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Politische Diskussionen sind hier nicht OT


Sir Doudelzaq
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Mal ein Blick aus der Praxis auf ALG II:

 

Ich arbeite seit Jahren mit Empfängern von ALG II Grundsicherung, Renten oder diversen anderen Formen der Existenzsicherung.

 

Feststellungen aus dieser Arbeit:

 

Der aktuelle Satz beträgt 416€ (ALG II, Grundsicherung) also das MINDESTE + Kosten für Wohnen inklusive der Nebenkosten (auch Heizung) was NICHT darin enthalten ist, ist Strom. Den Zahlt man selbst.

 

Es gibt seit Jahrzehnten genügend Untersuchungen die Zweifelsfrei BEWEISEN dass die Mär vom "faulen arbeitsunwilligen Sozialschmarotzer" ein Statistisch unbedeutender Ausreißer ist. Noch immer erklären uns aber Menschen im Brustton der Überzeugung, dass wer Geld vom Staat haben will auch bereit sein soll etwas zu tun. ("Wer Essen will, soll arbeiten") Kennt man aus einer anderen Zeit als der demokratischen den Ansatz. 

 

Die Pflichten der Leistungsempfänger werden aufgrund dieser verschwindend geringen "Schwarzen Schafe" seit Jahren immer mehr. Dem Seelenstripteas auf dem Amt, das Offenlegen aller persönichen Daten sowie das Aufgeben jeglicher Vorsorge (Grabversicherung z.B.) oder Dinge die der Staat als Luxus deklariert hat (z.B. ein Auto)

 

Die Rechte der Leistungsempfänger stehen da auf einem ganz anderen Blatt. Wenn z.B. unklar ist welcher leistungsträger nun die Versorgung übernehmen soll kommt es nicht selten vor das erstmal vorsichtshaber eide nichts bezahlen udn der Empfänger erstmal ohne Geld da steht bis man sich nach MONATEN geeinigt hat. Kürzungen wegen angeblicher Versäumnisse werden in erschreckend vielen Fällen Falsch vorgenommen oder Ohne rechtliche Grundlage ausgesprochen (die Sanktionen)  Da haben wir Kürzungen auf 0 ohne die automatische Ausgabe von Essensgutscheinen oder die Sanktionen ohne einen Bescheid dafür auszustellen oder die Kürzung bei der die Mietzahlung gekürzt wurde statt dem ALG II. Nur um mal einige Beispiele au der Praxis zu nennen.

 

Wer übrigens auf sein Recht pocht und gegen Bescheide Widerspruch einlegt dessen Akte wandert zur Prüfung. Das Amt (AA, JobCenter, Arge, Sozialamt etc) hat dann gesetzlich bis zu 6 Monate Zeit über den Widerspruch zu entscheiden. Erst wenn dieser Abgelehnt wurde darf man zum Sozialgericht. Die haben in Großstädten zur Zeit ne Bearbeitungsdauer von 2+x Jahren. Wer es wegen drohenden Wohnungsverlust etc eilig hat bekommt wenigstens einen Vorentscheid innerhalb von ca 3 Monaten. Ob das zuständige Amt den dann auch zeitnah umsetzt oder ob das dann teil der Klage wird ist Glückssache. 

 

Die Privatverschuldung von Haushalten die Leistungen beziehen liegt deutlich über dem  von anderen Haushalten (sprich es sind mehr Haushalte prozentual betroffen) Dies liegt aber nicht alleine daran dass man mit 416€ und der Eigenverantwortung allein gelassen wird (da viele Betroffene niemals den Umgang mit Geld lernen konnten) sondern auch daran das viele Schulden bei ihrem JobCenter haben. Wie geht denn das? Kaution für die Miete (längst eine Entscheidung durch Bundesgerichte dass die auf Bürgschaft übernommen werden sollte, trotzdem noch immer Flächendeckende Praxis, dass die Kaution als Darlehen ausgegeben wird), Darlehen für defekte Haushaltsgeräte (ja dafür gibt es auch einen Betrag, aber so ein Haushalt muss ganz schön lange intakt bleiben wenn man mit den 10-20€ im Monat genug ansparen sol um sich Ersatz zu besorgen) und der häufigste Grund für Verschuldung ist tatsächlich Einkommen. Da besonders ALG II Empfänger dazu angehalten sind JEDE Arbeit anzunehmen haben viele inzwischen Mini Jobs. Diese werden nach Stunden bezahlt und haben schwankendes Einkommen. oder sie bekommen ihre Abrechnung erst mit bis zu 6 Wochen Verzögerung. Da die Regelung vorschreibt dass bei geringen Einkommen ein Pauschalbetrag von 100€ frei ist um Werbungs und Fahrtkosten zu decken (egal wie teuer das ist zum Job zu kommen und was man da alles selbst bezahlen muss) und der Betrag darüber hinaus einen Eigenbehalt von 20% hat (sprich der Rest wird einem Abgezogen) ist zum einen nicht nur die Motivation solche Jobs anzunehmen nicht gerade hoch, man hat auch folgendes Problem:

Du gibst deinen Arbeitsvertrag und ein zu erwartendes Einkommen an. Dein Bescheid wird korrigiert und dir wird eine verringerte Summe ausbezahlt. Du bekommst die Abrechnung un stellst fest du hast nicht den zu erwartenden Betrag erhalten (Nachberechnung) Dann schickt dir das JobCenter eine Anhörung zu. Die kreuzt du mit alöles stimmt an (wenn sie richtig gerechnet haben) und dann bekommst du nach Verarbeitung dieser Anhörung eine Aufforderung zur Rückzahlung der Überzahlten Beträge. Das kannst du dann aber nicht einfach mal beim JobCenter einzahlen. Dich schreibt der Inkasso Service der Agentur für Arbeit an und fordert dich zur Zahlung auf. (inzwischen sind 2 Monate vergangen) ob du das Geld noch hast ist meist eher Glückssache. Und wenn dein Gehalt schwankt oder die Personalabteilung jeden Monat zu blöd zum rechnen ist und dir jeden Monat eine Nachberechnung des Vorherigen Monats schickt, hast du ständig Forderungen und wenn du die in Raten ab bezahlen willst zahlst du locker nen halbes Jahr noch ab obwohl dein befristeter Mini Job schon längst Geschichte ist. 

 

Langzeitarbeitslosigkeit und ihre Gründe sind vielfältig, haben aber ein Muster. Es liegt selten am mangelnden Interesse der Leute an einer Arbeit oder das sie sich für "Drecksarbeit" zu schade sind. Ich habe Leute die vor Freude weinen würden wenn sie jemand in einem Lager als Zeitarbeiter einstellen würde, oder in einer Großküche oder im Garten und Landschaftsbau. Das Problem ist: Die Leute wurden bereits aussortiert und niemand will sie haben. Sie haben körperliche und Psychische Probleme. Suchtkrankheiten, Mangelnde Schulbildung und schwierigkeiten im Sozialverhalten sind da üblich. Hinzu kommen Verlust der Tagesstruktur und deutlich geringere Belastbarkeit. Nachdem die Gesellschaft sie schon aussortiert hat und sie abgeschrieben hat, zwingt man diese Leute aber dazu sich immer wieder eine Abfuhr zu holen damit sie ja nicht vergessen, das sie nutzlos sind. Nicht in Bewerbungen (das ist inzwischen selbst dem JobCenter klar dass man einen Mann mit 50% GdB und seit 10 Jahren ohne eine Arbeit und einem Sonderschulabschluss nicht mehr zu Bewerbungsgesprächen schicken braucht) man zwingt sie dazu in Schulungen zu gehen, die das System Unsummen kosten. Bewerbungstrainings die nicht mal zu einem Lebenslauf führen der IRGENDWO eine Chance auf Wohlwollen findet. Umschulungen und Weiterbildungen die Stapler scheine und Kassenlehrgänge beinhalten die kein Unternehmen interessiert weil sie ganz andere Anforderungen stellen. Und zum Schluss 1,50€ bei denen die Gemeinden drauf bezahlen und die meisten Teilnehmer sich mehr über die Fahrkarte als über den Lohn freuen (wenn sie die überhaupt bekommen)  

 

Zum Schluss noch eine Erkenntnis zum Thema Straffälligkeit von Leistungsempfängern. 

Natürlich gelten auch für Leute in schwierigen Lagen die gleichen Gesetze wie für alle anderen auch, aber warum werden sie häufiger davon getroffen? Weil man sich nun mal keine Monatskarte für 60+€ Leisten kann wenn man nach Abzug aller Fix Kosten noch weniger als 100€(bis 200) für Lebensmittel hat (Ja ganz recht, die meisten haben zwischen 20 und 50€ die Woche um Einzukaufen) aber das Schwarzfahren ist ja nicht nur 60€ (+ nen Haufen Gebühren wenn man nicht sofort bezahlt) sondern wegen der Erschleichung von Leistungen auch noch eine Straftat die mit Geldstrafen belangt wird die sich gewaschen haben (das sind mehrere hundert Euro pro Schwarzfahrt) Wenn diese Leute das nicht zahlen können (weil sie z.B. schon eine Geldstrafe ab bezahlen die ihnen noch mehr Geld im Monat nimmt) und sie aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sind sozial stunden zu leisten um die Geldstrafe abzuarbeiten, dann wandern sie in den Knast. Googelt ruhig mal die Kosten eines Strafgefangenen. Da zahlen wir als Steuerzahler Unsummen damit die deutsche Bahn doch keinen Cent von der Schwarzfahrt sieht. (Und das Argument einiger Rechtspfleger die dann sagen "Das Gefängnis kostet auch Geld wenn es leer ist" klingt da wie blanker Hohn) 

 

 

Alles hier sind erstmal nur Aussagen und Erfahrungen. Ich habe zu den Zahlen keine Statistiken parat sondern aus dem Gedächtnis Weiterbildungen bei mir auf der Arbeit zitiert. Also bitte hängt euch nicht zu sehr an einzelnen Zahlen auf sollte etwas nicht stimmen. Ich hoffe die Richtung meiner Ausführungen ist klar geworden und warum ich Pauschalisierte Phrasendrescherei in diesem Fall als Unmenschlich und ziemlich Snobistisch empfinde. 

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Wenn man mal (wie Corn) selbst länger mit Hartz-IV Empfängern gearbeitet hat - und dann irgendwann auch im familiären Umkreis damit zu tun hatte, verliert man leider schnell den Glauben an die Nachvollziehbarkeit dieses Systems.

 

Ich habe über viele Jahre die Radiosendung Nordmagazin hier in Düsseldorf als Techniker und Redakteur betreut; ca. 2005-2012.Grundsätzlich war das Nordmagazin ein Stadtteil-Magazin in Regionalradio, wo über Gott und die Welt berichtet wurden und immer wieder auch Gäste vor dem Mikro waren. Nachdem wir einen Mitarbeiter der Arbeitslosenhilfe, einem Verein, der sich um die Bedürfnisse, Rechte und Pflichten von Arbeitslosen kümmerte, zu Gast hatten, richteten wir ein monatliches Feature ein, um der ARGE journalistisch auf die Finger zu schauen.

 

And let me tell you: Es war schwer, die gebotene Distanz zu halten - selbstverfreilich haben wir immer nur individuelle Einzelfälle vor dem Mikro gehabt, aber es waren genug, um sich ein Bild zu machen. Von der alleinerziehenden jungen Mutter, die eine Ausbildung zur Friseurin machen konnte und sie nach zwei Jahren abbrechen musste, weil das Amt ihr die Kosten für die Abschlussprüfung nicht zahlten wollte, über die systematische Lenkung eines Menschen in die Obdachlosigkeit, weil er gegen Entscheidungen des Amts geklagt hate, bis hin zur massenhaften Entlassung von Pflegediensthilfskräften, die dann als 1-Euro-Jobbern wieder eingestellt wurden - im Pflegedienst des Bruders des damaligen ARGE-Chefs.

 

Das System der ARGEn (damals, wobei sich da nicht viel dran getan haben dürfte), war zutiefst verkommen, korrupt und in einer perversen KPI-Hörigkeit verfangen.
Die Beratungsstellen für Antragsstellung beriet etwa nachweislich falsch, um Erstanträge möglichst lange zu verzögern. Die erwähnten Pflichttermine, von denen es zwei bis drei Varianten gibt, wurden beispielsweise systematisch eingesetzt, um Sanktionsquoten zu erfüllen. Pflichttermin 1 wurde bspw um 8:00 Uhr in der ARGE angesetzt, Pflichttermin 2, eine Wohnungskontrolle, um 8:30 Uhr in der Wohnung des Leistungsempfängers - der 27 Minuten mit der Bahn von der ARGE zurück zu seiner Wohnung brauchte. Schriftliche Terminvorladungen wurden in auffälliger Häufigkeit nicht zugestellt, und dann wurde ohne weitere Vorwarnung -versehentlich- sanktioniert.

 

Weil Sanktionsquoten o.ä. Kennzahlen erreicht werden mussten.

 

Für diese konnten wir leider nie handfeste Beweise vorlegen, sondern nur Aussagen ehemaliger Mitarbeiter - Whistleblower waren damals noch nicht so gut organisiert und Kamerahandy noch nicht so verbreitet.

 

Aufgabe der Arbeitsloseninitiative war es, die Arbeitslosen auf dieses System vorzubereiten, indem beispielsweise deutschsprachige Terminbegleitungen angeboten (denn ohne einen Zeugen mit einwandfreien Deutschkentnissen wurden gern mal Fälle vor Gericht zugunsten der ARGE entschieden), mobile Kopierer vor den ARGEn bereitgestellt und allgemeine Beratung angeboten wurde.
Bürgermeister Elbers entzog dem Verein dann unmittelbar nach seiner Wahl sämtliche Mittel; ohne Förderung lief der Verein ein weiteres Jahr durch Finanzierung von Die Linke, bis das dann auch versiegte.

Edited by Ech0
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Was ich aber nachvollziehbar ansehe:

 

"Ich arbeite und versorge damit mich und die Meinen und bin dabei bestimmten Zwängen unterlegen wie z.B. der geregelten Arbeitszeit. Ich kann mir nicht aussuchen, wann ich zur Arbeit gehe. Und wenn der Arbeitslose X irgendwann wieder Arbeit hat, dann muss er das auch. Und damit er das nicht zwischendurch verlernt, soll er vom Amt Termine bekommen, die er einhalten muss. Das ist keine Schikane, sondern ein Psychotrick, um es ihm später bei der Arbeit einfacher zu machen sich wieder einzugewöhnen."

Diese Meinung finde ich sehr nachvollziehbar und mir sind keine Gegenargumente ersichtlich.

Sehr guter Punkt. Den würde ich gerne aufgreifen. Dieser Psychotrick hat nämlich einen großen Haken. Er suggeriert "wenn ich dich nicht unter Druck setzte, kommst du nicht freiwillig". Und genau deshalb löst dieser Trick bei Arbeitnehmern eine diffuse Angst vor der allgemeinen Situation in ALG2-Armut zu fallen, (nach einem Jahr Arbeitstlosigikeit) und dann so behandelt zu werden, wie ein "Systemschmarotzer, der zu faul ist Termine einzuhalten".

 

Daher Gegenvorschlag: Statt gleich alles auf den Kopf zu stellen und ein BGE für alle einzuführen, könnte man erst mal ALG2 umbauen in eine Grundsicherung für Alle ohne Einkommen mit der Möglichkeit zu Bonuseffekten. Damit meine ich, dass jeder bedingungslos in einer erwerbslosen Situation zunächst ein paar Freibeträge auf bereits zu Arbeitszeiten angesammeltes Vermögen (Wohneigentum, geringer Sparvermögen bis zu einem gewissen Freibetrag... vielleicht 50.000 EUR, vielleicht mehr... um Details geht es mir gerade nicht) zugesichert bekommt und zum anderen das, durch das Grundgesetz sowieso nicht zu kürzende und die damit per Definition bereits bedingungslose Grundsicherung auf Basis des Existenzminimus, garantiert bekommt. Garantiert! Aber gleichzeitig werden Angebote in Form von wirklich konstruktiv sinnvollen Weiterbildungen angeboten sowie konstruktive und sinnvolle Arbeitsvermittlungs Beratungen und Unterstützungen zur Verfügung gestellt, für die ein Erwerbsloser entsprechende Boni auf diese bedinungslose Grundsicherung erhält um so ein etwas erträglicheres Auskommen sicherzustellen und wieder kulturelle Beteiligung zu ermöglichen. Gleichzeitig erlaubt man einen größeren Selbstbehalt bei Aufnahme einer Arbeit, so das es sich lohnt eine Arbeit anzunehmen (auch wenn zunächst nur Minijob oder Teilzeit) und man parallel dazu eine qualifizierte Weiterbildung garantiert machen darf. Das ist heute übrigens nicht so, weil allein die Arge entscheidet ob sie eine Weiterbildung erlaubt und finanziert und es eben kein Recht auf Weiterbildung gibt. Auch Alleinerziehende, die nicht alle Möglichkeiten haben jeden Job anzunehmen, weil sie eben ein Kind zu versorgen haben könnten von diversen Boni profitieren, die sie eben erhalten, wenn sie entweder einen Teilzeitjob während der Betreuungszeiten ihres Kindes annehmen oder eine passende Weiterbildung freiwillig durchführen, die während der Betreuungszeiten des Kindes angeboten wird. Außerdem sollten die Beträge, die Familien und Alleinerziehenden mit Kindern für die Kinder zustehen nochmal genauer betrachtet werden. Hier passen die heute vorgesehenen Leistungen überhaupt nicht zu den realistischen Erfordernissen. In Wahrheit sind fast alle Kinder von alleinerziehenden Eltern oder Familien in H4 Armutskinder. Auch diese Situation erzeugt einen unfassbaren Druck und eine diffuse Angst auf Menschen mit evtl. unsicheren Arbeitsplätzen. Eine Angst die unserer Gesellschaft nicht gut tut, die spaltet und Emmotionen provoziert die wir uns in einem Sozialstaat eigentlich nicht erlauben dürften. Zumal das Erziehen und großziehen von Kindern eben auch etwas ist, was wir als Gesellschaft ausreichend unterstützten sollten, da wir ja genau das wollen um der Demografischen Entwicklung und dem Erhalt unserer Rentensysteme u.ä. entgegenwirken zu können. Aber derzeit bedeutet jedes weitere Kind für eine Familie statistisch eine signifikante Steigerung der Wahrscheinlichkeit in Armut zu fallen (=Unter die Einkommens Armutsgrenze zu rutschen). Hilft uns das als Gesellschaft wirklich?

 

Aber unhabhänig von der besonderen Situation alleinerziehender Eltern und Familien mit Kindern. Das was bei diesem Konzept garantiert und bedinungslos wäre, ist das was das Grundgesetz heute schon garantiert: Eine bedingungsloses Existenzminimum. Kombiniert mit besseren und höheren Zuverdienst Möglichkeiten und einer Erhöhung der Transfairleistungen sofern Angebote zur Arbeitsvermittlung der Arge angenommen werden und wenn der oder die Erwerbslose freiwillig eine konstruktive und qualifizierte Weiterbildung durchführt in Kombination mit einer Garantie auf eine Weiterbildung.

 

Dann haben wir wieder eine psychologischen Effekt. Aber die psychische Wirkung der ganzen Situation verändert sich vollständig. Man wird nicht mehr drangsaliert, wenn man nicht tut was verlangt wird, sondern man wird motiviert und aktiviert aus eigener Intension heraus mehr zu machen während man 1. Chancen dazu erhält und zweitens dafür belohnt wird, was psychologisch (in so vielen Forschungen und Studien längst nachgewiesen) viel effektiver ist und gleichzeitig den Stresspegel und den Druck entfernt.

 

Man muss auch keine so große Angst vor dem rasanten totalen sozialen Abstieg haben, weil man nicht automatisch alles verliert, wenn man seine Erwerbstätigkeit verliert, sondern viel mehr unterstützt die Gesellschaft jeden dabei, sich aus eigener Kraft flexibel auf die neue Situation anzupassen in dem eben ggf. notwendige Weiterbilidung garantiert ermöglicht wird, und es sich sogar aktiv lohnt, diese durchzuführen.

 

Das wäre ein "Psychologischer Trick" den ich viel konstruktiver und wertvoller fände, einen größeren Nutzen für die Gesellschaft als ganzes erkennen würde als möglichst schnell in eine neue beliebige Arbeitsstelle mit beliebig schlechter Bezahlung rein erpresst zu werden, sondern gezielt Weiterbildungen für die Bereiche ermögliche, in denen ich evtl. mehr Fachkräfte benötige. Ich glaube auch, dass wir mit so einem Konzept viel besser auf die Herausforderungen der Digitalisierung und kommenden neuen industriellen Revolution gewapnet sein werden, weil es das Prinzip des lebenslangen Lernens und damit die Bildung viel besser aufgreift. Und Niemand wird ernsthaft abstreiten das Bildung der wesentlische Schlüssel für die Herausforderungen der Zukunft sein wird.

 

So könnte der Fernkraftfahrer, der in den nächsten 10 Jahren seinen Job verliert, weil der LKW dann automatisch fährt, von der ganzen Gesellschaft dabei unterstützt werden, sich in eine andere Richtung weiter zu qualifizieren, für die seine Arbeitskraft weiterhin benötigt wird. Natürlich wird der Fahrer, der seinen Job geliebt hat nicht glücklich darüber, dass er diesen Beruf nicht wieter ausführen kann. Aber im heutigen System würde er durch das System evtl. dazu gezwungen direkt einen Job in einem anderen Logistik Unternehmen anzunehmen, dass sich noch keine autonomen LKWs kaufen möchte und statt dessen die vielen jetzt extrem billig verfügbaren Kraftfahrer der Konkurenz nimmt, um auf diese Weise mit niedrigsten Löhnen gegen die autonomen LKW Logistik Unternehmen anzustinken. Bis dann dieses Unternehmen entweder bankrott wird, weil es nicht früh genug die technologische Entwicklung erkannt und adaptiert hat oder eben doch irgendwann auf autonome LKW umsteigt und der Fahrer, der nun noch einige Jahre unter hässlichsten Niedriglohn Bedingungen arbeiten musste doch wieder arbeitslos wird und dann vielleicht entgültig zu alt ist um nochmal was neues zu lernen.

 

Nur mal um ein Beispiel zu nennen von welchen Herausforderungen wir ja in Zukunft ausgehen müssen, und ob wir vielleicht ein System der Chancen brauchen, statt ein System des Drucks und des Zwangs. Denn wir müssen ja davon ausgehen, dass wir ein Sozialstaatssystem für die Zukunft brauchen, dass eben mit der Situation umgehen kann, dass viele arbeitswillige Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden arbeitslos werden. Und wenn man denen weiter nur ALG2 und Sanktionen bei Verweigerung von Niedriglohn Jobs als Konsequenz aufzeigt, dann wird der "psychologische" Trick bestens funktionieren. Wir werden nämlich noch mer Burnout, Depression und Selbstmord haben. Wir müssen nicht sofort zu einem BGE für alle kommen, zumal solch radikale Systemwechsel auch hochgradig unrealistisch in Deutschland wären. Aber wir müssen dringend das Harz4 System so umgestalten, dass die Menschen es wieder als soziales Sicherungssystem wahrnehmen und verstehen, dass ihnen aus einer unverschuldeten Notlage heraus hilft und Chancen bietet aus eigener Kraft einen neuen Weg einzuschlagen. Denn sonst kann der soziale Frieden langfristig kaum sichergestellt werden. Globalisierung und Digitalisierung werden nicht an Deutschland und Europa vorüberziehen, deshalb halte ich es für fatal hier einfach die Augen zu verschließen und auf ein System zu setzen, dass für eine Situation der drohenden Massenarbeitslosigkeit durch mögliche Abwanderung der Industrie wegen mangelnder Konkurenzfähigkeit wegen zu höher Löhne aus den 2000ern zu setzen. Denn wir brauchen ein System das auch in 2025 und danach funktioniert und die Konsequenzen aus der nächsten iindustriellen Revolution aushalten kann. Und das schafft H4 ganz sicher nicht.

Edited by _HeadCrash
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"Ich arbeite und versorge damit mich und die Meinen und bin dabei bestimmten Zwängen unterlegen wie z.B. der geregelten Arbeitszeit. Ich kann mir nicht aussuchen, wann ich zur Arbeit gehe. Und wenn der Arbeitslose X irgendwann wieder Arbeit hat, dann muss er das auch. Und damit er das nicht zwischendurch verlernt, soll er vom Amt Termine bekommen, die er einhalten muss. Das ist keine Schikane, sondern ein Psychotrick, um es ihm später bei der Arbeit einfacher zu machen sich wieder einzugewöhnen."

Diese Meinung finde ich sehr nachvollziehbar und mir sind keine Gegenargumente ersichtlich.

Klarstellung keine Gegenargumente

 

Die Termine beim Amt dienen nicht der Strukturierung des Tages. Dazu wären viel mehr als 2 pro Jahr nötig.

 

Ein verpasster Termin führt nicht sofort zur Kürzung (zumindest nicht wenn man sich ans Gesetz hält) sondern erst muss der Empfänger die Chance bekommen sich zu äußern.

 

Nachweislich ist das Risiko an einer Depression oder einer suchter zu erkranken bei langzeitarbeitslosen deutlich erhöht. Dies beschleunigt den Verlust der tagesstruktur und geht oft mit schlafproblemen einher. Wenn ein Arzt dann Schlaf Mittel verschreibt ist es medizinisch kaum machbar einen Patienten morgens um 8 im Job Center zu haben. Das ist zwar ein legitimer Grund für Versäumnisse von Terminen wird aber nicht immer akzeptiert.

 

 

Zum Schluss noch ne Anekdote aus der Praxis bezüglich Sanktionen

 

Vor einigen Jahren kam ein Klient zu mir und sagte dass er kein Geld bekommen habe und auch sein Vermieter keine Miete bekommen hat (man kann die Miete direkt überweisen lassen damit nichts schief geht)

 

Nach einem Anruf beim Jobcenter stellte sich folgendes heraus

 

Das jc hatte dem Klient einen Brief geschrieben der wieder zurück kam mit dem Hinweis unbekannt verzogen. Warum ist uns bis heute nicht klar da der Name vorher wie nachher am Briefkasten stand und der nächste Brief einen tag später problemlos ankam.

 

Was hat das Jobcenter getan? Wer einen Umzug nicht meldet oder postalisch nicht zu erreichen ist steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung bzw arbeitet nicht mit. Deswegen wurde die Leistung SOFORT eingestellt.

 

Der Brief ein Tag später an die gleiche Adresse teilte übrigens die Einstellung der Leistung mit.

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Bezüglich BGE noch eine Anmerkung

 

Ich finde das Konzept gut und nicht weltfremd aber es hat einen Haken

Es muss so angelegt sein dass eine Existenz in München genauso möglich ist wie in einem Dorf in Brandenburg.

 

Und niemand hält den Markt auf wenn einige Zeit nach der Einführung plötzlich alles teurer würde. Wieso sollten Vermieter, Einzelhandel oder Erdöl Konzerne sich zurück halten wenn jeder plötzlich 1000+€ mehr im Monat hat?

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Bezüglich BGE noch eine Anmerkung

 

Ich finde das Konzept gut und nicht weltfremd aber es hat einen Haken

Es muss so angelegt sein dass eine Existenz in München genauso möglich ist wie in einem Dorf in Brandenburg.

 

Und niemand hält den Markt auf wenn einige Zeit nach der Einführung plötzlich alles teurer würde. Wieso sollten Vermieter, Einzelhandel oder Erdöl Konzerne sich zurück halten wenn jeder plötzlich 1000+€ mehr im Monat hat?

Hier muss ich widersprechen. Es muss so angelegt sein, dass ein menschwürdiges Leben möglich ist. Wer neben dem BGE nicht arbeit will, der muss sich dann eben von dem Gedanken verabschieden in München zu wohnen. Ein menschenwürdiges Leben ist nämlich nicht nur in München, sondern auch auf besagtem Dorf in Brandenburg möglich. Das hätte aus meiner Sicht auch gleich noch den Vorteil (zumindest in der Theorie), dass die Wohnungsnot in den Städten etwas entspannt wird und auf der anderen Seite wieder Leben in die ländlichen Gebiete kommt.

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Da muss ich dir widersprechen Krushvor.

 

Nicht nur die Ghetto Bildung ist hier ein Problem. Was ist Menschenwürdig daran Leute zu einem umzug zu zwingen? Vergiss bitte nicht, dass BGE nur bedeutet dass du nicht arbeiten musst, es ist keine Garantie dafür das du arbeiten kannst.

Im Idealfall sollte ein Leben möglich sein das Menschenwürdig ist und den Menschen nicht dazu zwingt umzuziehen (sei es um ein Job zu finden oder um sein Leben zu bezahlen) Es verlangt niemand dass jeder die Mieten in den Nobel Vierteln bezahlen können soll aber das ich in meinem Viertel Wohnen bleiben kann wenn ich das möchte sollte schon drin sein.

 

Kurze Erklärung warum ich das anspreche: Bisherige Theorien und Modelle sprechen meist von 1000€ Einkommen (manche auch mehr) aber 1000€ werden in vielen Großstädten schon knapp zur Finanzierung eines 1 Personenhaushaltes weil die Lebenshaltungskosten so hoch sind. Wenn ich 500€+ für die Miete ausgeben muss, dann bleibt da nicht viel übrig wenn man die anderen Fix Kosten noch abzieht. Es gibt genügend ALG II Empfänger die inzwischen mehr als 1000€ brauchen um in ihrer SOZIALWOHNUNG in einer Großstadt zu leben. 

 

Wie gesagt das eine ist das Geld muss reichen das andere ist: Reguliert die Märkte denn ansonsten werden die Preise danach explodieren und man hat überhaupt nichts gewonnen bei der Einführung. 

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Leider fehlt mir grad die Zeit für eine ausführliche Antwort. Dennoch danke für den langen Beitrag! :)

Die Pflichten der Leistungsempfänger werden aufgrund dieser verschwindend geringen "Schwarzen Schafe" seit Jahren immer mehr

Tja, das ist eine durchschaubaure, aber effektive Taktik: Die Schwarzen Schafe sind das Vehikel, um Kontrollmechanismen und Sanktionen einzuführen oder zu verschärfen. Nicht nur die BILD trägt dazu bei, das dem Volk zu verkaufen.
 

eine Straftat die mit Geldstrafen belangt wird die sich gewaschen haben (das sind mehrere hundert Euro pro Schwarzfahrt).

Das stimmt leider. Geldstrafen (für Straftaten, nicht Bußgelder!) in Deutschland funktionieren ja nach dem Muster: Tagessatz-Anzahl (je nachdem, wie schlimm die Tat war) x Tagessatzhöhe (= Netto-Tageseinkommen, also Nettomonatslohn/30). Schwarzfahren ist vergleichsweise harmlos, da gibts auch mal 20 Tagessätze, aber im Wiederholungsfall landet man auch schnell bei 60 oder 90. Interessanterweise sind die Gerichte sich nicht einig, wie hoch der Tagessatz eines Sozialleistungsempfängers sein soll. 10, 8, 5 €, gibts alles. Aber selbst 7 € bei 40 TS sind schon fast 300 €. Das ist absurd viel. Und alles für ein Delikt, das absolut nicht strafwürdig ist, zumal die Verkehrsbetriebe es ja in der Hand hätten, das zu unterbinden...

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Meint ihr wirklich, dass es dannzu großartigen Ghettobildungen kommt? Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dafür ist doch einfach zu viel Fläche außerhalb von Großstädten vorhanden. Es gibt so viele kleine Ortschaften um die Großstädte und zwischen ihnen, dass verläuft sich doch.

 

Außerdem will ich nochmal festhalten wovon wir ja, so glaube ich, alle überzeugt sind, nämlich dass die meisten Leute arbeiten wollen. Insofern denke ich, dass es letztlich nur eine kleine Minderheit gibt, die tatsächlich ohne zu arbeiten mit dem BGE leben wollen. Und bei denen finde ich es schon angemessen, dass sie umziehen, wenn sie das Leben für sich so planen. Hier geht es mir, um das nochmal ganz klar zu sagen, wirklich nur um jene, die absolut nicht arbeiten wollen, nicht um jene die mal eben aussetzen um einen besseren Job zu finden. Und ich sehe hier keinen Zwang. Jeder kann das für sich selbst entscheiden.

 

Mir fällt außerdem gerade auf: Mit den genannten 1000 Euro könnten Paare auch noch relativ bequem ohne Arbeit in einer größeren Stadt leben, ich sehe also nicht, was schlecht daran wäre es so zu handhaben.

Edited by Krushvor
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Bei uns bezahlt man für ein Tages-Gruppen Ticket für das Stadtgebiet fast 10 Euro. Wenn man also zu zweit vier Stationen mit der Bahn hin und zurück fahren will ist das ein Zehner. Das ist für viele Leute einfach zu viel Kohle. 

Das kann auch für Leute mit geringem Einkommen ein Problem sein. 

 

Ich hab drei Monate ALG II bezogen, zwischen Studium und Referendariat, und war aufgrund diverser komischer Vorgänge im Amt fast drei Jahre damit beschäftigt. 

Als Studentin habe ich jahrelang Leute beraten, wie ihre Bafög Anträge auszufüllen sind. Das war ähnlicher Terror. Einfach schrecklich. 

Die schöne Zeit, die man in etwas sinvolles stecken könnte anstatt sich mit diesem Mist aufzuhalten... 

 

Und was Corn zu den sozialen und psychischen Auswirkungen auf die Betroffenen schreibt ist grausam. 

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