noch in ein einziges Dorf. Der letzte Blick auf menschliches Leben bevor wir nur noch Eis, Schnee und Fels vor uns hatten."

 

"Unsere Träger waren richtig harte Burschen. Sie stiegen mit über hundert Kilo Gepäck an Ausrüstung, ohne Steigeisen und Schuhe vereiste Hänge hinauf wie eine Bergziege; bei Steigungen von bis zu 40 Grad Hangneigung. Hier opfern sie den Göttern und beten für gutes Wetter und einen sicheren Aufstieg."

 

Weiter und weiter führt Frau Marquard Euch durch die Bücher. Seitenweise Einträge, viele Zeichnung und eingeklebte Fotos, die immer wieder die Texte verdecken. "Hier. Das ist auch sehr interessant. Der letzte Blick zurück in ein Tal, das wir durchwandert haben, nachdem wir ein Tor durchquerten, das uns schliesslich auf ein Plateau führte, das die Einheimischen Leng nannten."

 

"Dies war unser Weg in der gebirgigen Region. Ein Führer brachte uns zu diesem Gebirgszug. Dort in der Nähe der zwei Gipfel, für welche die Einheimischen keinen Namen hatten, war ein Gletscher, der eine grosse Höhlung hatte, durch die ein Gletscherbach floss. Herrlich klares Schmelzwasser, das zu kalt war, um es zu trinken. Es war sonderbar, denn es erwärmte sich fast nicht. Einer der Träger verstarb unter grossen Schmerzen, als er es mit einem Becher schöpfte und herunterstürzte. Sein Hals war schliesslich völlig steif gefroren. Wir begruben den armen Kerl unter ein paar Steinen.

 

"Die Eishöhle war riesig. Auf Steinaltären aus aufgehäuften schweren, grossen Bruchsteinen lagen die Leichen von zahllosen menschlicher Körper unter einem dicken Eispanzer, wie bei einem Schneewittchensarg. Dies hier ist das Gesicht eines dieser Toten, ohne die Eisschicht und versteinert. Wir schlugen unser Lager vor dem Eingang der Höhle auf. Nach dieser Nacht fehlten uns neunzehn Träger, die sich aus dem Staub gemacht hatten, aus Angst vor der Rache der Tscho, denen man die Macht über Eis und Schnee nachsagte... So erzählte es uns zumindest unser Führer. Wir wussten damals noch nicht, dass es sich bei dieser Leiche um einen Tscho gehandelt hat."

 

"Dieses Foto machte einer unserer englischer Begleiter, Clinton 'Ton' Baisedale. Es ist überaus verstörend. Wo genau er dies aufnahm haben wir nie erfahren. Vielleicht ging er nachts noch einmal alleine in die Höhle hinein? Wir haben es nie erfahren. Er blieb verschwunden. Wir glaubten damals, dass er sich zusammen mit den Trägern aus dem Staub gemacht hatte. Hätten wird damals das Foto bereits entwickelt gehabt, vielleicht wäre dann vieles anders gekommen. Vielleicht wäre die Expedition durch meinen Vater auch abgebrochen worden. Aber so brachte uns unser Führer immer weiter und weiter."

 

"Nachdem wir die Gletscherhöhle durchquert hatten, kamen wir vielleicht nur hundert Meter unterhalb des Gipfels wieder ins Freie. Einige von uns kämpften mit der Höhenkrankheit. Der Sauerstoffmangel setzte uns sehr zu. Wir wurden dennoch für unsere Entbehrungen belohnt, denn vor uns tat sich eine grandiose Landschaft auf. Wir hatten einen überwältigender Blick hinab auf unser Zielgebiet. Ist das nicht ein unglaublicher Ausblick?"

Edited by Der Läuterer
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Interessiert höre ich ihrem Bericht zu.

 

Als sie das verstörende Foto zeigt, das ihr Begleiter damals gemacht hat, läuft es mir wieder mal kalt den Rücken hinunter. Doch kann ich kaum etwas erkennen.

 

"Was zeigt dass Bild, das ihr verschwundener Begleiter gemacht hat ihrer Meinung nach? Ist das ein Relief? Oder sind das echte Körper? Wo genau hat er das gemacht?"

Edited by Puklat
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Ich setze mich irgendwohin, und höre still zu.

Mir ist zunehmend schlechter und schlechter, als sie anfängt, über die Gletscher zu sprechen.

Ich spüre kalten Schweiß auf meinem Gesicht.

Ich mache kurz die Augen zu, und reibe sie mir mit den Händen.

 

Kalt.

Wie damals, auf den Gletscher.

Ich sehe alles wieder vor meinen Augen.

Hartmuts Leiche, die Bestattung, das kalte Wasser, dass auf seinen Körper tropft.

Meine Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit.

 

Und dann, Tage später, nach der Lodge, ich wollte wieder dahin.

Ich bin losmarschiert, ohne eine Ahnung, ohne zu wissen, wohin ich ging.

Im Schnee.

Und dann dieses Loch in meinem Kopf. Sieben Tagen. Sieben Tagen voller nichts.

 

"Als Julien da ankam, war ich schon weg" sagte Hartmut.

 

Ich schlage die Augen auf, und stehe auf.

"Entschuldigen, Frau Marquard. Mir ist gerade nicht so gut..könnte ich mir kurz irgendwo mein Gesicht waschen?"

 

Wo war ich die sieben Tage? Wieso bin ich nicht gestorben?

Waren die in der Lodge auch tcho tcho, und keine Menschen?

Deswegen sollten sie immer Menschenfleisch essen?

 

"bitte?" frage ich leise.

 

Nicht umkippen, Matilde. Nicht jetzt.

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Clive

 

Besorgt betrachte ich Matilde. Es ist offensichtlich, dass ihr tatsächlich unwohl ist und sie dies nicht nur vorspielt, um einen Blick in die weiteren Räume der Suite werfen zu können.

 

Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es sich um eine schwangerschaftsbedingte Übelkeit handelt. Ich selbst spüre nichts Ungewöhnliches. "Aber Matilde scheint empfänglicher für manche Einflüsse von außen zu sein", überlege ich und denke an die Bilder, die Matilde gesehen hat.

 

"Brauchst Du Hilfe?", biete ich Matilde meine Unterstützung an.

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"Dort hinten links." Elisa deutet mit dem Arm in Richtung Tür. "Sie sehen kreidebleich aus. Kippen Sie mir nicht um. Vielleicht begleitet einer der Herren Frau Stratton, damit sie nicht umkippt?"
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Ich murmele zu ihm leise

"Ich war einmal auch in so einen Ort..den Gletscher, in Norwegien. Da habe ich Hartmut bestattet, so wie es beschrieben hat..und in der Lodge, damals, wo ich verrückt geworden bin, da waren auch alle Leute Kannibalen.."

Ich schlucke.

"..und dann kam diese verdammte Gedächtnisverlust..."

Ich schaue Clive besorgt an.

"..es ist wie ein deja-vu!"

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Nachdem sich Matilde und Clive in Richtung Waschraum aufgemacht haben, wendet sich Frau Marquard an Ove. "Was ist mit Ihnen, Herr Eklund? Fühlen Sie sich unwohl mit mir allein? Befürchten Sie vielleicht, dass ich Sie verspeisen würde?"

 

Sie schaut Dich aufmerksam an und beobachtet Dich. "Sie haben mich nach dem verschollenen Forscher und dessen Foto gefragt, Herr Ecklund."

 

"Dieses Foto habe ich auf dem Bahnhof von Kalkutta aufgenommen, als dort unser Gepäck aufgeladen wurde. Clinton ist der Blonde in der Mitte."

 

"Und hier vermisst er, ganz Anthropologe, die Gesichtsproportionen eines Tibeters. Er hat während der Expedition viele Einheimische vermessen und portraitiert."

 

"Dieses Foto hatte er von mir gemacht, drei Tage nachdem wir das Dorf Lemithang im Nordwesten passiert hatten, am Fusse des über 7000 Meter hohen Berg Masagang. Hier sind wir auf etwas über 3000 Metern. Interessant auf unserer Reise war, dass das Land gar nicht so kahl und steinig war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war zumeist grün oder auch weiss, je nach Höhe. Etwa 2/3 des Landes ist üppig bewaldet."

 

"Ich glaube übrigens nicht, dass Ton sich bei Nacht und Nebel davonstahl. Ich denke, dass er diese Nacht schlicht nicht überlebt hat. Irgendetwas hat ihn verschleppt und/oder getötet. Aber die Rache der Tcho war es sicherlich nicht. Ton war ein gewissenhafter, verlässlicher Forscher und als solcher neugierig. Und wie heisst das Sprichwort so schön? Die Neugier ist der Katze Tod."

 

"Die anderen Expeditionsteilnehmer gingen damals nach zweitägiger Suche davon aus, dass in dieser schicksalhaften Nacht, als die Träger verschwanden, Ton während seiner Wache ihnen die Flucht ermöglichte und mit ihnen fortging."

 

"Ich glaube, dass irgendetwas seine Aufmerksamkeit erregte, er der Sache nachging und starb. Und dass einige der Träger diesen unbeobachteten Moment ausnutzten und sich unbemerkt absetzten."

 

"Haben sie schon einmal etwas wirklich Mysteriöses erlebt, dass sich nicht rational erklären liess? Der Verstand versucht immer den logischsten Weg zu gehen. Und die plausibelste Erklärung war, dass er geflohen sein musste."

 

"Er konnte sich ja nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Oder doch? Er hatte einen Revolver bei sich, doch niemand hörte Schüsse. Auch hörte niemand einen Schrei. Es wurde auch gemutmasst, dass er in eine Gletscherspalte gestürzt sei, aber im Umkreis von fast einem Kilometer fanden sich keine solchen. Als hätte sich das Eis aufgetan und ihn verschlungen."

 

"Hatten wir, als wir dieses Tor aus Schichtsteinen durchschritten, mehr durchschritten als nur einen primitiven Torbogen? Dies war natürlich Unsinn. Aber war es das wirklich? Heute weiss ich es besser. Es war sicher nicht dieses Tor. Aber es markierte eine Grenze. Einen Übergang von einer Welt in eine andere Welt."

 

"Das mag jetzt sicher verrückt klingen, aber es gibt weit mehr, als uns die Schulweisheit einzureden versucht. Etwas hatte Ton gepackt und mit sich gezerrt..."

 

"Wir suchten nach ihm. Natürlich. Wir konnten ihn nicht einfach so aufgeben. Aber wir fanden nur seine Kamera tief in der Gletscherhöhle. Und als wir nach unserer Rückkehr das Material entwickelten, wussten wir, dass dieses letzte Foto seinen Mörder zeigte... Er hatte kein simples Steinrelief fotografiert. Und auch keine Felszeichnungen, denn dort gab es keinen Fels. Zumindest keinen sichtbaren. Die Felsen waren unter einem viele Meter dicken Eispanzer begraben."

 

"Hier habe ich eine Vergrösserung des Fotos." Sie holt eine gefaltete, grössere Version des Fotos aus dem hinteren Einbanddeckel und entfaltet diese. "Schauen Sie sich das Bild noch einmal genau an. Kneifen Sie die Augen leicht zusammen und konzentrieren Sie sich."

 

...

...

...

 

"Sehen Sie es auch? Die Kreaturen auf dem Foto scheinen sich zu bewegen. Sie kriechen am Rand entlang, als würden Sie, wie in einer Prozession, spiralförmig um die Mitte herum kriechen. Und dieses Ding in der Mitte, das aussieht wie eine Theatermaske? Es scheint sich vor und zurück zu bewegen..."

 

"Sehen Sie genau hin. Konzentrieren Sie sich auf die Mitte des bizarr-grotesquen Fotos."

Edited by Der Läuterer
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