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Lesezirkel - Der Schatten über Innsmouth


Dr. Clownerie
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Ich melde mich leider auch erst ein wenig zeitverzögert, weil es doch eher Zufall war, dass ich Shadow over Innsmouth auch gerade gelesen habe (für meine M.A.-Arbeit) und mir dachte, wenn ich es sowieso grade gelesen habe, dann kann ich auch vielleicht grade noch ein wenig was von meinen Gedanken dazu schreiben - wenn auch ein wenig verspätet und tut mir leid, dass ich da vielleicht manche Sachen von vor einer Woche dann noch einmal aufrolle, aber manche Sachen finde ich dann doch sehr spannend zu diskutieren.

 

Zunächst einmal ging es mir ähnlich, wie vielen hier: Ich hielt Shadow over Innsmouth als eine von Lovecrafts eher schlechteren Sachen. Ich hatte es damals im zarten Jugend-Alter zwar als zweite Geschichte gelesen, weswegen es einen guten Eindruck bei mir hinterlie? und mich auch damals mächtig gruselte; trotzdem blieb sie mir als "aus der Rolle fallende" Erzählung in Erinnerung, vermutlich weil sie doch "pulpiger" ist, als der Rest oder vielleicht gerade wegen der bemühten Action. Beim (mittlerweile) vierten Lesen muss ich allerdings sagen, dass ich äu?erst positiv überrascht war und sie mich wirklich mitgerissen hat - wobei es sowieso auf mich den Anschein macht, dass Shadow over Innsmouth sehr viel in der ?bersetzung verliert. Manche Stellen sind auf Englisch einfach so ungeheuer kräftig, wie ich finde ... an manchen Stellen war die Atmosphäre ungeheuer dicht - dichter als ich sie in Erinnerung hatte. Ich bin also vollkommen positiv überrascht.

 

Damit will ich jetzt nicht sagen, dass sie ein Meister-Werk ist. Sie hat definitiv ihre Schwächen. Aber ich denke dennoch, dass ihr anscheinend häufig unrecht getan wird, wohl gerade wenn man dann eben sich an dem Lovecraft-Zitat hochzieht, dass er sie selbst nicht gut fand - wobei das bei Lovecraft sowieso sehr selten war, dass er überhaupt irgendwas wirklich gut fand, wenn ich mich richtig erinnere. Aber die biographischen Einzelheiten interessieren mich eher weniger bei sowas, wie ich zugeben muss.

 

Zu der Sache von fylimar, dass man sich mit dem Protagonisten so verbunden fühlt: Hui ... das überrascht mich jetzt wirklich. Als ich bei den Themen zu meiner Magister-Arbeit war, hatte ich ursprünglich überlegt, ob ich nicht vielleicht in diese Richtung gehen sollte, weil ich es spannend finde, dass - so zumindest mein Eindruck - sämtliche Erzähler/Protagonisten bei Lovecraft absolut farblos sind; sie sind irgendwie immer leer, ähneln sich ungeheuer. Das bemerke ich immer wieder, wenn ich dann die Namen der einzelnen Leuten durcheinander werfe und auch die Namen den einzelnen Erzählungen nicht zuordnen kann: Die Charaktere sind einfach zu austauschbar. Da gibt es eigentlich nie ein wirkliches Profil und wirklich plastisch werden die Charaktere auch nie. Das Einzige irgendwie: Sie sind immer neugierig. Aber ansonsten sind sie meist schrecklich farblos.

 

Kann man auch an dem Beispiel hier in Shadow over Innsmouth sehen: Die plastischste Figur ist nicht der Erzähler, sondern Zadok. Der Erzähler berichtet ja kaum etwas von sich. Klar, er hat ?ngste, Neugier, er hat einen tollen Stammbaum, er ist ... Architekt? Oder so? Da hört es dann auch schon bei mir auf, was ich so aus der Erinnerung aus der frisch gelesenen Geschichte mitgenommen habe - und ich kann mich normalerweise recht gut an solche Details erinnern. Aber diese Sachen werden kaum erwähnt, höchstens in Nebensätzen und selbst da nicht wirklich. Die Erzähler definieren sich über schrecklich wenige Dinge. Ich würde mir wirklich jederzeit schwer tun, mir da jemand so wirklich vorzustellen - also als Mensch. Wie ist der? Was hat er für Vorlieben? Was für Ziele? Was für Abneigungen? Also, au?er gegen/für Fisch.

 

In dem Zuge fand ich es interessant, zu lesen, dass sich wirklich jemand mit dem Erzähler identifizieren konnte. Ich würde ja wirklich sagen, dass die Erzähler bei Lovecraft keine eigenständige Identität haben und nahezu vollkommen austauschbar sind. Ob ich nun den guten Herren aus Shadow out of Time nun anstatt im australischen Sand buddeln lasse, auf Bus-Tour nach Innsmouth schicke oder unseren Fisch-Burger hier ein wenig in die vorzeitliche Geschichts-Schule bei den Yithians schicke ... korrigiert mich, wenn ich da falsch liege, aber einen wirklichen Unterschied macht das nicht. Da muss man höchstens mal den Stammbaum austauschen, dass der Buddler in Australien fischige Vorfahren hat und schon kann man auch den guten Herren (Peabody?) ans Teufelsriff schicken.

 

Aber eigentlich ein spannendes Thema. Ich will da auch definitiv nicht sagen, dass es nicht möglich wäre, dass man sich mit dem Erzähler identifizieren könnte; ich hoffe, das kommt durch den flappsigen Stil auch nicht so rüber. Das wirkte auf mich nur überraschend. Oder ist an dem Erzähler wirklich mehr Profil als seine Architektur-Vorliebe und sein Stammbaum? Mir würde so spontan nichts einfallen. Und wenn ich meine Notizen so durchschaue, sehe ich da auf die Schnelle auch nichts. Aber kann natürlich wirklich sein, dass ich da was überlesen habe oder dem Erzähler unrecht tu. Daher würde mich mal interessieren, wie andere das empfunden haben.

 

Aber auf ein paar Sachen zurückzukommen, gerade die von Marcus erwähnten Sachen, finde ich äu?erst spannend: Ich hoffe, du wirst mich nicht steinigen, Marcus, aber ... gerade die Struktur fand ich toll. Das war ja nicht das erste Mal, dass ich Shadow over Innsmouth gelesen habe, so dass ich da mit wachem Auge mal ein wenig auf die Struktur schauen konnte und ich fand das alles schon sehr geschickt aufgebaut - ungeachtet von Lovecrafts Selbstkritik.

 

Gerade den ?bergang von 3 zu 4 fand ich derma?en kräftig, dass ich nun wirklich wieder kräftig angegruselt war, obwohl das nicht mein erstes Lesen war und ich sogar von vornherein viel analytischer an das Lesen herangegangen bin. An der Stelle hatte mich die Erzählung vollkommen gepackt, obwohl ich ja schon längst den Verlauf wusste. Der Aufbau, dass man vorher ständig betont, wie ungerne man in diesem Kaff übernachten will und wie gut es ist, dass man es schafft, gepaart mit dem Zeitdruck in Kapitel 3, dass man es noch rechtzeitig zum Bus schaffen müsste ... und dann kommt der Bus sogar! Sogar früher als erwartet! Läuft also eigentlich alles super und der Erzähler ist heilfroh, weg zu können, insbesondere, nachdem Zadok ihn warnte, dass sie ihn ja gesehen hätten und er abhauen soll ... und dann muss er doch eine Nacht dort verbringen. Ich finde das tatsächlich dramaturgisch einfach klasse; das ist - finde ich - ein ziemlich perfektes Zusammenspiel von Lese-Erwartungen befriedigen und enttäuschen. Denn der Text spielt ja damit, dass er dem Leser zeigen will, wie schlimm dies und das wäre und zunächst tut der Text so, als ob es nicht eintritt ... man wiegt sich auf der sicheren Seite und dann doch der Schock! Finde ich persönlich einfach toll inszeniert. Vielleicht bin ich da zu euphorisch, aber das finde ich einfach toll gemacht.

 

Ebenso den "Rahmen-Schock" und das immer wieder aufkommende Thema mit der Tiara: Die Tiara als Bild für diesen unbeschreiblichen Schrecken. Sie kommt am Anfang vor, taucht in der Mitte als Schock-Moment auf ... als eigentlich einzige Sache, die man von dem Priester sieht, und dann am Schluss sorgt sie für die schreckliche Erkenntnis bei dem Erzähler bzw. für seine zweite Ohnmacht, nach der dann alles seinen verheerenden Lauf nimmt. Auch das finde ich eigentlich recht gut inszeniert und ganz im Sinne von Poe.

 

Dies als ein paar Gedanken von mir zur Struktur, die ich tatsächlich nicht so schlecht finde, wie hier gesagt wurde. Mir gefällt sie sogar ausgesprochen gut. Ich muss zugeben, ich hatte sie auch viel viel schlechter in Erinnerung und habe mich schon darauf eingestellt, dass es schlimm wird, aber ... vielleicht hat mich dann diese negative Erwartungs-Haltung zu diesem positiven Urteil gebracht. Keine Ahnung.

 

Zu der Sache mit der "Vermenschlichung" der Deep Ones: Würde ich sogar widersprechen. Ich finde nicht, dass die wirklich vermenschlicht werden. Wenn man es sich einmal genau betrachtet, sind all diese Ziele und Beschreibungen entweder die Vermutungen des Erzählers oder aus der Geschichte von Zadok. Das sind alles Sachen aus sehr indirekten Quellen. Natürlich kann man jetzt alles in Frage stellen, wenn man ganz auf den unzuverlässigen Erzähler pocht - so weit will ich aber noch nicht einmal gehen. Es geht mir nur darum, dass die Geschichte Zadoks natürlich als Suff-Geschichte auch gesehen werden sollte. Das ist einfach eine höchst unzuverlässige Quelle, egal wie sehr sie sich mit den Ereignissen danach überschneidet. Das dient ja nur dazu, um dem Leser ein Bild des "möglichen" Grauens zu geben, dass er denkt, dass er da eine Erklärung hat. Denn diese ganzen "menschlichen" Seiten, die werden höchstens in dieser Erzählung erwähnt - und selbst da noch nicht einmal. Selbst wenn wir einfach mal die Sachen, die da erzählt werden, als wahr hinnehmen und Zadok und auch dem Erzähler wirklich "wahre" ?bermittlung zugestehen, dann ist das doch eigentlich immer sehr schwammiges Gerede, was die beiden von sich geben.

 

Wenn mich nicht alles täuscht, dann werden in erster Linie die Motive von Obed Marsh beschrieben und die Motive der "natives", auf die Obed trifft beziehungsweise deren Schamanen (Ky - irgendwas?). Wenn von den Motiven der Deep Ones geredet wird, wird aber selbst bei Zadok nicht davon gesprochen, dass sie dies und das wirklich wollten, sondern dass es vielleicht deswegen oder wegen etwas anderem war.

 

Als Beispiel (bei mir in dem Omnibus Haunter of the Dark p.428 ): ". . . it ain't what them fish devils hez done, but what they're a-going to do! They're a-bringin'up aout o' that they come from into the taown [. . .] them devils an' what they brung - an' when they git ready . . . I say, when they git ready . . . ever hear of a shaggoth?"

 

[Muss leider das Posting splitten, da es doch zu lang geworden ist. Ist ja fast, wie in alten Zeiten. 8) ]

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Das ist ja eigentlich der Höhepunkt, das Darlegen ihrer Handlungen. Und was steht da? Ich finde, da steht schrecklich wenig. Da steht, dass sie Sachen an die Oberfläche bringen und auch das nur sehr vage. Einen Schoggothen, ja. Das kann man sich dann zusammenreimen, aber auch die Sache mit dem Schoggothen wird eher angeschnitten, als wirklich gesagt. Die Motive dahinter bleiben erstmal verborgen. Höchstens könnte man später vom Erzähler selbst hinzunehmen (p.462):

 

"... they would rise again for the tribute Great Cthulhu graved. It would be a city greater than Innsmouth next time. They had planned to spread, and had brought up that which would help them, but now they must wait once more. For bringing the upper-earth men's death I must do a penance, but that would not be heavy."

 

Auch das finde ich schon recht ungenau; jedenfalls zu ungenau, um da wirklich von "Vermenschlichung" oder wirklichen Motiven reden zu können. Gibt es irgendwo explizitere Stellen?

 

Irgendwie finde ich doch, dass die Deep Ones insgesamt recht fremd bleiben. Dagegen sind die Hybriden natürlich irgendwo menschlich, was aber keineswegs verwunderlich ist: Sie sind immerhin zum Teil menschlich. Dass diese also menschliche Gedankengänge haben oder irgendwas in die Vorgänge ihrer "reineren" Verwandten reininterpretieren, eben weil sie zum menschlichen "Ursache-Wirkung"-Denken gezwungen sind, das steht au?er Frage, klar. Aber die Hybriden sind schlie?lich nicht die Deep Ones selbst.

 

Die Deep Ones sind das, was der Erzähler zum Schluss gesehen hat: Die unheimlichen Köpfe im Wasser, diese grässlichen Gestalten bei dem Bahn-Gleis, die er kaum beschreiben und nur "andeuten" kann. Und da bleibt er natürlich mal wieder schrecklich vage, so wie es Lovecraft ja häufig macht. In der Sache muss ich also widersprechen, dass die Deep Ones zu vermenschlicht werden. Wenn man es sich genauer ansieht, werden da höchstens die Hybriden vermenschlicht, was aber eigentlich doch au?er Frage steht. Die Deep Ones selbst bleiben eher im Hintergrund: ein unheimliches Mysterium - meiner Ansicht nach und meinem Lesen nach. Wobei ich da zugeben muss, dass ich da das Wort "fish-frog", das der Erzähler zum Beschreiben benutzt, doch ein wenig ungeschickt finde. Das wäre jedenfalls die Sache, die mich stört. Wobei er vielleicht damit wirklich nur die Hybriden meint, womit das für mich dann wiederum ginge.

 

Aber meiner Ansicht nach werden die Deep Ones eigentlich nicht vermenschlicht. Dass ein Mensch, der sie sieht, ihre Handlungen mitbekommt, dann versucht, da irgendwie Ordnung reinzubringen, ist klar. Aber ich kann mich zumindest nicht an viele Stellen erinnern, an denen da wirklich Motive oder wirkliche Ziele erwähnt werden. Zwei davon habe ich ja gequotet. Eine weitere wäre die Sache, wenn Obed Marsh sagt, dass "... they wanted to mix like they done with the Kanakys...", nachdem Obed aus dem Gefängnis befreit wurde. Aber auch hier: Das ist sogar eine Behauptung in einer Geschichte, also noch unzuverlässiger. Das könnte Obed auch einfach nur aus purem Wahnsinn behaupten oder aus purer Rache, weil man ihn eingebuchtet hat. Mehr Andeutungen der Motive kann ich da aber nicht so wirklich sehen. Oder sind mir da einige durch die Lappen gegangen? Würde mich jedenfalls interessieren, denn das war, wie ich es zumindest gelesen hatte.

 

Was die Flucht betrifft, so stimme ich aber zu: Die hat mich auch irgendwie eher gelangweilt. Die Vorbereitung der Nacht und auch die ersten Anzeichen, dass jemand in das Zimmer eindringen will, fand ich allerdings ungeheuer spannend. Aber sobald es an die Flucht an sich ging, war es einfach das Abrattern von Stra?en-Namen und die Geschichte hatte mich erst wieder am Bahn-Steig gefangen - dort dann aber wieder so richtig. Die Flucht mit den Stra?en-Namen war wirklich eher der schwächere Teil; würde ich auch so sagen.

 

So, das war es dann vorerst. Es wurde dann doch viel mehr, als ich ursprünglich dachte. Ich hoffe, es ist einigerma?en angenehm zu lesen trotz der Länge und ich hoffe, dass vielleicht auch ein paar interessante Gedanken dabei sind; und natürlich, dass ich nicht zu sehr mit irgendwelchem Fach-Vokabular um mich geworfen habe. Irgendwie beschleicht mich auch das Gefühl, dass ich auf irgendeine Sache noch eingehen wollte, die ich vorhin beim Thread-Lesen als "interessant" empfunden hatte, aber ... das ist dann wohl die Uhrzeit, dass ich mich da nicht mehr dran erinnern kann. 8)

 

Ach, noch eine Frage, die mir eben einfällt: Wei? jemand, was der erste, zweite und dritte Eid sind? Zadok spricht davon, dass er den ersten und zweiten Eid abgelegt hat, aber den dritten niemals machen würde. Meine Vermutung wäre, dass es etwas mit Aufnahme von Hybriden zu tun hat oder mit Teilnahme an Opfer-Zeremonien oder ähnlichem. Aber irgendwie habe ich dazu nichts gefunden. Ist das wieder einmal eine Sache, die nur angedeutet und nicht weiter ausgeführt wird, um das Ungenannte schrecklicher zu machen? Oder gibt es irgendwo einen Hinweis, der das Ganze ein wenig erläutert?

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Original von ElPleito

 

Die Länge der Erzählung und die Art und Weise lassen es für mich ebenfalls sehr nach Novelle aussehen. :)

 

 

Okay, ich will hier keine Genre-Diskussion vom Zaun brechen, weil die wahrscheinlich eh zu keinem Ergebnis führen würde. Und schlie?lich ist es ja auch eher egal, ob Innsmouth nun eine Novelle ist oder nicht.

 

Nur so weit meine Argumente, warum ich die Erzählung nicht als Novelle lese:

 

1. Ich würde mich, um die Gattung zu bestimmen, nicht unbedingt auf einen Wikipedia-Artikel verlassen, den finde ich doch zu kurz. Hier kratzt die Wikipedia nur an der Oberfläche.

 

2. Natürlich weist die Erzählung Elemente auf, die ins Novellen-Schema passen, denn wenn ich eine Erzählung mit einer gewissen Länge schreibe, dann folge ich fast scho automatisch gewissen dramaturgischen Gesetzmä?igkeiten, gerade als ein Autor wie Lovecraft, der ja erähltechnisch im 19. Jahrhundert hängen geblieben ist und die Experimente seiner Zeitgenossen mehr oder weniger ignoriert.

 

Für eine Novelle ist mir Innsmouth nicht künstlerisch genug. Mir fehlt die symbolische Tiefe, der eine entscheidende Themenkreis, auf dem eine Novelle normalerweise aufbaut. Was sollte das hier sein? Entfremdung? Den sehe ich weder dinghaft noch direkt wirklich künstlerisch verarbeitet.

 

Auch finde ich nicht, wie ich ja schon mehrfach erwähnt habe, dass mir die Spannungskurve nicht geradlinig genug verläuft, wie ich es von einer Novelle, die auf einen Höhepunkt zusteuert, erwarte. Ich finde, dass die Spannung in Innsmouth eher unkontrolliert hin und her zuckt. Das hat Lovecraft vielleicht anders beabsichtigt, aber halt eben nicht entsprechend umgesetzt.

 

Gerade der Vergleich zum Drama, der ja richtig ist, wenn man von Novellen redet, hinkt, weil eben der klassische, drei- oder auch fünfaktige Aufbau des Dramas bei Innsmouth nicht greift.

 

Ich bin ja - obwohl sie in der theoretischen Diskussion inzwischen gnadenlos zu den Akten gelegt wurde - ein Fan von der Falken-Theorie der Novelle, also der Idee, dass eine Novelle ein Dingsymbol durchzieht, das wie ein roter Faden die Handlung durchzieht, um die Aussage des Textes zu verdeutlichen. Warum ich diese Idee gut finde, würde jetzt den Rahmen des Beitrags sprengen. Jedenfalls kann ich diesen "Falken" auch nirgends in Innsmouth entdecken - was sollte das sein? Die Tiara? Wohl eher nicht.

 

Für mich ist Innsmouth der typische Fall für eine "Erzählung", also einen gattungsmä?ig eher unbestimmten Text, der frei, ohne eine bestimmte Gattung zu suchen, eine Geschichte abspielt. Denn immerhin findet man ja in Innsmouth auch einige Elemente der Kurzgeschichte, wobei der Text dafür ja eindeutig zu lang ist. Auch hat er durch die Verschachtelungen der Erzählungen etwas Romanhaftes, ohne dafür aber episch genug zu sein.

 

Wenn man so will, finde ich, dass das eigentlich zu den eher lobenswerteren Aspekten des Textes gehört, dass er ohne sich um Konventionen zu kümmern, verschiedene Techniken kombiniert, um einen bestimmten Effekt zu erzielen. Denn die Verfremdung ist somit auch literarisch umgesetzt, indem der Text eher unbestimmt, schwebend bleibt. Passt für mich jedenfalls mehr zu Lovecraft, wenn ich den Text in den Zusammenhang zu seinem restlichen Werk stelle.

 

Urgh. Jetzt bin ich doch mehr ins Labern geraten, als ich wollte.

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Original von Holger Göttmann

Beim (mittlerweile) vierten Lesen muss ich allerdings sagen, dass ich äu?erst positiv überrascht war und sie mich wirklich mitgerissen hat - wobei es sowieso auf mich den Anschein macht, dass Shadow over Innsmouth sehr viel in der ?bersetzung verliert. Manche Stellen sind auf Englisch einfach so ungeheuer kräftig, wie ich finde ... an manchen Stellen war die Atmosphäre ungeheuer dicht - dichter als ich sie in Erinnerung hatte. Ich bin also vollkommen positiv überrascht.

 

 

Okay, muss demutsvoll gestehen, dass ich die Erzählung nicht im Original gelesen und auch erst zum zweiten und nicht zum vierten Mal gelesen habe. Ich war einfach nicht motiviert genug, einen Text, den ich eh nicht sonderlich mag, auch noch im Original zu besorgen.

 

Ich respektiere, dass eine genauere Kenntnis des Textes ganz andere Ergebnisse erzielen kann, als meine oberflächliche. Da hast du natürlich vollkommen recht, Holger.

 

 

Aber eigentlich ein spannendes Thema. Ich will da auch definitiv nicht sagen, dass es nicht möglich wäre, dass man sich mit dem Erzähler identifizieren könnte; ich hoffe, das kommt durch den flappsigen Stil auch nicht so rüber. Das wirkte auf mich nur überraschend. Oder ist an dem Erzähler wirklich mehr Profil als seine Architektur-Vorliebe und sein Stammbaum? Mir würde so spontan nichts einfallen. Und wenn ich meine Notizen so durchschaue, sehe ich da auf die Schnelle auch nichts. Aber kann natürlich wirklich sein, dass ich da was überlesen habe oder dem Erzähler unrecht tu. Daher würde mich mal interessieren, wie andere das empfunden haben.

 

 

Mir geht es da ähnlich. Auch ich finde, dass der eigentlich bei Lovecraft stets gleiche, gestaltlose Erzähler nicht zu Identifikation einlädt. Ich denke natürlich auch, dass das bei Lovecraft Methode hat, denn einerseits übt der Ich-Erzähler, den er ja konsequent einsetzt, eine direkte Wirkung auf den Leser aus, die den Schrecken verstärlt, auf der anderen Seite bleibt der Erzähler in gewisser Weise abstrakt, ungegenständlich, was das Schwebende, Unfassbare in Lovecrafts Texten verstärkt. Eigentlich sehr künstlerisch und sehr gelungen. Ich wage mal zu behaupten, ohne dass ich da Lovecrafts eigene Aussagen zu kenne, dass er wollte, dass man sich eben NICHT mit seinen Figuren identifzieren kann. Bestenfalls war es ihm egal, aber das glaube ich eher nicht.

 

Dass sich nun doch Leser mit dem Erzähler identifizieren liegt glaube ich eher an den heutigen Lesegewohnheiten, denn die Identifikation ist ja in der Unterhaltungsliteratur heutzutage nicht wegzudenken. Wenn man diese Lesgewohnheit dann auf Lovecraft überträgt, führt das halt zu interessanten Effekten, dann werden die Deep Ones zu den missverstandenen Anderen, die ja eigentlich ganz nett sind, halt eben nur anders, und der eigentlich verlorene Erzähler zum Schluss der Erleuchtete, der sein wahres Ich begrü?t, anstatt sich davor zu fürchten. Eigentlich ein witziger Prozess, der aber bestimmt nicht der Intention des Autors entspricht. Doch wenn jemand damit glücklich ist, die Geschichte so zu lesen ... warum nicht?

 

 

Aber auf ein paar Sachen zurückzukommen, gerade die von Marcus erwähnten Sachen, finde ich äu?erst spannend: Ich hoffe, du wirst mich nicht steinigen, Marcus, aber ... gerade die Struktur fand ich toll. Das war ja nicht das erste Mal, dass ich Shadow over Innsmouth gelesen habe, so dass ich da mit wachem Auge mal ein wenig auf die Struktur schauen konnte und ich fand das alles schon sehr geschickt aufgebaut - ungeachtet von Lovecrafts Selbstkritik.

 

 

Um Gottes Willen, Ich bin ja heilfroh, das jemand mal Stellung bezieht. Und ich finde deinen Beitrag sehr erhellend. Sehe den Text nun auch noch einmal mit anderen Augen.

 

Die Sturkur des Textes würde ich auch gar nicht ins Zentrum meiner Kritik stellen. Die kann so oder so gewählt sein, das ist ja für den Spannungsbogen eigentlich egal, wenn denn die letztendliche Komposition zünden würde. Aber zumindest bei mir, beim zweiten Lesen in der deutschen ?bersetzung, war das nicht der Fall.

 

Gerade den ?bergang von 3 zu 4 fand ich derma?en kräftig, dass ich nun wirklich wieder kräftig angegruselt war, obwohl das nicht mein erstes Lesen war und ich sogar von vornherein viel analytischer an das Lesen herangegangen bin. An der Stelle hatte mich die Erzählung vollkommen gepackt, obwohl ich ja schon längst den Verlauf wusste. Der Aufbau, dass man vorher ständig betont, wie ungerne man in diesem Kaff übernachten will und wie gut es ist, dass man es schafft, gepaart mit dem Zeitdruck in Kapitel 3, dass man es noch rechtzeitig zum Bus schaffen müsste ... und dann kommt der Bus sogar! Sogar früher als erwartet! Läuft also eigentlich alles super und der Erzähler ist heilfroh, weg zu können, insbesondere, nachdem Zadok ihn warnte, dass sie ihn ja gesehen hätten und er abhauen soll ... und dann muss er doch eine Nacht dort verbringen. Ich finde das tatsächlich dramaturgisch einfach klasse; das ist - finde ich - ein ziemlich perfektes Zusammenspiel von Lese-Erwartungen befriedigen und enttäuschen. Denn der Text spielt ja damit, dass er dem Leser zeigen will, wie schlimm dies und das wäre und zunächst tut der Text so, als ob es nicht eintritt ... man wiegt sich auf der sicheren Seite und dann doch der Schock! Finde ich persönlich einfach toll inszeniert. Vielleicht bin ich da zu euphorisch, aber das finde ich einfach toll gemacht.

 

 

Tja, ich fürchte, das ist halt eine subjektive Wahrnehmung, über die man nicht streiten kann. Ich will dir da auf keinen Fall deinen Lesevergnügen nehmen. Aber ich fand die stetigen Wiederholungen eher ermüdend und als heutiger Leser fürchte ich, war es einfach recht klar, dass der Erzähler die Stadt eben nicht verlassen kann. Vielleicht ging das einem Leser vor 60, 70 Jahren anders, sodass das für ihn eine überraschende Wendung war. Aber ich finde es aus heutiger Sicht eher ermüdend, stets auf das Offensichtliche hinzuweisen. Ganz bestimmt habe ich mit so einer Aussage den Text nicht gewürdigt, aber eben meine persönliche Enttäuschung beschrieben.

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Original von Marcus Johanus

Aber ich fand die stetigen Wiederholungen eher ermüdend und als heutiger Leser fürchte ich, war es einfach recht klar, dass der Erzähler die Stadt eben nicht verlassen kann.

 

Wieso "eben nicht verlassen kann" - der Erzähler schafft es doch, die Stadt zu verlassen, wenn er auch später zurückkehrt. oder meinst du die Szene mit dem Bus?

 

Was die Novellenfrage angeht: Ich hab mich damit noch nicht so auseinandergesetzt, für mich war "Novelle" bisher immer eine vage Längenkategorie. Habe neulich aber so eine Art Definition von David Pringle gelesen, die lautet:

 

"Wenn die Kurzgeschichte eine Figur und eine Situation erschafft, und der Roman eine Figurengruppe und eine 'Welt', dann liegt die Novelle auf halbem Weg zwischen beiden: sie erschafft einige paar wenige Figuren, die sich in einer imaginativ eingegrenzten Welt durch eine eingeschränkte Anzahl Situationen bewegen. Die Novelle hat gleicherma?en an der Eindringlichkeit der Kurzgeschichte und am umfassenden Charakter des Romans teil."

 

Diese Definition würde wiederum sehr gut auf Innsmouth passen - ist aber wohl auch sehr offen.

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Original von ElPleito

Er meinte nämlich einmal, dass in einer Horrorgeschichte alles auf das Wesentliche beschränkt sein sollte, keine gro?en Schnörkelein drum herum.

Genau das hat Lovecraft aber ständig getan, bzw. in jeder Story die ich bis jetzt gelesen habe!

Er beschreibt meist alles extrem langathmig...das ist ein markanter Stil, der aber (aus meiner Sicht) manchmal nerven kann.

 

Die Actionsequenz finde ich übrigens entgegen der aufgeführten Meinungen trotzdem gelungen!

Ich habe die Zeilen förmlich gefressen und meine Schnelllesetechnik voll ausgereizt... :D

Somit kam eine hohe Spannung auf.

Das Grauen packte mich als Zadok die Geschichte von Marsh und dem Teufelsriff erzählte.

 

Action & Horror...was will man mehr.

Mir gefällt die Story ziemlich gut.

 

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Original von Marcus Johanus

Okay, muss demutsvoll gestehen, dass ich die Erzählung nicht im Original gelesen und auch erst zum zweiten und nicht zum vierten Mal gelesen habe. Ich war einfach nicht motiviert genug, einen Text, den ich eh nicht sonderlich mag, auch noch im Original zu besorgen.

 

Ich respektiere, dass eine genauere Kenntnis des Textes ganz andere Ergebnisse erzielen kann, als meine oberflächliche. Da hast du natürlich vollkommen recht, Holger.

 

Ok, kann ich absolut verstehen, dass du es nicht unbedingt auf Englisch dann nochmal lesen willst, wenn du die Geschichte sowieso nicht so magst. Ich war ja jetzt beim "Neu-Lesen" auch reichlich skeptisch und habe auch etwas schrecklich triviales erwartet. Vielleicht war es eben diese negative Erwartungshaltung, die dann für mich das Ganze extrem positiv gemacht hat. 8)

 

Mir fällt auch gerade auf, dass mein Text eventuell falsch rüber kommen könnte, daher noch ein kleiner Disclaimer: Mit dem "vierten Mal lesen" und "Englisch" wollte ich definitiv nicht das Lesen der ?bersetzung oder weniger lesen "mundtot" machen. Ich hoffe, das kommt nicht so rüber, auch wenn ich es grade befürchte; daher hier noch schnell der Disclaimer. 8)

 

Wobei mich das auf einen interessanten weiteren Punkt bringt: Ich hatte ursprünglich alle Lovecraft-Sachen auch auf Deutsch gelesen, eben weil mein Englisch damals noch nicht so gut war. Das war die Suhrkamp-?bersetzung. Lustigerweise würde ich heute sagen, dass die Suhrkamp-?bersetzung häufig mit das Langweiligste ist, was ich je gelesen habe. Der Unterschied fiel mir besonders bei Dream-Quest of Unknown Kadath auf, das ich ursprünglich als äu?erst langatmig und zäh in Erinnerung habe und dann auch recht begeistert war, als ich es auf Englisch las. Ok, zugegeben, das Ding ist immer noch langatmig und gehört definitiv zu den Sachen, die ich extrem ungerne von Lovecraft lese. Aber ich war doch überrascht, wie sehr sich das unterscheidet und wie viel Atmosphäre in der ?bersetzung verloren gegangen ist. Wobei ich mittlerweile gehört habe, dass die Festa-?bersetzungen recht gut sein sollen; die kenne ich aber nicht.

 

Das aber nur als kleine Anmerkung zu der "Deutsch/Englisch"-Sache und ... ich hoffe, dass das eben nicht verschüchtert. Würde mich freuen, wenn man mir da wirklich dann mit dem deutschen Text nochmal kontra bietet - vielleicht bekommt man ja noch spannende Unterschiede zusammen, denn die Sache mit den "fischigen" Beschreibungen, die hier im Thread erwähnt werden, muss ich mir noch unbedingt anschauen; da bin ich gestern nicht mehr dazu gekommen. Das klang aber äu?erst interessant und ich mag es, solche ?bersetzungs-Unterschiede genauer anzuschauen.

 

Also, bitte keine Scheu und ruhig auch gegen meine Sachen schreiben, wenn man "nur" den deutschen Text gelesen hat. Ich hatte halt nur ganz frisch zufälligerweise den englischen Text gelesen, weswegen ich mich darauf bezog und ich fand auch das "unterschiedliche Lese-Erlebnis" spannend, dass ich früher beim deutschen Text und mittlerweile beim englischen Text hatte.

 

Mir geht es da ähnlich. Auch ich finde, dass der eigentlich bei Lovecraft stets gleiche, gestaltlose Erzähler nicht zu Identifikation einlädt. Ich denke natürlich auch, dass das bei Lovecraft Methode hat, denn einerseits übt der Ich-Erzähler, den er ja konsequent einsetzt, eine direkte Wirkung auf den Leser aus, die den Schrecken verstärlt, auf der anderen Seite bleibt der Erzähler in gewisser Weise abstrakt, ungegenständlich, was das Schwebende, Unfassbare in Lovecrafts Texten verstärkt. Eigentlich sehr künstlerisch und sehr gelungen. Ich wage mal zu behaupten, ohne dass ich da Lovecrafts eigene Aussagen zu kenne, dass er wollte, dass man sich eben NICHT mit seinen Figuren identifzieren kann. Bestenfalls war es ihm egal, aber das glaube ich eher nicht.

 

Hm, das mag sein. Wobei ich zugeben muss, dass mich sowas meist eher weniger interessiert, ob das eben gewollt war oder nicht - Stichwort: Autoren-Intension ist tot. 8) Aber das ist natürlich immer als kleiner Randverweis interessant; zum Beispiel gerade das Eingangs-Zitat, dass Lovecraft seine eigene Geschichte in der Hinsicht nicht mochte, ist sehr dankbar und gut gewählt, um so eine Diskussion zu starten.

 

Ich würde allerdings auch sagen, dass ich das eigentlich eher gelungen finde, dass diese Erzähler benutzt werden. Das war auch trotz des vielleicht wertenden Wortes "farblos" gar nicht so gemeint. Es kam mir nur interessant vor und eben einen zweiten Blick wert, weil dann nämlich die spannende Frage auftaucht, was für Lovecraft wirklich "Identität" ist: Neugier? Stammbaum? Nichts?

 

Interessant wäre da vermutlich auch, sich die Randolp-Carter-Geschichten nochmal genauer anzuschauen, denn Randolp Carter fällt schlie?lich ein wenig aus dem Rahmen, was den lovecraftschene Protagonisten betrifft, da er a) in verschiedenen Geschichten vorkommt und B) irgendwie plastischer ist - was wohl recht einfach zu erklären ist, wenn man sich auf die Sache mit "Randolp Carter = Lovecrafts Alter-Ego" beruft. Wobei ich zugeben muss, bei genauerem Nachdenken würde mir jetzt auch bei Randolph Carter kein besonderes "Profil" einfallen. Allerdings muss ich da zugeben, dass ich die Randolp-Carter-Sachen wiederum meist eher gemieden habe, da die mich irgendwie so fast gar nicht fesseln konnten.

 

Dass sich nun doch Leser mit dem Erzähler identifizieren liegt glaube ich eher an den heutigen Lesegewohnheiten, denn die Identifikation ist ja in der Unterhaltungsliteratur heutzutage nicht wegzudenken. Wenn man diese Lesgewohnheit dann auf Lovecraft überträgt, führt das halt zu interessanten Effekten, dann werden die Deep Ones zu den missverstandenen Anderen, die ja eigentlich ganz nett sind, halt eben nur anders, und der eigentlich verlorene Erzähler zum Schluss der Erleuchtete, der sein wahres Ich begrü?t, anstatt sich davor zu fürchten. Eigentlich ein witziger Prozess, der aber bestimmt nicht der Intention des Autors entspricht. Doch wenn jemand damit glücklich ist, die Geschichte so zu lesen ... warum nicht?

 

Natürlich! Ich fand es nur eine witzige Beobachtung, eben weil ich ein paar Wochen vorher bereits den Gedanken hatte, warum eigentlich alle Protagonisten bei Lovecraft so profillos sind und ob man daraus etwas machen könnte und eben die Erkenntnis, dass ich ständig die Namen der Hauptfiguren vertausche; es sei denn, ich habe die Geschichten kurz vorher gelesen oder was nachgeschlagen.

 

Allerdings würde ich das mit der Lesegewohnheit so nicht unbedingt unterstreichen. Ich bin jetzt zwar auch nicht sonderlich firm in "reader-reception", allerdings glaube ich, dass sich da eigentlich nichts geändert hat im Vergleich zu früher. Eher im Gegenteil: Ich würde behaupten, dass heute weniger Identifikation erwartet wird als früher. Gerade bei vielen Filmen fühle ich mich mittlerweile recht verloren, da ich auch häufig eine Identifikations-Figur brauche (lustigerweise aber nicht immer). Gerade letztens habe ich den von vielen so gelobten Fräulein Smillas Gespür für Schnee gesehen und ... das ging irgendwie gar nicht. Ich fand den Film zwar ok, wenn auch nicht so atemberaubend, wie viele dauernd schwärmten, aber der Film hätte mich fast verloren zur Mitte hin, weil ich die Hauptfigur so schrecklich unsympathisch fand; und ja, mir ist bewusst, dass das ja ein wenig "harte Schale/weicher Kern" sein sollte, vermute ich jedenfalls - funktionierte trotzdem irgendwie bei mir nicht.

 

Mein Eindruck ist eher, dass es früher mehr Identifikation mit den Charakteren gab und ich würde mal tippen, dass das wohl erst mit dem Modernism Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich aufgeweicht wurde - also durchaus Lovecrafts Zeit. Da kann ich jetzt allerdings nicht meine Hand ins Feuer für legen und ist nur einmal ein Schuss ins Blaue. Denn wenn ich mir so ganz typische Gattungen des 18. Jahrhunderts anschaue, wie die "sentimental novel", dann funktioniert das dort ja rein über die Identifikation des Lesers, da er ja "mitfühlen" soll mit dem leidenden Charakter. Das wird vielleicht sogar dann schon im 19. Jahrhundert ein wenig aufgeweicht, aber auch da würde ich noch so eine Tendenz zur Identifikation sehen.

 

Ich würde also eher vermuten, dass heute diese Leser-Identifikation seltener ist. Natürlich nicht ganz weg, aber ... mein Eindruck ist, dass es mehr Sachen gibt, die sogar ganz bewusst den Leser keine Identifikation zulassen wollen. Und meinem Eindruck nach, war das in älterer Literatur anders. Da würde ich bei Lovecraft eher so die ersten Spuren in diese Richtung durch den Modernism vermuten; wobei es ja auch die Streitfrage gibt, ob Lovecraft überhaupt Modernism wäre, aber das führt dann wohl zu weit.

 

Die Sturkur des Textes würde ich auch gar nicht ins Zentrum meiner Kritik stellen. Die kann so oder so gewählt sein, das ist ja für den Spannungsbogen eigentlich egal, wenn denn die letztendliche Komposition zünden würde. Aber zumindest bei mir, beim zweiten Lesen in der deutschen ?bersetzung, war das nicht der Fall.

 

Hm. Ich muss ja zugeben, dass es mich reizen würde, ob sich der Eindruck bei dir legen würde, wenn du die englische Version lesen würdest. Klar, ich kann vollkommen verstehen, dass man darauf nicht unbedingt Lust hat, wenn man die Geschichte sowieso nicht mag und auch noch erst vor kurzem gelesen hat - so geht es mir ja mit Dream-Quest 8) . Aber spannend wäre es natürlich trotzdem.

 

[Narf! Muss mal wieder Beiträge splitten.]

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Ich will natürlich auch nicht die Kritik bezüglich der Struktur gänzlich abschmettern. Da habt ihr zumindest einen Punkt, der sich nicht ganz von der Hand weisen lässt, dass gerade die Verfolgungsjagd eben ... unpassend und zu lang wirkt. Und vielleicht ist auch gerade das zweite Kapitel zu lang, auch wenn ich überaus dankbar war, dass es so lang war, weil man dadurch recht viel aus der Beschreibung von Innsmouth ziehen kann; da sind sowohl das erste Kapitel wie auch das zweite Kapitel mit am dankbarsten. Zumindest wenn ich mir meine Markierungen anschaue, dann werden die später im Text immer spärlicher.

 

Die Frage ist auch, ob der Text sich mit der Geschichte von Zadok wirklich einen Gefallen tut: Wenn es funktioniert, dann hat man bei der späteren Verfolgungsjagd ständig diese Geschichten von Zadok im Hinterkopf, die ja trotzdem noch vage sind; und dadurch, dass man sie im Hinterkopf hat, muss der Text nicht wirklich auf die "Bedrohung" detaillierter eingehen, sondern kann einfach direkt loslegen und dann die Stärke eben aus der "Nicht-Beschreibung" bzw. der "Andeutung" ziehen. Aber dann wiederum nimmt die Erzählung einen solch gro?en Platz ein, dass sie sich eben durchaus als "wahr" in den Kopf reinfressen kann. Das ist ähnlich wie mit den Bildern zu Mythos-Kreaturen: Man hat das Bild ja trotzdem im Kopf, selbst wenn es ungenau gezeichnet ist. Und dieses Bild hat man auch später im Kopf. Die Frage wäre, ob das nun wirklich zur Andeutung beiträgt oder die Andeutung eher kaputt macht.

 

Ich muss zugeben, da bin ich noch unschlüssig. Vielleicht sind wir sowieso einfach zu vorbelastet, denn ... wer einmal die Bilder von Deep-Ones aus der Cthulhu 5.1 (? die mit dem gro?en Cthulhu-Auge auf dem Cover) gesehen hat, der kann sich irgendwie vor den kleinen Kermits nicht mehr so richtig fürchten und hat die vor Auge. Auch wenn ich mich krampfhaft versucht habe, beim Lesen von Shadows over Innsmouth nicht davon leiten zu lassen und es ging auch ... ein wenig; leider nicht ganz. Hier wäre also durchaus interessant, ob wir vielleicht auch einfach zu vorbelastet durch den Rollenspiel-Hintergrund sind, um da wirklich so etwas wie "Abscheu" oder "Furcht" vor den Deep Ones fühlen zu können. Denn gerade im Rollenspiel werden die Deep Ones wirklich ziemlich menschlich gemacht, wie ich finde.

 

[?bergang Kapitel 3 auf 4]

Tja, ich fürchte, das ist halt eine subjektive Wahrnehmung, über die man nicht streiten kann. Ich will dir da auf keinen Fall deinen Lesevergnügen nehmen. Aber ich fand die stetigen Wiederholungen eher ermüdend und als heutiger Leser fürchte ich, war es einfach recht klar, dass der Erzähler die Stadt eben nicht verlassen kann. Vielleicht ging das einem Leser vor 60, 70 Jahren anders, sodass das für ihn eine überraschende Wendung war. Aber ich finde es aus heutiger Sicht eher ermüdend, stets auf das Offensichtliche hinzuweisen. Ganz bestimmt habe ich mit so einer Aussage den Text nicht gewürdigt, aber eben meine persönliche Enttäuschung beschrieben.

 

Hm, naja, ich muss zugeben: Mir war das natürlich auch klar, was die überraschende Wendung eben sein wird. Gerade daher fand ich es merkwürdig, dass mich dieser Aufbau dennoch so mitgerissen hat. Lovecraft zielt ja auch mit allem möglichen genau auf diesen Effekt hin und wirklich schwer zu erkennen ist er vermutlich sowieso nicht - also für mich damals mit 14 vielleicht. Aber normale (Viel-)Leser oder Kinogänger werden da sicherlich nicht wirklich überrascht. Gerade daher fand ich es eben so spannend, dass es mich dennoch gepackt hat.

 

Es war irgendwie so ironisch nett gemacht, fand ich, dass immer wieder darauf hingewiesen wird und dadurch wirklich schon klar wird, dass es nicht anders sein kann. Und als dann auch noch der Bus zu früh (!) ankommt, runzelt man doch wirklich schon die Stirn, dass das eigentlich zu glatt läuft und dann passiert es eben doch. Fand ich eigentlich recht witzig und raffiniert.

 

Aber stimmt schon, das ist vermutlich Geschmackssache. Ich kann es vollkommen verstehen, wenn man findet, dass es zu offensichtlich ist. Ist es auch irgendwo. Ich fand die Ironie in der ganzen Sache halt einfach witzig und hat mir Spa? gemacht.

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Original von Jakob

 

Wieso "eben nicht verlassen kann" - der Erzähler schafft es doch, die Stadt zu verlassen, wenn er auch später zurückkehrt. oder meinst du die Szene mit dem Bus?

 

 

Ja.

 

 

Was die Novellenfrage angeht: Ich hab mich damit noch nicht so auseinandergesetzt, für mich war "Novelle" bisher immer eine vage Längenkategorie.

 

Ich stecke da jetzt auch nicht sooo tief drin, habe mich im Studium nur am Rande damit beschäftigt. Aber mein Eindruck ist, dass Gattungsbegriffe ja immer umstritten sind, der der Novelle aber besonders. Deswegen wäre eine ausführliche Diskussion über die Gattung von Innsmouth wirklich vergebene Liebesmühe.

 

Ja, Novelle ist auf jeden Fall mehr als nur eine Längenkategorie. Vielleicht kann man auch nicht ausschlie?en, dass Innsmouth eine Novelle ist. Ich habe mich nur gewundert, dass das so schnell und unkommentiert ohne Analyse behauptet wird, eben weil mir der Gedanke nie als erstes gekommen wäre. Wenn mir einer eine wirklich gute Begründung liefert bin ich da auch gerne vom Gegenteil zu überzeugen, ansonsten würde ich halt Innsmouth lieber als Erzählung bezeichnen.

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Original von Holger Göttmann

Hm, das mag sein. Wobei ich zugeben muss, dass mich sowas meist eher weniger interessiert, ob das eben gewollt war oder nicht - Stichwort: Autoren-Intension ist tot. 8) Aber das ist natürlich immer als kleiner Randverweis interessant; zum Beispiel gerade das Eingangs-Zitat, dass Lovecraft seine eigene Geschichte in der Hinsicht nicht mochte, ist sehr dankbar und gut gewählt, um so eine Diskussion zu starten.

 

Ich bin kein Freund dieses "Der Autor ist tot, es lebe der Text!"-Standpunktes, der mir im Studium mit ermüdender Regelmä?igkeit in Seminardiskussionen als Totschlagargument um die Ohren gehauen wurde. Die Erkenntnis, der Autor müsse hinter seinem Text zurücktreten, hat für mich nur historischen Wert, nämlich, indem sie natürlich zu Recht die schulmeisterliche Frage "Was will der Autor uns damit sagen?" in ihre Schranken verwiesen hat.

 

Meiner ?berzeugung nach entfaltet sich die Qualität eines Textes in einem Spannungsverhältnis zwischen Leser und Autor. Der Autor versucht einen Text zu konstruieren und benutzt dafür bestimmte Stilmittel um bestimmte Effekte zu erzielen. Nachdem der Text gedruckt und veröffentlicht ist, übernimmt ihn der zweite Autor, nämlich der Leser, der in seinem Hirn beim Lesen - mehr oder weniger bewusst - die Stilmittel des Autors in sich aufnimmt und auf ihre Wirkung hin überprüft, um schlie?lich zu dem Ergebnis zu kommen, dass die vom Autor verwendeten Stilmittel ihre Wirkung erzielen oder nicht. Dass es dabei zu vom Autor nicht beabsichtigten Effekten kommen kann, liegt an der Komplexität des Vorgangs. Deswegen den Autor und sein Anliegen für unbedeutend zu erklären, halte ich für fahrlässig.

 

Zurück zu unserem Text: Das Einstiegszitat in diese Diskussion, die Konstruktion des Textes und auch andere Quellen lassen mich zu dem Schluss kommen, dass Lovecraft mit Schatten über Innsmouth versucht hat, einem Magazinherausgeber zu gefallen, der actionorientierte Geschichten bevorzugt. Die Erzählung strebt meiner Lesart nach auf den Punkt zu, an dem der Erzähler aus seinem Hotelzimmer flüchten muss. Dieser Abschnitt des Textes stellt sowohl in der Handlung, als auch in der Verwendung der Stilmittel als auch in der Thematik (Erkundung wird zur Flucht) einen Wendepunkt dar. Deswegen denke ich, dass es sich hier um den Höhepunkt des Textes handelt, in dem sich die Erzählung verdichtet.

 

Also muss ich mich fragen, ob dieser Höhepunkt in der Erzählung gelungen ist oder nicht. (Dass es viele andere Teile des Textes gibt, die für sich interessant sind, ist eine ganz andere Frage.) Und da komme ich zum Schluss: Nö.

 

Dass andere Leser hier andere Aspekte des Textes mögen, zeigt ja nur, dass Lovecraft ein hervorragender Autor ist, der selbst im Scheitern noch Triumphe feiern kann. Nur war es halt ein Fehler von ihm, den wichtigsten Punkt einer Geschichte mit Mitteln gestalten zu wollen, die er nicht so gut beherrscht.

 

Meine Meinung - auch wenn mein Kommentar hier an manchen Stellen vielleicht apodiktisch klingt, bitte ich darum, mir zu widersprechen. ;)

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Wikipedia sagt:

 

apodiktisch (griech. apodeiktikos : beweiskräftig)

 

* eigentlich: unumstö?lich geltend, bestimmt

* allgemein: nicht widerlegbar, unbedingt richtig, unmittelbar gewiss, logisch notwendig

 

Eine apodiktische Aussage ist eine Aussage, deren Gegenteil unmöglich sein kann, da der Beweisgrund eine allgemein anerkannte unumstö?liche Wahrheit ist. Es wird noch unterschieden in mathematische, logische und philosophische apodiktische Aussagen.

 

 

Da mir die Bedeutung unbekannt war, bin ich so frech und zitiere kurz Wikipedia, um ähnlich unwissende Seelen aus ihrer Misere zu erretten. :)

 

Gibt es eigentlich ausser dem einführenden Kommentar weitere Hinweise seitens Lovecraft über "Schatten über Innmouth"?

Schrieb er nicht in dem einführenden Brief, dass diese Erzählung/Novelle nicht zur Veröffentlichung geeignet ist? Warum wurde sie dennoch veröffentlicht? Vielleicht postum?

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Original von Marcus Johanus

Ich bin kein Freund dieses "Der Autor ist tot, es lebe der Text!"-Standpunktes, der mir im Studium mit ermüdender

[...-Kritik zum "Tod des Autors"-...]

Vorgangs. Deswegen den Autor und sein Anliegen für unbedeutend zu erklären, halte ich für fahrlässig.

 

Das auf jeden Fall. Wie dir aber sicherlich auch aufgefallen sein wird, habe ich das nicht einfach abgetan, sondern ... mich interessiert es halt tatsächlich weniger. Da geht es mir auch nicht um irgendwelche Totschlagargumente; ich finde es schlicht uninteressanter. Ich habe ja sogar eingeräumt, dass es in manchen Aspekten sogar als Randvermerk ganz interessant sein kann, aber für mich persönlich hilft das nicht wirklich, einen Text zu entwirren. Für mich ist die Schnittstelle nicht: "Autor <-> Leser", sondern "Text <-> Leser", wobei mein persönlicher Schwerpunkt eben auf dem Text liegt, aber ich eben auch den Leser nicht ganz au?er acht lassen will. Wirklich alle Aspekte zu machen ... hm, das kann man sicherlich machen, aber ich denke, sich ein paar Scheinwerfer aufzustellen, was man denn gerne ausleuchten will und was nicht, hilft einfach ungemein, einen Text zu entwirren. Da besonders bei Lovecraft eben die biographischen Analysen in der Sekundärliteratur Vorrang zu haben scheinen (so zumindest mein bisheriger Eindruck), beleuchte ich eben eher die Schnittstelle: "Text <-> Leser". Damit will ich das Andere sicherlich nicht ganz weg sto?en. Es wird nur all zu häufig eben gerne als Hinweis benutzt, wie ein Text zu verstehen sei. Und das ist dann auch nicht mehr nur historisch wichtig, dass der Autor hier zurücktritt, sondern auch im aktuellen Interpretationsprozess wichtig - wie ich finde.

 

Das ist ja auch eigentlich kein Totschlagargument. Ich habe keine Ahnung, wie es bei dir in Seminaren benutzt wurde, aber irgendwie fühlt es sich für mich merkwürdig an, wie du es berichtest. Der Tod des Autors ist ja eigentlich nicht das gänzliche Hinwegschieben der Autoren-Intention, sondern der Tod ihrer Autorität über den Text; darum geht es zumindest mir. Und das war auch das, warum ich es einwarf, weil ich eben darauf hinweisen wollte, dass wir da eben dann doch nicht zu sehr darauf schauen, was Lovecraft dazu sagte. Man kann dennoch darauf schauen; natürlich! Ich glaube kaum, dass Roland Barthes das bei aller Polemik wirklich so wollte (und da haben wir wieder eine Autoren-Intention *g*), sondern dass es ihm eher um die Befreiung von der Autorität über den Text ging, nicht um ihren wirklichen Tod. Denn es geht nicht darum, einen Text zu "entschlüsseln", sondern zu "entwirren" ("not to decipher, but to disentangle"), was immerhin aus dem gleichen Essay kommt. Daher denke ich, dass der Tod der Autoren-Intention häufig falsch verstanden wird. Zumindest ich will es eher so benutzen, wie ich sagte: Als Befreiung von der zu starken Autorität der Autoren-Intention über den Text. Erst dann kann der Text entstehen. Und da gehört sicherlich (!) auch der Autor mit rein, aber eben nicht in der Funktion, wie er gerne in der Schule reingenommen wird, sondern eher gleichberechtigt. Und da denke ich durchaus, dass das der eigentliche "der Tod des Autors" ist, zumindest so, wie ich ihn verstehe und bisher auch so bei uns besprochen habe. Keine Ahnung, wie es anderswo verstanden wird, aber es wirkt auf mich komisch, einerseits vollkommene Gleichberechtigung zu fordern und dann der Interpretation des Autors jegliches Recht zu nehmen; das wäre inkonsequent.

 

Aber ok, das ist jetzt dann auch wieder ein wenig ab vom Thema, aber ... leider ein zu spannendes Thema, als dass ich da nicht doch noch einmal drauf eingehen konnte. Au?erdem wollte ich noch einmal klarstellen, was ich damit meinte, da ich das Gefühl hatte, dass du es wirklich so verstanden hattest, als ob ich es als "Totschlargument" benutzen wollte. Nein, will ich nicht. Ich hoffe, ich konnte das einigerma?en aufklären. Mich persönlich interessiert sie weniger - das ist sicherlich so und das gebe ich auch zu. Aber ganz wegschieben würde ich sie nicht wollen und mir ging es auch nur darum, dass man halt nicht dem Text jegliche Freiheit durch die Autorität von Autoren-Aussagen nimmt. Das ist für mich, wie einem Menschen eine Zwangsjacke überzustülpen und ich hätte das Gefühl, dass der Text nicht atmen und dadurch nicht sprechen könnte.

 

Ich hoffe, ich konnte es einigerma?en aufklären, wie ich es meinte und auch, dass es dann doch nicht zu sehr in Fachsimpelei ausartete. Aber ... wie gesagt, ich finde das einfach ein tolles Thema an sich.

 

Also muss ich mich fragen, ob dieser Höhepunkt in der Erzählung gelungen ist oder nicht. (Dass es viele andere Teile des Textes gibt, die für sich interessant sind, ist eine ganz andere Frage.) Und da komme ich zum Schluss: Nö.

 

Yup, würde ich so ja auch unterschreiben; wie ja anscheinend so ziemlich viele hier. Das ist stilistisch einfach langweilig.

 

Ich habe übrigens jetzt über Sylvester noch einmal Dagon (den Film) gesehen, der ja eine Neu-Interpretation von Shadows over Innsmouth ist und einige Sachen anders/neu interpretiert, aber eben sich auch sehr dieser Verfolgungsjagd und der Flucht-Sache annimmt: Sehr gut umgesetzt und vielleicht so, wie es sein sollte. Aber vermutlich ist es in Filmen generell einfacher, Verfolgungsjagden nicht langweilig, sondern spannend rüber zu bringen. Wobei bei Dagon Erkundung mit Flucht gleichzeitig geschehen, was vielleicht sogar das Problem bei Shadows over Innsmouth ein wenig behoben hätte. An sich wäre die Struktur sogar gleich oder zumindest ähnlich gewesen und die Erzählung von Zadok kommt immerhin auch vor, aber dennoch wurde es gleichzeitig gemacht. Vielleicht wäre es geschickter gewesen, das zu verbinden.

 

Wobei es vielleicht auch einfach nur daran lag, dass in der Geschichte nur Stra?en-Namen runter gerattert wurden. Das fand ich persönlich jedenfalls sehr einschläfernd und langweilig, besonders da ich es mir eben nicht vorstellen konnte. Ob der Charakter nun in die Washington Street oder in die Arkham Street abbiegt, bringt mir persönlich nichts. Zwar hat der Text ja vorher bereits ein wenig den Aufbau von Innsmouth geschildert, aber ... eine Karte hat der Leser schlie?lich nicht vor Augen; zumindest ich nicht. Vielleicht ist das Hauptproblem das Abspulen der Stra?en-Namen. Ich würde es sogar noch nicht einmal so sehr im Konjunktiv sehen. Ich denke schon, dass man das auch im Konjunktiv einigerma?en interessant hätte machen können. Aber durch die Stra?en-Namen-Orgie verliert der Leser einfach das Bild vor Augen - so ging es mir. Und das Bild ist doch bei so Verfolgungsjagden das Wichtigste und da hat der Film vermutlich auch seine Vorteile draus gezogen. Wenn die Verfolgungsjagd also bildlicher gewesen wäre und sich nicht so sklavisch an den Stra?en-Namen entlang gezogen hätte, vielleicht wäre auch mehr Pfiff drin gewesen. Wäre zumindest mal so eine Vermutung von mir.

 

Nur war es halt ein Fehler von ihm, den wichtigsten Punkt einer Geschichte mit Mitteln gestalten zu wollen, die er nicht so gut beherrscht.

 

Die Frage wäre, ob es wirklich der wichtigste Punkt war. Wenn ich einmal die Idee des "Drama-Aufbaus" aufgreife, was hier im Thread ja mal angesprochen wurde, dann wäre schlie?lich Kapitel 3 der Höhepunkt und somit die Geschichte von Zadok Allen und nicht die Verfolgungsjad - bei einem klassischen Drama wäre das dann eher der Punkt, an dem die Spannung wieder langsam abfällt. Zugeben: Sie fällt in Kapitel 4 nicht nur ab, sondern sitzt sich fast tot, aber zumindest wäre bei einem solchen Aufbau sie dann tatsächlich nicht der Höhepunkt.

 

Mir persönlich fällt es nur schwer, die Geschichte von Zadok Allen wirklich als "Kernpunkt" der Geschichte zu sehen. Dafür ist mir die Erzählung zu zwielichtig und zu unsicher: Eine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Klar, das kann wahr sein und ich will auch nicht zu sehr auf dem unzuverlässigen Erzähler rumreiten, weil man damit häufig alles und nichts erklären kann und es einen auch manchmal einfach nicht weiter bringt. Aber irgendwie sträubt es sich bei mir aus diesem Grund dagegen.

 

Welche Punkte könnten denn noch die Wichtigsten sein? Die Erkenntnis mit dem Stammbaum am Ende? Das würde zumindest dazu passen, dass Lovecraft dann dem Poe'schen Prinzip "alles strebt auf einen bestimmten Effekt zu" gearbeitet hat. Auch wenn natürlich jetzt einige sagen werden, dass diese Erkenntnis keine ?berraschung mehr ist, sondern offensichtlich, aber ... ist sie wirklich so offensichtlich? Ich sage es ganz ehrlich: Mit 14 war das für mich nicht offensichtlich. Klar, da hatte ich noch nicht viel Lese-Erfahrung. Aber ich wage einmal zu behaupten, dass jemand, der eben nicht so viel Lese-Erfahrung hat, das tatsächlich nicht so offensichtlich findet.

 

Mich kann mittlerweile kaum noch ein Film wirklich hinters Licht führen mit "überraschenden" Wendungen: Sixth Sense, The Village, Secret Window, Unusual Suspects, Fight Club und was es da noch so gibt. Die haben mich nicht wirklich überrascht. Aber ich kenne genügend Leute, die überrascht waren und die durchaus auch einiges an Lese-Erfahrung hatten und auch keineswegs ungebildet sind. Und bei vielen von diesen Filmen muss ich sagen: Das ist handwerklich eigentlich gut gemacht. Von den oben erwähnten Filmen ist vom Handwerklichn Unusual Suspects eigentlich der Schlechteste, weil er eigentlich auch der offensichtlichste in dieser Kategorie ist, weil er auch noch ganz offen den Erzähler zeigt. Da gingen bei mir jedenfalls die Alarm-Glocken.

 

Bleibt also die Frage: Ist diese Wendung wirklich so offensichtlich oder ist sie handwerklich gut gemacht? Und da würde ich sagen, dass der Text wirklich recht raffiniert aufgebaut ist. Wenn man wei?, worauf man schauen muss, klar ... dann erkennt man es. Aber wie gesagt: Obige Filme haben mich daher auch nicht überrascht, weil ich eben wusste, worauf ich schauen musste. Dennoch kann ich das den Filmen an sich nicht vorwerfen. Und es ist in Shadows over Innsmouth gut eingeflochten, hier und dort mal ein Hinweis, ein Nebensatz im ersten Kapitel, dass die Mutter ja aus Arkham kommt und später verdichten sich dann die Verdachtsmomente mehr und mehr in Kapitel 5. Dann die Sache, dass dem Erzähler gesagt wird, dass er so merkwürdige Augen hat. Klar! Das ist ein Holzhammer, wenn man wei?, worauf man achten muss und vor allen Dingen, wenn man auf so etwas lauert. Aber wenn man "einfach liest", dann würde ich behaupten, dass es einen wirklich überraschen kann und ich denke, dass die wirkliche Erkenntnis eben bei vielen erst in Kapitel 5 einsetzt - zumindest bei jenen, die sich mit Lovecraft kaum auskennen.

 

Daher würde ich sogar behaupten, dass der "Kernpunkt" der Geschichte noch nicht einmal die Verfolgungsjagd ist, sondern diese Erkenntnis und dann ist das stilistische Desaster bei der Verfolgungsjagd meiner Ansicht nach verzeihlicher; ärgerlich zwar, aber immer noch verzeihlicher.

 

Und auch bei mir: Selbst wenn manches natürlich recht überzeugt geschrieben ist von mir, ruhig widersprechen. Diskussionen entspannen sich ja eigentlich nicht aus runden Zugeständnissen, sondern an harten Aussagen, an denen man sich reiben kann. Ich hoffe daher auch, dass das dann nicht "zu" harte Aussagen sind, an denen man sich verschluckt, denn das sollen sie nicht und das würde mir leid tun.

 

P.S.: Apodiktisch hätte ich auch nachschlagen müssen. *hüstel* Daher danke an Gwyweredh.

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